Neue Vergütungsformen
Die Bertelsmann-Stiftung hat eine von Prognos durchgeführte Studie über regionale Unterschiede in der Pflegeinfrastruktur veröffentlicht. Prompt titelten die Medien "Ohne Sozialhilfe keine Pflege", "Heimplatz oft zu teuer für Senioren" oder "Pflegekosten oft höher als die Rente". Die Studie verweist auf ein zentrales Problem unseres Pflegesystems: Die Renten reichen bei vielen Pflegebedürftigen nicht für die Pflegekosten aus. Der wesentliche Treiber der Pflegekosten sind die Lohnkosten. Aber die Löhne der Pflegekräfte sind in vielen Regionen zu niedrig und in anderen höchstens angemessen. Wenn eine gerechte tarifliche Bezahlung von Pflegenden viele Pflegebedürftige und ihre Angehörige untragbar finanziell belastet und die Sozialhilfe einspringen muss, stimmt etwas nicht im System. Dasselbe gilt für die Tatsache, dass Träger, die ihre Mitarbeitenden nach Tarif bezahlen, durch höhere Eigenanteile der Pflegebedürftigen im Wettbewerb benachteiligt sind.
Welche Auswege aus dieser paradoxen Situation sind denkbar? Ein Weg, den der Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD) immer wieder anmahnt, ist die Dynamisierung der Leistungsbeträge in der teilstationären und stationären Pflege. Seit die Pflegeversicherung im Jahr 1995 eingeführt wurde, blieben diese 13 Jahre lang unverändert. Erst im Pflegeweiterentwicklungsgesetz von 2008 gab es eine Anpassung für die Pflegestufe 3. Zusätzlich wurde eine Dynamisierungsklausel geschaffen, die erstmals im Jahr 2015 ermöglichte, die Leistungsbeiträge anzuheben. Damit ließen sich die Verluste der Vergangenheit nicht aufholen. Diese Differenz bleibt eine hohe Belastung, denn der mögliche Anstieg ist auf die Bruttolohnentwicklung der letzten drei Jahre begrenzt (§ 30 SGB XI). Wenn die Zahl der auf Sozialhilfe angewiesenen Heimbewohner(innen) verringert werden soll, müssen die
Leistungsbeträge deutlicher erhöht und jährlich angepasst werden.
Neue Modelle entwickeln, die das Verarmungsrisiko senken
Ein weiterer Weg wäre denkbar. Derzeit deckt die Pflegeversicherung einen Fixbetrag der pflegebedingten Kosten ab. Das Risiko der darüber hinaus ansteigenden Pflegekosten, zum Beispiel durch Tariferhöhungen, trägt der Versicherte. Man könnte dieses Verhältnis auch umkehren. Dann würden die Pflegebedürftigen nur einen fixen Sockel der pflegebedingten Kosten zahlen, während die dynamisch wachsende Spitze der Aufwendungen von der Pflegeversicherung getragen würde. Man muss nicht gleich eine Pflegevollversicherung fordern, die noch ungelöste Fragen der Steuerung des Gesamtsystems aufwirft. Aber es sind Modelle zu entwickeln, die das Verarmungsrisiko der Pflegebedürftigen senken, ohne die tarifliche Vergütung der Pflegekräfte infrage zu stellen.
Dabei wird die Trennung von ambulant und stationär erneut hinterfragt werden. Ein an Sektorengrenzen orientiertes Leistungserbringungsrecht wird den Pflegesettings der Zukunft nicht gerecht. Die Etablierung neuer Wohn- und Betreuungsformen mit einem veränderten Personalmix von hauptberuflich, nebenberuflich und ehrenamtlich Tätigen benötigt auch neue Vergütungsformen.