Die Caritas-Ortsverbände: heterogen und selbstständig
Aussenstehenden erscheint "die Caritas" beziehungsweise "der Caritasverband" in Deutschland oft als konzernartiges Gebilde mit Hauptsitz in Freiburg. Die örtlichen Caritasverbände wirken wie Niederlassungen oder Filialen. Verkannt wird dabei, dass es sich bei den Ortsverbänden in fast jeder Hinsicht um selbstständige Organisationen handelt, die ihren fachlichen wie wirtschaftlichen Erfolg in eigener Kompetenz und Verantwortung realisieren.
Einen wesentlichen Beitrag zum Gesamterfolg von privaten und damit letztlich konkursfähigen Organisationen leistet deren Struktur, die sogenannte Aufbauorganisation. Diese ist auch für gemeinnützige Organisation wie etwa Orts-Caritasverbände entscheidend. Doch liegen über die konkrete Aufbauorganisation der Ortsverbände bisher keine oder nur sehr wenige empirische Angaben vor.
Deshalb wurde 2014/2015 im Rahmen einer empirischen Studie1 die Aufbauorganisation der Ortsverbände aus allen Diözesen in Deutschland untersucht. 133 von 221 Ortsverbänden haben sich daran beteiligt. Als Grundlage der Erhebung dienten die Organigramme der Verbände und deren Größe. Die Größe der Ortsverbände wurde dabei an der Anzahl (in "Köpfen") der hauptamtlich beschäftigten Mitarbeiter(innen) gemessen. Ehrenamtlich Tätige flossen nicht in die Untersuchung ein.
Mehrheitlich mit Vorstand oder Geschäftsführung
Zur besseren Einordnung und Vergleichbarkeit werden in der Studie die Orts-Caritasverbände (CV) in fünf Größenklassen unterteilt (s. Abb. 1 unten).
Fast ein Viertel der in der Erhebung berücksichtigten CV zählen zu den "kleinen" Organisationen, "klein-mittel" machen 18,6 Prozent aus, "mittlere" 16,5 Prozent, "mittelgroße" über elf Prozent und "große" rund 29 Prozent. Rund 60 Prozent der CV weisen damit als "mittlere" oder kleinere Verbände bis zu 600 Mitarbeitende auf. Der statistische Mittelwert aller betrachteten CV liegt bei 637,86 Mitarbeiter(inne)n.
Die Mehrheit (56,4 Prozent) der CV werden von einem Vorstand beziehungsweise einer Geschäftsführung geleitet, wobei ein mittelstarker Zusammenhang zwischen der Größenklasse und der Zahl der Vorstände/Geschäftsführungen festzustellen ist.
Knapp 75 Prozent aller CV-Vorstände/Geschäftsführungen haben maximal neun und knapp 80 Prozent maximal zehn direkt unterstellte Organisationseinheiten, also Bereiche, die im Organigramm separat aufgeführt werden. Diese auf den ersten Blick recht hohe Leitungsspanne relativiert sich allerdings ein bisschen, da eine Reihe von Vorständen/Geschäftsführungen zugleich auch als Leitung von nachgeordneten Organisationseinheiten fungiert. Etwas mehr als zwei Dritteln der Vorstände ist mindestens eine Stabsstelle zugeordnet. Sofern die Bezeichnung der Stabsstellen deren inhaltlichen Stellenzuschnitt wiedergibt, handelt es sich in vielen Fällen jedoch nicht um "typische" Stabsfunktionen. Im Grunde sind es eher weitere Linienstellen.
Durchschnittlich gibt es 40 Organisationseinheiten
Auffälligkeiten können bei der Frage nach der Gesamtzahl der Organisationseinheiten festgestellt werden. Im Durchschnitt weisen die CV etwa 40 unterschiedliche Organisationseinheiten auf. Ein im Sinne dieser Erhebung durchschnittlich großer CV mit rund 638 Mitarbeiter(inne)n setzt sich danach aus gut 40 explizit ausgewiesenen Organisationseinheiten zusammen.
Bedenkenswert erscheinen dreierlei Aspekte: Kleine (33,3) und klein-mittlere (33,9) CV weisen durchschnittlich die gleiche Zahl an Organisationseinheiten auf. Mittlere (45,5) CV besitzen im Durchschnitt mehr Einheiten als mittel-große (38,4). Auch der Unterschied zwischen kleinen und klein-mittleren zu den doch um einiges größeren mittel-großen CV ist auffällig gering. Für große CV wurde ein Durchschnitt von 55 Organisationseinheiten festgestellt. In diesem Zusammenhang springen insbesondere die Ergebnisse der mittleren CV mit verhältnismäßig vielen Organisationseinheiten ins Auge. Auch im Hinblick auf mehrere weitere, hier nicht genannte Merkmale kann den mittleren CV im Vergleich zu mittel-großen und großen CV eine gewisse Tendenz zur Mehrung von administrativen Organisationseinheiten zugeschrieben werden. So weisen mittlere CV mehrheitlich separate Organisationseinheiten für Öffentlichkeitsarbeit/Public Relations aus, während diese bei mittel-großen CV nicht im Organigramm ausgewiesen werden; um an dieser Stelle nur ein Beispiel zu nennen.
Große Spannweite bei administrativen Einheiten
Mit dem Merkmal "Anzahl der administrativen Einheiten" werden diejenigen Einheiten erfasst, die im eigentlichen Sinne keinen Bezug zu konkreten Hilfefeldern aufweisen. Darunter sind etwa Bereiche wie Verwaltung, Lohn- und Finanzbuchhaltung, Controlling und Öffentlichkeitsarbeit zu fassen, die in der Praxis mitunter auch als "Overhead" bezeichnet werden.
Über alle CV hinweg ergibt sich für die Anzahl der administrativen Organisationseinheiten ein Mittelwert von sieben bei einer Standardabweichung von 4,628. Unter Berücksichtigung der nicht unerheblichen Größenunterschiede der einzelnen Verbände erscheint diese Standardabweichung verhältnismäßig gering. Beachtenswert ist gleichwohl die hohe Spannweite. Während einige CV keine Administrationseinheit im Organigramm ausweisen, verzeichnen andere bis zu 34 solcher Einheiten.
Der zweiten Hierarchieebene (Abteilungen), das heißt derjenigen Ebene, die unmittelbar dem Vorstand/der Geschäftsführung berichtet, kommt in organisationaler Hinsicht in der Regel eine besondere Bedeutung zu. Dort entscheidet sich die strukturelle Ausrichtung der gesamten Unternehmung.
Die je CV maximale Anzahl, das heißt nur die - gemessen an Organisationseinheiten - größte Abteilung, floss in die Untersuchungsergebnisse ein. Im Durchschnitt bestehen die größten Abteilungen der befragten CV aus acht Organisationseinheiten. Allerdings ist auch hier eine beträchtliche Spannweite von 19 Einheiten festzustellen. Dies führt dazu, dass einerseits Abteilungen mit höchstens drei und andererseits mit bemerkenswerten 22 untergeordneten Einheiten existieren. Die skeptische Frage nach der tatsächlichen Steuerungsmöglichkeit solch großer Abteilungen durch die Abteilungsleitung sei an dieser Stelle genauso angesprochen ("Führungsillusion") wie die vermutlich immensen internen Transaktionskosten, also der Aufwand für interne Abstimmung und Koordination.
Rund 75 Prozent aller Abteilungen der CV setzen sich aus maximal neun Einheiten zusammen. Dies liegt im Hinblick auf die Möglichkeiten der persönlichen Einflussnahme durch die jeweilige Abteilungsleitung noch im Rahmen dessen, was gemeinhin als realistische Leitungsspanne angesehen wird. Die tatsächlich zu bewältigende Leitungsspanne der Abteilungsleitungen wird sogar in manchen Fällen noch etwas niedriger ausfallen, wenn auch den Abteilungsleitungen in Personalunion die Leitung von nachgeordneten Organisationseinheiten derselben Abteilung obliegt.
Ein Untersuchungsschwerpunkt war, inwiefern konkrete Handlungsfelder und Funktionen derart bedeutsam für die Arbeit der Caritasverbände sind, dass dafür eigene Organisationseinheiten begründet wurden. Exemplarische Bereiche sind nachfolgend dargestellt.
Migrationsarbeit ist in der Caritas vor Ort verankert
Bei der Untersuchung des Merkmals "Interkulturelles, Flüchtlinge, Migration" wird ein breiter Bogen über recht unterschiedliche Hilfe- und Servicedienste gespannt. Im Kern geht es um die Frage, ob die ausdrückliche Dienstleistung für hilfebedürftige Menschen aus anderen Herkunftsländern organisatorisch Einzug in die Caritas vor Ort gefunden hat. Dieses ist in 62,4 Prozent der untersuchten CV erkennbar der Fall. Die aktuell und in der jüngeren Vergangenheit an Intensität gewachsene Flüchtlingsproblematik hatte zum Zeitpunkt der Erhebung noch keinen Niederschlag in den Organisationen der CV gefunden. Üblicherweise vollzieht die Aufbauorganisation Handlungs- beziehungsweise Hilfefelder eher nach, als dass sie ihnen vorgreift.
Non-Profit-Organisationen, insbesondere in der Sozialwirtschaft, werden gemeinhin auch darüber definiert, dass dort Menschen auf freiwilliger, unentgeltlicher Basis tätig sind. Vielfach wird dieses sogar als konstitutives Merkmal von Non-Profit-Organisationen angesehen. Bemerkenswert erscheint vor diesem Hintergrund, dass in annähernd 70 Prozent der untersuchten CV keine organisatorische Einheit im Sinne eines "Freiwilligenmanagements" eingerichtet worden ist. Da aber mindestens die Grundfunktionen der Akquise, des Einsatzes und der Steuerung dieser Personalkategorie wahrgenommen werden müssen, ist zu vermuten, dass diese vor Ort von den fachlich zuständigen Organisationseinheiten mit erledigt werden.
Mit dem "Qualitätsmanagement" wurde eines der Themen aufgegriffen, das wie nur wenig andere in der Vergangenheit eine bedeutsame Rolle in den Hilfe- und Handlungsfeldern der freien Wohlfahrtspflege für sich reklamierte. Damit einher geht in den CV allerdings mitnichten die faktische Notwendigkeit für ein auch institutionell verankertes Qualitätsmanagement. In Anbetracht der angeblichen Bedeutung des Qualitätsthemas erscheint es beachtlich, dass eine Mehrheit von immerhin 57 Prozent der CV keine explizite Organisationseinheit dafür hat.
Managementthemen weiter verbreitet als gedacht
Während sich zu erwartende Einheiten wie "Ehrenamt" und "Qualitätsmanagement" mehrheitlich nicht in der formellen Organisation der CV finden lassen, sind Managementthemen wie beispielsweise "Controlling" und "Public Relations" weitaus stärker verbreitet als angenommen. So verfügen über 47 Prozent der CV über eine Organisationseinheit für "Controlling" und mehr als 44 Prozent über eine für "Public Relations". Die Einheit "Controlling" verteilt sich recht unterschiedlich auf die einzelnen Diözesen (s. Abb. 2).
Dass über 44 Prozent der CV inzwischen eine Einheit für "Public Relations" etabliert haben, mag als Ausdruck der Erkenntnis interpretiert werden, dass auch CV - als örtlich oftmals bedeutende gesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure - sich des Gewichts der öffentlichen Meinung für den Erfolg der eigenen Arbeit verstärkt bewusst geworden sind.
Die Heterogenität der Verbände ist beachtlich
Die in Auszügen wiedergegebene Studie spiegelt eine beachtliche Heterogenität der Orts-Caritasverbände in Deutschland wider. Insgesamt folgen die untersuchten CV in ihrer Struktur eher konservativen Mustern. Eine große Anzahl der Organigramme scheint mehr mit der Historie des jeweiligen Verbandes erklärbar und weniger Ausdruck einer bewussten, strategiebezogenen Gestaltung zu sein. Eine stärkere Kopplung von Verbandsstrategie und Organisation sollte angestrebt werden, um künftige Herausforderungen zu bewältigen sowie Effizienz- und Innovationspotenziale nicht ungenutzt zu lassen.
Anmerkung
1. Mross, M.: Caritas und Organisation. Untersuchung der Organisationsstrukturen der Orts-Caritasverbände in Deutschland auf der Basis ihrer Organigramme. Köln, 2015.
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