Kompetent und vereint: Neue Wege für die Pastoral auf dem Land
Gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land? Gibt es Unterschiede zwischen Stadt- und Landpastoral? Stadt- und Landpastoral entwickeln sich sehr ungleichzeitig. Trotzdem kann davon ausgegangen werden, dass die Träger der Pastoral ähnliche, wenn nicht gar gleiche Kompetenzen brauchen.
Ausdrücklich wird hier von den Trägern und nicht von den Rollenträgern gesprochen. Denn Kirche wird von allen ihren Gliedern getragen, nicht nur von den Hauptamtlichen. Der Blick auf die Sozial- und Organisationsformen von Kirchen kann nämlich keinesfalls mehr von hauptamtlichen Rollen her definiert werden. Auch nicht allein oder zuerst von amtlich Beauftragten, sondern von allen, die die Kirche und durch sie die Frohe Botschaft lebendig halten wollen.
Mit dieser ersten These von der Gleichheit von Stadt- und Landpastoral und der gemeinsamen Verantwortung aller Handelnden soll natürlich nicht die tatsächliche Differenz geleugnet werden. Noch immer gibt es Pfarrer, die aufgrund persönlicher Vorlieben die Stadt mit ihren pastoralen Herausforderungen scheuen und die Arbeit eines Landpfarrers bevorzugen, und auf der anderen Seite solche, die es aufgrund eigener Erfahrungen gerade in das bunte Stadtleben zieht.
Und natürlich gibt es "das" Dorf nicht.1 Da sind die mehr und mehr entvölkerten Regionen Deutschlands mit sterbenden Dörfern, andere wachsende Kommunen in den Speckgürteln der Städte und die touristisch attraktiven Dörfer. Doch diese Differenzen sind letztlich vergleichbar mit den Unterschieden zwischen Städten und Stadtvierteln je nach ihrer spezifischen Sozialstruktur.
Also gilt: Die Differenzen sind enorm, der erste Differenzmarker ist jedoch nicht die Unterscheidung Stadt - Land.
Wie den Wandel gestalten?
Helft uns, den Wandel zu gestalten. Das könnte sicher eines der Leitworte sein, mit dem Menschen in der Kirche ihr Christsein leben. Dabei kommt es darauf an, diesen Wandel nicht nur als Infrastrukturwandel zu begreifen, der in der Logik von Ökonomie und Ökologie gemeistert werden muss. Vielmehr sollte es ein Wandel werden, der alle Menschen bestmöglich einbezieht und ihre Lebenswirklichkeit positiv annimmt.
Was macht die Professionalität eines Pfarrers, eines Gemeindereferenten/einer Gemeindereferentin oder eines Pastoralreferenten/einer Pastoralreferentin, also des hauptberuflichen Trägers der Pastoral, aus?
Immer mehr Anforderungen für Hauptamtliche
Schon vor dreißig Jahren war im Rahmen der Selbstverständnisdiskussionen zum Profil des Priesters die Rede vom "Universaldilettanten". Zwar war er studierter Theologe, aber die Erwartungen, die an ihn gestellt wurden als den Manager und Letztverantwortlichen in einem immer größer werdenden "Unternehmen", waren sehr vielfältig. Die Aufgaben gingen vom Personalverantwortlichen über den Finanz- und Rechtsfachmann, den erfahrenen Bauherrn, den psychotherapeutisch kompetenten Seelsorger, den Lehrer und Prediger bis hin zur Ritenkompetenz für die individualisierten Kasualfeiern, wie zum Beispiel Taufen oder Hochzeiten. Diesem "Profi" wird zugleich eine umfassende Leitungskompetenz zugeschrieben, die er kaum qualifiziert wahrnehmen kann.
Die Berufsausbildung mit fünf Jahren Theologiestudium hat sich als nur begrenzt geeignet erwiesen. Die Erfahrung lehrte, dass mehr und mehr "Pastoral"-Ausbildung sowie Fort- und Weiterbildung nötig waren, um wenigstens die größten Missgeschicke zu vermeiden. In der Berufspraxis scheinen sich dann drei Tendenzen abzuzeichnen: Manche Pfarrer oder Pastoralreferent(inn)en schaffen es mit der Zeit, die meisten der notwendigen Fertigkeiten zu erwerben und so letztverantwortlich alles zu leiten. Andere entwickeln die Kompetenz, viele andere Menschen in Beratung und Entscheidung einzubinden, weil sie wissen, dass sie nicht alles alleine tragen können. Vielleicht haben sie auf einem Gebiet besondere Kompetenzen sammeln können. Die dritte Gruppe droht entweder auszubrennen oder sich scheiternd zurückzuziehen. Was also bedeutet Professionalität im kirchlich-pastoralen Handeln?
Die klassische Professionalisierungswelle würde in der Ausdifferenzierung unserer Gesellschaft die Pastoralarbeiter ähnlich anderen Professionen zu Spezialisten machen. "Wie der Arzt oder Richter wird der Pfarrer in der Moderne zum Profi", schreibt der Pastoraltheologe Stefan Gärtner.2 Er erläutert weiter: "Es ist offenkundig, dass mit dieser Entwicklung viele Vorteile verbunden sind. So ist angesichts der komplexen Aufgaben in der kategorialen Seelsorge eine entsprechende Zusatzausbildung der Hauptamtlichen unerlässlich. Gleiches gilt für die Gemeindepastoral. Hier entsteht trotz des immer noch erkennbaren ästhetischen Einheitsprofils vieler Pfarreien eine zunehmende Heterogenität. Dies führt zu einer Differenzierung der pastoralen Aufgaben. Sie ist Folge der postmodernen Segmentierung der Lebenswelten."3 Für die Arbeit in der Landpastoral bräuchte es dann vielleicht die Professionalität der Kulturwissenschaftler, der Sozialarbeiter oder der politikwissenschaftlich geprägten Netzwerker.
Doch hier zeigt sich schon die Kehrseite dieser Professionalisierung. Stefan Gärtner sieht hier die Gefahr einer pastoralen Expertokratie. Damit werden alle Kommunikationskanäle und Entscheidungsmöglichkeiten auf wenige Spezialisten konzentriert. Andere haben kaum mehr ausreichend Wissen, um mitzuentscheiden. Auf der einen Seite stehe der professionelle Hauptamtliche in einer Aura von Exklusivität und Komplexität, auf der anderen Seite stehen die Gemeindemitglieder, welche die "Fälle" der Seelsorge gleich den Fachleuten beziehungsweise Experten zuweisen.4 Welche Herausforderungen müssen also die Rollenträger, hier die Hauptamtlichen, bewältigen?
Kompetenzen entwickeln
Die Reflexionen zur Ausbildung, die der Ausbildungsverantwortliche Klaus-Gerd Eich vorlegt, beziehen sich vor allem auf Kompetenzentwicklungen und Schlüsselqualifikationen.5 Er verdichtet darin den langen Prozess der Ausbildungskonzeption im Bistum Trier.
Eich geht aus vom Begriff der Handlungskompetenz. Er "entwickelt sich in der subjektiven Verarbeitung von Kenntnissen und Fertigkeiten, d. h. in der Erschließung von Wirklichkeit durch Sacherschließung, Reflexion und Urteil mit objektivierbaren und zugleich subjektiv rezipierten Methoden und individuellen Problemlagen."6 Er benennt weitere Gründe für die kompetenzorientierte Wende, die auf konkrete Erfordernisse ganzheitlich reagiere und selbstgesteuertes Lernen vor dem Hintergrund eines Wertehorizontes in vielfältiger Handlungsdisposition erschließe.7
Im Bistum Trier werden dazu im Kontext pastoraler Bildung alle "Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen und Werthaltungen, die sowohl der ganzheitlichen Entwicklung als auch der beruflichen Qualifikation dienen"8 als Schlüsselqualifikationen definiert. Eich benennt als Schlüsselqualifikationen:9
a. allgemeine Schlüsselqualifikationen für Hochschulabsolventen und Theologen,
- Qualifikation der Wahrnehmung und Bedingungsfeldanalytik,
- Qualifikation des Verstehens und der Begleitung von Veränderungsdynamik,
- Qualifikation der elementartheologischen Identität mit theologischer und spiritueller Konkretisierung;
b. berufsspezifische Schlüsselqualifikationen,
- Qualifikation zu professionellem Handeln in und mit Gruppen,
- Qualifikation zu professionellem Handeln in komplexen Situationen (Vernetzung),
- Qualifikation zu einem didaktischen Handeln im weitesten Sinne,
- Qualifikation zu einem kerygmatischen, also von der Botschaft des Evangeliums inspirierten Vergegenwärtigungshandeln,
- Qualifikation zu einem elementartheologischen Vergegenwärtigungshandeln in einer liturgischen Feier.
Wenn noch ergänzt wird, was Regina Nagel, Sprecherin des Bundesverbandes der Gemeindereferentinnen, schreibt: "Tue nichts, was der Übernahme von Selbstverantwortung im Wege steht"10, dann scheint das Wichtigste aufgelistet. Die Hauptberuflichen dürften sich keineswegs auf bestimmte gelerne Methoden zurückziehen und darin sich selber emotional und kommunikativ die Aufgaben im konkreten Handlungsfeld vom Leib halten.11
Wandel erfordert auch Mentalitätswechsel
An dieser Stelle muss an das vom Zweiten Vatikanischen Konzil stark betonte, aber leider oft vergessene Priestertum aller Gläubigen erinnert werden. Drei Impulse seien hierzu benannt:
- Der Rückgang von Priesterweihen und Bewerberzahlen für andere pastorale Berufe und der Rückgang materieller Ressourcen verdeutlichen, dass auch in deutschen Landen Kirche als Kirche der Hauptberufler keine Zukunft mehr hat.
- Die Relecture der Konzilstexte 50 Jahre danach hat neue Wahrnehmungen auf vielen Seiten ermöglicht.
- Diese Entwicklungen wurden beschleunigt durch das öffnende Pontifikat von Papst Franziskus, der deutlich benennt, dass das Evangelium der Freude von allen und an allen Orten verkündigt werden muss.
Nur ein Mentalitätswechsel sowohl der Hauptberuflichen als auch der bislang engagierten Gemeindemitglieder bewirkt einen Veränderungsprozess der Pastoral und der Pastoral auf dem Lande.12
Kirche darf sich nicht zu einem professionalisierten Dienstleistungsunternehmen in einem speziellen Aufgabenbereich zurückentwickeln. Vielmehr sind es alle, die gemeinsam die Sendung leben, Gott zu verkünden, und das in unterschiedlichen Funktionen, Rollen und Begabungen. Dies hat nichts mit einem Über- und Unterordnungsverhältnis zu tun, sondern Ziel ist es, einander in der Erfüllung der Aufgaben zu bestärken. Eine funktionale Betrachtung der Teilaufgaben von Leitung hilft zu verstehen, dass selbst bei der besonderen Verantwortung des geweihten Amtes für Verkündigung, Sakramente und Einheit daran eben nicht alle Funktionen gebunden sind. Einer Neubeschreibung dieser Aufgaben steht theologisch nichts im Weg.
Wichtig ist auch, Caritas und Pastoral integral zu verstehen. Diesem Ziel folgt die Kirche nur dann, wenn sie lebt, dass die Verkündigung des Wortes (Martyria) und der Tat (Diakonia, Caritas) untrennbar sind. Was aus organisatorischen und institutionellen Gründen noch nebeneinander, manchmal gegeneinander läuft, muss zusammenkommen.
Alle sind Agenten der Landarbeit
Es kommt darauf an, wahrzunehmen, wer sich mit seiner Kompetenz und Leidenschaft für die Menschen auf dem Land einbringt. Nicht alle, die das aus ihrem Glauben tun, tragen dieses Bekenntnis vor sich her. Sie wirken in Vereinen und Initiativen, als Mandatsträger und geben so Zeugnis ab.
Es kommt auch darauf an, dass Kirche nicht ihren Erfolg in der Zahl ihrer Teilnehmer(innen) ihrer selbst bemisst, sondern in dem, was der Stadt und dem Land - damit den Menschen - Gutes geschieht (vgl. Jer 29,7). Nicht Abgrenzung, sondern Kooperation mit allen Menschen guten Willens steht an erster Stelle, auch in der Ökumene.
Chance des Engagements auf dem Land
Je genauer man ländliche Regionen betrachtet, desto überraschender scheinen die vielfältigen Initiativen durch Vereine, Verbände und Einzelne. Nicht zuletzt die instruktive Arbeit der Pastoraltheologin Birgit Hoyer hat vieles aufgedeckt.13 Auch diverse landes- und kommunalpolitisch inspirierte Dorfentwicklungsprozesse haben gut motiviert. Eher selten ist die verfasste Kirche an der Spitze dieser Bewegungen. Im Prinzip ist das nicht schlimm, wenn es nicht Beleg ist für die Land- und Menschenvergessenheit. Ein Ausfall der kirchlichen Präsenz wäre verheerend für die Glaubwürdigkeit ihrer Sendung. Kirche könnte und sollte zu einem identifizierbaren Netzwerk "für das Land und seine Menschen" werden.
Anmerkungen
1. Vgl. hierzu die Beiträge von Henkel, Glück, A. in Hartmann, R. (Hrsg.): Bilderwechsel: Kirche - herausgefordert durch ländliche Räume. Würzburg: Echter, 2012. Ferner: Fank-Landkammer, B.: Stadt-Land-Zukunft.de. In: Deutscher Caritasverband (Hrsg.): Caritas 2015: neue caritas-Jahrbuch des Deutschen Caritasverbandes. Freiburg: Deutscher Caritasverband, 2014, S. 12-19.
2. Gärtner, S.: ‚Postmoderne‘ Pastoral? Exemplarische Reflexionen zu einem Kasus. In: Lebendige Seelsorge 60 (2009), H. 3, S. 151-155, hier S. 154.
3. Ebd. S. 155.
4. Vgl. ebd.
5. Eich, K.-G.: Seelsorge lernen zwischen persönlicher Kompetenzentwicklung und Schlüsselqualifikationen - eine mehrdimensionale praktisch-theologische Herausforderung. In: Trierer Theologische Zeitschrift 117 (2008), H. 4, S. 288-303.
6. Ebd. S. 290, zitiert laut Fußnote: Bader, R.: Berufliche Handlungskompetenz und ihre didaktischen Implikationen. In: Comenius-Institut; Deutscher Katechetenverein; Gesellschaft für Religionspädagogik (Hrsg.): Handbuch Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen. Gütersloh, 1997, S. 69.
7. Vgl. ebd. unter Bezug auf Arnold, R.: Wandel der Lernkulturen: Ideen und Bausteine für ein lebendiges Lernen. Darmstadt, 1998, S. 105-113, bes. S. 107f.
8. Ebd., S. 291, zitiert Köhl, G. u.a.: Qualitätsentwicklung in der pastoralen Bildung - Antwort auf die Herausforderungen des II. Vatikanischen Konzils. In: ders.: Seelsorge lernen in Studium und Beruf. Trier: Paulinus, 2006, S. 21-47, hier S. 45.
9. Vgl. ebd. S. 295-297.
10. Nagel, R.: "Tue nichts, was der Übernahme von Selbstverantwortung im Wege steht": Überlegungen zur künftigen Ausbildung hauptberuflicher Mitarbeiter/innen in der Pastoral. In: Lebendige Seelsorge 60 (2009), H. 3, S. 182-185.
11. Vgl. Wahl, H.: Professionelle Seelsorge-Ausbildung: Pastoralpsychologische Aspekte. In: Lebendige Seelsorge 60 (2009), H. 3, S. 202-206, hier S. 204.
12. Hartmann, R.: Was kommt nach der Pfarrgemeinde? Chancen und Perspektiven. Würzburg: Echter, 2013.
Ders.: Neue Perspektiven für die Pastoral: Impulse zu Beginn des neuen Pontifikats. In: Anzeiger für die Seelsorge 123 (2014) 3, S. 29-31.
13. Hoyer, B.: Seelsorge auf dem Land: Räume verletzbarer Theologie. Stuttgart: Kohlhammer, 2011.
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