Kosovo kämpft gegen Menschenhandel
Auf eine völkerrechtlich verbindliche Definition von Menschenhandel hatten sich die Vereinten Nationen erstmals am 15. November 2000 geeinigt. Im Palermo-Protokoll, einem Abkommen der Vereinten Nationen zur Prävention und Bekämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität, wird der Begriff Menschenhandel in einem Zusatzprotokoll definiert. In diesem Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, ist Menschenhandel ein Überbegriff für Situationen, in denen Menschen gegen ihren Willen festgehalten und ausgebeutet werden. Menschenhandel setzt bei Erwachsenen voraus, dass neben der Ausbeutung beispielsweise Drohung oder Gewalt eingesetzt werden.1 Bei unter 18-Jährigen, also bei Kindern im Sinne des Abkommens, reicht gemäß Art. 3 lit. c) eine auf die Ausbeutung gerichtete Handlung aus, eine Nötigung ist nicht notwendig.2
Es gibt folgende Erscheinungsformen von Menschenhandel:
- Zwangsarbeit;
- Schuldknechtschaft;
- Sklaverei und sklavereiähnliche Praktiken;
- Kindersoldaten;
- Kinderarbeit;
- sexuelle Ausbeutung von Kindern und Erwachsenen, besonders in Form der Zwangsprostitution
- Handel mit menschlichen Organen.3
Im Zusammenhang mit dem Menschenhandel erlangte in den vergangenen Jahren Kosovo immer wieder besondere Aufmerksamkeit. Das jüngste Land Europas, welches am 17. Februar 2008 seine Unabhängigkeit proklamierte, wurde häufig als "Brutstätte", "Zentrum" oder "Drehscheibe" des internationalen Menschenhandels bezeichnet.4 Eine solche Aussage darf jedoch nicht unkritisch übernommen werden.
Richtig ist, dass bereits während des Kosovokrieges und der Nato-Intervention, aber auch in der unmittelbar auf den Krieg nachfolgenden Zeit Menschenhandel in einem ungeheuren Ausmaß stattgefunden hat. Frauen und Kinder sollen Berichten zufolge systematisch vergewaltigt, psychisch gebrochen, versklavt und in die Prostitution gezwungen worden sein. Amnesty International geht davon aus, dass paradoxerweise die Präsenz unzähliger internationaler Hilfsorganisationen die Situation noch um einiges verschärft hat.5 Die Ursache hierfür liegt in den teilweise hohen Gehältern des Hilfspersonals. Mitarbeiter wurden als lukrative Kunden für sexuelle Dienstleistungen angesehen. Aus diesem Grund haben Menschenhändler besonders in den ersten Jahren nach der Nato-Intervention Hunderte von Frauen nach Kosovo geführt, um sie dort wie Ware auf dem Markt anzubieten. Auch andere Formen von Menschenhandel blühten auf. Es wurde sogar von Fällen berichtet, in denen Menschen entführt und ermordet worden sein sollen, um die entnommenen Organe an Kund(inn)en in Westeuropa und den USA zu veräußern.6
Frauen aus Osteuropa werden zwangsprostituiert
In dem jährlich vom US-amerikanischen Außenministerium veröffentlichten "Trafficking in Persons Report 2013" wird Kosovo weiterhin als Quelle und Zielland für den Menschenhandel identifiziert.7 Zwangsprostitution bleibt ein signifikantes Problem. Besonders Frauen aus Ländern wie Moldawien, der Slowakei, Albanien, Serbien und Polen werden weiterhin nach Kosovo geschmuggelt und dort neben einheimischen Frauen der Zwangsprostitution zugeführt. Allerdings gibt der Bericht Anlass zur Hoffnung. Das US-Außenministerium attestiert deutliche Fortschritte im Kampf gegen den Menschenhandel. So trat im Januar 2013 ein neues Strafgesetz in Kraft, welches drakonische Strafen für Menschenhändler vorsieht. Für gerettete Opfer wurden Frauenhäuser eingerichtet und die Verfahren zur Identifizierung von Opfern standardisiert. Polizeirekruten werden für die Problematik sensibilisiert. Zudem diente eine zweiwöchige Medienkampagne dazu, das öffentliche Bewusstsein zu schärfen.8
Die Ursache für die Verbesserungen liegt zum einen darin, dass internationale Organisationen zunehmend politischen Druck ausüben oder selbst gegen Menschenhandel vorgehen. Allen voran nimmt besonders die seit dem Jahr 2008 laufende Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union, Eulex, großen Einfluss auf die Regierung in Pristina. Aber auch Organisationen wie OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), Unicef (Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen) und USAID (Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung) sowie lokale Einrichtungen wie das "Center for the Protection of Victims and Prevention of Trafficking in Human Beings" in Pristina sind sehr engagiert.
Zum anderen dürfte der Regierung in Pristina wenig daran gelegen sein, den im eigenen Land vorherrschenden Menschenhandel zu dulden. Pristina hat ambitionierte Ziele, da eine schrittweise Integration in die euro-atlantischen Strukturen (EU und Nato) angestrebt wird. Die Geschwindigkeit des Annäherungsprozesses hängt dabei maßgeblich von den Fortschritten ab, die Kosovo etwa im Bereich Rechtsstaatlichkeit erzielt. Ein prosperierender, keine Widerstände erfahrender Menschenhandel würde eindeutig mögliche Beitrittsverhandlungen mit der EU gefährden.
Das Problem verlagert sich in andere Länder
Dies führt dazu, dass es dem kosovarischen Menschenhandel zusehends an den Kragen geht. Anlass zum Feiern besteht dennoch nicht. Die Anstrengungen in Kosovo führen allenfalls zu einer Verlagerung in andere Länder. Für das organisierte Verbrechen gilt nach wie vor: Der Handel mit der "Ware Mensch" bleibt der mit Abstand lukrativste Geschäftszweig. Auf diese Weise ist Kosovo zwar auf einem guten Weg in Richtung europäische Gesamtintegration. Auf europäischer oder globaler Ebene muss jedoch davon ausgegangen werden, dass der Menschenhandel, und hier besonders die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, weiterhin zunimmt.9
Anmerkungen
1. Der eigentliche Wortlaut der Vorschrift ist komplizierter. Gemäß Art. 3 lit. a) des Zusatzprotokolls bezeichnet der Ausdruck Menschenhandel die "Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder den Empfang von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Körperorganen." (www.un.org/depts/german/uebereinkommen/ar55025anlage2-oebgbl.pdf).
2. Von der Definition erfasst sind zunächst nur Fälle grenzüberschreitender Aktivitäten des organisierten Verbrechens. Der innerstaatliche Menschenhandel im privaten oder nicht organisierten Bereich fällt nicht hierunter. Der Europarat hat am 16. Mai 2005 die "Convention on Action against Trafficking in Human Beings" erlassen und in einer weitergehenden Definition auch den innerstaatlichen Menschenhandel außerhalb des organisierten Verbrechens erfasst. Dies ergibt sich aus dem Sachzusammenhang der Norm. Vgl. Council of Europe: Convention on Action against Trafficking in Human Beings. Warschau, 2005.
3. Siehe hierzu: Menschenhandel heute. Kritisches Magazin gegen Ausbeutung (http://menschenhandelheute.net/was-ist-menschenhandel/).
4. GlobalPost: Kosovo’s Mafia: A hotbed of human trafficking, 27. März 2011 (www.globalpost.com, Suchbegriff "human trafficking"); Whywar: Verbot von Sklaverei und Menschenhandel am Beispiel Serbien und Montenegro/Kosovo, März 2005, www.whywar.at/verbot_von_sklaverei_und_menschenhandel; Spiegel, Hubert: Reportage zum Kosovo - Tanz auf dem Balkan. In: Frankfurter Allgemeine, 10. Mai 2013 (www.faz.net).
5. Amnesty International, Kosovo (Serbia and Montenegro): "So does it mean that we have the rights?" Protecting the Human Rights of Women and Girls Trafficked for Forced Prostitution in Kosovo, 5. Mai 2004 (www.amnesty.org/en/library/info/EUR70/010/2004).
6. Lewis, Paul: Kosovo physicians accused of illegal organs removal racket. In: The Guardian (London), 22. Januar 2011; BBC News Europe: Medicus: Five guilty in Kosovo human organ trade case, vom 29. April 2013 (www.bbc.com/news/world-europe-22343589).
7. U.S. Department of State: Trafficking in Persons Report 2013, S. 224 (www.state.gov, Suchbegriff "trafficking").
8. Ebd.
9. In einem von der EU beobachteten Dreijahreszeitraum konnten EU-weit 23.600 Opfer identifiziert werden. Davon waren 68 Prozent Frauen, 17 Prozent Männer, zwölf Prozent Mädchen und drei Prozent Jungen. Insgesamt waren 62 Prozent der Betroffenen Opfer sexueller Ausbeutung. Hiervon waren 96 Prozent weiblich. Die Tendenz ist insgesamt steigend. Chappell, Bill: European Union Report Details Growth of Human Trafficking, NPR. In: www.npr.org/ blogs/thetwo-way/2013/04/15/177326963/european-union-report-details-growth-of-human-trafficking
Gute Arbeit statt Prostitution
Bleiben oder gehen?
Mehr als nur ein Café: La Strada und Strich-Punkt
Das Geschäft mit dem Sex bleibt lukrativ
So bleiben Mitarbeiter psychisch gesund
Schande für Rechtsstaat
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}