Wie viel energetische Sanierung kostet
Nachhaltigkeit ist ein sympathischer Begriff. Allerdings hat er Konsequenzen für das Verhalten und das Wohlbefinden, vor allem aber für die Verbrauchs- und Investitionskosten. Für die Einrichtungen und Dienste der deutschen Sozialwirtschaft gilt: Durch Konsum- und Verbrauchseinschränkungen können die politisch und verbandlich gesetzten Ziele zur Reduktion der CO2-Emissionen nicht erreicht werden.
Verantwortungsvolle, nachhaltige, individuelle und kollektive Verhaltensänderungen, ob in der eigenen Mobilität, bei der Kleidung, der Ernährung oder in der Arbeitsorganisation sind wichtig und verbessern die Klimabilanz. Aber selbst wenn alle Mitarbeitenden, alle Bewohner:innen und Klient:innen sich "perfekt" verhalten würden, würden die CO2-Emissionen, die aktuell der Caritas zugerechnet werden können, nicht vollständig abgebaut werden.1
Um die Nachhaltigkeitsziele der Caritas erreichen zu können, muss die energetische Ertüchtigung der Sozialimmobilien der katholischen Trägerorganisationen in das Zentrum der ökologischen Verbandspolitik gerückt werden. Dort ist die Hebelwirkung groß, das Kosten-Nutzen-Verhältnis aus betrieblicher und gesellschaftlicher Sicht am besten und entsprechend die Investitionslenkung am sinnvollsten. Zur Abschätzung der hierdurch entstehenden Kosten wurde vor kurzem eine Pilotstudie von einem Projektentwickler für nachhaltige Bauvorhaben, der Kamel & Nadelöhr GmbH2,durchgeführt,deren Ergebnisse kurz vorgestellt werden.
Analyse der Emissionswerte
Um einen ersten Überblick über die Menge der Emissionen zu bekommen, die soziale Einrichtungen verursachen, erfolgte in Kooperation mit einem großen diakonischen Träger eine Pilotstudie. Auf Basis der Verbrauchs- und Flächendaten sowie der Daten über den Stand der energetischen Ausstattung und Sanierung der Bestandsgebäude wurden die Einrichtungen anschließend in Cluster unterteilt, um eine statistisch durchschnittliche Mustereinrichtung für die unterschiedlichen Arbeitsfelder wie etwa betreutes Seniorenwohnen bilden zu können. Die Ergebnisse dieser Clusterbildung können Tabelle 1 (oben) entnommen werden.
Auf Basis dieser Daten wurden die aktuellen Emissionswerte der Gebäude berechnet. Kalkuliert wurde nur jener Ausstoß, der im Zusammenhang mit dem Energieverbrauch steht. Sämtliche Emissionen aus Scope 3, also jener CO2-Ausstoß, welcher entlang der Wertschöpfungskette der Nutzung entsteht (Lieferketten, Lebensmittel etc.) sowie aus Mobilität konnten in der Pilotstudie nicht erfasst werden.
Für die Emissionsmenge der Strom- und Wärmeenergie wurde der folgende Ausstoß pro kWh angenommen:
◆ Strom: 420 g pro kWh3
◆ Erdgas: 202 g pro kWh4
◆ Fernwärme: 280 g pro kWh
Diese Emissionsmengen der Einrichtungen wurden nach den gesellschaftlichen Folgekosten bepreist. Die externen Kosten der Sozialimmobilien lassen sich bei einem Tonnenpreis nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von 698 Euro5 so abschätzen:6 siehe Tabelle 2 (oben).
Kalkulation der Investitionskosten für "Durchschnittseinrichtungen"
Um die Nachhaltigkeitsziele der Politik, aber auch der Caritas erreichen zu können, ist mit erheblichen Investitionskosten zu rechnen. Damit die Investitionen am effektivsten wirken, sind energetische Maßnahmen in Bestandsgebäuden "nach Meinung der Wissenschaft" in folgenden Projektstufen anzupacken:
Schritt 1: Das Gebäude nach dem aktuellem Stand dämmen
Bei einer Verbesserung der energetischen Dämmung des Gebäudes kann damit gerechnet werden, die benötigte Wärmeenergie um circa 30 Prozent zu verringern.⁷ Für die Kosten der Gebäudedämmung sind 140 Euro pro Quadratmeter Fassaden- und Dachfläche sowie 47 Euro pro Quadratmeter Deckenfläche zu veranschlagen.8 Der Austausch der Fenster fällt zusätzlich mit circa 1000 Euro pro Fenster ins Gewicht.9
Schritt 2: Eine Wärmepumpe installieren
Um die Wärmeversorgung des Gebäudes unabhängig von fossilen Brennstoffen organisieren zu können, bieten mit grünem Strom betriebene Wärmepumpen gute Lösungen. Die investiven Kosten orientieren sich an der notwendigen Leistung der Anlage: Pro Quadratmeter Brutto-Grundfläche ist mit 0,05 kW Leistung und pro kW Leistung mit circa 580 Euro Kosten zu rechnen.10 Zusätzlich müsste eine Fußbodenheizung in das Gebäude integriert werden. Hierbei fallen Kosten in Höhe von circa 70 Euro pro Quadratmeter an.11
Schritt 3: PV-Anlagen auf der Dachfläche des Gebäudes installieren12
Um selbst Strom erzeugen zu können und so unabhängig(er) vom externen Bezug zu werden, könnte die zur Verfügung stehende Dachfläche zur Installation von Photovoltaik (PV)-Anlagen genutzt werden. In der Regel kann von einer Nutzfläche von 70 Prozent der Gesamtdachfläche ausgegangen werden. Hierbei fallen Kosten in Höhe von 235 Euro pro Quadratmeter Nutzfläche an.13 Zusätzlich empfiehlt es sich, einen Batteriespeicher in das System zu implementieren. Pro kW-Peak ist hierbei ein Speicher mit einer Kapazität von einer kWh nötig. Die Kosten für diesen belaufen sich hierbei auf circa 1000 Euro pro kWh Speicherkapazität.14
Nach der energetischen Sanierung könnten aus unserer Sicht mindestens 70 Prozent der aktuellen Emissionen des Gebäudes vermieden und bei ausschließlichem Bezug von grünem Strom die Sozialimmobilien "klimaneutral" betrieben werden. Die durchschnittlichen Investitionskosten der geclusterten "Durchschnitts-Sozialimmobilien" werden wie in Tabelle 3 (oben) dargestellt geschätzt.
Gebäudebezogene Emissionsmenge und nötige Investitionskosten
Auf Basis der vorangegangenen Berechnungen werden die Emissionsmenge und die notwendigen Investitionskosten der Sozialimmobilien mit Blick auf die Einrichtungsstatistik des Deutschen Caritasverbandes so kalkuliert: Siehe Tabelle 4 (rechts oben).
Die in die Analyse einbezogenen Gebäude stoßen pro Jahr circa 1.786.492 Tonnen CO2 aus. Dieser Output entspricht ökologischen Folgekosten in Höhe von 1.246.971.116 Euro. Für eine energetische Sanierung der Gebäude wären Investitionskosten von insgesamt 17.185.166.492 Euro nötig.
Wie geht es weiter?
Als Einstieg wird ein unkomplizierter, webbasierter "Quickcheck Nachhaltigkeit" der einzelnen Immobilien vorgeschlagen. Die Träger erhalten pro Immobilie einen Kennzahlenbericht zu Energie, Wasser, Müll, Sanierungspotenzialen sowie Informationen über den Abstand zu Klimazielen.15 Im nächsten Schritt sollten die Träger die Immobilien mit bestem Sanierungspotenzial und relevantem Lebenszyklus präziser analysieren (lassen).16 Mit dem letzten Schritt, der Erstellung eines Projekt- und Kostenplans zur Sanierung sowie zur Finanzierung, hat sich eine Arbeitsgruppe des beschriebenen Projektentwicklers befasst, deren Ergebnisse nachzulesen sind.17
Anmerkungen
1. Die Caritas veröffentlichte 2020 das Ziel, bis zum Jahr
2030 die Klimaneutralität zu erreichen; "Klimaschutz ambitioniert und sozial gerecht gestalten", Kurzlink: https://bit.ly/3juOpvs
2. Kamel & Nadelöhr ist ein Spin-off, also eine Ausgründung der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Es handelt sich um eine unveröffentlichte Studie.
3. Vgl. Icha, P.; Lauf, T.: Entwicklung der spezifischen Treibhausgas-Emissionen des deutschen Strommix in den Jahren 1990-2021. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt, 2022, S. 19.
4. Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Hrsg.): Informationsblatt CO2-Faktoren. BAFA: Eschborn, 2021, S. 6.
5. Umweltbundesamt: Gesellschaftliche Kosten von Umweltbelastungen, 2021. Kurzlink: https://bit.ly/3WO6x1J (abgerufen am 8.12.2022).
6. Die Daten für Krankenhäuser, Kindertagesstätten und Werkstätten stammen aus folgenden Quellen: Kita: Auf Basis der VDI-Richtlinie 3807 wurde der Energieverbrauch einer durchschnittlichen Einrichtung kalkuliert. Die notwendigen Investitionskosten wurden anschließend auf Basis der Flächenvorgaben eines Bundeslandes kalkuliert.
Krankenhaus: Der Gesundheitssektor trägt mit 5,2 Prozent zu den Gesamtemissionen in Deutschland bei. 13 Prozent von diesem Ausstoß sind den Krankenhäusern zuzuordnen (vgl. Karliner, J.; Slotterback, S.; Boyd, R.; Ashby, B.; Steele, K.: Health Care’s Climate Footprint. How the health care contributes to the global climate crisis and opportunities for action, 2019. HCWH. O. A).
Die Investitionskosten innerhalb der Kliniken in NRW werden auf circa 7,1 Milliarden Euro geschätzt (vgl. Institute for Health Care Business (hcb): Das Klimaneutrale Krankenhaus. Finanzierungsmöglichkeiten von Umsetzungsmaßnahmen. hcb: 2022, o. A.) Bei einer Aufteilung dieser Summe auf die insgesamt 476 Kliniken (vgl. Ethimedis: Kliniken in Nordrhein-Westfalen (NRW), 2022. www.ethimedis.de/kliniken-in-nrw-nordrhein-westfalen) (abgerufen am 2.12.2022) ergibt sich die angegebene Summe.
7. Vgl. Hesselbach, J.; Junge, M.: Klimaneutralität und Energieversorgung. In: Halfar, B. (Hrsg.): Sozialimmobilien. Baden-Baden: Nomos, 2021, S. 195.
8. Vgl. Co2online: Modernisieren oder bauen, 2022 a. Kurzlink: https://bit.ly/3VG6PXz (abgerufen am 7.12.2022).
9. Vgl. Effizienzhaus-online: Dämmung Fenster, 2022. www.effizienzhaus-online.de/daemmung-fenster (abgerufen am 7.12.2022).
10. Vgl. Co2online: Heizen mit Wärmepupe. Alle Infos zu Technik, Arten, Kosten und Förderung, 2022b. Kurzlink: https://bit.ly/3YOi2rI (abgerufen am 8.12.2022).
11. Vgl. Heizung.de: Kosten einer Fußbodenheizung im Überblick, 2022. www.heizung.de/finanzielles/wissen/kosten-einer-fussbodenheizung-im-ueberblick.html (abgerufen am 7.12.2022).
12. Hier und vorherige: vgl. Hesselbach, J.; Junge, M., 2021, S. 263 ff.
13. Vgl. Net4energy.com: Photovoltaikanlage Kosten pro qm, 2022. www.net4energy.com/de-de/energie/photovoltaikanlage-kosten-pro-m2 (abgerufen am 7.12.2022). und Hesselbach/Junge, 2021.
14. Vgl. Hesselbach, J.; Junge, M., 2021.
15. Das Spin-off-Projekt der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt bietet hierzu eine Softwarelösung an: www.kamel-nadeloehr.de
16. Auf Sozialimmobilien spezialisierte Unternehmen sind zum Beispiel Soleo, Kips oder das Institut von Prof. Hesselbach an der Universität Kassel.
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