Inkasso-Regulierung: auf halbem Wege steckengeblieben
Mit dem Begriff Inkasso verbinden sich für die meisten Menschen eher negative Assoziationen. Vom "Moskau Inkasso" bis zur undurchschaubaren Maschinerie, die die Schuldenlast durch Kosten anschwellen lässt, reicht die Palette. Jedenfalls wird es unangenehm und teuer, wenn man es mit einem Inkassobüro zu tun bekommt. Inkassokosten und -praktiken sind ein Dauerthema in der Schuldnerberatung.
Schon immer war die Inkassowirtschaft kreativ im Erfinden von Kosten, die die ursprüngliche Forderung in die Höhe treiben. Erleichtert wurde ihr dies, weil es lange Zeit keine gesetzlichen Beschränkungen gab, keine einheitliche Rechtsprechung und keine Aufsicht. Der Versuch, die hohen Inkassokosten im Jahr 2013 erstmals gesetzlich durch Anlehnung an die Rechtsanwaltsvergütung zu begrenzen, scheiterte. Die Inkassokosten stiegen in der Folge gar, wie eine Evaluation des Gesetzes 2018 ergab.
Heutzutage treiben die meisten Unternehmen ihre offenen Forderungen nicht mehr selbst ein. Sie haben sie weitgehend an Inkassounternehmen ausgegliedert. Nur im Erfolgsfall fallen Kosten für sie an - meist geringere Beträge, als dem/der säumigen Kunden/Kundin zuvor vom Inkassounternehmen in Rechnung gestellt wurden.
Bei Forderungen bis zu einer Höhe von 500 Euro werden in der Regel 70,20 Euro an Inkassokosten verlangt, auch wenn die Ursprungsforderung deutlich darunter liegt. Zusammen mit weiteren Kosten, beispielsweise für Ratenzahlungsvereinbarungen, Titulierung, Auskünfte und "Fantasiegebühren" kann sich eine ursprünglich kleine Forderung innerhalb kurzer Zeit vervielfachen. Die Inkassokosten stehen oft in einem krassen Missverhältnis zur eigentlichen Forderung und ihrem Beitreibungsaufwand. So mancher Schuldnerberatungsfall ließe sich wohl einfacher lösen, wäre der Anteil der Inkassokosten nicht so hoch.
83 Prozent der rund 20 Millionen Forderungen, die die Inkassobranche jährlich bearbeitet, liegen im Bereich bis 500 Euro, 51 Prozent davon sogar unterhalb von 100 Euro. Es geht um ein Massengeschäft mit Milliardenumsätzen in Höhe von sechs bis acht Milliarden Euro, das rasant steigt: Im Jahr 2012 waren es noch 3,5 Milliarden Euro. Durch weit fortgeschrittene Standardisierung, Automatisierung und Digitalisierung kann es mit verhältnismäßig geringem Aufwand an Kosten und Personal betrieben werden - ein äußerst attraktiver Markt, der sich in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten zudem zunehmend konzentriert hat. Die großen Player gehören heute zu Konzernen wie der Otto Group oder der Bertelmanns-Gruppe. Sie alle operieren international, verwalten Millionen von Forderungen und sind inzwischen zu den eigentlichen Haupt-Umsatzbringern ihrer Konzernmütter avanciert.
Massengeschäft im Windschatten von Unkenntnis, Scham und Angst
Die Branche hat es seit dem Jahr 2013 verstanden, den ihr eröffneten Gebührenrahmen weitestmöglich auszunutzen und sich den Anstrich zu geben, ihre Leistungen seien mit denen von Anwält(inn)en vergleichbar. Gleichzeitig hat sie sich einer Überprüfung der Kosten durch die Justiz weitgehend entzogen. Säumige Verbraucher(innen) werden rüde angesprochen. Ihnen werden pauschal geradezu betrügerische Absichten unterstellt: Der Begriff der mangelnden Zahlungsmoral zieht sich wie ein roter Faden durch die Verlautbarungen der Inkassoverbände, strukturelle Ursachen und Auslöser werden ausgeblendet. Aus Unkenntnis, Angst und Scham zahlen Schuldner(innen) unberechtigte oder zu hohe Inkassokosten nahezu widerstandslos. Jedem Schuldnerberatenden ist die "Angstrate" ein Begriff. Sie wird meist aus dem Existenzminimum geleistet und macht kaum Sinn, weil sie nicht einmal die laufenden Zinsen abdeckt. Hauptsache, es kehrt Ruhe vor den ständigen Mahnbriefen, Telefonanrufen oder Hausbesuchen der Außendienste ein. Profitiert hat die Branche auch davon, dass die Aufsichtsgerichte kaum Befugnisse haben und durch die föderale Struktur der Justiz zudem sehr zergliedert sind.
Es muss sich etwas ändern
Angesichts der hohen Nachfragen nach Schuldnerberatung bei gleichzeitig mangelnden Kapazitäten bleibt einzelnen Berater(inne)n oft kaum die Möglichkeit, gegen diese Praktiken vorzugehen. Im Jahr 2015 gründete sich ein bundesweiter "Arbeitskreis InkassoWatch" aus Jurist(inn)en, Verbraucherschützer(inne)n und Schuldnerberater(inne)n, mit dem Ziel, gegen Auswüchse des Inkassowesens vorzugehen und in der Politik darauf hinzuwirken, den Verbraucherschutz zu erhöhen.
Es wurden Arbeitshilfen für die Beratungspraxis entwickelt, mit denen Berater(innen) unzulässige oder zu hohe Kosten besser erkennen und effektiver dagegen vorgehen konnten. Zahlreiche Fachaufsätze verhalfen dem Thema, einen Stellenwert in der juristischen Fachwelt zu erlangen. Beschwerden bei Aufsichtsbehörden, Rechtsanwaltskammern und Auftraggebern verliefen zwar oft nicht unmittelbar erfolgreich, aber es wuchsen ein kritisches Bewusstsein und Aufmerksamkeit gegenüber kostentreibenden Praktiken der Branche.
Schließlich gelang ein juristischer Durchbruch bei der Praxis, doppelte Inkassokosten zu generieren, indem Inkassounternehmen Forderungen nach kurzer Zeit an mit ihnen kooperierende Anwält(inn)e(n) weiterreichen, um zweimal Gebühren erheben zu können. Seit 2018 haben alle Mahngerichte diesen Weg verschlossen und weisen im gerichtlichen Mahnverfahren solche Kostendopplungen zurück.
Auch die Politik erkannte durch die Evaluierung der Gesetzesvorschriften, dass erheblicher Handlungsbedarf bestand. Im Koalitionsvertrag 2017 wurde vereinbart, den Verbraucherschutz im Inkassorecht auszubauen und die Inkassoaufsicht zu stärken. Im Eckpunktepapier "Schutz vor Kostenfallen" des Bundesjustizministeriums vom Frühjahr 2019 wurde auf Seite 7 angekündigt, dass "sich die den Inkassounternehmen zustehenden Beträge zukünftig nach einem engeren Rahmen richten [sollen], der deutlich unter dem heute von ihnen in Anspruch genommenen liegt."
Gesetzentwurf beseitigt Mängel nicht ausreichend
Im Frühjahr 2020 wurde daraus schließlich der Entwurf eines "Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht". Die Schuldner- und Verbraucherverbände kritisierten daran vor allem, dass die vorgesehenen Regelungen das Missverhältnis zwischen Forderungshöhen, Kosten und Aufwand nicht ausreichend beseitigten. Insbesondere eine Öffnungsklausel biete ein Einfallstor, Kosten in bisheriger Höhe einfordern zu können. Der Entwurf sei geprägt davon, Kostenreduzierungen zu kompensieren: Weiterhin mangele es an Übersichtlichkeit, Einfachheit und Klarheit. Für Verbraucher(innen) wären die Vorschriften undurchschaubar. Die Frage einer zentralen Aufsichtsbehörde wurde zudem gänzlich ausgeklammert.
Bei einer Anhörung des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz im September 2020 mahnten alle eingeladenen Sachverständigen nochmals deutlich entsprechende Nachbesserungen an. Auch über eine ministerielle Zuständigkeit für das Thema "Schuldnerberatung", an der es seit langem mangelt, wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens in Gesprächen mit den Fraktionen diskutiert.
Am 25. November 2020 verabschiedete der Bundestag schließlich das Gesetz, das - was die Inkassokosten betrifft - am 1. Oktober 2021 in Kraft treten wird. In einem zusätzlichen Entschließungsantrag wird die Bundesregierung zudem verpflichtet, bis zum Frühjahr einen Vorschlag für eine zentrale Aufsichtsbehörde beim Bundesamt für Justiz vorzulegen. Das Gesetz wird zudem nach zwei Jahren evaluiert. Am selben Tag beschloss der Haushaltsausschuss, Mittel für ein Referat "Schuldnerberatung" im BMJV in den Bundeshaushalt 2021 einzustellen.
Im vorliegenden Gesetz wurde leider nur ein Teil der Forderungen aus der Schuldnerberatung aufgegriffen. So gesehen ist es auf halber Strecke stehengeblieben. Das Bewusstsein für weiteren Änderungsbedarf wurde dennoch geschärft, was schon die kurze Evaluierungsfrist zeigt. Den Forderungen stand letztendlich wohl auch entgegen, dass die Legislaturperiode bald zu Ende geht. Dass das Thema Schuldnerberatung zukünftig mit einem eigenen Referat im BMJV angesiedelt ist, ist ein großer Erfolg und lässt hoffen, dass weitere Änderungen mit entsprechendem Sachverstand aus dem Ministerium in zwei Jahren einfacher möglich werden.
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