Mehr als nur ein Café: La Strada und Strich-Punkt
Mitten in einem der ältesten Stadtviertel Stuttgarts, im Leonhardsviertel, in einem alten spitzgiebeligen Haus liegt die gemeinsame Anlaufstelle für Prostituierte. Es ist ein Kooperationsprojekt verschiedener Träger: Das Gesundheitsamt der Stadt Stuttgart, der Caritasverband für Stuttgart, die Aids-Hilfe und der Verein für Jugendliche mit besonderen sozialen Schwierigkeiten betreiben es gemeinsam seit Dezember 2009 in der Trägerschaft des Caritasverbandes. Das Herz der Anlaufstelle ist das Café La Strada für weibliche Prostituierte und das Café Strich-Punkt für Stricher. Beide Angebote haben eine lange eigene Tradition: Das Café La Strada gibt es seit 1996, Angebote für männliche Prostituierte seit 1997. Die Kooperation in der gemeinsamen Anlaufstelle eröffnet für beide Zielgruppen neue Möglichkeiten und dies nicht nur durch die gemeinsame Nutzung der Räume. Die Anlaufstelle fungiert als Schnittstelle von niedrigschwelliger Hilfe zur institutionellen Beratung beziehungsweise Betreuung und ermöglicht es, die Angebote auszubauen und besser zu vernetzen.
Das Haus liegt quasi mitten im Arbeitsgebiet der weiblichen Prostituierten. Die Einrichtung hat die beiden unteren Etagen zur Verfügung: ein großer, heller und bunter Cafébereich mit Kleiderkammer und Küche, darüber die Beratungsräume, Duschen, Waschmaschinen und der Raum für die ärztliche Sprechstunde.
Im La Strada können die Frauen essen und finden Rat
Das Café La Strada startete als ein reines Ehrenamtsprojekt. Durch den bereits bestehenden intensiven Kontakt der Sozialarbeiterinnen des Gesundheitsamtes zu den Prostituierten in Stuttgart wurde das Angebot sehr schnell gut angenommen. Als das Café im Jahr 2009 in die jetzigen Räume zog, konnte das Angebot erweitert werden um eine ehrenamtliche Rechtsberatung, eine wöchentliche ärztliche Sprechstunde und um eine intensive Beratung zum Ausstieg aus der Prostitution, "Plan P" - Vermittlung in Arbeit in Kooperation mit Zora (einem Arbeitshilfeträger für Frauen). Auch eine Wohnung für Aussteigerinnen ist konzeptioniert und in der Umsetzung.
Das Café hat an vier Abenden pro Woche und an einem Vormittag geöffnet, es wird abends von bis zu 70 Frauen besucht. Der größte Teil der Besucherinnen sind Frauen, die der Armuts- und der Straßenprostitution nachgehen. Trotz aller Professionalisierung ist der starke Einbezug von Ehrenamt im Café La Strada nach wie vor eine wesentliche Säule des Angebotes. So betreibt an zwei der vier offenen Abende eine äußerst engagierte Gruppe von ehrenamtlichen Frauen des Caritasverbandes das Café.
Im La Strada können sich die Frauen ausruhen, miteinander reden, Kaffee trinken und sie erhalten ein warmes, schmackhaftes Essen. Da viele der Besucherinnen hungrig ins Café kommen, wird vor allem die Mahlzeit sehr geschätzt. Es gibt eine Kleiderkammer, Kondome, Hygieneartikel und an den Abenden mit hauptamtlicher Präsenz die Möglichkeit einer umfassenden Beratung und Information. Um den Frauen einen Raum für einen unbeobachteten und unkontrollierten Rückzug vor Zuhältern und Freiern zu ermöglichen, haben Männer keinen Zugang.
Die Sprechstunde beim Arzt kommt gut an
Ganz wesentlich ist die ärztliche Sprechstunde am Donnerstag. Für viele der Armutsprostituierten aus Osteuropa ist dies der einzige Zugang zu einer medizinischen Versorgung. Hier können sich die Frauen alle zwei Wochen über ihre individuellen gesundheitlichen Risiken sowie über Schutzmöglichkeiten informieren und insbesondere Beratung, Unterstützung und Behandlung nach § 19 Infektionsschutzgesetz erhalten.
In Stuttgart waren im Jahr 2012 rund 3400 Frauen als Prostituierte beim polizeilichen Ermittlungsdienst Prostitution registriert. Aktuell geht man etwa von der gleichen Anzahl aus. Etwa ein Viertel der Frauen werden jährlich als Neuzugänge erfasst. Die Zahl der Frauen, die als Straßenprostituierte arbeiten, ist nach den Angaben des Ermittlungsdienstes schwankend und liegt bei circa 600 pro Jahr.
Der Anteil der ausländischen Frauen in der Prostitution ist über die Jahre kontinuierlich angestiegen. Während er im Jahr 2002 noch 44 Prozent betrug, lag er 2012 bei 82 Prozent und unter den Neuzugängen sogar bei 90 Prozent. An der Spitze dieser Neuzugänge stehen seit Jahren osteuropäische Frauen aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Sie gehören ethnischen Minderheiten wie den Roma in Rumänien oder Türken in Bulgarien an. Für diese unterprivilegierten und bitterarmen Frauen ist die Arbeit in der Prostitution oft die einzige Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt und den der Familie zu sichern.
Café Strich-Punkt ist offen für männliche Prostituierte
Das Angebot für männliche Prostituierte in der Anlaufstelle umfasst soziale Beratung, Streetwork sowie Online-Beratung. Das Café Strich-Punkt ist an zwei Nachmittagen bis zum frühen Abend geöffnet. Hier können sich die männlichen Prostituierten in einem geschützten Rahmen treffen, sich ausruhen und sich beraten lassen. Es gibt Essen und Getränke, die Kleiderkammer, Hygieneartikel und die Möglichkeit, sich zu duschen, seine Wäsche zu waschen und zu trocknen.
Seit 2011 gibt es hier auch eine ehrenamtliche Rechtsberatung für die Besucher, die inzwischen sehr gut angenommen wird. Sobald das medizinische Angebot ausgeweitet werden kann, ist auch eine ärztliche Sprechstunde für die Stricher geplant. Die Besucher des Cafés sind fast ausschließlich Männer, die der Armutsprostitution nachgehen.
Der polizeiliche Ermittlungsdienst geht von circa 180 Männern in Stuttgart aus, die im Jahr 2012 der Prostitution nachgegangen sind, und sieht eine Tendenz nach unten aufgrund des parallel feststellbaren Zulaufs zu Einrichtungen und Szenelokalen, die explizit schnellen Sex auch ohne Bezahlung ermöglichen. Allerdings muss bei diesen Zahlen berücksichtigt werden, dass eine immense Dunkelziffer und eine Grauzone existieren. Wie bei den Frauen gibt es auch bei den Männern einen hohen Anteil an Migranten. So werden über die Streetwork-Angebote seit etwa drei Jahren neben Männern aus Osteuropa vor allem nordafrikanische oder arabische Männer angetroffen.
Tradition hat inzwischen das jährliche gemeinsame große Sommerfest im Juni für die Besucher(innen), für Nachbarn und Interessierte, für die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden und für die vielen Unterstützer(innen) der Anlaufstelle. Dieses Fest bietet Raum für den Austausch zwischen Menschen verschiedener Milieus, die sich sonst so nicht begegnen würden.
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