Unser Führungsbild ist männlich geprägt
Ursprünglich sollte die Frage beantwortet werden, was Top-Managerinnen auszeichnet. Deshalb wurden diese in einer Studie1 mit gleich gut qualifizierten Mitarbeiterinnen verglichen (insgesamt 125 Personen) – und zwar mit Hilfe von halbstandardisierten Interviews und mit einem berufsbezogenem Persönlichkeitsfragebogen. Dabei zeigten sich die größten Unterschiede bei Führungsmotivation, Flexibilität, Teamorientierung, Selbstbewusstsein und Gestaltungsmotivation. Auch bei den Kriterien Durchsetzungsfähigkeit, Leistungsmotivation, emotionale Stabilität, Belastbarkeit, Sensitivität und Kontaktfähigkeit erzielten die Managerinnen signifikant höhere Werte als die Mitarbeiterinnen. Keine Unterschiede gab es bei Gewissenhaftigkeit und Handlungsorientierung. Führungsfrauen unterschieden sich auch nicht beim Kriterium Soziabilität, bei dem es um Freundlichkeit, Rücksichtnahme und Großzügigkeit gegenüber Schwächen anderer geht. Führungsfrauen streben somit nicht weniger ein harmonisches Miteinander an als Mitarbeiterinnen – ein Ergebnis, das den üblichen Erwartungen widerspricht.
Insgesamt zeigte sich also, dass sich Managerinnen in ihrer Persönlichkeitsstruktur stark von den gleich gut qualifizierten Mitarbeiterinnen abheben. Der Mangel an Frauen in Top-Positionen liegt also nicht allein an den Rahmenbedingungen in Unternehmen und Gesellschaft. Denn es gibt ja Frauen, die es nach oben schaffen. Darüber hinaus verdeutlichen die Ergebnisse der Interviews die vielschichtigen Aspekte, die verhindern, dass Frauen den Aufstieg schaffen. Die Konsequenz daraus ist, dass bei Mitarbeiterinnen mit Potenzial entsprechende Entwicklungsarbeit sowie gendergerechtes Führen nötig ist.
Schnell stellte sich die Frage: Wie sehen eigentlich die Unterschiede zwischen Männern und Frauen aus? Bei einem Vergleich fallen deutliche Unterschiede auf. Chefs unterscheiden sich von ihren Mitarbeitern nämlich nicht nur in puncto Führungsmotivation, Selbstbewusstsein, Gestaltungsmotivation, sondern – anders als die Frauen – auch bei Durchsetzungsstärke und Belastbarkeit. Chefinnen hingegen zeichnen sich durch hohe Teamorientierung und Flexibilität aus. Die Persönlichkeitseigenschaften von weiblichen und männlichen Führungskräften stimmen also nur teilweise überein (s. Tabelle links).
Bei Vorträgen frage ich das Publikum oft nach den Eigenschaften, die Managerinnen am meisten von den Mitarbeiterinnen unterscheiden. Regelmäßig benennen die Zuhörerinnen und Zuhörer dann jene Merkmale, die auf Männer zutreffen. Sie übertragen ein männlich geprägtes Führungsstereotyp auf weibliche Führungskräfte. Das offenbart, dass das „Think-manager-think-male“-Phänomen in unseren Köpfen nach wie vor vorherrscht. Dieses erschwert die Beurteilung im Recruiting- wie im Beförderungsprozess. Auch eine Studie an der Technischen Universität München zu Auswahl und Beurteilungsverfahren für Führungskräfte ergab, dass sowohl von Frauen als auch von Männern die Eigenschaften durchsetzungsstark, dominant und hart als geeignet für Führungsrollen angesehen werden. Frauen wird weniger Führungsstärke zugesprochen, insbesondere wenn sie fröhlich wirken.
Unser Führungsbild ist männlich geprägt; die weibliche Variante müssen wir erst noch entwickeln. Wir tun uns schwer, die Leistung von Managerinnen fundiert beurteilen zu können, und legen schnell männliche Maßstäbe an. Bei der Rekrutierung muss Kompetenz nach wie vor an erster Stelle stehen. Zusätzlich brauchen wir neue Auswahlkriterien, die die weibliche – nämlich teamorientierte und flexible – Herangehensweise berücksichtigen.
Literatur
1. Henn, Monika: Die Kunst des Aufstiegs – Was Frauen in Führungspositionen kennzeichnet. Frankfurt/Main, 2012.
Henn, Monika: Frauen können alles – außer Karriere. In: Harvard Business Manager, 3/2009.