Selbst entscheiden, wie oft man duschen möchte
Mehr Selbstbestimmung durch Wahlmöglichkeiten für die Bewohner(innen) und eine umfassende Transparenz bei der Leistungserbringung sind das Ziel des Modellprojekts "Ambulantisierung der Hausgemeinschaften". Umgesetzt wird es seit einem Jahr in Wyhl am Kaiserstuhl.
Das Konzept der ambulanten Hausgemeinschaft des Altenhilfeträgers BeneVit knüpft an dem der stationären Hausgemeinschaften an. Hier wird der Tagesablauf für 14 pflegebedürftige Menschen einer Hausgemeinschaft durch Präsenzkräfte gestaltet. Sie übernehmen alle hauswirtschaftlichen Tätigkeiten in der Hausgemeinschaft wie Kochen oder Wäschewaschen und einzelne grundpflegerische Aufgaben. Jede Hausgemeinschaft ist wie eine Wohnung gestaltet und hat neben den Bewohnerzimmern eine offene Küche sowie einen Wohn- und Essraum mit Kaminofen. Die Bewohner(innen) werden in die Gestaltung des Alltags weitgehend eingebunden und können so einen ausgefüllten Tag erleben. Wer daran interessiert ist, kann im Haushalt beim Tischdecken mithelfen oder auch nur die Präsenzkraft beim Kochen beobachten und den Duft des Essens genießen.
Das Organisationskonzept der ambulanten Hausgemeinschaften unterscheidet Grund- und Wahlleistungen. Die Grundversorgung umfasst neben dem Wohnen in der Hausgemeinschaft die Speisenversorgung, die Reinigung der Allgemeinflächen, Gruppenbetreuung sowie in begrenztem Umfang grundpflegerische und behandlungspflegerische Leistungen wie etwa das Medikamentenmanagement. Die Grundleistungen werden überwiegend durch Präsenzkräfte der Hausgemeinschaften sowie durch die in der Einrichtung durchgängig anwesende Pflegefachkraft erbracht. Darüber hinaus koordinieren die Pflegefachkräfte im Rahmen der Grundversorgung die Leistungserbringung und leiten Angehörige an, die selbst Wahlleistungen erbringen können.
Angehörige können Wahlleistungen übernehmen
Bei den Wahlleistungen handelt es sich vorrangig um individuelle Leistungen für den pflegebedürftigen Menschen (Körperpflege, Wäscheversorgung des Betroffenen). Er/Sie kann diese auswählen und vom ambulanten Pflegedienst von BeneVit, von einem anderen Dienst oder von den Angehörigen selbst erbringen lassen. Die ambulante Hausgemeinschaft ermöglicht somit Selbstbestimmung bei den individuellen für den Bewohner zu erbringenden Leistungen. Der Bewohner kann selbst entscheiden, wer in welchem Umfang die Leistung erbringt; ob beispielsweise das Zimmer von einem Angehörigen gereinigt wird, wie häufig er duschen möchte und/oder ob ein Pflegedienst seiner Wahl das wöchentliche Duschen übernimmt.
In der ambulanten Hausgemeinschaft können bei den Wahlleistungen auch Angehörige mitreden und entscheiden. Sie können selbst Leistungen übernehmen und damit Kosten reduzieren beziehungsweise im Einzelfall sogar Pflegegeld erhalten. Für Angehörige werden dadurch die Zusammenhänge zwischen Leistung und Kosten transparenter.
Die Grundleistungen und das Wohnen werden jeweils über eine Pauschale finanziert, die für alle Bewohner(innen) - unabhängig vom jeweiligen Pflegegrad - gleich hoch ist. Zur Finanzierung der Grundpauschale werden im Rahmen des Modellprojekts ein anteiliger Sachleistungsanspruch nach § 36 SGB XI, der Wohngruppenzuschlag nach § 38?a SGB XI, ein anteiliger Zuschlag nach § 87?b SGB XI sowie eine SGB-V-Pauschale herangezogen.
Zu den vom Bewohner gewünschten und geforderten Wahlleistungen wird ein individuelles Angebot auf der Grundlage eines mit den Leistungsträgern vereinbarten Stundensatzes erstellt. Die Wahlleistungen werden über den verbleibenden Leistungsanspruch des Bewohners nach SGB XI, zusätzlich verordnete behandlungspflegerische Leistungen nach SGB V sowie gegebenenfalls durch Eigenanteile des Betroffenen finanziert.
Ambulant und stationär nicht mehr getrennt
Das Konzept der ambulanten Hausgemeinschaften stellt eine Mischform zwischen einer ambulanten und stationären Einrichtung dar und löst die starre Trennung der Sektoren ambulant und stationär auf. Heimrechtlich handelt es sich bei der Modelleinrichtung in Baden-Württemberg nach § 3 Gesetz für unterstützende Wohnformen, Teilhabe und Pflege (WTPG) um eine stationäre Einrichtung. Für die Umsetzung des Modells waren Ausnahmeregelungen zum Personalkonzept vonseiten der Heimaufsichtsbehörde notwendig, zum Beispiel bezüglich der Fachkraftquote.
Leistungsrechtlich enthält das Finanzierungskonzept wie beschrieben stationäre und ambulante Elemente. Sowohl zur Finanzierung der Grundleistungen wie auch der Wahlleistungen werden Leistungen nach SGB V als auch SGB XI herangezogen.
Das Projekt wird vom GKV-Spitzenverband im Rahmen des bundesweiten Modellprogramms zur Weiterentwicklung neuer Wohnformen nach § 45?f. SGB XI gefördert und über die gesamte Laufzeit (2016 bis 2018) von der Unternehmensberatung aku GmbH fachlich begleitet. Dazu wurde auch ein Projektbeirat gebildet, in dem neben dem Sozialministerium Baden-Württemberg und der AOK Baden-Württemberg der Landkreis Emmendingen, die Gemeinde Wyhl, der Gemeindetag Baden-Württemberg, die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft, der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste und der Bundestagsabgeordnete Peter Weiß (CDU) mitwirken.
An dem durch die Prognos AG und das Kuratorium Deutsche Altershilfe wissenschaftlich begleiteten Modellprogramm nehmen insgesamt 38 Projekte teil.
Durchweg positive Rückmeldungen
Haus Rheinaue, die beschriebene Modelleinrichtung in Wyhl mit insgesamt 56 Plätzen, wurde am 26. Mai 2016 eröffnet. Sie gliedert sich in vier Hausgemeinschaften mit jeweils 14 Plätzen. Die ersten Rückmeldungen vonseiten der Angehörigen sind durchweg positiv. Mehr als die Hälfte der Angehörigen der aktuell 55 Bewohner(inne)n nehmen die Möglichkeit wahr, selbst Wahlleistungen, wie zum Beispiel Zimmerreinigung, Wäscheversorgung oder Körperpflege, zu erbringen. Sie sind dadurch weiter in die Versorgung ihres pflegebedürftigen Angehörigen involviert und können Verantwortung wahrnehmen sowie den zu zahlenden Eigenanteil reduzieren.
Der intensive Austausch mit den Angehörigen schafft mehr Transparenz. Die Leistungen werden dadurch auch stärker an den individuellen Wünschen der Bewohner(innen) ausgerichtet. Das Modell, das die Aspekte Sicherheit und Selbstbestimmung einer stationären und ambulanten Versorgung verknüpft und seinen Bewohner(innen) mehr Flexibilität bei der Auswahl an Hilfe- und Pflegeleistungen ermöglicht, kann einen Beitrag zu mehr Lebensqualität für die Betroffenen leisten. Für stationäre Pflegeeinrichtungen bietet es die Chance zur Weiterentwicklung und die Abkehr von den durch das Heim- und Leistungsrecht vorgegebenen starren Strukturen.
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