Hilfe für Jugendliche auf dem Digibike
Die Gustav-Heinemann-Schule im Kölner Bezirk Chorweiler wirkt verlassen an diesem Dienstagmittag. Das Wetter ist winterlich, viele Lehrkräfte sind krank, Schülerinnen und Schüler im Homeschooling. Die meisten, die da waren, haben längst schulfrei. Maik Elyas ist trotzdem geblieben. Mit Marie Janssen vom Projekt Digibike des Caritasverbandes Köln will er in ihrer Sprechstunde seine Bewerbung für ein Berufskolleg verfassen, Schwerpunkt Wirtschaft und Verwaltung. Der 18-Jährige wird im Sommer die Hauptschule beenden. Nach der Absage eines Kollegs in Wohnortnähe will er es nun im Nachbarort versuchen. Maik, der bereits im Alter von elf Jahren seine Heimat Irak verlassen musste und 2018 als 13-Jähriger nach Deutschland kam, hat zwar gute Zeugnisse - sein Lieblingsfach ist Mathe. Doch die deutsche Rechtschreibung und die formalen Anforderungen eines offiziellen Schreibens bereiten ihm Probleme.
War da nicht noch ein Praktikum?
In einem Workshop für die zehnten Klassen hat Marie Janssen die Jugendlichen bereits mit einer App zum Verfassen von Lebenslauf und Bewerbung vertraut gemacht. Mit Maik trägt sie nun letzte Daten und Fakten seines bisherigen Bildungslebens zusammen, geduldig, in fast detektivischer Kleinarbeit. War da nicht noch ein Praktikum in der Krankenpflege? Wo genau hat er das Jahrespraktikum als Friseur absolviert? Wie sah der Arbeitsalltag aus? Via App trägt Maik die Recherche-Ergebnisse in den Lebenslauf ein. "Die Worterkennung, die viele Smartphones anbieten, ist tückisch", sagt Janssen. "Die Jugendlichen sind sehr flink mit dem Finger auf dem Handy, und so ist schnell mal ein Wort angeklickt, das da gar nicht hingehört." Auch Maik muss immer wieder gebremst werden.
Den Blick gesenkt, die Hand am Smartphone, so verbringen viele Jugendliche einen großen Teil ihrer Freizeit. Die Pandemie mit ihren Einschränkungen hat das noch einmal verschärft. Erst kürzlich offenbarte eine Studie der Krankenkasse DAK, dass die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen deutlich gestiegen ist (siehe Info). Bei jungen Menschen aus schwierigen sozialen Verhältnissen ist die Quote meist besonders hoch.
Jugendliche sind viel am Handy - doch keine Experten fürs Digitale
In den Digibike-Workshops berichten junge Leute, dass sechs bis zehn Stunden täglich am Handy keine Seltenheit sind. Zu Expertinnen und Experten für Digitalisierung werden sie dadurch allerdings nicht. "Die Jugendlichen kennen den Freizeitnutzen des Geräts, Online-Spiele oder soziale Medien, aber sie wissen wenig darüber, wie sie das Gerät, die Apps und Dienste für offizielle Zwecke nutzen können", erklärt Marie Janssen. "In unseren Workshops setzen die Jugendlichen ihre eigenen Geräte ein. Wir zeigen ihnen, dass man so viel mehr damit machen kann." Eigentlich müsse dies viel intensiver auch in Schulen oder Jugendeinrichtungen vermittelt werden, aber hier fehle es an Zeit und Kapazitäten. "Als Folge der Pandemie sind an Schulen oft zwar Tablets verteilt worden, doch es gibt niemanden, der die weitere Betreuung oder Wartung übernimmt, so dass die Lehrer dies zusätzlich erledigen müssen."
Die meisten haben noch nie eine E-Mail geschrieben
Die Expertinnen von Digibike stellen Plattformen vor, auf denen man nach Jobs recherchieren kann, oder Apps, mit denen man, so wie Maik, Lebensläufe oder Bewerbungen verfassen kann. "Die meisten Jugendlichen haben noch nie eine E-Mail geschrieben. Denen müssen wir erst mal erklären, wie sie eine Mailadresse anlegen oder ein offizielles Anschreiben formulieren", berichtet die Sozialarbeiterin. Tipps gibt es auch, den Medienkonsum in den Griff zu bekommen, etwa durch Apps, mit denen man die Bildschirmzeit begrenzt. "Häufig nehmen die Schülerinnen und Schüler ihre ausufernde Mediennutzung selbst als problematisch wahr." Auch über das Problem der Falschinformationen, sogenannte Fake News, mit denen die Jugendlichen im Netz konfrontiert werden, wird gesprochen. "Viele Jugendliche ziehen ihre Infos allein aus den sozialen Medien, glauben alles, was sie dort lesen, und wissen gar nicht, wo und wie sie neutral Fakten überprüfen können."
Derzeit arbeitet Janssen allein im Projekt, das Anfang 2022 gestartet ist, noch bis Ende 2024 läuft und von der Aktion Mensch gefördert wird. Eine weitere halbe Stelle ist ausgeschrieben. Auch Freiwillige sollen eingebunden werden. "Das Angebot ist nun so weit entwickelt, dass wir Ehrenamtler einsetzen können", sagt Marie Janssen. Gefragt ist eine Affinität zum Digitalen; vor allem junge Erwachsene sind angesprochen. "Wir wollen den Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen." Dies geschieht in Brennpunkt-Schulen, in Jugendzentren und Geflüchtetenunterkünften. In Letzteren stehen Tools für die Übersetzung von Dokumenten im Fokus oder Apps für die Wohnungssuche. Auch in einer Förderschule ist Digibike aktiv, hier geht es vor allem um den Umgang mit Cybermobbing.
Dem Ziel nun ein Stück näher
Maik hat seinen Lebenslauf inzwischen vervollständigt. Nun gilt es noch ein Anschreiben zu formulieren. "Warum möchtest du gerade an dieses Berufskolleg?", fragt ihn Marie Janssen. "Ich möchte einen höheren Schulabschluss erreichen, um bessere Chancen zu haben für eine gute Ausbildung und einen guten Beruf", sagt er. Gemeinsam formulieren sie aus seinen Gedanken ein paar Zeilen. Zwischendurch immer wieder Hinweise auf Grundlegendes: Speichere deine Dokumente, achte auf die Worterkennung. Schließlich, nach gut zwei Stunden, ist alles in ein PDF-Dokument verpackt und versendet - mit einem letzten Spannungsmoment, ob die große Datei auch wirklich durch den Schulserver rutscht. Maik hatte Glück: Wetter und Umstände haben dafür gesorgt, dass er der Einzige in der Sprechstunde geblieben ist. Mit viel Geduld und Konzentration hat er, sein Ziel vor Augen, gearbeitet. Für viele, so erklärt Janssen, sei schon das eine Herausforderung, ebenso wie die Welt, die immer digitaler wird. Digibike hilft dabei, sich darin besser zurechtzufinden.