Dem Straßenkehrer abgeschaut
"Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten."
Kann dieser Rat von Beppo, dem alten Straßenkehrer, in Michael Endes verfilmter Erzählung "Momo" in einen Kontext mit Qualitätsmanagement (QM) gebracht werden? Beppos Beschreibung der für seine Arbeit wichtigen - erfolgskritischen - Merkmale bringt die zentralen Handlungsprinzipien des Qualitätsmanagements auf den Punkt: Präzise Beschreibung der Aufgaben, systematische Vorgehensweise und richtiges Instrumentarium führen Qualitätsmanagement leichter zum Ziel - und sogar zum Spaß bei der Sache.
QM-Werkzeuge der Caritas
Qualitätsleitlinien und Bundes-Rahmenhandbücher
Um seinen Beruf ausüben zu können, braucht Beppo eine Schaufel, einen Karren und einen Besen. Nicht irgendeinen, sondern einen zum Straßenkehren. Ana-log wird zur Umsetzung von QM-Systemen ein geeignetes Instrumentarium benötigt, das exakt auf die Erfordernisse der einzelnen Fachbereiche und ihrer Einrichtungen abgestimmt sein muss. Die vom Deutschen Caritasverband (DCV) herausgegebenen Qualitätsleitlinien beziehungsweise Bundes-Rahmenhandbücher sind solche Instrumente. Sie helfen, sich in das Thema Qualitätsmanagement einzuarbeiten, es umzusetzen sowie ein einrichtungsindividuelles Qualitätsmanagement zu entwickeln.
Diese Werkzeuge wurden im Rahmen des Verbundprojektes Qualitätsmanagement des DCV erarbeitet und anschließend mit den Diözesan- und Fachverbänden abgestimmt. Nach deren Zustimmung wurden die Qualitätsleitlinien beziehungsweise Bundes-Rahmenhandbücher im Vorstand des DCV beraten und schließlich von seinem Generalsekretär Georg Cremer freigegeben. Sie stehen den Einrichtungen und Diensten der verbandlichen Caritas für folgende Fachbereiche zur Verfügung:
- Ambulante Pflege;
- Allgemeine Sozialberatung;
- Caritas-Aids-Arbeit;
- Erziehungshilfen;
- Fort- und Weiterbildung;
- Jugendsozialarbeit;
- Katholische Schwangerschaftsberatung;
- Offene Soziale Altenarbeit;
- Straffälligenhilfe;
- Wohnungslosenhilfe.
Die Qualitätsleitlinien dienen den Einrichtungen und Diensten der verbandlichen Caritas als Anknüpfungspunkte für den Einstieg in das Thema Qualität: Sie bieten neben Anleitungen für die Erstellung von einrichtungsspezifischen QM-Handbüchern auch einen "roten Faden" für eine caritasspezifische Profilierung. Damit können die Einrichtungen und Dienste der verbandlichen Caritas erstmals die Anforderungen an ihre Arbeit nach einheitlich vorgegebenen Kriterien darstellen. Die Anforderungen und Praxisindikatoren sind bewusst so abgefasst, dass die Besonderheit und die Kultur jeder einzelnen Einrichtung mitberücksichtigt werden kann. Demnach findet keine Standardisierung im Sinne einer Gleichmacherei statt.
Selbstbewertungsinstrument
Die Qualitätsleitlinien beziehungsweise Bundes-Rahmenhandbücher werden durch ein Selbstbewertungsinstrument ergänzt. Es befähigt die Einrichtungen und Dienste der verbandlichen Caritas, zu erkennen, wie weit sie mit der Umsetzung der Qualitätsleitlinien beziehungsweise Bundes-Rahmenhandbücher fortgeschritten sind. Analog dem PDCA-Zyklus1 werden darin die in den Qualitätsleitlinien aufgelisteten Praxisindikatoren anhand eines Bewertungssystems checklistenartig abgefragt. Einleitend wird in die Systematik des Instrumentes eingeführt und exemplarisch eine Vorgehensweise für die Durchführung Schritt für Schritt beschrieben.
Zum Auswerten sind die Befunde in eine Excel-Datei einzugeben. Aus dieser wird automatisch ein Spinnendiagramm erstellt, um einen Überblick für eine Beurteilung der Selbstbewertung zu bieten.
Arbeitshilfe für Träger mehrerer Fachdienste beziehungsweise Einrichtungen
Rechtsträger, vornehmlich Orts-Caritasverbände/Fachverbände, die verschiedene Dienste und Beratungen anbieten, sind mit dem Problem konfrontiert, dass mehrere Qualitätsleitlinien für sie zutreffen. Na-mensgleiche Kapitel - zum Beispiel "Mitarbeiter(innen)" - sind in den Leitlinien beziehungsweise in den Bundes-Rahmenhandbüchern unterschiedlich abgefasst. Das rührt daher, dass bei der Erstellung dieser Instrumente jeder Fachbereich seine spezifischen Besonderheiten mit aufgenommen und betont hat.
Um den Einrichtungen und Diensten in solchen Fällen eine mühsame und zeitaufwendige Abstimmung der verschiedenen Qualitätsleitlinien und Bundes-Rahmenhandbücher abzunehmen, hat der DCV eine "Fachübergreifende Arbeitshilfe" erarbeitet. Sie soll die Qualitätsleitlinien nicht ersetzen oder schmälern, sondern den Einrichtungen und Diensten mit einem breitgefächerten Leistungsangebot helfen, die unterschiedlichen Leitlinien "unter einen Hut zu bringen".
Die Arbeitshilfe gliedert sich in einen fachübergreifenden und einen fachspezifischen Teil. Ersterer behandelt Themen, die in allen Fachbereichen und ihren Einrichtungen eine Rolle spielen, zum Beispiel "Leitbild", "Mitarbeiter(innen)", "Wirtschaftlichkeit" oder "Qualitätsmanagement". Die Inhalte der einzelnen Kapitel sind aus den Qualitätsleitlinien abgeleitet.
Die fachspezifischen Kapitel gehen auf Aspekte und Anforderungen ein, die nur für bestimmte Fachbereiche gelten, zum Beispiel für Schwangerschaftsberatung oder Straffälligenhilfe.
Verfügbarkeit und Know-how
Alle Diözesan-Caritasverbände, Fachverbände und Bundesarbeitsgemeinschaften wurden von Generalsekretär Georg Cremer auf die Einführung der Qualitätsleitlinien hingewiesen und haben eine CD mit sämtlichen Werkzeugen erhalten.
Der DCV bietet zudem auf Anfrage für die Diözesan- und Fachverbände fachübergreifende und fachspezifische Schulungen an, um die Fachreferent(inn)en in die Anwendung der Qualitätsleitlinien, Bundes-Rahmenhandbücher und Selbstbewertungsinstrumente einzuführen.
Grundlagenschulung unverzichtbar
Eine Grundlagenschulung im Qualitätsmanagement lässt sich dadurch nicht ersetzen. Diese betrifft Inhalte wie beispielsweise Bedeutung und Nutzen von QM-Systemen für Unternehmen und Mitarbeiter(innen), Qualitätsmanagement-Normen der ISO- 9000:2000-Familie, Einführung, Umsetzung und Weiterentwicklung von QM-Systemen sowie deren Dokumentation, ausgewählte Werkzeuge und Methoden des Qualitätsmanagements. Dieses Grundlagenwissen ist erforderlich, um auch die im Folgenden beschriebenen "Besenstriche" führen zu können, das heißt, das QM-System nicht nur umzusetzen, sondern es optimal zu nutzen.
"Besenstriche": die Arbeit mit den QM-Werkzeugen
Besenstrich "Vereinheitlichung der Begriffe und des QM-Verständnisses"
Eine breite Auseinandersetzung innerhalb der Caritasverbände mit den Qualitätsleitlinien und Themen "rund um die Qualität" kann sich positiv auf die gesamte fachliche Arbeit in der Caritas auswirken.
Wichtig ist zunächst einmal, dass die Einrichtungen und Dienste die Begrifflichkeiten "rund um die Qualität" festlegen und ihr QM-Verständnis definieren. Diese Diskussion könnte sich auf die einzelnen Verbände ausweiten und zu einem caritasweiten Grundverständnis führen. Dies würde die fachliche und kirchliche Profilierung insgesamt schärfen.
Besenstrich "Transparenz"
Transparenz wird ebenfalls ein wichtiges Kriterium für erfolgreiches Qualitätsmanagement. Sie lässt sich erzielen, indem die Dienste und Einrichtungen ihre Arbeitsabläufe und Prozesse auf der Grundlage der Qualitätsleitlinien ausrichten und beschreiben. Für die betreuten Personen ergibt sich daraus der Vorteil, dass sie klare und verständliche Auskünfte über den Umfang und die Qualität der Leistungen erhalten und sich auf eine gewisse Vereinheitlichung verlassen können. Der Beliebigkeit wird damit Einhalt geboten: Das Handeln ist auf die Betreuten ausgerichtet, sie stehen im Mittelpunkt.
Besenstrich "Verbindlichkeit und Sicherheit"
Transparenz wirkt sich nicht nur auf das Verhältnis zwischen den betreuten Personen und der Einrichtung positiv aus, sondern auch auf die konkrete Arbeit der Mitarbeiter(innen) im Praxisalltag: Bei Bedarf können sie im QM-Handbuch nachlesen, was wann und wie zu tun ist. Neue Mitarbeiter(innen) profitieren dahingehend, dass sie alles Wichtige nachlesen und sich schneller in die Handlungsroutinen und die Kultur ihrer Einrichtung beziehungsweise ihres Dienstes einfinden können. Das schafft Verbindlichkeit und Sicherheit.
Besenstrich "Fachlichkeit"
Qualität und Qualitätsmanagement setzen voraus, dass die Mitarbeiter(innen) in ihren jeweiligen Bereichen über die erforderliche Fachkompetenz verfügen. Die Erfahrung zeigt, dass Qualitätsmanagement das Fachwissen bei allen Beteiligten fördert: Durch die Rückkoppelung mit den Qualitätskriterien im Praxisalltag wird es betont, stärker herausgearbeitet und erweitert.
Besenstrich "Systematischer Aufbau des QM-Systems"
Beim Aufbau eines QM-Systems und der Erstellung eines QM-Handbuchs ist insbesondere auf folgende drei Kriterien zu achten:
(1) Qualitätsmanagement ist Chefsache: Die Leitung muss es aktiv unterstützen.
(2) Qualitätsmanagement erfordert qualifizierte Mitarbeiter(innen): Viele Leitungen sind der Auffassung, eine qualifizierende Schulung des Fachpersonals (zum Beispiel Ausbildung zum/zur QM-Beauftragten) sei nicht erforderlich, weil die Qualitätsleitlinien, die Selbstbewertungsinstrumente sowie "Learning by Doing" ausreichten. Möglicherweise führt auch diese Vorgehensweise zum Ziel, sie benötigt aber wesentlich mehr Zeit, bringt so manchen Irrweg mit sich und stellt Motivation und Engagement der Mitarbeiter(innen) bisweilen auf eine harte Probe. Deshalb die dringende Empfehlung, mindestens eine(n) Mitarbeiter(in) zum/zur QM-Beauftragten ausbilden zu lassen. Hierfür können sich durchaus auch mehrere Einrichtungen zusammenschließen und sich eine(n) QM-Beauftragte(n) "teilen". Es ist auch möglich, dass der Träger diese Aufgabe für alle seine Fachdienste erbringt und ihnen eine(n) QM-Beauftragte(n) bereitstellt.
(3) Qualitätsmanagement erfordert ausreichende personelle, zeitliche und finanzielle Ressourcen: Auch wenn sich keine Faustregel benennen lässt, wie viel die Einführung eines QM-Systems kostet - weil die Einflussfaktoren zu vielfältig sind -, sind jedenfalls folgende Kosten zu berücksichtigen:
(a) Einmalige Aufwendungen:
- Ausbildung einer/eines QM-Beauftragten
- Einführung aller Mitarbeiter(innen) in das Qualitätsmanagement (in der Regel in Form einer Auftaktveranstaltung zur QM-Einführung)
(b) Dauerhafte Aufwendungen:
- Freistellung der/des QM-Beauftragten: In der Einführungsphase ist in der Regel eine etwas längere Freistellung erforderlich. Ihr Umfang hängt primär von der Größe der Einrichtung ab.
- Qualitätszirkel: Fünf bis acht Mitarbeiter(innen) aus verschiedenen Teilbereichen treffen sich etwa alle sechs bis acht Wochen für eine bis anderthalb Stunden, um Lösungen für Probleme, die im Zusammenhang mit Abläufen, Schnittstellen, Beschwerden von betreuten Personen aufgetreten sind, zu finden oder ein bestimmtes Thema kontinuierlich voranzubringen.
- Dienstbesprechungen: Es hat sich bewährt, die ersten 15 bis 20 Minuten einer Dienstbesprechung für das Thema "Qualitätsmanagement" zu reservieren, um es den Mitarbeiter(inne)n nahe zu bringen.
- Durchführung interner Audits oder Selbstbewertungen: Interne Überprüfungen durch die/den QM-Beauftragte(n) der Einrichtung (= interne Audits) oder einen Teil der Leitungs- und Fachkräfte (= Selbstbewertung) zeigen, ob die Einrichtung so arbeitet, wie sie soll - das heißt, ob das QM-System funktioniert (siehe unten den ersten "Atemzug").
Besenstrich "Grenzen erkennen"
Neben den dargelegten positiven Effekten des Qualitätsmanagements lohnt es zu wissen, was Qualitätsleitlinien beziehungsweise Bundes-Rahmenhandbücher leisten können - und was nicht.
So bilden die Qualitätsleitlinien und Bundes-Rahmenhandbücher des DCV in den vorliegenden Fassungen keine Grundlage für eine Zertifizierung (zum Beispiel DIN EN ISO 9001:2000) oder ein Assessment nach EFQM (zum Beispiel Committed to Excellence). Einrichtungen, die solche Zertifizierungen anstreben, müssen entsprechende Ergänzungen vornehmen.
Des Weiteren sind Qualitätsleitlinien und Bundes-Rahmenhandbücher keine Kopiervorlagen, sondern Arbeitspapiere und Arbeitshilfen. Sie geben bei den Praxisindikatoren jene Aspekte vor, die von den Einrichtungen zu beschreiben und in einem (einrichtungsspezifischen) QM-Handbuch nach einer vorgegebenen Systematik zu sammeln sind. Die Beschreibung der Prozesse folgt dem Prinzip der "fünf W": Wer macht was - wann - wie - womit?
"Atemzüge": Zwischenbilanz ziehen, Verbesserung planen
Mit dem Aufbau des QM-Systems und der Entwicklung eines einrichtungsspezifischen QM-Handbuchs fängt das Qualitätsmanagement erst richtig an. Denn fortan geht es darum, die Umsetzung der Qualitätsleitlinien beziehungsweise Bundes-Rahmenhandbücher kontinuierlich zu prüfen und zu verbessern - "Atemzug für Atemzug" im Sinne der eingangs zitierten Straßenkehrer-Weisheit.
Atemzug "Selbstbewertung des Erfolgs"
Mit den vom DCV entwickelten Selbstbewertungsinstrumenten lässt sich der Umsetzungsgrad der Qualitätsleitlinien mit relativ geringem Aufwand bestimmen.
Nach der ersten Selbstbewertung wird ein Maßnahmenplan für die Umsetzung der identifizierten Verbesserungspotenziale entwickelt. Fortan wird in regelmäßigen Zeitabständen - zum Beispiel einmal im Jahr - überprüft, inwieweit die erkannten Verbesserungspotenziale tatsächlich umgesetzt wurden. Diese Vorgehensweise entspricht dem zentralen Prinzip des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses - Qualitätsmanagement kann ohne dieses Verbesserungsprinzip nicht existieren.
Eine gemeinsam von Leitung und Mitarbeiter(inne)n unterschiedlicher Abteilungen durchgeführte Selbstbewertung der Einrichtung bietet den Vorteil, dass sich unterschiedliche Einschätzungen und Sichtweisen mitberücksichtigen lassen. Die Zusammenführung der verschiedenen Perspektiven führt dazu, dass sich nicht nur gegenseitiges Verständnis für die Belange des anderen entwickelt, sondern sich darüber hinaus langfristig eine gemeinsame Sprache und eine stärkere gemeinsame "Qualitätskultur" herausbildet.
Atemzug "Verbesserungsvorschläge"
Die Entwicklung der Qualitätsleitlinien und Bundes-Rahmenhandbücher war - wie oben dargelegt - ein erster, wichtiger Schritt auf dem Weg des Qualitätsmanagements. Weitere Schritte werden folgen. Für die Weiterentwicklung und Verbesserung dieser Werkzeuge ist die Arbeitsstelle Qualitätsmanagement/Qualitätspolitik auf Unterstützung aus dem gesamten Caritasverband angewiesen. Daher bitten wir darum, erkannte Mängel, Schwachpunkte, Unzulänglichkeiten sowie Verbesserungsvorschläge unbedingt an uns weiterzuleiten. Für uns gilt der gleiche Grundsatz wie im Beschwerdemanagement: "Keine Beschwerden" ist ein schlechtes Zeichen! Je mehr Beschwerden beziehungsweise Verbesserungsvorschläge, desto besser!
Vorankommen in Gelassenheit
Beppo, der Straßenkehrer, legt seine Arbeitsweise nachvollziehbar dar: "Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich." Um nichts anderes geht es auch im Qualitätsmanagement, und hierzu möchten die Qualitätsleitlinien und Bundes-Rahmenhandbücher beitragen. Es geht darum, nichts zu überstürzen. "Schritt, Besenstrich, Atemzug" - das Erfolgsrezept für die Einführung und Umsetzung eines QM-Systems: "Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste", ermutigt Straßenkehrer Beppo.
Anmerkung
1. PDCA-Zyklus nach William Edwards Deming: Der PDCA-Zyklus ist die englische Abkürzung für P = Plan, D = Do, C = Check, A = Act: Erst planen, dann umsetzen, dann überprüfen, ob die Umsetzung in dieser Form das Planungsziel erreicht, schließlich auf Abweichungen reagieren.