Die Zeichen stehen auf Veränderung
Auf dem Heimweg von der dritten Synodalversammlung Anfang Februar in Frankfurt. Eine Freundin, die schon lange aus der Kirche ausgetreten ist, schickt mir einen Screenshot von der Top-Meldung der Tagesschau an diesem Samstagabend: "Synodalversammlung - beschlossene Forderungen: Freigabe des Zölibates, Zugang von Frauen zu Weiheämtern, an die Gegenwart angepasste Sexualmoral, keine Diskriminierung von Homosexuellen, Mitsprache von Laien bei der Bischofswahl." Sie schreibt: "Gratuliere! Das klingt nach echtem Aufbruch!"
Ein Vorwurf, der dem Synodalen Weg gerne gemacht wird, lautet: Ihr produziert nur Texte, und diese auch noch zu Themen, die kaum jemanden mehr bewegen, und in einer Sprache, die niemand versteht. Bischof Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, sagte dazu in Frankfurt: "Wir machen hier nicht in erster Linie Texte, sondern wir verändern das konkrete Handeln der Kirche."
Das wird jetzt endlich spürbar. Es gibt echte Ergebnisse, die man kommunizieren kann. Ein Beispiel: Das Forum IV ("Leben in gelingenden Beziehungen - Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft") hat über eine dringende Reform des Arbeitsrechtes gesprochen und abgestimmt. 93 Prozent der Delegierten waren dafür, alle Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, der geschlechtlichen Identität oder der Partnerschaftsform zu streichen. Oder: Noch niemals habe ich erlebt, dass Bischöfe so freimütig über die Zölibatsverpflichtung sprechen oder dass das Thema "Frauen als Diakoninnen" in einer solchen Runde ernsthaft diskutiert wird. Erstaunlich auch, dass Kirchenmänner Realitätssinn und Mut genug besitzen, öffentlich zu benennen, dass Dinge, die sie über Sexualität etwa in Beichtstühlen sagen sollen, furchterregend oder auch nur "peinlich" sind - und vor allem wenig hilfreich. Der Eindruck aus dieser dritten synodalen Vollversammlung: Endlich wird guten Argumenten und einem immensen Handlungsdruck eine kreative Allianz in dieser Kirche zugetraut.
Es geht um Intimität und Liebe
Es gibt bekanntlich vier Foren, die den Synodalen Weg zu den Themen Macht, Frauen, Priester und Sexualität beraten. In letzterem mit dem Titel "Leben in gelingenden Beziehungen" geht es um den tiefsten und verletzlichsten Lebensbereich der Menschen. Da geht’s um Intimität, Sexualität, Liebe und Partnerschaft. Zusammengefasst kann man sagen: Weil zu gelingendem Leben gelingende Beziehungen gehören, ist gut zu überlegen, was die Kirche dazu beitragen kann und was nicht. Das Forum hat einen Grundtext geschrieben, der einen zentralen Gedanken ausführt: Lasst uns auf Sexualität endlich positiv schauen. Sie ist eine von Gott gegebene Kraft, ein Geschenk an seine Kinder - wie Papst Franziskus in seinem Familienpapier "Amoris laetitia" von 2016 so wunderbar unverstellt schreibt. Die einzige Aufgabe, die damit verbunden ist, sie human, menschenwürdig und verantwortlich zu gestalten. Das bedeutet, keine Vorschriften mehr, keine erhobenen Zeigefinger, keine voyeuristischen Blicke in die Schlafzimmer von Gläubigen. Stattdessen den so schlichten wie kraftvollen Hinweis: Sex sollte in Liebe geschehen. Wer es noch ein bisschen differenzierter mag: Werte wie Treue, Dauer, Ausschließlichkeit, zärtliche Bejahung, verantwortete Elternschaft, all das machen die Teilnehmer:innen des Forums in ihrem Text stark. Was sie dagegen verurteilen, ist alles, was die Integrität und Würde und die körperliche Unversehrtheit des oder der anderen verletzt. Gewalt in all ihren Spielarten darf nicht sein. Und jetzt komme bitte niemand und sage: Dann kann ja künftig jede:r machen, was er:sie will. Liebe - das ist ein hoher Maßstab.
Einige wenige Stimmen wünschten sich einen konservativeren Text
Dieser Grundtext mit diesen Gedanken kam bereits im Herbst 2021 bei der zweiten Vollversammlung des Synodalen Weges mit großer Zustimmung durch die erste Lesung. Der Vollständigkeit halber muss gesagt werden, dass es auch in diesem Forum einige wenige Stimmen gab, die sich einen anderen, deutlich konservativeren Text gewünscht hätten. Doch 168 von 201 abgegebenen Stimmen fanden ihn gut.
Das hat die Forumsteilnehmer:innen beflügelt, für die dritte Versammlung konkrete Handlungstexte zu formulieren, ein fünfter zum Thema geschlechtliche Vielfalt ist derzeit noch in Arbeit. Im ersten werden die lehramtlichen Äußerungen zur ehelichen Liebe behandelt. Das klingt harmloser, als es ist. Ein Auszug : "Die konkrete Ausgestaltung der sexuellen Dimension der Ehe innerhalb des Rahmens, den die genannten Grundnormen eröffnen, obliegt den Eheleuten selbst. Sie ist keine Aufgabe der Kirche."1 Ein bisschen vereinfacht gesagt: Das Forum IV möchte, dass die verengte Sicht auf genitale Sexualität aufgegeben wird, in der jeder eheliche Geschlechtsverkehr für Fruchtbarkeit offen sein muss - ein anderer Ausdruck für das Verbot empfängnisverhütender Mittel - und diese Sichtweise durch das Vertrauen in die Verantwortung der Eltern ersetzt wird.
Der zweite Text fordert eine Änderung der lehramtlichen Äußerungen zur Homosexualität: Hier war die Kampagne #OutInChurch echter und zugleich sehr berührender Rückenwind. Wer den dazugehörigen Film "Wie Gott uns schuf" in der ARD gesehen hat, hat einige dieser noch geltenden Äußerungen vor Augen gestellt bekommen. Die Forumsmitglieder plädieren in diesem Handlungstext: "Da die homosexuelle Orientierung zur Identität des Menschen gehört, wie er von Gott geschaffen wurde, ist sie ethisch grundsätzlich nicht anders zu beurteilen als jede andere sexuelle Orientierung. […] Ihre - auch in sexuellen Akten verwirklichte - Sexualität ist keine Sünde, die von Gott trennt, und ist nicht als in sich schlecht zu beurteilen. Sie ist wie bei allen Menschen vielmehr an der Verwirklichung der genannten Werte zu messen."
Die beiden weiteren Handlungstexte befassen sich mit zwei Forderungen, die ebenfalls zu dieser Kampagne gehören: Ermöglichung von Segensfeiern und Änderung des Arbeitsrechtes. Die Synodalversammlung, so schreibt das Forum IV, möge die Bischöfe auffordern, in ihren Bistümern Segensfeiern von Paaren, die sich lieben und binden wollen beziehungsweise gebunden haben, offiziell zu ermöglichen. "Dies gilt auch für gleichgeschlechtliche Paare auf der Basis einer Neubewertung von Homosexualität als Normvariante menschlicher Sexualität." Und der Handlungstext zur Änderung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes verlautet: "Die Synodalversammlung fordert die Bischofskonferenz auf, die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse zu ändern."
Die Richtung ist geklärt
Über all diese Texte wurde in erster Lesung abgestimmt und alle vier haben deutliche Zweidrittelmehrheiten erhalten. Das bedeutet: Noch ist in diesen konkreten Fragen nichts beschlossen, aber die Richtung ist geklärt. Der genaue Wortlaut und das Prozedere werden im September 2022 zur vierten beziehungsweise im März 2023 zur fünften und letzten Vollversammlung vorgelegt. Dennoch trägt diese Arbeit bereits erste konkrete Früchte. Offensichtlich haben die Beratungen im Synodalen Weg, die Kampagne #OutInChurch2 und die Caritas mit ihren "Zehn Zusagen für Mitarbeitende"3 die Beratungen über eine neue Grundordnung deutlich beschleunigt. Derzeit liegt der Deutschen Bischofskonferenz ein Entwurf für eine Neufassung vor, die einen Paradigmenwechsel vollzieht.4 Die Verantwortung für das kirchliche Profil soll künftig klar beim Träger, bei der Einrichtung und Leitung verortet sein, der Kernbereich privater Lebensführung von Mitarbeitenden soll dazu nicht mehr herangezogen werden. Entscheidend ist, dass Mitarbeitende in ihren konkreten Aufgaben die Werte und Ziele mittragen.
Der Synodale Weg ist auch ein geistlicher Weg
Immer wieder wird gemahnt, dass der Synodale Weg nicht nur politische Forderungen stellen, sondern insbesondere ein geistlicher Weg sein solle. Genauso erlebe ich ihn. In vielen Arbeitsstunden gleicht er einer Wüstenerfahrung, aber auch darin wirkt ja oft der Heilige Geist. Das ist für alle Beteiligten ein Kraftakt, weil er viel Lebenszeit und Arbeitskraft kostet, aber das ist er vor allem deshalb, weil es um die eigene Hoffnung und die von unendlich vielen anderen geht. Die Forumsteilnehmer:innen haben viele drängende Bitten von Daheimgebliebenen im Gepäck, die sagen: "Macht was draus!"
Im Synodalen Weg gibt es viele kluge und engagierte Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebenszusammenhängen, die miteinander etwas für diese Kirche wollen. Wie zeigt sich die Kirche Jesu Christi, wenn sie verändert werden darf? Ich kann nur sagen, ich freue mich darauf!
Anmerkungen
1. Alle Texte sind in voller Länge abrufbar unter: www.synodalerweg.de/dokumente-reden-und-beitraege
2. Zahlreiche Verbände haben bereits unterzeichnet, siehe https://outinchurch.de. Die Initiative erhielt am 30. Juli den "Hamburg Pride Award".
3. Siehe www.caritas.de ; direkter Link: https://bit.ly/3yPlmbe
4. Siehe den Grundsatzbeschluss des Caritasrates zum Entwurf der neuen Grundordnung, S. 33 f. in diesem Heft.
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