Wer Kinder erzieht, darf im Alter keine Einbußen haben
Es zeichnet sich ab, dass die Rente ein zentrales Thema des Bundestagswahlkampfs im Jahr 2017 werden wird. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, eines sinkenden Rentenniveaus sowie steigender Beitragssätze kreisen die Rentendebatten um die Kernfrage, wie eine hinreichende Altersvorsorge auch in Zukunft gesichert werden kann, ohne zukünftige Generationen zu stark zu belasten. Verschiedene Reformen, wie die Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters oder der Ausbau der ergänzenden privaten und betrieblichen Vorsorge, wurden in den vergangenen Jahren bereits auf den Weg gebracht, um das sinkende gesetzliche Rentenniveau abzufedern. Angesichts des demografischen Wandels berücksichtigt seit 2004 der Nachhaltigkeitsfaktor bei der Rentenanpassung das zahlenmäßige Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern. Dahinter steht das politische Ziel der nachhaltigen Finanzierung sowie der Generationengerechtigkeit. In der Rentendebatte sollte jedoch neben der Gerechtigkeit zwischen Generationen auch die innerhalb von Generationen stärker in den Blick genommen werden, denn Familien sind in der gesetzlichen Rentenversicherung benachteiligt.
Konstruktionsfehler im System
Dies liegt an einem Konstruktionsfehler in unserem gesetzlichen Rentenversicherungssystem. Mit Bezug auf das Konrad Adenauer zugesprochene Zitat "Kinder bekommen die Leute immer" wurde unser gesetzliches Rentensystem mit der Rentenreform 1957 als "Zweigenerationenvertrag" ausgestaltet. Dieser sieht nach dem Grundprinzip des Umlageverfahrens vor, dass die Renten der Älteren durch die Beiträge der jüngeren erwerbstätigen Generation finanziert werden. Dabei wurde nicht berücksichtigt, dass Eltern den Generationenvertrag gleich doppelt erfüllen: Zum einen zahlen sie selbst in die Rentenversicherung ein und finanzieren so die Leistungen für die heutigen Rentner. Zum anderen erbringen sie mit der Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder einen "generativen Beitrag" und somit eine entscheidende Vorleistung für die Stabilität des Systems. In späteren Jahren werden die Kinder sowohl die Altersrenten ihrer Eltern als auch die der kinderlos gebliebenen Personen bezahlen, denn viele Leute bekommen keine Kinder mehr. Hier irrte Adenauer. Somit kommen die Erträge, die sich für das umlagefinanzierte Rentenversicherungssystem aus der Investition in Kinder ergeben, nicht nur den "Investoren", also den Familien, zugute, sondern der gesamten späteren Rentnergeneration und damit zu einem großen Teil auch Rentnern, die keine Kinder aufgezogen haben.
In der Ausgestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung wird der generative Beitrag von Familien lediglich über die Erziehungszeiten in gewissem Umfang anerkannt. Wissenschaftliche Untersuchungen weisen jedoch nach, dass die Leistung von Familien den in der gesetzlichen Rentenversicherung vorgesehenen Ausgleich in Form der Anrechnung von Erziehungszeiten bei weitem übersteigt.1 Somit sind Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung benachteiligt.
Kinder als Armutsrisiko?!
Häufig stellt sich die hinreichende Altersvorsorge angesichts von Erwerbsunterbrechungs- und -reduzierungszeiten für die Betreuung von Kindern jedoch gerade für Eltern besonders schwierig dar. In besonderem Maße betrifft dies zwei Familienformen: Alleinerziehende und Mehrkindfamilien. Alleinerziehende sind in ihren Erwerbsmöglichkeiten durch die alleinige Verantwortung für die Kinderbetreuung häufig besonders stark eingeschränkt, insbesondere bei der Erwerbstätigkeit in den ersten Jahren. Auch bei Mehrkindfamilien liegen die Erwerbstätigenquoten deutlich niedriger und der Erwerbsumfang wird zugunsten der Kindererziehung verhältnismäßig stark und über einen längeren Zeitraum reduziert. In der Folge weisen sowohl Alleinerziehende als auch Mehrkindfamilien bereits in Zeiten der Kindererziehung gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen ein stark erhöhtes Ar- mutsrisiko auf.2 Dieses setzt sich - nicht nur bei diesen besonders armutsgefährdeten Familien - auch im Alter fort.
Die Genderperspektive
Aber auch unabhängig von der Familienform reduzieren immer noch überwiegend Frauen ihre Erwerbstätigkeit für die Erziehung von Kindern, wodurch ihre Renten häufig niedriger ausfallen als die von Männern, aber auch von Frauen ohne Betreuungspflichten. Dieser Zusammenhang wird durch die Diskrepanz des "Gender Pension Gaps" für Frauen mit und ohne Kinder aufgezeigt. Der "Gender Pension Gap" zeigt das Verhältnis der durchschnittlichen eigenen Alterssicherungseinkommen von Frauen gegenüber denen von Männern auf. In den alten Bundesländern beträgt der "Gender Pension Gap" für verheiratete Frauen ohne Kinder 51,6 Prozent, für verheiratete Frauen mit Kindern 69,6 Prozent.3,4
Von der Rechtsprechung wiederholt beanstandet
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde die Situation von Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung wiederholt beanstandet. So sah es das Gericht als Mangel des "Generationenvertrages" an, wenn das durch die Kindererziehung bedingte Ausscheiden aus dem Erwerbsleben mit Einbußen bei der späteren Rente bezahlt wird.5 Zudem weisen die obersten Gerichte wiederholt darauf hin, dass der generative Beitrag von Eltern durch die Erziehung von Kindern für den Bestand einer umlagefinanzierten Sozialversicherung konstitutiv ist und diese Leistung auf der Beitrags- oder auf der Leistungsseite Berücksichtigung finden muss. Jedoch habe der Gesetzgeber einen breiten Gestaltungsfreiraum, mit welchen Maßnahmen er seiner Pflicht zur Förderung von Familien aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz nachkommt.
Mehrere Reformoptionen
Eine angemessenere Würdigung des generativen Beitrags in der gesetzlichen Rentenversicherung kann über verschiedene Reformkonzepte erfolgen. Diese werden in der Wissenschaft seit Jahren eingehend diskutiert. Zum einen kann durch Einführung von Kinderfreibeträgen die Beitragsbelastung von Eltern während der Erziehungszeit reduziert werden. Zum anderen kann die Erziehungsleistung von Eltern durch eine erweiterte Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Rente besser gewürdigt werden. Ein weiteres und umfassenderes Reformkonzept stellt die "Kinderrente" dar, die als "Dreisäulenmodell" neben einer umlagefinanzierten Basisrente eine kapitalgedeckte Sparrente sowie eine einkommensunabhängige umlagefinanzierte Kinderrente vorsieht, deren Höhe allein von der Kinderzahl abhängt. Zur politischen Entscheidungsfindung sind die Vor- und Nachteile der jeweiligen Lösungen zu analysieren, transparent zu machen und gegeneinander abzuwägen. Eine ausführliche Darstellung der verschiedenen Reformkonzepte erfolgt im Caritas-Diskussionspapier: "Der generative Beitrag von Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung" unter: www.caritas.de/generativer-beitrag
Anmerkungen
1. Werding, M.: Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand. Gütersloh, 2014.
2. So waren im Jahr 2013 mehr als ein Drittel (35,2 Prozent) der Personen aus Alleinerziehendenhaushalten armutsgefährdet. (Quelle: Destatis, 2014, EU-SILC. Bei den Mehrkindfamilien steigt die Armutsgefährdung mit der Anzahl der Kinder, so waren im Jahr 2008 22 Prozent der Familien mit drei Kindern und 36 Prozent der Familien mit vier und mehr Kindern armutsgefährdet. (DIW-Wochenbericht 7/2010; Quelle: SOEP). Die durchschnittliche Armutsgefährdungsquote lag im Jahr 2013 hingegen bei 16,1 Prozent. (Quelle: Destatis, 2014, EU-SILC).
3. BMFSFJ: Gender Pension Gap. Berlin, 2011.
4. In den neuen Bundesländern fallen diese Unterschiede absolut und relativ gesehen geringer aus.
5. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 7. Juli 1992 (Az.: 1 BvL 51/86, 1 BvL 50/87, 1 BvR 873/90, 1 BvR 761/91)
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