Caritas international – ein starkes Stück Caritas
Die Hungersnot in Russland, der Bürgerkrieg in Biafra oder das Erdbeben in Haiti: In den letzten hundert Jahren war der Deutsche Caritasverband (DCV) in unterschiedlichen Krisenregionen aktiv.1 Bis heute bildet die Not- und Katastrophenhilfe dabei einen Schwerpunkt und prägt so das Selbstverständnis der Caritas in Deutschland eindrucksvoll mit.
Dabei war der Gründungsimpuls für die Auslandshilfe zunächst nicht die Hilfe in anderen Regionen. Nach dem Ersten Weltkrieg ging es darum, Hilfsgüter für die deutsche Bevölkerung zu organisieren und weiterzuleiten. Der Startschuss für die Auslandshilfe im heutigen Sinn war im Jahr 1921 die Aktion "Brüder in Not". Die Sammlung von Hilfsgütern sollte Deutschsprachigen in Russland zugutekommen. Das Land litt nach den sowjetischen Wirtschaftsreformen unter einer erschreckenden Hungersnot. Auch wenn die Hilfsaktion 1921 nicht den heutigen Kriterien der Unparteilichkeit entsprach und sich explizit an den deutschstämmigen Teil der Bevölkerung richtete, markiert sie doch den Anfang der internationalen Arbeit.
Die Hilfe war von dem Wunsch getragen, über die Landesgrenzen hinweg mit anderen Menschen solidarisch zu sein und angesichts von Not zu helfen. Im Laufe der 100 Jahre hat sich der Bereich der Auslandshilfe immer wieder verändert und ist schließlich zu einem professionellen Hilfswerk geworden, das 1994 den Namen Caritas international bekam. Heute handelt es sich um eines der großen Werke für humanitäre Hilfe in Deutschland, es ist in 82 Ländern aktiv.
Caritative Arbeit: vernetzt und grenzüberschreitend
Der Name deutet nicht nur die Hilfe in anderen Ländern an. Er macht auch die internationale Verwobenheit der deutschen Caritas in einem Netzwerk deutlich. So wurde Caritas Internationalis, das Netzwerk nationaler Caritasorganisationen, im Jahr 1951 unter maßgeblicher Beteiligung des DCV gegründet.2 Es umfasst heute mehr als 160 Mitgliedsorganisationen und ermöglicht nicht nur die Verständigung über Grenzen hinweg, sondern auch die internationale Koordination und Kooperation angesichts von Krisen.
Mit Prälat Georg Hüssler, der von 1969 bis 1991 Präsident des DCV und zusätzlich von 1975 bis 1983 Präsident von Caritas Internationalis war und in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, verbindet sich dieser Schritt der Weiterentwicklung, caritative Arbeit als grenzüberschreitende Aufgabe zu sehen, wie mit keiner anderen Person. Auch wenn es bis zu seinem Engagement als Generalsekretär ab 1962 bereits viele Hilfsaktionen gab, wird mit ihm die Neuordnung und Etablierung der Auslandshilfe verbunden. Diese Entwicklung ist vor allem seinem persönlichen Engagement zu verdanken. So reiste er etwa im Auftrag von Caritas Internationalis während des Unabhängigkeitskrieges nach Algerien und unterstützte den Aufbau von Caritasorganisationen in dem entstehenden Staat. Er reiste aber auch nach Vietnam, wo er den damaligen Präsidenten Ho Chi Minh traf, und engagierte sich im Biafra-Konflikt.
Die Bilder und Geschichten aus Biafra in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre haben durch die Medien eine bis dahin nicht gekannte Resonanz in der Öffentlichkeit ausgelöst. Die Kriegsstrategie der Zentralregierung hatte die Menschen in der Region von der Versorgung von außen abgeschnitten. Felder konnten nicht mehr bestellt werden. Die Menschen verhungerten. Nur auf dem Luftweg konnten sie mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Die Luftbrücke der Kirchen - der "Joint Church Aid" - war eine spektakuläre ökumenische Aktion, an der sich der DCV beteiligte. Für die Organisatoren dieser Luftbrücke, zu denen Hüssler zählte, stand die Hilfe außer Zweifel. Aus ihrer Sicht war sie gebotene Humanität - Mitmenschlichkeit im christlichen Sinne.
Das Engagement des DCV in Biafra war bis dahin sicherlich die herausforderndste Hilfsaktion und die langfristig prägendste. Angesprochen von der Not in der Krisenregion setzten sich die Beteiligten bewusst über das Völkerrecht oder die Regeln der internationalen Luftfahrt hinweg. Sie brachen auch mit einigen Prinzipien der humanitären Hilfe, um Leben zu retten, und sie machten sich dadurch angreifbar: Der Vorwurf besonders vonseiten der nigerianischen Regierung in Lagos kam schnell auf: Die "Joint Church Aid" würde einseitig Partei für Biafra ergreifen und den Krieg durch die Hilfe sogar noch unnötig verlängern.
Angriffe wie diese sind immer wieder zu erleben und machen deutlich, wie wichtig die ständige Reflexion der eigenen Arbeit ist. Nicht umsonst beschäftigt sich Caritas international heute immer wieder mit vergleichbaren Fragen und erhöht damit die Sensibilität für die caritative Arbeit. Wann ist Handeln neutral? Wann wird Leid verhindert, wann ein Krieg verlängert und ungewollt neues Leid geschaffen?
Das Partnerprinzip ist prägend in der Arbeit vor Ort
War zu Beginn die Not- und Katastrophenhilfe das alleinige Feld der internationalen Hilfe, hat sich im Laufe der Zeit auch die Entwicklungshilfe in caritasspezifischen Handlungsfeldern (zum Beispiel in der Hilfe für Menschen mit Behinderung) als wichtiger Bereich der internationalen Arbeit etabliert. Dabei ist das Neutralitätsprinzip zentral. Hilfe ist nicht abhängig von Herkunft oder Glauben, sondern von der Bedürftigkeit. Dies beinhaltet die Notwendigkeit, Ungerechtigkeiten zu benennen und Strukturen gemeinsam mit den Betroffenen zu verbessern. "Caritas", heißt es dazu in den selbst formulierten Grundsätzen, "stellt sich auf die Seite der Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen, Konflikte und Naturkatastrophen und ergreift Partei für die Armen und Ausgegrenzten. Unabhängig von politischen Interessen suchen wir nach Wegen, die zu Gerechtigkeit und Frieden, Versöhnung und Dialog führen. Parteinahme für die Betroffenen bedeutet auch, auf politische Entscheidungsträger auf lokaler, nationaler wie globaler Ebene Einfluss zu nehmen. Sie soll nicht die Eigeninitiative der Betroffenen ersetzen."3 Entsprechend ist das Partnerprinzip ein prägender Teil internationaler Arbeit geworden. Die Caritas will Hilfsbedürftige in die Lage bringen, sich aus eigener Kraft eine Zukunft aufzubauen. Dafür ist die Zusammenarbeit miteinheimischen Mitarbeiter(inne)n der Caritas besonders wichtig. Sie kennen die örtlichen Gegebenheiten, sind verwurzelt mit ihrer Heimat und genießen das Vertrauen der Menschen. Sie folgen dem Prinzip, wirksame Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.
Ein Miteinander erweitert die Perspektive
Eng mit dem Partnerprinzip verbunden, ermöglicht die vernetzte Arbeit von (Caritas-)Organisationen auch Lernimpulse zwischen Inlands- und Auslandsarbeit. Gerade in den caritasspezifischen Feldern der Entwicklungshilfe sind die gleichen Anliegen prägend und ermöglichen einen Austausch zu unterschiedlichen sozialen Themen, etwa wenn es um Migration und den demografischen Wandel, Inklusion oder die sozial-ökologische Transformation geht. Die Verbindung der Arbeit in Deutschland mit der in anderen Ländern ist eine Besonderheit, die den Deutschen Caritasverband auszeichnet. Angesichts der Herausforderung des Klimawandels erweitert dieses Miteinander die Perspektive, soziale und ökologische Gerechtigkeit in einem weltweiten Kontext zu verstehen und zu bearbeiten. Gleiches gilt bei Fragen rund um Migration und Integration. So engagiert sich die deutsche Caritas nicht nur in Deutschland, wenn es darum geht, Menschen dabei zu unterstützen, ein neues Leben aufzubauen, sondern auch in Krisenregionen und auf Fluchtrouten. Dies macht politische Forderungen der Caritas nicht nur konsistenter, sondern auch realitätsnäher. Im Jubiläumsjahr der Auslandshilfe ist diese Verbindung von nationaler und internationaler Perspektive eine Chance, die die Caritas mehr noch als bisher in ihre politische Arbeit einbringen sollte. Sie hat allen Grund, den Gründungsimpuls um der Menschen willen präsent zu halten, im Bewusstsein der Geschichte und ihres Auftrags, Not wahrzunehmen und zu handeln.
Anmerkungen
1. Zur Historie siehe im Detail den Beitrag von Ole Hengelbrock in diesem Heft.
2. Eine Vorgängerorganisation gab es bereits von 1924 bis 1936.
3. www.caritas-international.de/beitraege/unsere-vision-und-unsere-leitlinien/160190
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