Menschen mit Todeswunsch begleiten
In der Begleitung von Menschen in gesundheitlich-existenziellen Krisen kommt es nicht selten vor, dass Betroffene äußern, ihr Leben möge bald zu Ende gehen. Das Spektrum geäußerter Todeswünsche reicht dabei von Phänomenen der Lebenssattheit über Einsamkeit, Ängste, das Gefühl, nicht zur Last fallen zu wollen, bis hin zu expliziter Suizidalität. Einrichtungen und Dienste der Caritas stehen angesichts dessen vor vielschichtigen Anforderungen, die unter anderem folgende Fragen einschließen:
◆ Wie kann es gelingen, dass Betroffene mit Todeswunsch/Suizidalität sich nicht alleingelassen fühlen?
◆ Wie kann man einer vorschnellen Pathologisierung, Bagatellisierung und Tabuisierung von Todeswünschen/Suizidalität entgegenwirken?
◆ Wie können ehren- und hauptamtlich Mitarbeitende im Umgang mit dem Dilemma gestärkt werden, dass sie nicht an Suizidhandlungen mitwirken und zugleich Betroffene nicht alleinlassen wollen?
Im vorliegenden Beitrag werden Perspektiven der Begleitung von Menschen mit Todeswunsch/Suizidalität in caritativen Einrichtungen und Diensten skizziert. In selteneren Fällen handelt es sich dabei um explizite Anfragen nach Suizidbeihilfe. Vielmehr zeigt sich in der Begleitung das ganze Spektrum der oben genannten Phänomene. Den hier formulierten praktischen Perspektiven sind ethische Überlegungen an die Seite gestellt, die das Verständnis einer fach- und persongerechten Begleitung im Umgang mit Todeswünschen gewissermaßen "von innen her" anreichern.
Autonomie achten - in Beziehung bleiben
Menschliches Leben ist - gerade auch in gesundheitlich-existenziellen Krisen, in denen Menschen Todeswünsche zur Sprache bringen - kein statischer Zustand, sondern zeichnet sich stets durch Dynamik und Wandelbarkeit aus. Verzweiflung und Hoffnung, Untröstlichkeit und Trost können eng beieinander liegen. Neben dem Wunsch nach einer klaren "Exit-Strategie" aus einer leidvollen Lebenssituation bringen Menschen zugleich ein Festhalten am Leben um jeden Preis zum Ausdruck. Die Autonomie des Einzelnen, der seinem Leid im Todeswunsch einen Ausdruck verleiht, steht hier nicht als abstrakte Größe im Raum. Begleitende begegnen ihr in der Vielschichtigkeit einer unbedingt zu achtenden Selbstbehauptung gegenüber der Missachtung persönlicher Einstellungen und Entscheidungen in Bezug auf die persönliche Krankheits- und/oder Lebenssituation, der Angst vor unerträglichem Leiden/Schmerzen etc.
Die Stärke sorgender Begleitung zeigt sich darin, eine Lebensbegleitung bis zuletzt zu ermöglichen, in der auch in Situationen von Untröstlichkeit und Verzweiflung die Beziehung nicht abbricht. Essenziell für eine solche Beziehungsgestaltung ist dabei, dass sie sich als Vertrauensraum für die betroffenen Menschen und ihre Zugehörigen erweist: ein Raum, in dem die Autonomie geachtet wird, in dem Angst und Zweifel bis hin zu dem Wunsch, es möge doch endlich zu Ende sein, ausgesprochen werden können; einen Raum, der keine vorschnellen Antworten, Deutungen und Lösungen präsentiert oder harmonisiert; einen Raum, in dem auch Widersprüche und Inkonsistenzen ausgehalten werden.
Die so skizzierte Sorgebeziehung geht damit maßgeblich über eine Beratung, die in funktionaler Weise Lösungen für die geäußerte Problemlage zur Verfügung stellt, hinaus. So sehr wir strukturierte Modelle benötigen, die etwa dabei helfen, Willensäußerungen darzulegen, festzuhalten und daraufhin Maßnahmen für eine weitere Versorgung zu planen, so sehr erfordert die sorgende Begleitung von Menschen mit Todeswünschen und ihren Zugehörigen auch, dass solche Prozesse eingebettet sind in den oben skizzierten Raum, in dem die Ambivalenzen und Wandelbarkeiten des einzelnen Lebens gesehen werden.
Mitarbeitende werden gestärkt
Um die hier umschriebene Sorgebeziehung zu gestalten, bedarf es einer vielschichtigen Stärkung von Mitarbeitenden in den Einrichtungen und Diensten der Caritas. Sie werden einerseits darin unterstützt, ihre analytischen Kompetenzen zur bestmöglichen Erfassung von Bedarfen und einer entsprechenden Maßnahmenplanung in Bezug auf geäußerte Todeswünsche weiterzuentwickeln. Ihre Kompetenzen werden andererseits insbesondere hinsichtlich der kommunikativen Anforderungen an die Begleitung von Menschen mit Todeswünschen und ihrer Zugehörigen gestärkt. So können Mitarbeitende Handlungssicherheit erfahren, wenn Fragestellungen rund um das Thema Todeswunsch/Suizidalität als Gegenstand von Urteils- und Entscheidungsfindungsprozessen und hierbei die Chancen und Grenzen des Fürsorgeauftrages im Kontext konfessioneller Trägerschaft Berücksichtigung finden.
Institutionen stehen für die Kultur der Zwischenmenschlichkeit
Die fach- und persongerechte Begleitung von Menschen mit Todeswünschen stellt eine wesentliche Basis institutioneller Kongruenz in den Einrichtungen und Diensten der Caritas dar, in denen Menschen Beistand und Trost jenseits der Suizidbeihilfe erfahren. So deutlich caritative Einrichtungen und Dienste zum einen machen, dass sie die Mitwirkung an der Suizidbeihilfe nicht als Teil ihres Leistungsportfolios betrachten, so klar zeigen sie zugleich, dass sie Menschen mit Todeswunsch nicht alleinlassen. Die hier skizzierte sorgende Begleitung von Menschen mit Todeswünschen auf der Grundlage einer entsprechenden Kompetenzentwicklung der Mitarbeitenden erweist sich dabei als entscheidende suizidpräventive Ressource, die es in caritativen Organisationen weiter auszubauen und zu verankern gilt. Suizidprävention vermag es so, den "Rückweg ins Leben" nicht durch eine vorschnelle normative Sanktionierung zu gefährden und einer Tabuisierung oder Pathologisierung von Todeswünschen entgegenzuwirken.
In dem Wissen, dass es individuelle Lebenssituationen und Entscheidungen gibt, die sich jeglicher Bewertung von außen entziehen, trägt die Caritas damit zur Sicherung notwendiger Bedingungen eines humanen Zusammenlebens bei. Sie setzt ganz auf eine lebensbejahende Kultur der Zwischenmenschlichkeit, die auch in Situationen von Untröstlichkeit und Verzweiflung nicht abbricht. Sie stellt einer Vereinsamung, Isolation und dem Empfinden, niemandem zur Last fallen zu wollen, eine Solidarität mit den besonders Verletzlichen und Leidenden entgegen.
"Update Palliative Care"
Schulungen zum Umgang mit Todeswünschen
Seit 2019 bietet der DiCV Köln in Kooperation mit dem Zentrum für Palliativmedizin an der Uniklinik Köln in der Reihe "Update Palliative Care" Schulungen für Mitarbeitende zum Umgang mit Todeswünschen im hospizlich-palliativen Setting an. Näheres findet sich unter: www.caritas-campus.de, Suchbegriff "Update Palliative Care". Infos zu Projekten, Schulungskonzepten und Handlungsempfehlungen des Zentrums für Palliativmedizin gibt es unter Kurzlink: https://bit.ly/48AMDg2. Aufgrund positiver Resonanz sowie anhaltender Nachfrage aus Mitgliedseinrichtungen des DiCV Köln wird das Angebot derzeit verstetigt, ausgebaut und weiterentwickelt.
Weitere Literatur
Deutscher Ethikrat: Suizid - Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit. Stellungnahme vom 22.9.2022.
Die Deutschen Bischöfe. Pastoralkommission Nr. 51 (Hrsg.): Bleibt hier und wacht mit mir! (Mt 26,38). Palliative und seelsorgliche Begleitung von Sterbenden. 2021.
Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin, Version 2.2 (Langversion), Kapitel 18 (Todeswünsche), 2019, S. 413-439.
Höver, G.; Baranzke, H.; Schaeffer, A. (Hrsg.): Sterbebegleitung: Vertrauenssache. Herausforderungen einer person- und bedürfnisorientierten Begleitung am Lebensende. Würzburg, 2011.
Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e. V. (Hrsg.): Leitgedanken zum Selbstverständnis stationärer Hospize im Erzbistum Köln. 2020.
Luhmann, N.: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart, 42000.
Schaeffer, A.: Im Vertrauen - Hospizliche Begleitung von Menschen in der Auseinandersetzung mit Sterbewünschen am Lebensende. In: Ataie, J.; Berger-Zell, C.; Giebel, A. (Hrsg.): Leben - Selbstbestimmung und Lebensschutz. Ambivalenzen im Umgang mit der Beihilfe zur Selbsttötung. Esslingen, 2022, S. 290-303.
Voltz, R.; Kremeike, K. et al.: Todeswünsche bei Palliativpatienten: Zeitschrift für Palliativmedizin 6/2019, S. 323-335.
Zentrum für Palliativmedizin am Uniklinikum Köln (Hrsg.): Leitfaden zum Umgang mit Todeswünschen. 2022.