Junge Menschen zeitgemäß erreichen, begleiten und fördern
Seit Beginn der Corona-Pandemie haben digitale Prozesse und Angebote auch für die Jugendsozialarbeit weiter an Bedeutung gewonnen und Fahrt aufgenommen. Die Einrichtungen und Projekte haben neue Wege der Ansprache, Begleitung und Förderung von Jugendlichen ausprobiert. Für junge Menschen am Übergang von der Schule in den Beruf bietet die digitale Transformation neue Chancen und Qualifizierungswege, denkt man etwa an Online-Beratung, Lerntools oder Assistenzsysteme, die Barrierefreiheit ermöglichen.
Digitaler Spaltung entgegenwirken
Insbesondere von digitalen Lernangeboten können jedoch nur diejenigen jungen Menschen profitieren, die über eine funktionierende digitale Infrastruktur verfügen. So haben laut JIM-Studie 20191 zwar 99 Prozent der Jugendlichen ein Smartphone, aber bei den meisten sind längst nicht die technischen Voraussetzungen für ein gutes digitales Lernen zu Hause erfüllt, angefangen bei fehlender bis unzureichender Internetverbindung, schlechter bis keiner digitalen Ausstattung mit digitalen Endgeräten wie Laptops und Druckern bis hin zu engen Räumlichkeiten und fehlender persönlicher Unterstützung, um an den Lern- und Bildungsangeboten erfolgreich teilzunehmen. Von diesen schwierigen Situationen berichten auch viele Fachkräfte aus der Jugendsozialarbeit.
Noch immer kommt auch die im Rahmen des Digitalpakts Schule vorgesehene Unterstützung nicht in ausreichender Form bei Schüler(inne)n an. Der Bildungsbericht 20202 stellt entsprechend fest: Zu einer sozialen Spaltung im Bildungssystem droht gleichzeitig eine verschärfte digitale Spaltung hinzuzukommen. Eine zentrale Forderung der Caritas3 ist deshalb, dass alle Kinder und Jugendlichen endlich Zugang zu digitalen Endgeräten, Software und Netzkapazität erhalten, um ihnen digitale Teilhabe zu verschaffen. Digitale Teilhabe soll dabei aus zwei Perspektiven verstanden werden: Die jungen Menschen sollten nicht nur Zugang zu digitalen Anwendungen und Endgeräten haben, sondern sich souverän in der digitalen Welt bewegen können, die Risiken und Chancen der digitalen Welt kennen und darüber hinaus die digitalisierte Gesellschaft mitgestalten können.
Technisch ausstatten und qualifizieren
Die unterstützenden Präsenzangebote der Jugendsozialarbeit konnten und können nach wie vor nicht ohne coronabedingte Einschränkungen angeboten werden. Die Einrichtungen waren gefordert, auf diese Herausforderungen schnell zu reagieren und ihre Angebote anzupassen. Gleichzeitig traten auch hier infrastrukturelle und konzeptionelle Defizite zutage. Die digitale Ausstattung ist oftmals nicht zeitgemäß. Fachkräfte haben selbst Qualifizierungsbedarf, um konsistente digitale Tools einzusetzen sowie Lernkonzepte zu entwickeln und Jugendlichen fundierte Medienkompetenzen zu vermitteln. So fehlt es etwa an Wissen, um Jugendliche für einen selbstbestimmten Umgang mit ihren Daten beziehungsweise in ihrer informationellen Selbstbestimmung zu fördern.
Ein Digitalpakt für die Kinder- und Jugendhilfe könnte ein Lösungsansatz für eine digitale Offensive sein, die die notwendige Infrastruktur schafft, Qualifizierung und Konzeptarbeit ermöglicht - und das Wichtigste: strukturell benachteiligte Kinder und Jugendliche nicht zurücklässt. In der Jugendsozialarbeit treten die Bedarfe vor allem in den Bereichen der Jugendberufshilfe, den Jugendwohnheimen und der schulbezogenen Arbeit zutage.
Beratungsspaziergänge und Fenstergespräche
Essenziell für die Jugendlichen in der Krise war und ist es, dass die sozialpädagogischen Fachkräfte den Kontakt zu ihnen halten. Dies zeigen auch mit Fachkräften aus der Jugendsozialarbeit geführte Interviews aus dem Frühjahr 2020.4 Denn wenn die schulische oder berufliche Perspektive junger Menschen ungewiss ist, wenig Unterstützung aus dem sozialen Umfeld vorhanden ist und zu Hause räumliche Enge herrscht, sind die sozialpädagogischen Angebote der Jugendsozialarbeit ein unentbehrlicher Anker.
Neben kreativen Lösungen wie Beratungsspaziergängen und Fenstergesprächen sind digitale Angebote ausprobiert und ausgebaut worden. Bereits verfügbare Kommunikationskanäle wie Messaging-Apps oder E-Mails sind hierfür genutzt worden. Es zeigte sich auch hierbei: Das Digitale braucht das Soziale. Der Face-to-Face-Kontakt, das Zuhören, ein aufmunterndes Wort, eine liebevolle Geste sind auch heute noch essenziell in der sozialen Arbeit und damit auch der Jugendsozialarbeit. Dies gilt umso mehr in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie, die für junge Menschen in schwierigen Lebenslagen noch stärker mit Ängsten, Unsicherheit und Einsamkeit verbunden ist.
Weiterentwicklung der Angebote
Mittlerweile nutzen Fachkräfte der Jugendsozialarbeit für ihre Beziehungsarbeit soziale Medien gezielter und setzen Videokonferenztools ein. Unterstützende und begleitende digitale Lern- und Beratungsangebote sind neu entwickelt worden. So wurden Unterricht und Prüfungsvorbereitungen auf digitale Formate umgestellt und niederschwellige Lernplattformen eingerichtet. Einige kreative Beispiele:
◆ In der Schulsozialarbeit wurden Instagram-Accounts eingerichtet, um für die Jugendlichen im Netz besser erreichbar zu sein und die Angebote der Jugendsozialarbeit sichtbar zu machen.5
◆ Im Projekt "job@venture" in Köln werden in einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (BvB) digitale Tools erprobt, etwa gezielter Einsatz von Smartphones im Unterricht, Projektarbeit in einer Cloud, Arbeit mit dem 3D-Drucker.6
◆ Mit dem Projektvorhaben "D.I.A. - Digitalisierung. Inklusion. Arbeit." wird in der Hotellerie ein System für digitale Lern- und Arbeitsmedien für Menschen mit und ohne Behinderungen entwickelt und erprobt.7
◆ In einem Stuttgarter Mädchentreff gab es während des Lockdowns einen durch Mädchen mitgestalteten wöchentlichen digitalen Newsletter mit Rezepten, Song- und Workout-Tipps, Lerntipps und verständlichen Infos über die aktuelle Corona-Lage.8
◆ Im Rahmen des Bundesprogramms "Respekt Coaches" ist in Nürnberg der Podcast "Quaranteens, lass uns (online) reden" ins Leben gerufen worden, um Jugendliche online zu erreichen. Thematisch geht es beispielweise um "Religion und Corona" oder "Corona-Demos und Verschwörungstheorien".9
Die digitalen Kommunikations-, Bildungs- und Lernangebote sind entsprechend den Bedarfslagen junger Menschen weiterzuentwickeln und auszubauen. Aber auch mit Blick auf die Ausbildung 4.0 muss die Jugendsozialarbeit Jugendlichen Kompetenzen vermitteln, die sie zur produktiven Nutzung digitaler Prozesse befähigen, wie etwa Problemlösung und Kreativität sowie fortgeschrittene Anwender- und Programmierkenntnisse.
Das Online-Lernen bietet den Vorteil, dass individuell und flexibler gelernt werden kann. Gleichzeitig fehlen der persönliche Kontakt, das Sich-aufeinander-Beziehen und das Lernen von- und miteinander. Unabhängig von der Pandemie muss die Jugendsozialarbeit an guten Konzepten für eine Mischung von Präsenz- und Online-Angeboten arbeiten, um zukunftsfähig zu bleiben.
IN VIA Deutschland erarbeitet eine verbandliche Digitalisierungsstrategie. Darin eingebettet ist ein neues Projekt, das die Potenziale der digitalen Transformation für die Jugendsozialarbeit sowie die erforderliche Strukturanpassung herausarbeitet. Im Rahmen des Projekts werden Bedarfe von Trägern, Fachkräften und Zielgruppen der Jugendsozialarbeit ermittelt, gute Konzepte verbreitet und verbandliche Handlungsstrategien entwickelt.
Anmerkungen
1. Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.): JIM-Studie. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Stuttgart, 2019, www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2019/JIM_2019.pdf
2. Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2020; www.bildungsbericht.de/static_pdfs/bildungsbericht-2020.pdf
3. Deutscher Caritasverband (Hrsg.): Caritas fordert Maßnahmen gegen ungleiche Bildungschancen; www.caritas.de/fuerprofis/presse/stellungnahmen/07-30-2020-caritas-fordert-massnahmen-gegen-ungleiche-bildungschancen
4. Vgl. Interviewreihe der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit: Wie geht es eigentlich den Jugendlichen?,
https://jugendsozialarbeit.news/ coronakrise-wie-geht-es-eigentlich-den-jugendlichenin-berufsvorbereitenden-bildungsmassnahmen.de
5. Siehe dazu beispielsweise: www.instagram.com/schulsozialarbeit_fg
6. Siehe dazu: www.invia-koeln.de/de/unsere-arbeit/kinder-und-jugendliche/berufsvorbereitung/JobAdventure.php
7. Siehe dazu: www.dia-online.de
8. Siehe dazu: www.invia-drs.de/news/zima-kommt-zu-euch-nach-hause
9. Siehe dazu: www.youtube.com/watch?v=C8gymbDwRC4
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