Junge, suizidgefährdete Männer über Youtube erreichen
Für junge Menschen mit Suizidgedanken bietet das Online-Angebot "[U25] - Online-Suizidprävention" des Deutschen Caritasverbandes und des Arbeitskreises Leben Freiburg seit 2002 eine niedrigschwellige und anonyme Beratung an. Das Besondere daran ist, dass der Kontakt nicht mit professionellen, älteren Fachpersonen stattfindet. Stattdessen stehen deutschlandweit an zehn Standorten über 200 speziell ausgebildete Ehrenamtliche im Alter zwischen 16 und 25 Jahren bereit, die - unter ständiger Anleitung durch hauptamtliche Sozialarbeiter(innen) - beraten (siehe neue caritas Heft 3/2014).
Seit Herbst 2017 ist das Beratungsangebot von zehn bundesweiten Standorten1 aus aktiv. Damit konnte die Zahl der Berater(innen) seit 2015 auf nunmehr über 200 verdoppelt werden. Dies war notwendig geworden, da die Online-Beratung aufgrund der großen Nachfrage zeitweise wochenlang keine neuen Ratsuchenden mehr aufnehmen konnte. Insgesamt wurden 2017 rund 1200 junge Menschen beraten. Obwohl es nun weit mehr Berater(innen) gibt, ist auch derzeit eine Neuanmeldung häufig nicht möglich. Eine aktuelle Analyse der Verfügbarkeit der [U25]-Beratung ergab, dass nur in 40 Prozent des untersuchten Zeitraums die Anmeldung zur Beratung möglich war - in der übrigen Zeit musste auf eine Warteliste oder andere Hilfsangebote verwiesen werden.2
Das Angebot noch mehr auszuweiten steht dennoch aktuell nicht zur Diskussion, da zuvorderst die bestehenden Standorte mit einer langfristig gesicherten Finanzierung ausgestattet werden müssen. Dies ist - trotz der anhaltend hohen Nachfrage - bislang nicht geschehen und führte zuletzt gar zur temporären Schließung eines Beratungsstandortes.3
Gesellschaftliches Tabu als größte Hürde
Während sich die tägliche Beratungsarbeit bei [U25] an Jugendliche richtet, die sich bereits in einer suizidalen Krise befinden, möchte [U25] ebenfalls dazu beitragen, dass Betroffene noch viel frühzeitiger Hilfe suchen - am besten lange bevor sich akute Suizidgedanken bilden. Die größte Hürde stellt hier in den meisten Fällen das gesellschaftliche Tabu um psychische Erkrankungen und Suizidalität dar, das viele Betroffene davon abhält, von ihrer Problemlage zu berichten und den Schritt in ein Hilfsangebot zu gehen. Vielfach besteht der Eindruck, allen anderen gehe es gut und man sei die einzige betroffene Person. Dies steht im deutlichen Kontrast zu den tatsächlichen Häufigkeiten von Suizidalität und psychischen Erkrankungen: So nehmen sich jedes Jahr in Deutschland rund 10.000 Menschen das Leben (zum Vergleich: rund 3500 Verkehrstote). Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe berichtet zudem, dass im Laufe des Lebens jede vierte Frau und jeder achte Mann von einer Depression betroffen ist.
Um dem gesellschaftlichen Tabu rund um Suizidalität und psychische Erkrankungen entgegenzuwirken, konzipieren die Akteur(inn)en der Online-Beratung [U25] seit einigen Jahren regelmäßig öffentlichkeitswirksame Aktionen, traditionell am Welttag der Suizidprävention (10. September) in Berlin. In den Jahren 2013 bis 2015 fand aus diesem Anlass jeweils die Flashmob-Aktion "600 Leben" vor dem Brandenburger Tor statt. Dabei legten sich mehrere Hundert Menschen auf den Boden und symbolisierten jene rund 600 jungen Menschen bis 25 Jahre, die sich jährlich in Deutschland das Leben nehmen. Die Aktion im Jahr 2015 fand dabei unter Anwesenheit von rund 50 der bundesweiten [U25]-Berater(innen) sowie des damaligen Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe statt. Sie mündete in die nachdrückliche Forderung an die Politik, Aufklärungs- und Präventionsaktivitäten im Bereich der Suizidprävention deutlich zu stärken.
Anlässlich des Welttages der Suizidprävention 2016 wurde durch den Caritasverband Berlin die Kampagne "Ein Gespräch kann Leben retten" initiiert. Mit berlinweiten Plakaten, Werbevideos und Flyern wurde darauf aufmerksam gemacht, dass oftmals ein einfaches Nachfragen der erste Schritt dazu sein kann, einer suizidalen Krise entgegenzuwirken.
Im Jahr 2017 waren die Berater(innen) von [U25] erneut nach Berlin geladen - rund die Hälfte der jungen Ehrenamtlichen folgte dem Aufruf. Die zum Welttag der Suizidprävention konzipierte Aktion hieß "Die 10.080-Challenge". Ziel war es, über die sozialen Medien so viele Botschaften an Menschen in Krisen zu sammeln, wie sich im Jahr 2015 Menschen das Leben genommen hatten. Bereits einige Wochen im Vorfeld wurde damit begonnen, Menschen in den sozialen Netzwerken und im realen Leben dazu zu ermuntern, unter dem Hashtag "#dubistmirwichtig" eine entsprechende Botschaft an Menschen in Krisen zu veröffentlichen. Am Aktionstag zogen die nach Berlin gereisten ehrenamtlichen Berater(innen) durch die Hauptstadt und baten Passant(inn)en um ihre persönliche Nachricht an Menschen in suizidalen Krisen. Auf diese Weise konnten über 3000 Botschaften gesammelt und via soziale Medien verbreitet werden. Die Zielmarke von 10.080 Beiträgen wurde damit deutlich verfehlt - eine Fortsetzung der Aktion ist allerdings vorgesehen.
Nur wenige junge Männer nutzen Hilfsangebote
Im Jahr 2018 ist anlässlich des Welttags der Suizidprävention eine Kampagne vorgesehen, die sich insbesondere an junge Männer mit Suizidgedanken richtet. Die Notwendigkeit eines derartigen Fokus erschließt sich bei einem Blick in die Statistik: Junge Männer begehen dreimal so häufig Suizid wie junge Frauen - stellen aber unter den Nutzer(inne)n von Hilfsangeboten mit nur rund einem Viertel eine Minderheit dar. Dies ist auch bei der Online-Beratung [U25] der Fall. Die diesjährige Kampagne möchte daher insbesondere junge Männer dazu ermutigen, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Ein Schwerpunkt des Vorhabens besteht darin, sogenannte "Online-Gamer" miteinzubeziehen. Gerade auf Plattformen wie Youtube erreichen sie eine große Zahl junger Männer und sind daher in der Lage, entsprechende Inhalte zielgerichtet zu platzieren. Es besteht daher die Hoffnung, mit dieser Aktion mehr junge Männer mit Suizidgedanken anzusprechen.
Anmerkungen
1. Berlin, Biberach bei Ulm, Dortmund, Dresden, Emsland, Freiburg, Gelsenkirchen, Hamburg, Nürnberg, Paderborn - alle Standorte beraten bundesweit, fungieren aber als fixer Anlaufpunkt für die Berater(innen).
2. Stündliche, lückenlose Erhebung der Beratungsverfügbarkeit. Untersuchungszeitraum: 9. April bis 4. Juni 2018.
3. Die Schließung von [U25] Dresden erfolgte zum 30. April 2018. Bereits angemeldete Ratsuchende werden weiterhin beraten. Eine Wiedereröffnung ist bei Vorliegen einer entsprechenden Finanzierung vorgesehen.
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