Im leidgeprüften Pufferstaat
Eine Reise des jordanischen Königs Hussein 1967 zu Papst Paul VI. nach Rom war der Auftakt zur Gründung einer eigenen nationalen Caritasorganisation in Jordanien. Was war geschehen, dass ein arabischer Herrscher im Vatikan darum bittet, in seinem Land eine katholische Hilfsorganisation aufbauen zu dürfen? Es war der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967, in dem Israel die Golanhöhen, die Sinai-Halbinsel, Gaza sowie das Westjordanland besetzt hatte. Rund 500.000 Palästinenser, darunter auch viele Christen, flohen über den Jordan ins transjordanische Königreich, zu welchem das Westjordanland nach Annexion offiziell seit 1950 gehört hatte. Für viele Palästinenser war es bereits die zweite Vertreibung nach der Gründung des Staates Israel 1948. Und nun hausten sie in Transjordanien in Flüchtlingscamps in der Wüste. Auch die Gründung der Caritas Ägypten und der Caritas Jerusalem datieren ins Jahr 1967 - ebenfalls als Antwort auf die israelische Besetzung der Gebiete.
Nahrungsmittel, Kleidung, Zelte und Medikamente verteilte damals die Caritas Jordanien, herangeschafft mit der Unterstützung von Caritas Internationalis in Rom und einigen nationalen Caritasorganisationen - so auch dem Deutschen Caritasverband (DCV) und der Caritas Schweiz. Schon 1968 wurde die Caritas Jordanien vom jordanischen Sozial- und Arbeitsministerium offiziell als Nichtregierungsorganisation anerkannt. Der Weg zur Gründung von Rehabilitationszentren für die Flüchtlinge war damit frei. Geholfen wurde schon damals allen Bedürftigen unabhängig von Glauben, Hautfarbe oder Herkunft.
In den Rehabilitationszentren der Caritas in Amman und Salt erhielten 800 Schüler(innen) täglich eine warme Mahlzeit. Bereits 1968 wurden so monatlich über 20.000 Schüleressen ausgegeben. Für 3500 Babys und Kleinkinder wurde Milch verteilt. Um aus der Lagertristesse herauszukommen, gab es für die Schüler(innen) im Sommer Feriencamps. In Amman wurden zwei medizinische Zentren eröffnet, die 1968 monatlich über 3000 Patient(innen) behandelten. Mit der Unterstützung des DCV eröffneten landesweit elf Zentren, in denen Flüchtlingsfrauen und -mädchen Handarbeiten erlernen konnten. In Dankesbriefen bestätigte seinerzeit der Sozial- und Arbeitsminister die hilfreiche Rolle der Caritas bei der Entwicklung der jordanischen Gesellschaft. Caritas-Generalsekretär Elie Mamary, ein Jesuit, erhielt 1970 den jordanischen Staatsorden.
Jahrzehnte hoher Migration
Zehn Jahre später stand nicht mehr die reine Nothilfe im Mittelpunkt der Arbeit von Caritas Jordanien. Mittlerweile waren die Bildungs- und Gesundheitszentren ausgebaut worden: Die fünf über das Land verteilten Gesundheitszentren behandelten 1977 rund 50.300 Patienten (1986 bereits 80.000 Patient(inn)en). 1978 wurden erste Angebote für körper-, geistes- und sinnesbehinderte Menschen entwickelt.
Anfang der 1970er Jahre arbeiteten rund 500.000 Jordanier in den Golfstaaten. Infolge der Ölkrise der 70er Jahre und während des iranisch-irakischen Krieges kehrten viele zurück, und die steigende Arbeitslosenquote wurde für den Staat eine Bedrohung. Weiteren Druck brachte der Bürgerkrieg im Libanon von 1975 bis 1990. Die Caritasarbeit wurde Mitte der 1980er Jahre erweitert um die Betreuung von Haushaltshilfen aus den Philippinen und Sri Lanka. Die Einhaltung von Menschenrechten war dabei ein wichtiger Aspekt.
Im Jahr 1987 bringt die erste Intifada im Westjordanland neue Flüchtlinge. Zwar erhielten 1988
sehr viele palästinensische Flüchtlinge die jordanische Staatsangehörigkeit - doch das Flüchtlings- und Wanderungsthema wurde Jordanien nicht los: Mit dem ersten und dem zweiten Golfkrieg 1991 und 2003 kehrten viele Jordanier heim. Der Sturz Saddam Husseins und der folgende irakische Bürgerkrieg sowie der Einmarsch des amerikanischen Militärs im Irak brachten dem jordanischen Königreich seit 2003 rund eine Million Flüchtlinge. Aktuell liegt die Zahl der registrierten irakischen Flüchtlinge bei 131.000. Seit Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien sind geschätzt 1,3 Millionen Syrer nach Jordanien geflüchtet - offiziell registriert sind 655.000 syrische Flüchtlinge (April 2017).
Politik der offenen Tür
Auch wenn Jordanien die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 nicht unterzeichnet hat, betreibt es seit Jahrzehnten eine Politik der offenen Tür. Allerdings schließt es immer wieder die Grenzen - jedoch weniger, um Flüchtlinge abzuhalten, als vielmehr, um sich selbst vor Terror zu schützen. Von den etwa
3,5 Millionen Flüchtlingen leben derzeit nicht einmal 20 Prozent in Lagern. Sie haben generell das Recht, sich überall in Jordanien niederzulassen. Eine Arbeitserlaubnis zu erwerben ist für Flüchtlinge jedoch sehr schwierig, daher hat sich ein Schattenarbeitsmarkt entwickelt.
Jedes syrische Kind hat seit 2016 das Recht auf einen Schulplatz, aber die Schulen sind trotz Zweischichtbetrieb mit der schieren Menge überfordert. 90.000 Flüchtlingskinder gehen derzeit nicht zur Schule, nicht zuletzt auch, weil ihre Eltern kein Geld für Bus, Bücher und Schuluniform haben. Der Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung steht Geflüchteten nicht zu. Am schlechtesten gestellt sind die irakischen Flüchtlinge, für die es keine vergleichbaren Hilfen aufgrund von UN-Konventionen gibt wie für die syrischen.
Die Versorgung aller Hilfebedürftigen ist für den jordanischen Staat eine enorme Herausforderung. Die internationale Gemeinschaft trägt derzeit nicht einmal die Hälfte der zu schulternden Kosten. Mieten und Preise steigen ständig, während die Löhne aufgrund des Überangebots an Arbeitskräften sinken. Dies trifft auch die Jordanier: Ihre Arbeitslosenquote beträgt derzeit 15 Prozent. Ebenfalls 15 Prozent der Jordanier(innen) leben unter der Armutsgrenze - bei den Flüchtlingen sind dies allerdings 86 Prozent.
Im 50. Jahr ihres Bestehens ist Caritas Jordanien die größte Nichtregierungsorganisation im Land: mit 362 Festangestellten und 2000 Freiwilligen, die in zehn Caritas-Zentren arbeiten und mit all ihren Maßnahmen 2016 (s. Abb. 1) rund 275.500 Personen oder Familien erreicht haben. Darunter sind 19 Prozent Jordanier(innen), 67 Prozent Syrer(innen) und 13 Prozent Iraker(innen).
Beispielhafte Datenerfassung
Caritas Jordanien registriert alle Hilfeempfänger(innen) mittels eines zentralen Datenerfassungssystems. Mehrfachregistrierungen sind damit ausgeschlossen; mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) werden die Daten abgeglichen. Allein 2015 wurden bei der Caritas 19.073 Familien und 82.327 Einzelpersonen erfasst. Im Jahr 2016 waren es allein aus Syrien 14.508 Familien und 57.376 Einzelpersonen. Die Akquise internationaler Finanzhilfen ist für den Staat und die Caritas dominierende Herausforderung. Die Caritas berät die Regierung bei der Erstellung des nationalen Bedarfsplans. Der DCV hat seit 2011 mit 4,98 Millionen Euro Nothilfe und Grundversorgung finanziert sowie mit 5,59 Millionen Euro Nahrungsmittelhilfen. Aktuell finanziert der DCV mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes mit 6,98 Millionen Euro ein dreijähriges Projekt zur Deckung der Grundbedürfnisse. Die Verteilung von Hilfsgütern wurde mittlerweile durch die Verteilung von Gutscheinen (6 x 60 Jordanische Dinar im Jahr) und Bankkarten (derzeit 6 x 150 Jordanische Dinar im Jahr) ersetzt.
Vor-Ort-Programme sind nötig
Hunderte Freiwillige helfen bei der Registrierung der Flüchtlinge mittels eines umfangreichen Fragebogens. Dieser ermöglicht dann einen auf den Bedarf abgestimmten Hilfeplan. Um Neid und Konflikte zu vermeiden, müssen alle internationalen Hilfeprogramme neben den Flüchtlingen auch 30 Prozent der vulnerablen jordanischen Bevölkerungsgruppen erreichen. Diese werden der Caritas vom Sozialministerium vorgeschlagen.
Das jordanische Königreich sowie die jordanische Caritas haben über die Jahrzehnte gelernt, mit großen Zahlen an Flüchtlingen und Zuwanderern zurechtzukommen. Aber nach 50 Jahren andauernder Flüchtlingshilfe sind auch deutliche Ermüdungszeichen zu erkennen. Sollte es Ziel sein, die Flüchtlinge in ihrer Herkunftsregion zu halten, so brauche es eine Art "Marshallplan", meint Caritasdirektor Wael Suleiman. Seiner Ansicht nach ist es wichtig, dass die Flüchtlinge im Nahen Osten verbleiben. Hier sprechen sie alle eine gemeinsame Sprache, kennen die Mentalität der Menschen und haben Verwandte. Wael Suleiman macht sich auch Sorgen, dass ansonsten langfristig keine Christen mehr in der Region leben werden, was nicht das Ziel sein dürfe.
In der Einschätzung, was das Land und die Region an Wanderungsbewegungen noch verkraften können, ist der ehemalige Parlamentsabgeordnete und Journalist Jamil Nimri vorsichtiger. Die Kapazitätsgrenzen seien längst erreicht. Aber auch er sieht die Vereinten Nationen und die Geberländer mehr in der Verantwortung, den aufnehmenden Nachbarstaaten besser unter die Arme zu greifen. Es müssten ganz neue Jobs geschaffen werden, um den Neid der Jordanier auf die Hilfen für die Flüchtlinge in den Griff zu bekommen. Dass die soziale und die politische Stabilität des Landes wegbrechen könnten, mache ihm große Sorgen. Einen wichtigen Schritt zur Stabilisierung sieht er darin, im Westjordanland keine neuen jüdischen Siedlungen zuzulassen. Diese würden zu weiteren Radikalisierungen und Terror sowie noch mehr Flüchtlingen führen.
Fazit: Ohne Frieden keine Visionen
Gibt es eine Vision nach 50 Jahren Arbeit bei der Caritas in Jordanien? "Dazu bräuchten wir Frieden in der Region, in der so ziemlich jeder gegen jeden kämpft", glaubt Wael Suleiman. "Dann können wir daran gehen, die Caritasarbeit anders auszurichten oder sie einfach zu beenden, weil es keine Caritas mehr braucht." Doch der Friede kann seiner Ansicht nach nicht von außen herangetragen werden, er müsse in der Region entstehen, um überhaupt eine Chance zu haben. Darauf wird man im leidgeprüften Pufferstaat und Königreich Jordanien wohl weiterhin warten müssen.
Mehr Infos zur Caritasarbeit in Jordanien unter: http://caritasjordan.org.jo sowie unter www.caritas-international.de, Suchbegriff "Jordanien Caritas".
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