Mama auf Zeit
Im Traumjob hospitieren, ein Auto Probe fahren, den Campus der Wunschuniversität besuchen: Viele Entscheidungen im Leben werden erst nach einem Test getroffen. Beim Elternsein geht das nicht – oder doch? Miriam1 hat es ausprobiert und mit Hilfe des Johanneswerk-Projekts „Begleitete Elternschaft" ein Praktikum gemacht.
Windeln, Fläschchen, Kinderwagen ... Ulrike Bock reist mit schwerem Gepäck in Recklinghausen an. Auf den ersten Blick sieht die gelernte Sozialarbeiterin aus wie eine frischgebackene Mutter, die Mühe mit den Treppen hat. Als ihr ein Anwohner zur Hilfe eilt, klemmt sie sich ihr Kind kurzerhand unter den Arm: „Das geht schon! Keine Sorge, das Baby ist nicht echt!"
Recht auf Elternschaft
Bei dem Baby handelt es sich um einen Simulator. Er wird im Projekt „Begleitete Elternschaft" eingesetzt, um Menschen mit Behinderung, die einen Kinderwunsch haben, das Elternsein zu vermitteln. „Das Thema Partnerschaft, Sexualität und Kinderwunsch von Menschen mit Behinderung wird in unserer Gesellschaft leider noch tabuisiert", erklärt Projektleiter Daniel Schuster. „Viele Menschen wahren ein traditionelles Elternbild und setzen sehr hohe Maßstäbe an. Ein Mensch mit Behinderung kann diese in ihren Augen nicht erfüllen." Menschen mit Behinderung haben aber ein Recht auf Elternschaft. Das Praktikum soll ihnen helfen, ihre Fähigkeiten und den Unterstützungsbedarf zu erkennen.
Umfangreiche Vorbereitung
Die Arbeit vor Ort übernimmt Ulrike Bock. Mit dem Babysimulator, den Klientin Miriam liebevoll „Mika" getauft hat, macht sie Hausbesuche, schult aber auch Kolleg(inn)en. Denn im Johanneswerk haben 18 Prozent der ambulant betreuten Menschen bereits ein Kind.
Vor der Praxisphase, in der die Klient(inn)en drei bis fünf Tage alleine mit dem Baby leben, gibt es eine intensive Vorbereitung. Jedes Vortreffen hat ein Thema, zum Beispiel: Wie erkenne ich die Kindsbedürfnisse? Wie verändert sich mein Tagesablauf? Wen kann ich anrufen, wenn ich Hilfe brauche? Das Projekt eignet sich auch für Paare, die bereits ein Kind erwarten. Sie trainieren allerdings nur im Beisein von Ulrike Bock. „Wir üben eher Dinge wie das Anrühren von Babynahrung oder wie man wickelt. Es soll keinesfalls eine Negativerfahrung oder Überforderungssituation entstehen, wenn die Frau bereits schwanger ist."
Oberste Regel: Die Teilnahme ist immer freiwillig und kein erhobener Zeigefinger, der beweisen soll, dass der/die Praktikant(in) einem Kind nicht gewachsen ist.
Miriam und Mika: das Mama-Praktikum
Elternpraktikantin Miriam ist 25 Jahre alt und lebt in einer Wohngemeinschaft. Ihr Kinderwunsch war mehrfach Thema mit ihrer Case-Managerin. „Ich habe manchmal von einer Geburt geträumt und mir gewünscht, mich um ein Baby kümmern zu können", erzählt sie. Einen Partner hat sie nicht, doch das spielt für das Projekt keine Rolle.
Als es endlich losging, war Miriam nervös: „Ich hatte Angst, etwas falsch zu machen." Völlig unbegründet, denn sie meistert den Alltag mit Mika sehr gut. „Ich habe sie überall hin mitgenommen, etwa zu einer Mitarbeiterfeier – das hat alles geklappt", berichtet sie mit einem Lächeln. „Die Bedürfnisse habe ich gut erkannt." Ulrike Bock bestätigt dies. Sie kann mit Hilfe eines Chips im Simulator auslesen, wie das Baby versorgt wurde. Ob es dem Baby zu kalt war oder es geschüttelt wurde – minutengenau ist alles nachvollziehbar.
Doch: Mit den verdutzten Blicken, die Ulrike Bock bei ihrer Ankunft geerntet hat, hatte Miriam während ihres Praktikums auch zu kämpfen. „Für mich war die größte Überwindung, mit Mika draußen zu sein, denn man sieht, dass sie eine Puppe ist", berichtet sie. Für solche Fälle trug sie einen Elternpass bei sich. Darin stehen außer einer kurzen Erklärung des Praktikums auch die Kontaktdaten von Ulrike Bock, so dass Neugierige sich bei ihr melden könnten.
Passgenaue Unterstützung
Elternpraktikant(inn)en wie Miriam sollen einen möglichst echten Eindruck vom Alltag mit Kind bekommen, Sicherheit im Umgang damit entwickeln und gestärkt aus dem Praktikum gehen. „Am Ende ist ein wichtiger Punkt, dass eine Entscheidung für ein Kind in den meisten Fällen auch eine Entscheidung für engmaschigere Betreuung bedeutet", hebt Ulrike Bock hervor. Aus dem ermittelten Unterstützungsbedarf sollen Leistungsangebote für den ambulanten Bereich aufgebaut werden. Damit das gut gelingt, hofft die Projektgruppe auf eine Verlängerung der Förderung durch die Aktion Mensch bis Ende 2021.
Miriam hat ihre Entscheidung zunächst getroffen: „Gerade kann ich mir ein Kind nicht vorstellen, aber irgendwann würde ich es gerne noch mal mit Mika ausprobieren und schauen, wie es sich dann anfühlt."
Anmerkung
1. Nachname auf Wunsch nicht genannt.
Sozialpädagogik statt Haft
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