Diversität wird immer noch kontrovers diskutiert
Zu den Herausforderungen, vor denen die organisierte Caritas heute steht, zählt zweifelsohne auch die Diversitätsthematik. Schon im Zuge der Erosion der konfessionellen Milieus in den 1960er-Jahren konnte sie ihr Fachpersonal nicht mehr vorwiegend aus Ordensleuten und schließlich nicht mehr allein aus Katholik:innen rekrutieren. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten bietet das "Ressourcenvorratslager" der gesellschaftlichen Umwelt auch in anderer Hinsicht immer weniger Homogenität. Die Konkurrenz nicht nur zu anderen Wohlfahrtsorganisationen auf dem Arbeitsmarkt und der Personalmangel, der in allen Handlungsfeldern des Sozial- und Gesundheitswesens in den nächsten Jahren immer größer werden wird, zwingt auch die Caritas zur Diversitätsakzeptanz. Der bislang unaufhaltsame Wachstumskurs der organisierten Caritas ist auf "Diversität" und auf einen konstruktiven Umgang mit dieser angewiesen. Das Stellengefüge, das Personal, die Programmatik und die Organisationskultur caritativer Einrichtungen haben sich längst darauf eingestellt. Die Pilotstudie "Caritas und Diversität" kann mit ihren Ergebnissen einen weiteren Impuls für organisationsinterne Anpassungsprozesse bieten.
"Diversität" wird nicht einfach hingenommen, sie ist, laut den Ergebnissen der im Auftrag des Caritasverbandes für die Erzdiözese Freiburg durchgeführten Studie1, entweder bewusst als Bereicherung wahrgenommen und akzeptiert oder sie geht mit zum Beispiel moralischen und ästhetischen Bewertungen, wenn nicht gar Diskriminierungen einher. In der Diversitätsthematik verdichten sich, wenn man die Herausforderungen betrachtet, Triggerpunkte, die auch in den gesamtgesellschaftlichen Konfliktarenen jederzeit die Kommunikation zu erhitzen vermögen: die Migrationsthematik in der "Innen-Außen-Arena", die sexuelle und religiöse Pluralisierung in der "Wir-Sie-Arena".2 Wenn beide Konfliktarenen füreinander durchlässig und miteinander verschachtelt werden, kann es noch mehr funken. Der Mann aus dem Senegal, der auch noch schwul ist und zudem ein Angehöriger des Islams, gerät dann in den Fokus der Aufmerksamkeit und wird zum Brennpunktthema.
Ethnische, religiöse und sexuelle Diversität erhitzt die Gemüter
Auch in der organisierten Caritas kann sich die Kommunikation erhitzen, wenn es um ethnische, religiöse und sexuelle Diversität geht, wie die Pilotstudie zeigt. Die programmatische Behauptung, dass Diversität doch ein Name des christlichen Gottes sei, kann für die einen wie Balsam wirken, für die anderen wie ein neuer Funkenschlag. Soll bei der Caritas alles möglich, der christliche Gott ein diverser sein? Als die Studie vorgestellt wurde, fragte ein Caritas-Mitarbeiter: Wo verlaufen bei der Caritas die roten Linien, die Brandmauern? Kann gegenüber bestimmten politischen Einstellungen ("Rassismus") im Personal Diversitätstoleranz geübt werden, gegenüber sexistischen Sprüchen oder gar pädophilen Neigungen gar Diversitätsoffenheit? In den Ergebnissen der Studie wurde deutlich, dass manche die roten Linien weitaus früher glühen
lassen, auch und gerade in Einrichtungen des Organisationsensembles der amtlichen Kirche mit ihrer offiziellen, homophoben Auslegung des göttlichen Schöpfungsplans.
Spannungen trotz neuer Grundordnung
Wenn auch die neue "Grundordnung" rechtliche Maßnahmen zur "Purifizierung" der kirchlichen Dienstgemeinschaft in bestimmter Hinsicht nicht mehr kennt - der Katechismus, das Kirchenrecht und andere kirchenoffizielle Texte kennen sie und vermögen die "diverse" Gemeinschaft nach wie vor in einen Spannungszustand zu versetzen. Und deutsche Kardinäle auch, wenn sie, wie Gerhard Müller, angesichts neuester Segenserlasse aus Rom feststellen: "Eine intime Partnerschaft außerhalb der Ehe kann als sexuelle Beziehung den Menschen nicht näher zu Gott bringen und sich daher nicht dem Segen Gottes öffnen." Auch Tratsch wie Klatsch, also Kommunikationen diskreter Indiskretion, schüren, der Studie zufolge, das Feuer in der Organisationskultur. Sie zeigt: Bei aller Diversitätsoffenheit und -toleranz gibt es in den Einrichtungen der organisierten Caritas in Sachen Diversität tatsächlich bewusste …
◆ Intoleranz (aktive Diskriminierung),
◆ unbewusste Intoleranz,
◆ und erlittene Diskriminierung.
Allerdings, so wird in den qualitativen Gruppen- und Einzelinterviews mit insgesamt 25 Teilnehmenden (Mitarbeitende) der Pilotstudie erzählt, scheint die bewusste Intoleranz eher von Klient:innen auszugehen, älteren zumal. So berichtet eine Befragte: "Wann wird am schlimmsten getratscht? Ja meistens abends nach dem Abendessen sitzen die alle am Tisch und dann geht’s los. Dann wird über den Mitarbeiter geredet, über den Mitarbeiter, über die Bewohnerin und, und, und."
Personal kann Opfer und Täter sein
Das Personal caritativer Einrichtungen selbst kann an eher unbewusster Diskriminierung beteiligt sein oder Diskriminierung erleiden. So musste beispielsweise eine männliche muslimische Pflegekraft seitens pflegebedürftiger Frauen erleben, nicht wegen ihrer religiösen oder geschlechtlichen, sondern ihrer ethnischen Andersartigkeit abgewertet und abgelehnt zu werden.
Aber auch eine befragte Leitungskraft verwendet - sicherlich unbedarft und auch ansonsten eher diversitätsoffen gestimmt - mehrfach den Rassebegriff: "Religion gucken wir gar nicht. (Mhm) Überhaupt nicht. Also das, wir haben Türken, also auch da bei der Bewohnerschaft eher nicht gegen die Religion. [...] Eher gegen: Du bist ein Mann. Ich will dich nicht. Dann bist du vielleicht noch Türke, deswegen will ich dich vielleicht doppelt nicht. Also eher rein Rasse, aber nicht Religion."
In keinem der Einzel- und Gruppeninterviews wird von Diversitätsproblemen berichtet, solange die Vielfalt der subjektiven Religiosität seitens der Mitarbeitenden im Kognitiven verbleibt und nicht auf die Handlungsebene der caritativen Einrichtungen durchschlägt. Als unproblematisch und gar bereichernd wird religiöse Diversität erfahren, solange bestimmte normative Organisationsbedingungen eingehalten werden, ein religiöses Bekenntnis zum Beispiel nicht so nach außen kommuniziert wird, dass die Arbeitsabläufe gestört werden, indem etwa der Speiseplan durch religiöse Speiseverbote ("du darfst kein Schweinefleisch essen") abgelehnt oder die Arbeitszeit zwecks religiöser Praktiken unterbrochen wird. Der Zeitbedarf in caritativen Organisationen ist groß, betriebliche Arbeitsabläufe kalkulieren mit Zeitknappheit und lassen sich offensichtlich nicht so ohne weiteres mit der Vielfalt religiöser Rituale koordinieren oder dürfen nicht durch sie bestimmt oder überlagert werden.
Die hauseigene Kapelle - ein rein katholischer Ort?
Als eine massive Störung der institutionellen religiösen Selbstidentifikation, also des Organisationsprogramms und der Organisationskultur der caritativen Einrichtung, würden zwei Befragte - gedankenexperimentell - die Erwartung klassifizieren, die hauseigene Kapelle für die rituelle Praxis von Anhänger:innen nichtchristlicher Religionen temporär zur Verfügung zu stellen. Das käme gar nicht infrage, "weil es ein katholischer Ort ist. Also, ich sage jetzt mal, klar, [...], dass die da gar nicht rein wollten, weil es auch ihrer Religion [...] zuwider wäre. Und das ist ein geweihter Ort von der Religion. Also, [...] ich finde nicht, dass der für alles herhalten kann." Folgt man der Bewertung und Argumentation dieser und anderer Aussagen, ist für die Interviewten die Kapelle gleichsam der gebaute Sinn der caritativen Einrichtung, ein durch Weihe ausgezeichneter und insofern heiliger Ort der Kirche. Er gilt nicht als vielfältig und vieldeutig, sondern als eindeutig "katholisch". Deshalb stoße er andere ab ("zuwider") und müsse zugleich vor Entweihung ("für alles herhalten") geschützt werden. Ihre eigene Haltung der "Abwehr", der Exklusion, die sie an sich selbst wahrnimmt, glaubt die Befragte auch auf der "Gegenseite" unterstellen zu können ("dass die da gar nicht rein wollten"), womit sie ihr "Nein" zur Diversität zusätzlich legitimiert. Ein solches "Nein" ist offensichtlich begründungsbedürftig und ruft wie das "Ja" starke Emotionen hervor. Auffälligerweise ist dieses "Nein" nicht an die evangelischen Christ:innen adressiert, obwohl es sich den Befragten zufolge bei der Kapelle doch um einen konfessionell eindeutig "katholischen Ort" handelt. So werden unterschiedliche Zonen der Diskriminierung religiöser Diversität deutlich, die sich auch in der alten Grundordnung finden.
Versucht man auf der Basis der Pilotstudie thesenhaft die diversitätsbezogenen Stärken und Schwächen der organisierten Caritas gegenüberzustellen, dann scheinen die Stärken in ihren christlichen Programmformeln ("Solidarität", "Nächstenliebe", "Humanität" und "Vielfalt der Charismen") zu liegen. Die Schwächen hingegen werden in den anhaltenden Kämpfen im kirchlichen Feld um die Durchsetzung einer legitimen Definition des Katholischen und seiner Umsetzung deutlich. Man scheint sich noch nicht einig, wie die religiöse Rolle zu erfüllen ist, wie richtige Religion und Gottes Schöpfungsplan zu realisieren sind.
Mit Blick auf die Stärken des Personals wird den Mitarbeitenden der Caritas seitens der Befragten eine wachsende Diversitätsakzeptanz und Diversitätssensibilisierung zugeschrieben, je jünger die Mitarbeitenden sind. Unter den Befragten waren Mitarbeitende, die sich selbst als offen mit Lust auf Leute, die anders sind, beschreiben und in diesen "nur den Menschen" sehen. Als Schwächen seien die oben beispielhaft
angeführten sowohl von der Personal- als auch der Klient:innen-Seite erfahrenen Diskriminierungen genannt, die mitunter sogar seitens des Personals unbewusst reproduziert werden.
Abweichungstoleranz zwischen Caritas und verfasster Kirche
Beobachtet wird ein gewisses Maß an Abweichungstoleranz der organisierten Caritas gegenüber der verfassten Kirche beim Umgang mit Diversität, was auch Spannungen und Konflikte generiert und als Hinweis auf eine organisationelle Konfliktfähigkeit verbucht wird. Begrüßt wird, dass entsprechende Stellen für das Diversitätsmanagement und für Lern- und Bildungsprozesse eingerichtet werden, um Vielfalt zu üben. Neben dieser organisationellen Stärke wird zum Beispiel als Schwäche herausgestellt, dass die Personalressourcen und Stellenpläne in bestimmten Einrichtungen der Caritas nicht elastisch und flexibel genug seien, um differenziert den vielfältigen Erwartungen von Klient:innen entsprechen zu können.
Hinsichtlich der Organisationskultur caritativer Einrichtungen werden nicht nur normative Orientierungen an der christlichen Tradition (Samaritergleichnis), sondern auch Prozesse des erfahrungsorientierten und modellhaften Lernens zur Sprache gebracht, um (abwertende) Fremdheit in Alterität zu verwandeln. Ebenfalls sind Prozesse, das zweipolige Denken bei der Geschlechterklassifikation ("Transgender") zu überwinden, im Gang. "Vielfalt" wird zunehmend reflektiert, toleriert, normalisiert, akzeptiert, ja divinisiert. Sie wird als einer der "Namen Gottes" und Marker der Selbstidentifikation der Caritas postuliert. Allerdings wird dieser Marker auch gegen die amtliche Kirchenkultur in Stellung gebracht. Eine Schwäche ist somit eine gespaltene Organisationskultur: Was offiziell nicht sein darf beziehungsweise für verboten gehalten wird, wird dennoch praktiziert und als Sachverhalt nicht in die Kommunikation gehoben.
Reichweite legitimer Diversität ist unklar
Auf der kommunikativen Ebene der Organisationskultur ist dementsprechend die Reichweite legitimer Diversität unklar. Auch bestimmte Formen vestimentärer, also die Kleidung betreffende Praxis sollen offensichtlich nicht die Wahrnehmung des Personals durch andere (Bewohner:innen, Angehörige, Träger, Kolleg:innen) "trüben". Die Einschränkung vestimentärer Vielfalt (Kopftuch oder Schleier) wird mit der Begründung vorgetragen, dass sie die helfenden Interaktionen in einer caritativen Einrichtung irritieren könnte, ähnlich wie nichtchristliche rituelle Praktiken in den hauseigenen Sakralräumen.
Das Stellengefüge, das Personal, die Programmatik und die Organisationskultur caritativer Einrichtungen haben sich längst auf Diversität eingestellt. Und dennoch bleibt die Frage: Wie können seitens der Caritas die in der Studie benannten Grenzen - nicht zuletzt die offizielle Homophobie der Kirche - weiter abgebaut werden?
1. Ebertz, M. N.; Segler, L.: Caritas und Diversität. Freiburg: Lambertus, 2023.
2. Vgl. Mau, S.; Lux, T.; Westheuser, L.: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft, Berlin, 4. Auflage, 2023, S. 118 ff., 158 ff.