Mit schönen Vokabeln vertuschen und drohen
Von 2003 bis 2011 war der jetzige Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki unter seinem Vorgänger am Rhein, Kardinal Joachim Meisner, Weihbischof und Mitglied in der Personalkonferenz des Erzbistums. Das ist ein Gremium, in dem nach Aussagen seines Hamburger Mitbruders Stefan Heße sämtliche Fälle von sexualisierter Gewalt zur Sprache gekommen sind. Alle, auch Heße, der damals ebenfalls im Kölner Erzbistum als Personalchef und Generalvikar tätig war, hätten dort ihren Rat an Meisner gegeben, also auch Woelki. Heße sagte nun im Sommer 2020, was die "schwierigen Entscheidungen" in Sachen sexualisierte Gewalt in diesem Gremium betreffe: "Es lief am Ende im Miteinander, und dafür bin ich dankbar."1
Was hat Heße hier gesagt? Er hat die schönen Wörter "Miteinander" und "Dankbarkeit" benutzt. Aber diese Wörter waren hier nicht schön. Denn sie waren eigentlich eine Drohung und meinten unverschlüsselt: "Du, Woelki, hast doch genauso wie ich damals gewusst, was da in Sachen sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln unter Meisner abging. Wenn du jetzt alle Schuld der Verdrängung auf mich abladen willst, dann erzähle ich mal, was du alles damals wusstest."
So ist sie, die Kirchensprache: Sie kann vertuschen und drohen, und das hinter den schönsten Vokabeln. Wenn heute viel von der Krise der Kirche die Rede ist, liegt das auch an ihrer Sprache. Denn ihre Sprache kann verlogen sein. Sie ist aber vor allem eine ängstliche geworden.
Woher kommt diese Angst? Sie ist grundsätzlich und vielgestaltig. Die wohl wesentliche Angst resultiert aus dem Bewusstsein, einer bröckelnden Institution anzugehören. Der Impuls liegt dann nahe, so zu reden, dass man ja niemanden vergrault, verschreckt oder verärgert. Das wird dann mit den floskelhaften Formeln legitimiert, dass man ja alle irgendwie mitnehmen müsse, niemand dürfe verstört oder gestört werden, den man insgeheim zu gewinnen suche. Das führt zu Krampf und Unsicherheit, zu Kraft- und Mutlosigkeit auch der Sprache. Wer Angst hat, dem stockt die Sprache.
Zu einer reinen Binnensprache verkommen
Der Theologe und Dichter Christian Lehnert urteilt, in ihrer Angst seien die Kirchen dauernd damit beschäftigt, strategisch-technisch mit ihrem eigenen Dahin[1]schwinden umzugehen. Christian Lehnert sagt: "Das ermüdet, das raubt Kräfte. Das merkt man der Sprache überall an, überall."2
Ein weiteres Problem ist, dass die Kirchensprache in den vergangenen Jahrzehnten oft zu einer fast reinen Binnensprache verkommen ist, die außerhalb der Kirche kaum mehr verstanden wird. Die kirchliche Sprache kann auf einen Wort- und Bilderschatz von rund 2000 Jahren zurückgreifen. Ein Segen ist das, aber auch ein Fluch. Angesichts der intensiven Ausbildung der Theologinnen und Theologen schleicht die Tradition leicht in die Sprache hinein. Ob sie passt oder nicht.
Tradition prägt immer - nicht nur in der Kirche, aber auch dort: In den Schaukästen oder den Gemeindebüros von Kirchengemeinden finden sich oft seltsame Poster, auf denen über Schafherden Worte von gestern stehen. Es ist verführerisch, sich einer alten Sprache und der alten Bilder zu bedienen, ohne überhaupt darüber nachzudenken, ob sie heute noch verstanden werden. Petra Bahr, Regionalbischöfin in Hannover, konstatiert: "Man muss sich immer Gedanken darüber machen, dass man nicht verstanden wird, dass man in Klischees spricht - etwa in großstädtischen Gemeinden permanent über Hirten und Könige, aber nicht über die U-Bahn, die einen nervt."3
Hinzu kommt: Die kirchliche Sprache neigt zu Fremdwörtern, theologischen Fachausdrücken oder emotional aufgeladenen Wörtern, die oft sozialpädagogisch angehaucht sind. Woher kommt das? Spätestens seit den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts wurde
überall in der bundesdeutschen Gesellschaft versucht, möglichst vieles auf ein gewisses Verständnis-Niveau zu bringen, den Dialog zu suchen, es war ein Zeichen der Liberalisierung und Modernisierung der Gesellschaft. Damit einher ging auch in den Kirchen eine Pädagogisierung des Diskurses. Der Glauben an die Pädagogik und die Gestaltbarkeit der Gesellschaft war groß. Typisch ist, dass man in der evangelischen Kirche etwa ab Anfang der Sechzigerjahre keine "Kundgebungen" mehr erließ, sondern "Denkschriften" verfasste. Reiner Anselm, Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, schildert diese Entwicklung so: "Nach dem Motto: ‚Wir raten. Du musst dir selbst eine Meinung bilden, am besten aus eigenem Antrieb, nicht weil wir es autoritär von dir verlangen.‘"4
Pädagogische Mitarbeitende beeinflussen die Sprache
Auch in den Kirchen stand man damals der Reformpädagogik sehr aufgeschlossen gegenüber - mit ihrem Segen und ihren Abgründen. Wichtig für die, sagen wir Sozialpädagogisierung der kirchlichen Sprache war auch ein stärker werdendes karitatives Interesse der Kirche. Der Einsatz für den Mitmenschen wurde nun als mindestens so wichtig verstanden wie der Kult. Das Engagement der Kirchen für die Mühseligen und Beladenen, allgemein für Randgruppen wuchs, seien es Arme, Menschen mit Behinderung oder Drogensüchtige. In den Siebzigerjahren gab es in kurzer Zeit ein Viertel mehr Mitarbeitende der Kirche im pädagogischen Bereich.
Damit aber drang verstärkt eine neue Professionsgruppe in den engeren Kreis der Kirche ein, eben zum Beispiel Pädagog(inn)en und Sozialpädagog(inn)en. Und mit ihnen deren Sprache. So wurde die kirchliche Sprache schleichend pädagogisiert oder sozialpädagogisiert - bis diese Sprachfärbung in ihr so mächtig wurde, dass sie sogar zu einem Distinktionsmerkmal, ja zu einer Eigensprache wurde.
Überhaupt hat die Kirchensprache in den vergangenen 50 Jahren viele Sprachmoden mitgemacht. Während sie in den Siebziger- und Achtzigerjahren neben dem Pädagogenduktus auch oft von einem Polit-Slang gefärbt wurde, war in den Neunzigern die Managementsprache in Mode. Derzeit ist eine Sprache der "Achtsamkeit" prägend. Man will niemandem auf die Füße treten, alles soll "auf Augenhöhe" passieren. Die Kirche trachtet immerfort danach, alle "dort abzuholen, wo sie sind". Das ist weit weg von Leben und Sprache der meisten Menschen.
So herrscht in der Kirche eine weiche, ungenaue und wolkige Sprache vor, die zudem Macht und Hierarchien sehr gerne vertuscht. Immer wieder wird betont, man wolle "authentisch" sein - würde man das so oft sagen, wenn man es wirklich wäre?
Die vorsichtige, ja ängstliche kirchliche Sprache erschwert auch den internen Dialog - nicht zuletzt, weil es in ihr schwer ist, so etwas wie Wut oder Ärger aus[1]zudrücken, ohne aus dem üblichen Sprachspiel zu fallen. Als Folge fehlt der kirchlichen Sprache ein wichtiges Instrument der Kommunikation.
Um der Harmonie willen, ein großer Wert in der Kirche, vermeidet die Kirchensprache oft, gerade intern, das klare Wort. Wer seiner Wut und seinem Ärger, und sei es aus guten Gründen, Ausdruck verleihen will, muss tendenziell in einen anderen Duktus wechseln - das aber zerstört das schonende Spiel.
Attacken oder Anwürfe sind tabu
Attacken oder Anwürfe wie: "Du bist ein Idiot!" sind fast tabu. Hier gibt es ein weiteres Problem. Denn die Sprache der Kirche will eigentlich eine persönliche Sprache sein, die niemals aus dem Herzen eine Mördergrube macht und stets ehrlich ist. Deshalb ist sie einerseits voller Ich-Aussagen, somit emotional, da sie ja Befindlichkeiten ausdrücken will. Das aber wird dann oft hinter Adjektiven, Adverbien oder Attributen wie "ein Stück weit", "gleichsam", "nicht eigentlich" oder "ein wenig" möglichst weit zurückgedrängt. So können Gefühle kaum mehr richtig wahrgenommen werden.
Eine Folge der Vorsicht, ja der Harmoniesucht der Kirche ist: Ausdrücke wie "spannend", "kostbar" und "wertvoll" unterliegen einer fast inflationären Entwertung. Wenn alles spannend, kostbar, wertvoll ist, ist es bald nichts mehr - oder es ist nicht mehr als solches erkennbar. Das schaukelt sich hoch. Das angeblich Gelungene, ja Gute wird zu einem scheinbaren Normalzustand, was wiederum zur Folge hat, dass man nach immer neuen Superlativen suchen muss.
Hinzu kommt, das muss man leider sagen, oft Feigheit: In den Kirchen gibt es die Tendenz, sich durch eine vorsichtige Sprache nicht angreifbar zu machen. Christiane Florin, Politikwissenschaftlerin und Journalistin, sagt, die Kirche sei "ein einziger großer Bestätigungszirkus". Das kirchliche Milieu sei eines, das ständig nach Lob, Anerkennung, Harmonie und Bestätigung verlange . Es werde oft so gesprochen, dass alle zustimmen können. Dazu passe der auffällig häufige Gebrauch des Wortes "dürfen", wie Christiane Florin fein beobachtet hat. Sie formuliert es mit einer Prise von wunderbarem Sarkasmus: "Danke, dass ich hier sein darf, dass ich putzen darf."5
Das führt zu einem doppelten Boden des Kirchensounds. Wer sagt: "Ich kann das gut hören", meint eher: "Ich finde das ärgerlich, aber ich ertrage das jetzt." Wer fühlt, er könne dem Gesagten eigentlich überhaupt nicht zustimmen, kann sich flüchten in die Aussage: "Ich lege jetzt mal meines daneben."
Gibt es in dieser Misere einen Ausweg? Das wäre mindestens einen anderen langen Artikel wert. Vielleicht nur dieser Hinweis: Womöglich können kirchliche Sprache und Kirche gesunden auch an dem, was sie schon haben - nämlich dann, wenn die Kirche, paradoxerweise, weniger Worte macht und auf das vertraut, was bereits ihr Schatz ist: das Schweigen, die Musik, Gesten, Rituale und Bilder. All dies ist oft genug, es bedarf keiner Erklärung, keines Wortnebels, der dies umweht. Das Handauflegen oder ein Segen erklären sich selbst.
Anmerkungen
1. Christ & Welt, Beilage der "Zeit" 40/2020 vom 23.9.2020, online unter Kurzlink: https://bit.ly/3B4qfvy
2. Feddersen, J.; Gessler, P.: Phrase unser. München: Claudius Verlag, 2020, S. 106.
3. Ebd., S. 20.
4. Ebd., S. 43.
5. Ebd., S. 69
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