Verursachen kürzere Verweildauern wirklich weniger Kosten?
Die Zukunft der Krankenhäuser hängt maßgeblich von den gesundheitspolitischen Vorgaben ab. Die Einführung der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRGs) im Jahr 2004 hat den Druck auf die Kliniken erheblich erhöht. Es galt und gilt, neue Strategien zu entwickeln, um die Prozesse im Gesundheitswesen noch stärker zu optimieren. Auswirkungen haben solche Prozessoptimierungen zum einen auf die Kosten, zum anderen aber - und dies ist viel gravierender - auf alle Menschen, die an diesen Prozessen beteiligt sind: Patienten, Angehörige, Ärzte und Pflegende.
Die Kostenschrauben im Gesundheitswesen werden immer fester angezogen. Seit dem 1. Januar 2004 rechnen die Kliniken nicht mehr nach Tagessätzen, sondern auf Basis der DRGs ab. Dies stellt den Krankenhausalltag auf den Kopf. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren die Patientenzahlen, die Dokumentationspflicht und die medizinischen Spezialisierungen zugenommen haben. Ferner steigen die Anforderungen, die die Patient(inn)en an Medizin und Pflege stellen. Und auch der Altersdurchschnitt der Patient(inn)en steigt kontinuierlich und damit deren Pflegebedürftigkeit. Der Umgang mit demenzerkrankten oder manchmal aggressiven Patient(inn)en muss geübt, eine gute Sterbebegleitung soll ermöglicht werden - denn nach wie vor sterben die meisten Menschen im Krankenhaus. Damit jedoch nicht genug, denn vonseiten der Kostenträger und der Politik wird der Druck erhöht, Kosten einzusparen. Kann es einem Krankenhaus beziehungsweise einem Träger unter diesen Umständen überhaupt gelingen, den Spagat zwischen all diesen Anforderungen erfolgreich zu bestehen, ohne den/die Patienten/in lediglich als Produktionsfaktor und nicht als Mensch zu definieren?
Der ganzheitliche Blick geht verloren
Hier gewinnt der Begriff der Patienten-Verweildauer im Krankenhaus immer größere Bedeutung, denn diese soll weiter gesenkt werden: beste Medizin und Pflege - und dies in kürzester Zeit. Hinzu kommt, dass nach den Deutschen Kodierrichtlinien (nach diesen werden erfolgte Behandlungen in Fallgruppen klassifiziert) nur die Hauptdiagnose zur Bestimmung der DRGs herangezogen werden darf, die zur Einlieferung ins Krankenhaus geführt hat. Dies bedeutet, dass weitere, während des Krankenhausaufenthaltes entdeckte Erkrankungen zwar behandelt, aber nicht nach ihrem tatsächlichen Aufwand abgerechnet werden können. Der ganzheitliche Blick auf den/die Patienten/in ist somit kaum noch leist- und finanzierbar. Und so kommt es immer häufiger vor, dass Behandlungen auf mehrere Klinikaufenthalte verteilt werden, um sie dann auch entsprechend abrechnen zu können. Dies ist nicht nur aus ökonomischer Sicht unsinnig, sondern belastet kranke Menschen zusätzlich.
Was geschieht nach der Entlassung?
Die Verkürzung der Liegezeiten führt dazu, dass Patient(inn)en aufgrund des Kostendrucks tendenziell instabiler entlassen werden. Der Aspekt der Rekonvaleszenz, Erholung und Genesung im Krankenhaus, der von der Bevölkerung ein- gefordert wird, ist aufgrund der veränderten Strukturen und Abläufe nicht mehr zu finanzieren. Dadurch werden neue Anforderungen an die Versorgungsprozesse innerhalb der Krankenhäuser sowie an ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen gestellt.
Für die Krankenhäuser steht zur Prozessoptimierung der "Nationale Expertenstandard Entlassungsmanagement" zur Verfügung. Dieser soll eine gute Weiterleitung in Laienpflege und professionelle ambulante Pflege gewährleisten. Die Einführung des Expertenstandards stellt die Kliniken vor neue Herausforderungen. Sie müssen ihr medizinisches und pflegerisches Personal entsprechend qualifizieren und Versorgungsprozesse sowie Schnittstellen mit anderen Gesundheitsanbietern verbessern.
Auch wenn das Entlassungsmanagement des Krankenhauses gut aufgestellt und die Entlassung gut vorbereitet ist, so sind Patient(inn)en und deren Angehörige immer mehr gefordert, sich ihrerseits stark in den Prozess einzubringen. Wohl dem, der starke Familienbande und einen großen verlässlichen Freundeskreis hat. In den USA und im angelsächsischen Bereich hat die Vorgabe, Patient(inn)en immer schneller zu entlassen, zu der Entwicklung von Parallelstrukturen geführt. So haben beispielsweise in der Nähe von Kliniken Hotels eröffnet, die eine gewisse Mitversorgung und Unterstützung der Medizin und Pflege des Krankenhauses anbieten. Solche Angebote können sich natürlich nur diejenigen leisten, die auch über entsprechende finanzielle Mittel oder entsprechende Netzwerke verfügen, die für sie die notwendigen Hilfsmittel organisieren. Ob diese Entwicklung auch bei uns eintreten wird, bleibt abzuwarten.
Der Abbau der Pflegestellen muss gestoppt werden
Mehr Patienten - mehr Personal? Diese Rechnung geht momentan leider (noch) nicht auf. Das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung (dip) hat im Juli 2007 durch eine Studie bestätigt, dass seit dem Jahr 1995 rund 50.000 Pflegestellen in bundesdeutschen Krankenhäusern und Kliniken abgebaut worden sind. Die Zahl der stationär gepflegten Patient(inn)en ist im gleichen Zeitraum hingegen um etwa eine Million gestiegen. Ebenso hat deren Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit zugenommen (s. auch neue caritas Heft 17/2008, S. 3). Solche Zahlen sollten eigentlich dazu führen, Pflegepersonal aufzustocken. Daher ist es erfreulich, dass der Gesetzgeber die Situation erkannt hat und im Referentenentwurf zur Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 die Einführung eines Sonderprogramms zur Verbesserung der Situation des Pflegepersonals vorsieht. Demnach sollen schrittweise 21.000 zusätzliche Stellen im Pflegedienst anteilig finanziert und zudem neue Arbeitsorganisationen erprobt werden. Doch man darf sich nicht zu früh freuen, denn auf der anderen Seite steht derzeit ein akuter Ärztemangel, der sich in den nächsten Monaten und Jahren noch erhöhen wird. Die adäquate Versorgung von Patient(inn)en in der Zukunft ist daher eher besorgniserregend.
Welche Strategien gibt es für die Zukunft?
Die Rahmenbedingungen im Gesundheits- und Sozialbereich verändern sich dramatisch. Daher ist es ein Gebot der Stunde, Zukunftsszenarien zu entwickeln. Man muss Eckpunkte bestimmen, die beschreiben, wie sich ein Krankenhaus beziehungsweise ein Unternehmen mittelfristig am Markt positionieren will. Die Marienhaus GmbH (s. Kasten oben) tut dies mit ihren Unternehmenszielen 2015, die im Jahr 2007 verabschiedet wurden. Unter dem Motto "Revolutionär denken - Evolutionär handeln" bilden sie die Klammer zwischen dem Leitbild der Trägerschaft und der Strategie des Unternehmens. Sie sind Grundlage für alle weiteren Planungs- und Entwicklungsprozesse. Die Marktbedingungen im Gesundheitswesen erfordern derartige Managemententscheidungen. Für kirchliche Träger ist es aber ein Anliegen, dennoch die eigenen Wertvorstellungen umzusetzen. Es war und ist das oberste Ziel der Marienhaus GmbH, Kranken und Hilfsbedürftigen umfassend zu helfen.
Auch in der Pflege gilt es, den Herausforderungen der Zukunft strategisch und konzeptionell zu begegnen. Und so spielen in den Unternehmenszielen 2015 auch die Themen "Pflege 2015", und "Berufsgruppenaufgaben-Management" eine wichtige Rolle. Im Rahmen der strategischen Überlegungen zur Pflege wird dem Case-Management eine wesentliche Rolle zugeschrieben. Hier wird genau geschaut, welche Erfahrungen einzelne Häuser mit dem Case-Management haben. Es verfolgt das Ziel, die Versorgung entsprechend den individuellen Erfordernissen des Patienten und nach Rücksprache mit ihm zu planen. Ergebnisse werden in der Klinik täglich formuliert und ausgewertet, um die für den Behandlungsprozess und -erfolg notwendigen Leistungsangebote zu koordinieren. So können unnötige Wartezeiten, Verschiebungen oder Behandlungsunterbrechungen vermieden werden.
Der Case-Manager hat nicht nur die medizinischen und pflegerischen Dienstleistungen (zum Beispiel den Behandlungsprozess) im Blick, sondern auch die Unterbringungsleistungen (Aufenthalt des/der Patienten/in oder Bettenmanagement), die Pflegeüberleitung (Koordination nach außen) sowie den Sozialdienst (psychosoziale Betreuung, Erörterung von Sachfragen). So gewährleistet er, dass alle Angebote noch besser Hand in Hand gehen - nicht nur intern, sondern auch mit externen Anbietern. Dadurch ist zum einen eine Zeit- und Kostenersparnis festzustellen, gleichzeitig kann aber auch die Zufriedenheit bei Patient(inn)en und Mitarbeiter(inne)n gesteigert werden. Auch der sogenannte Drehtür-Effekt wird seltener beobachtet, weil das Versorgungsnetzwerk frühzeitig gegen schnelle Wiedereinweisungen der Patient(inn)en angehen kann.
Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass die erheblichen Anstrengungen im Rahmen des Case- beziehungsweise Entlassungsmanagements nur dann finanzierbar sind, wenn das Personal, welches sich um diesen Bereich kümmert, aus der Pflege abgezogen wird, dort also fehlt. Der Kernleistung Pflege steht so weniger Personal zur Verfügung - und dieses Defizit muss kompensiert werden. Dies bedeutet für die verbleibenden Pflegenden eine weitere Steigerung ihrer Arbeitsbelastung.
Wenn Patient(inn)en schneller entlassen werden, benötigen sie zu Hause ein größeres Maß an poststationärer Versorgung und Behandlung. Aus diesem Grunde arbeitet die Marienhaus GmbH eng mit ambulanten Pflegediensten zusammen. An einigen Standorten hält sie selbst solche vor. Dem Träger ist es ein Anliegen, seine Patient(inn)en, solange sie noch Hilfe benötigen, nicht alleine zu lassen. Der/die Patient/in ist somit für die Klinik nicht direkt nach seiner Entlassung aus dem Blick verschwunden, sondern kann von den ambulant arbeitenden Pflegekräften weiter versorgt werden. Durch eine enge Verzahnung von stationärer und ambulanter Pflege gehen alle notwendigen Informationen über den/die Patienten/in und seine Erkrankung direkt an den ambulanten Pflegedienst weiter. Die Versorgungskette kann stabil gehalten werden. Ambulante Pflegedienste gewinnen in diesem Prozess an Bedeutung, sind aber aufgrund der Vergütungsstruktur, rein wirtschaftlich gesehen, wenig lukrativ. Zudem ergeben sich durch die steigende Zahl von Entlassungen vor dem Wochenende immer häufiger Probleme mit dem notärztlichen Dienst sowie mit den ambulanten Pflegediensten, die am Wochenende nur reduzierte Leistungen anbieten können.
Bleibt noch Zeit für Begegnungen?
Durch die verkürzten Verweildauern haben die Mitarbeiter(inne) immer mehr Patienten in immer kürzeren Abständen zu betreuen. Pflege und Medizin sind aber auch immer ein Beziehungsgeschehen , das Zeit verlangt. Es wird daher immer schwieriger, vertrauensvolle Beziehungen zueinander aufzubauen. Und gerade stabile Beziehungen können dem Patienten Sicherheit geben und ihm helfen, seine Selbstheilungskräfte besser zu aktivieren, Dinge mitzuteilen, die für ihn wichtig sind, sowie Entscheidungen vorzubereiten. Jeder weiß, dass für den Heilungsprozess neben der optimalen medizinischen Versorgung auch die psychosoziale Stabilität wichtig ist. Wenn Ärzte aber nur noch für die "Reparatur" von Defekten zuständig sind und Pflegende die schnellstmögliche Entlassung aus dem Krankenhaus erreichen sollen, ist die Gefahr groß, nur noch Fragmente des Menschlichen zu betrachten. Der Mensch wird in seiner Komplexität, die ja seine einzigartige Würde ausmacht, nicht mehr geachtet.
Der Motivationsgrund darf nicht verloren gehen
Unter dem beschriebenen Mangel leiden nicht nur die Patient(inn)en. Mitarbeiter(innen) spüren sehr genau, dass hier etwas Wesentliches ihres Berufsethos berührt ist. Wenn sie kaum noch Möglichkeiten haben, ausreichend auf die Bedürfnisse der ihnen anvertrauten Menschen einzugehen und zwischenmenschliche Kontakte als zeitraubend eingestuft werden, ist der Motivationsgrund vieler Pflegenden betroffenen. Sie haben doch diesen Beruf ergriffen, um anderen Menschen wertschätzend und mit Achtung zu begegnen, ihnen zu helfen und sie zu heilen - und dies an Leib und Seele. Doch für diesen Akt der christlichen Nächstenliebe bietet der heutige Kosten- und Zeitdruck kaum noch Möglichkeiten. Es ist mittlerweile fraglich, ob der verstorbene Bundespräsident Johannes Rau Recht behalten wird mit seiner Aussage: "Der Mensch und nicht der Markt steht im Mittelpunkt."