Bei schlechtem Start ist Unterstützung gefragt
Die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse während der letzten Jahrzehnte haben zu einer Pluralisierung der Lebenslagen geführt. Jugendliche und junge Erwachsene1 sind mehr denn je gefordert, wichtige persönliche sowie schulische und berufliche Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Sowohl positive materielle Lebensverhältnisse als auch persönliche Ressourcen wie Bildung, Einbindung in soziale Netzwerke und eine fördernde Familiensituation wirken sich positiv auf die Entwicklung junger Menschen aus. Doch 20 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen gelingt eine erfolgreiche Integration in die Gesellschaft nicht, weil sie aus benachteiligten Herkunftsmilieus stammen und somit mit Risikofaktoren belastet sind.2 Zu den Risikolagen gehören Arbeitslosigkeit, geringes Einkommen sowie geringe Ausbildung der Eltern.3 Während Heranwachsende aus Elternhäusern mit Bildungshintergrund bei Brüchen in ihrer Biografie von den Eltern unterstützt werden, stoßen benachteiligte junge Menschen auf gesellschaftliche und institutionelle Voraussetzungen, die für die Entwicklung einer eigenständigen Identität oft prekär und wenig förderlich sind (beispielsweise die Ausgrenzung aus der gesellschaftlichen Mitte und die häufig ausgrenzenden Erfahrungen
mit Institutionen wie Schule oder Ausbildungsstätten.)4 Aus verschiedenen Arbeitsfeldern der Caritas gibt es Hinweise, dass Jugendliche und junge Erwachsene mit hoher Problembelastung nicht oder erst sehr spät von Hilfeangeboten erreicht werden.5 So liegt beispielsweise die Zahl der wohnungslosen minderjährigen Jugendlichen bei rund 32.000 (2012). Damit ist jeder zehnte Wohnungslose unter 18 Jahre alt.6 Für die prekären Lebenslagen Jugendlicher und junger Erwachsener können verschiedene Dimensionen identifiziert und dazu Daten vorgelegt werden.
Junge Menschen sind armutsgefährdeter
Im Vergleich der verschiedenen Altersgruppen sind junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren in höherem Maß armutsgefährdet.7 In den Jahren 2000 bis 2002 waren 12,9 Prozent von Armut betroffen. Dieser Wert hat sich von 2009 bis 2011 auf 18 Prozent erhöht.8 Die hohe Zunahme der Armutsrisiken hängt zum einen mit dem Auszug aus dem Elternhaus in einen eigenständigen Haushalt (Anstieg von 1996 bis 2010 um 7,8 Prozent auf rund 27,6 Prozent) zusammen. Parallel dazu nimmt auch die Zahl junger Erwachsener zu, die weiterhin im elterlichen Haushalt leben. Dies wiederum ist mit einer Erhöhung der Armutsrisiken bei Haushalten mit erwachsenen Kindern (sogenannten nachelterlichen Haushalten) verbunden (Anstieg von 1996 bis 2010 um 6,2 Prozent auf 14,6 Prozent).9 Bei den Gleichaltrigen mit Migrationshintergrund liegt die Armutsgefährdungsquote mit 30,3 Prozent im Vergleich zu der Altersgruppe der unter 18-Jährigen (16,8 Prozent) und der unter 25-Jährigen (7,9 Prozent) deutlich höher als bei den Alterskohorten ohne Migrationshintergrund.10
16,8 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Bedarfsgemeinschaften waren im Frühjahr 2014 unter 25 Jahre alt.11 Von ihnen bezogen 39,8 Prozent (724.315) vier Jahre und länger Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende.12 Auch wenn die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland aktuell nur bei 8,1 Prozent liegt, darf nicht übersehen werden, dass sich die Zahl der Jugendlichen und Erwachsenen im Niedriglohn-Segment erhöht hat. Sie ist von 718.000 im Jahr 1999 auf 936.000 im Jahr 2011 gestiegen.13
Bei Bildung abgehängt
Der allgemeinbildende sowie der berufsbildende Werdegang sind von großer Bedeutung. 6,6 Prozent (2010) der Jugendlichen verlassen die Schule jedoch ohne einen qualifizierenden Abschluss. 57 Prozent der Abgänger(innen) ohne Schulabschluss kommen aus Sonder- und Förderschulen. Mit einer höheren Wahrscheinlichkeit stammen diese Jugendlichen aus Familien mit geringem Bildungsstand, aus prekären Lebenslagen oder haben eine Zuwanderungsgeschichte.14 Junge Menschen mit Migrationshintergrund verlassen mehr als doppelt so häufig die Schule ohne einen Abschluss im Vergleich zu deutschen Jugendlichen (2012: 11,4 Prozent versus 4,9 Prozent). Nur 29,4 Prozent der jungen Menschen mit Migrationshintergrund beginnen eine Ausbildung, bei jenen ohne Migrationshintergrund sind es 58,9 Prozent (2012).15 Die Hälfte aller 20- bis 29-Jährigen ohne Schulabschluss hat auch keinen Berufsabschluss.16
Von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland zwischen 15 und 25 Jahren haben 24 Prozent einen Migrationshintergrund.17 Insgesamt genießt Bildung bei ihnen eine hohe Wertschätzung. 25 Prozent erreichen einen Realschulabschluss und 34 Prozent ein Abitur (ohne Migrationshintergrund 35 Prozent beziehungsweise 43 Prozent). Insbesondere türkischstämmige Jugendliche messen der Bildung jedoch eine geringere Bedeutung zu und erreichen im Vergleich zu den übrigen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund deutlich weniger Bildungsabschlüsse. Bildung wird in ihrem Lebensumfeld oft nicht gefördert und anerkannt.18
Auch bei der Ausbildungsabsolventenqoute zeigt sich ein Unterschied: Während die Hälfte der deutschen Jugendlichen einen beruflichen Abschluss im dualen System erreichte, waren dies bei ausländischen Jugendlichen lediglich 18 Prozent.19
Immer weniger Betriebe bilden Hauptschüler aus
Vielen jungen Menschen gelingt nicht unmittelbar der Einstieg in die Ausbildung. Die Zahl der Bewerber(innen), die weder in eine Ausbildung noch eine Alternative eingemündet sind, ist von 2009 bis 2013 um 34,5 Prozent (21.034) gestiegen, ebenso die Zahl derer, die eine Alternative zu einer Ausbildung begonnen haben (zum Beispiel berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme, Praktikum oder Einstiegsqualfizierung (EQ)), jedoch weiterhin einen Ausbildungsplatz suchen.20 Nur noch sieben Prozent der Betriebe bilden Jugendliche mit Hauptschulabschluss aus.21 Bewerber(inne)n mit niedrigem Schulabschluss stehen weniger Ausbildungsberufe offen. Sie müssen einen Beruf ergreifen, der ihnen weniger liegt. Jugendliche ohne Hauptschulabschluss schließen eine duale Ausbildung mit einer Erfolgsquote von 79 Prozent ab. Diese liegt um elf Prozentpunkte niedriger als der Durchschnitt.22
Die Datenlage zeigt, dass für einen nicht unerheblichen Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus der Situation der Herkunftsfamilie eine schwierige Bildungsbiografie resultiert, die die Übergänge über die Schule bis ins Erwerbsleben erschwert. Hinzu kommen Ausgrenzungsrisiken in der beruflichen Bildung und am Arbeitsmarkt, die sich sozial und kulturell nachteilig auswirken und ihre biografische Findungsphase erheblich erschwert. Die somit oft mehrfach gescheiterten Jugendlichen verfügen kaum über Ressourcen für eine Bewältigung ihrer Situation. Ihre prekäre Lebenslage verfestigt sich. Sie tauchen in der Wohnungslosenszene oder in anderen Überlebenskulturen unter. Ihre Probleme verschwinden aus der öffentlichen Wahrnehmung.23
Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die unter erschwerten Bedingungen aufwachsen und leben, müssen deshalb Angebote der Begleitung, Förderung und Unterstützung eröffnet werden, damit sie die gleichen Lebenschancen haben wie andere junge Menschen.
Anmerkungen
1. Im Sinne des SGB VIII wird zwischen Jugendlichen (14- bis unter 18-Jährige) sowie jungen Erwachsenen (18- bis unter 27-Jährige) unterschieden.
2. 14. Kinder- und Jugendbericht (KJB) 2013, S. 142.
3. 14. KJB, S. 140.
4. Ebd.
5. Der Deutsche Caritasverband, Abteilung Soziales und Gesundheit, hat zur Thematik 2013 und 2014 zwei fachübergreifende Workshops veranstaltet.
6. www.bagw.de/de/themen/ zahl_der_wohnungslosen
7. Menschen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoäquivalenzeinkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung haben.
8. Statistisches Bundesamt: Datenreport 2013 - Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Bonn, 2013, S. 176 (Tabelle).
9. Krause, Peter; Falkenberg, Hanno; Herzberg, Isabella: Zur Entwicklung von Armutsrisiken bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In: Materialien zum 14. Kinder- und Jugendbericht - Sachverständigenkommission, 2013, S. 34 (Tabelle).
10. www.destatis.de, (Pfad: "Zahlen und Fakten", Gesellschaft und Staat", "Bevölkerung" "Migration und Integration").
11. Bundesagentur für Arbeit (BA): Grundsicherung für Arbeitsuchende in Zahlen. Juni 2014, S. 3.
12. BA, a.a.O., S. 49.
13. www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de, Suchwort "Niedriglohn".
14. KJB, a.a.O., S. 162.
15. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): Berufsbildungsbericht 2014. S. 54.
16. BMBF, a.a.O., S. 51.
17. DGB: Arbeitsmarkt aktuell. Mai 2014, S. 2.
18. Arnold, Norbert; Maier, Wolfgang (Hrsg.): Lebenswelten Jugendlicher mit Migrationshintergrund - Herausforderungen und Perspektiven. Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.: 2010, S. 16.
19. Statistisches Bundesamt (Destatis): Berufsbildung auf einen Blick. 2013, S. 38.
20. BMBF, a.a.O., S. 12. Die Einstiegsqualifizierung für Jugendliche ist ein betriebliches Langzeitpraktikum, dauert mindestens sechs, höchstens zwölf Monate und dient der Vorbereitung auf einen anerkannten Ausbidlungsberuf.
21. BMBF, a.a.O., S. 160.
22. Destatis, a.a.O., S. 40.
23. Lutz, Ronald: Mythos Jugend. Zwischen Realität und gesellschaftlicher Wahrnehmung; www.ev-akademie-meissen.de, Suchwort "Mythos Jugend".
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