Entlang der Leitlinien gemeinsam unterwegs
Eine wichtige Aufgabe des Deutschen Caritasverbands (DCV) und seiner Gliederungen besteht darin, Minderjährige sowie schutz- oder hilfebedürftige Erwachsene vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Die hierfür geschaffenen Leitlinien des DCV1 dienen als Orientierung für alle diözesanen Caritasverbände (DiCVs), um einheitliche Standards zum Umgang mit sexualisierter Gewalt zu gewährleisten.
Beim DiCV Mainz und seinen Bezirks-Caritasverbänden folgten auf die Herausgabe der Leitlinien eine Auseinandersetzung damit und die Entscheidung, sich ihnen anzuschließen. Herausfordernd ist, mit den Unterschieden zwischen der Interventionsordnung des Bistums2 und den Leitlinien des DCV umzugehen.
Neben seiner Rolle als Spitzenverband ist der DiCV Mainz selbst Rechtsträger. Auch wenn seine Mitarbeitenden nur am Rande und mittelbar mit Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen in Kontakt stehen, sind die Leitlinien des DCV umzusetzen.
Großen Wert legt der DiCV Mainz dabei auf die Sensibilisierung seiner Beschäftigten in Bezug auf den Umgang mit Vorfällen sexualisierter Gewalt. In regelmäßigen Schulungen lernen sie, Warnsignale zu erkennen und darauf zu reagieren. Ein angemessenes Nähe- und Distanzverhältnis wird genauso reflektiert wie ein achtsamer Umgang miteinander und die Verfahrensabläufe, wenn ein Verdacht auf sexualisierte Gewalt gemeldet wird.
Schutzkonzept mit transparenten Regeln
Der DiCV Mainz erarbeitet auf Grundlage einer Schutz- und Risikoanalyse ein Institutionelles Schutzkonzept (ISK).3 Dieses umfasst unter anderem eine Selbstauskunftserklärung, einen Verhaltenskodex sowie transparente Regelungen für die Einforderung und Abgabe von erweiterten Führungszeugnissen. Das ISK dient der Orientierung, es gibt Sicherheit im Falle von Verdachtsmomenten oder gemeldeten Vorfällen.
Die DCV-Leitlinien beschreiben Aufgaben und Verantwortung des DiCV unter anderem wie folgt: Er "[…] trifft Regelungen zur Zusammenarbeit mit dem Bistum (zum Beispiel zu den vom Bischof benannten externen Ansprechpersonen, Meldung von Fallzahlen, Mitwirkung im bischöflichen Beraterstab […])."4
Mit der Ernennung eines neuen Präventionsbeauftragten im DiCV Mainz und der personellen Neuausrichtung der Koordinationsstelle Prävention beim Bistum Mainz 2019 wurde schnell klar, dass beide Stellen eng zusammenarbeiten werden. Dabei wurde vor allem ein erweiterter Präventionsbegriff handlungsleitend (s. Abb. 1), der von vornherein auch die Schnittstellen zu Intervention und Aufarbeitung in den Blick nimmt. Ziel der Kooperation sind das Schaffen von Transparenz und das Gewährleisten eines einheitlichen Standards im Bistum Mainz.
Runder Tisch Prävention sorgt für Arbeitshilfen
In Kooperation mit weiteren Partnern im Bistum (Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), Seelsorgeamt/Prävention in den Kirchengemeinden, Kirchenmusik, Orden, Schuldezernat) etablierte sich die Präventionsarbeit am "Runden Tisch Prävention im Bistum Mainz". Sie führte zu Schulungskonzepten für Präventionskräfte und Multiplikator:innen und ihrer Umsetzung. Eine Arbeitshilfe zur Erstellung von Institutionellen Schutzkonzepten⁵ sowie gemeinsame Fachtage wurden ebenfalls erarbeitet. Präventionskräfte-Schulungen finden in gemischten Gruppen aus Mitarbeitenden verschiedener Träger und Organisationen statt und werden personell gemeinsam getragen.
Gemeinsame Aufarbeitung des Missbrauchsskandals
Mit Blick auf den erweiterten Präventionsbegriff wird klar, dass die Caritas auch in der unabhängigen Aufarbeitungskommission nicht außen vor bleiben kann. So ist die Diözesan-Caritasdirektorin mit Gaststatus Teil der Aufarbeitungskommission.
In aller Konsequenz bedeutet das auch, dass die Caritas Teil der vom Bistum beauftragten und am 3. März 2023 von der Rechtsanwaltskanzlei Weber vorgestellten Studie zu Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung seit 1945 im Bistum Mainz war (sogenannte EVV-Studie⁶). Auch hier galt in Anlehnung ans Motto der Caritaskampagne 2021/2022: "Das machen wir gemeinsam". Der DiCV Mainz war sowohl in der Steuerungsgruppe als auch in den Arbeitsgruppen Beratung und Kommunikation beteiligt.
Vom Planen von Unterstützungsangeboten für Betroffene und Bürger:innen über gemeinsame Schulungen der Kolleg:innen an der Telefon-Hotline bis hin zu Fortbildungen für Mitarbeitende in Schlüsselpositionen: Die unabhängige Aufarbeitungskommission hat bei alldem eng zusammengearbeitet. Auch die Vorbereitung von FAQs (häufig gestellte Fragen), die enge Abstimmung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie die Schulung für Verantwortliche der Öffentlichkeitsarbeit unter anderem in den Bezirksverbänden machen die gemeinsame Verantwortungsübernahme deutlich.
Auch Intervention wird zusammen gewährleistet
Denkt man die Intervention gegen sexualisierte Gewalt von den davon Betroffenen her, so wird deutlich, dass es eine gemeinsame Zuständigkeit der katholischen Träger gibt. Denn in der Trägervielfalt ist es für Betroffene und ihre Angehörigen häufig nicht zu unterscheiden, welche Ansprechpartner und Interventionsstellen in ihrem Fall zuständig sind. Noch komplizierter wird es, wenn zum Beispiel Diözesanpriester in Caritas-Einrichtungen oder an Schnittstellen (zum Beispiel in der Arbeit mit Ehrenamtlichen vor Ort) tätig sind.
Für diese gemeinsame Verantwortung braucht es die Abstimmung der zuständigen Fachstellen. Noch deutlicher wird dies mit Blick auf möglichst große Transparenz im Umgang mit Meldungen und auf hohe Qualitätsstandards in der Fallbearbeitung.
Verfasste Kirche und Caritas haben gemeinsame Ansprechpersonen
Um es Betroffenen leichter zu machen, sollen die vom Diözesanbischof benannten unabhängigen Ansprechpersonen nicht nur Fälle aus der verfassten Kirche, sondern auch aus dem Caritas-System entgegennehmen. Ist eine Meldung eindeutig der Caritas zuzuordnen, nehmen sie im Anschluss Kontakt mit dem Interventionsbeauftragten der Caritas auf, der für die weitere Fallsteuerung und insbesondere für die Information des betroffenen Rechtsträgers in der Caritas verantwortlich ist. Hier gilt es, die Unterschiede zwischen der Interventionsordnung des Bistums Mainz und den DCV-Leitlinien gestaltend zu berücksichtigen.
Berater:innenstäbe sind fachlich kompetent und rasch einsatzbereit
Im weiteren Prozessverlauf des Falles wird der gemeinsame Berater:innenstab wichtig. Bereits jetzt gehört der Interventionsbeauftragte des DiCV auch dem Bischöflichen Beraterstab an.
Je nach Rechtsträger individuell zusammengesetzt, soll der jeweilige Berater:innenstab in akuten Krisen kurzfristig zusammenkommen, um einen guten Prozess mit hohen Transparenz- und Qualitätsstandards zu gewährleisten. "Ein professionelles Vorgehen gegen sexualisierte Gewalt erfordert den politischen Willen, den gezielten Einsatz von Ressourcen sowie den Aufbau von Strukturen und Fachlichkeit. Der Umgang mit einem Verdacht und die Intervention, wenn sich ein Verdacht bestätigt, gehören zur anspruchsvollsten und schwierigsten Leitungsverantwortung."⁷
In akuten Fällen im Caritas-System sollen neben den unabhängigen Expert:innen des Bischöflichen Beraterstabs (Psychologin, Strafrechtlerin, unabhängige Ansprechperson …) auch der betroffene Caritas-Rechtsträger sowie der Interventionsbeauftragte, die Justiziarin, der Arbeitsrechtler und die Kommunikationsverantwortliche des DiCV zusammenkommen.
Sowohl die Interventionsordnung des Bistums als auch die DCV-Leitlinien sehen zudem die Benennung unabhängiger externer Fachberatungsstellen vor. Hier ist geplant, gemeinsam fünf regionale Stellen zu bestimmen.
Schwächen der DCV-Leitlinien
In den Leitlinien bleibt weitgehend offen, wie das Verhältnis der verschiedenen Rechtsträger innerhalb des Caritas-Systems zueinander ist. Sie regeln an keiner Stelle, ob, wie und wann der DiCV oder das Bistum von Verdachtsfällen bei einem Caritas-Rechtsträger erfährt. In der Folge bleibt es den ISK überlassen, ob Caritas-Rechtsträger übergreifende Strukturen - wie die unabhängigen Ansprechpersonen oder den Berater:innenstab - in ihre Meldeketten integrieren und in die Fallbearbeitung einbeziehen.
"Die Leitlinien regeln die Verantwortung und das Vorgehen bei der Wahrnehmung, Aufklärung und Unterbindung von sexualisierter Gewalt durch Beschäftigte und Ehrenamtliche. Die Beschreibung des konkreten Vorgehens ist eingebunden in das jeweilige Institutionelle Schutzkonzept der Dienste und Einrichtungen."⁸ Hier besteht Nachbesserungsbedarf, um die Zusammenarbeit zwischen den Rechtsträgern nicht der Beliebigkeit zu überlassen. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die korporativen Mitglieder.
Vergleichbare Meldewege als Ziel
Ziel muss der Aufbau von verlässlichen und effektiven Beschwerdewegen sein, die Betroffenen eine sichere Möglichkeit zur Meldung von Vorfällen sexualisierter Gewalt ermöglichen.
Beschäftigte müssen sensibilisiert und ermutigt werden, jegliche Vorkommnisse zu melden. Dabei muss sichergestellt werden, dass ihre Meldungen professionell behandelt werden. Die Einrichtung solcher Beschwerdewege schafft ein Umfeld, in dem Betroffene von sexualisierter Gewalt ermutigt werden, sich zu äußern, und stellt sicher, dass angemessene Maßnahmen ergriffen werden, um die Sicherheit und das Wohlergehen der Betroffenen zu gewährleisten.
Insgesamt lässt sich zur Prävention sexualisierter Gewalt festhalten: Im Bistum Mainz sind wir noch lange nicht am Ziel - aber gemeinsam auf einem sehr guten Weg.
- Deutscher Caritasverband (Hrsg): Sexualisierte Gewalt verhindern. Leitlinien des Deutschen Caritasverbandes (DCV) für den Umgang mit sexualisierter Gewalt an Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen durch Beschäftigte in den Diensten und Einrichtungen seiner Gliederungen und Mitgliedsorganisationen. In: neue caritas Heft 8/2021, S. I-XII
- Download: https://tinyurl.com/5n7kr257
- Vgl. Arbeitshilfe zur Erstellung eines institutionellen Schutzkonzeptes: Bistum Mainz, Koordinationsstelle Prävention gegen sexualisierte Gewalt (Hrsg.): Institutionelles Schutzkonzept. Mainz, 2021. Download unter https://t.ly/ld9M0
- DCV: Sexualisierte Gewalt verhindern. A. a. O., S. III.
- A. a. O. (s. Fußnote 3).
- Download: https://tinyurl.com/2m45f8wj
- Leitlinien des DCV, a. a. O., S. I. 8. Leitlinien des DCV, a. a. O., S. II.
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Entlang der Leitlinien gemeinsam unterwegs
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