Wie lokale Integrationspolitik gelingt
In den vergangenen Jahren haben Diskus­sionen um Integrationspolitik und um die Folgen des Satzes "Wir schaffen das" öffentliche und politische Debatten stark geprägt. Es wird darüber gestritten, welche Schritte zu unternehmen sind, um Integration zu fördern. Dabei bleibt jedoch oft unklar, was genau unter dem Begriff "Integration" verstanden wird. Wichtig ist zu klären, wie Integration definiert werden kann, welche Akteur(inn)e(n) vor Ort besonders relevant sind und wie sie zusammenarbeiten sollten, um langfristig Integration zu erreichen.
Eine klare Definition von Integration ist eine Grundvoraussetzung für den Erfolg der erforderlichen Schritte. Dieser Beitrag versteht Integration als gleichberechtigte Teil­habe aller Menschen an einer immer viel­fältigeren Gesellschaft. Dieses Verständnis entspricht dem Konzept der Inklusion: Anstatt Menschen nach Kategorien wie Herkunft oder Geschlecht zu unterscheiden, soll gesellschaftliche Heterogenität in ihrer ganzen Bandbreite anerkannt werden. Menschen sollen in ihrer Unterschiedlichkeit gleich­berechtigt und wertschätzend miteinander leben können. Allerdings müssen Unterscheidungsmerkmale teilweise explizit berücksichtigt werden, um bestehenden Benachteiligungen entgegenzuwirken.1
Übersetzt auf die Teilhabemöglichkeiten von Migrant(inn)en heißt das, dass sie nicht nur als "Ausländer(innen)" oder "Geflüchtete", sondern in ihrer Vielfalt und jeweiligen Lebenslage als zum Beispiel Alleinerziehende, ältere Menschen oder vieles mehr wahrgenommen werden müssen. Ausgehend von ihrer Lebenssituation müssen für alle Menschen die jeweiligen Unterstützungsbedarfe identifiziert und benachteiligende Strukturen abgebaut werden.2 Dadurch können vermeintliche Grenzen zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen, also die Kon­struktion von In- und Outgroups, verringert werden.
Darüber hinaus muss Integration als permanenter Prozess verstanden werden, der die ganze Gesellschaft betrifft. Teilhabemöglichkeiten müssen immer wieder an den jeweiligen Voraussetzungen der Mitglieder einer Gesellschaft ausgerichtet und in deren Zusammenarbeit gewährleistet werden.
Öffentliche und zivile Gesellschaft spielen große Rolle
Ausgehend von diesem inklusiven Integra­tionsverständnis sind alle Mitglieder eines lokalen Gemeinwesens mit Integration betraut. Dabei fällt öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur(inn)en jedoch eine besondere Rolle zu.
Die Gemeinden haben laut Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz das Recht, "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln" und sind für die lokale Daseinsvorsorge verantwortlich. Damit sind sie für einige der Dienstleistungen zuständig, die eine gleichberechtigte Teilhabe sichern sollen. Dazu gehören beispielsweise die beschäftigungspolitische Förderung der Jobcenter oder die Kinderbetreuung. Neben den Feldern in direkter Zuständigkeit der Kommunen sind die Gemeinden in vielen Bereichen für die Umsetzung der Landespolitik zuständig, beispielsweise als Träger von Schulen, in der Gesundheitsversorgung oder bei der Gewährung sozialer Leistungen. Hierbei verfügen sie oft über erhebliche Handlungs- und Gestaltungsspielräume.3
Eine weitere zentrale Akteursgruppe der lokalen Integration ist die Zivilgesellschaft.4 Ihre Organisationen sind intern oft demokratisch organisiert und bieten Anlässe für soziale Kontakte, wechselseitiges Lernen, Austausch und Selbstwirksamkeit. Alle diese Faktoren können zum sozialen Zusammenhalt im lokalen Gemeinwesen beitragen.5 Die vorhandenen Engagementstrukturen zu fördern ist daher eine Möglichkeit, Teilhabe und demokratische Partizipation aller Mitglieder der Gesellschaft zu unterstützen.6
Integrationspolitik gelingt dann besonders gut, wenn sie auf den Stärken unterschiedlicher Akteur(inn)en aufbaut. Öffent­liche Einrichtungen - insbesondere in den Regelsystemen - haben den Vorteil, dass sie auf Dauer eingerichtet und weitgehend stabil sind. Das bedeutet aber auch, dass sie weniger flexibel auf neue Entwicklungen und ­Herausforderungen reagieren können. Die Zusammen­arbeit mit Ehrenamtlichen ermöglicht demgegenüber eine schnelle Mobilisierung zusätzlicher Unterstützung, wie sich im Sommer 2015 eindrücklich gezeigt hat. Darüber hinaus haben zivilgesellschaftliche Organisationen den Vorteil, dass sie nah an den Menschen sind, da ihre Mitarbeiter(innen) überwiegend in direktem Kontakt mit ihren jeweiligen Zielgruppen stehen. Dadurch kennen sie die Bedarfslagen unterschiedlicher Gruppen sehr genau und können ihre Aktivitäten hieran anpassen.7 Um diese Vorzüge für ein lokales Gemeinwesen nutzbar zu machen, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein.
"Wir schaffen das" - zusammen mit Ehrenamtlichen
Erstens müssen Akteur(inn)e(n) auf Augenhöhe miteinander arbeiten und die jeweiligen Stärken der anderen anerkennen. In einem solchen Klima der grundsätzlichen Anerkennung werden auch Konflikte besser bearbeitbar. Das heißt, dass öffentliche Einrichtungen auch die "Eigensinnigkeit" der Zivilgesellschaft respektieren müssen und nicht versuchen sollten, zu stark "hineinzuregieren".8
Ebenso wenig dürfen Ehrenamtliche überfordert und staatliche Aufgaben auf sie abgewälzt werden. Allerdings können zivilgesellschaftliche Organisationen in der Tradi­tion des Korporatismus (also der Beteiligung) in die Dienstleistungserstellung eingebunden werden. Im Gegenzug müssen zivilgesellschaftlich Aktive anerkennen, dass die zum Teil starr und bürokratisch wirkende Organisation der Verwaltung notwendig ist, um Rechtsstaatlichkeit und Stabilität zu garantieren.
Zweitens muss eine angemessene finanzielle Unterstützung zur Verfügung stehen. Hier ist es hilfreich, wenn öffentliche Förderprogramme Flexibilität ermöglichen, anstatt Zielgruppen und Instrumente im Einzelnen vorzugeben. Beispielsweise sollten Sprachkurse all jenen offenstehen, die einen Förderbedarf haben, unabhängig von Nationalität oder Migrationsvorgeschichte. Darüber hinaus sollten Förderlinien längerfristig angelegt sein, anstatt immer neue, kurzfristige und wenig nachhaltige Projekte anzustoßen.
Drittens müssen die Akteur(inn)e(n), die das Gemeinwesen ausmachen, miteinander vernetzt werden. Zusammenarbeit kann besonders auf kleinräumiger Ebene gut umgesetzt werden. Klare, gemeinsame Zielsetzungen können dabei helfen, unterschiedliche Organisationslogiken und -kulturen zu überbrücken.
Viertens müssen partizipative Strukturen aufgebaut werden, die alle Menschen an der Gestaltung lokaler Gemeinschaft beteiligen und dabei diejenigen einschließen, die von Marginalisierung betroffen sind. Formelle Mitspracherechte müssen durch Formate ergänzt werden, die eine wirkliche Teilhabe ermöglichen. Dazu gehören beispielsweise - bezogen auf das Merkmal der Migration - der Einbezug von Migrantenorganisationen sowie die interkulturelle Öffnung von Organisationen der Mehrheitsgesellschaft.9
Integration ist also nicht nur eine Aufgabe für die nächsten Jahre, bis "die Geflüchteten" in "die Gesellschaft" integriert sind, sondern sie muss fortwährend durch alle Mitglieder der Gesellschaft hergestellt werden. Dabei können Städte und Gemeinden auf vorhandene Strukturen und Stärken aufbauen, um kontinuierlich Teilhabe zu sichern.
Anmerkungen
1. Katzenbach, D.: Zu den Theoriefundamenten der Inklusion. Eine Einladung zum Diskurs aus der Perspektive der kritischen Theorie. In: Schnell, I. (Hrsg.): Herausforderung Inklusion. Theoriebildung und Praxis. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 2015, S. 19-39.
2. Vgl. SVR-Forschungsbereich: Wie gelingt Integration? Asylsuchende über ihre Lebenslagen und Teilhabeperspektiven in Deutschland. Eine Studie des SVR-Forschungsbereichs und der Robert Bosch Stiftung. Berlin, 2017.
3. Schammann, H.; Kühn, B.: Kommunale Flüchtlingspolitik in Deutschland. Expertise im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn, 2016.
4. Karakayali, S.; Kleist, J. O.: EFA-Studie 2. Strukturen und Motive der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit (EFA) in Deutschland. Berlin, 2016.
5. Zimmer, A.: Vereine. In: Olk, T.; Hartnuß, B. (Hrsg.): Handbuch Bürgerschaftliches Engagement. Weinheim u. a.: Beltz Juventa, 2011, S. 453-463.
6. Han-Broich, M.: Stärkung der Zivilgesellschaft in der Flüchtlingshilfe. Die Perspektive der bürgerschaftlich Engagierten. Friedrich-Ebert-Stiftung: Bonn, 2016.
7. Aumüller, J.; Daphi, P.; Biesenkamp, C.: Die Aufnahme von Flüchtlingen in den Bundesländern und Kommunen - Behördliche Praxis und zivilgesellschaftliches Engagement. Teilhabe - Vernetzung - Engagement - Integration. Stuttgart: Robert-Bosch-Stiftung, 2015.
8. Vgl. Hamann, U.; Karakayali, S.; Wallis, M.; Höfler, L. J.: Koordinationsmodelle und Herausforderungen ehrenamtlicher Flüchtlingshilfe in den Kommunen. Qualitative Studie des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migra­tionsforschung. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Berlin, 2016.
9. Groß, T.; Huth, S.; Jagusch, B.; Klein, A.; Naumann, S. (Hrsg.): Engagierte Migranten. Teilhabe in der Bürgergesellschaft. Schwalbach im Taunus: Wochenschau-Verlag, 2017.
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