Ohne Not einen originären Dienst am Menschen aufgegeben
Der Anfang: Die Caritas Pflegedienste gGmbH in Wolfsburg wurde 2005 durch die Kirchengemeinde St. Christophorus, den Caritasverband Wolfsburg und den Gesamtverband katholischer Kirchengemeinden in Wolfsburg gegründet. Seit ihrer Gründung war die gGmbH immer wieder in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. In einer den Bestand der Gesellschaft gefährdenden Situation schied 2007 der Gesamtverband als Gesellschafter aus und die Stiftung katholische Altenhilfe trat hinzu. Die gGmbH trug die Altenheime St. Elisabeth und Johannes Paul II. in Wolfsburg sowie die Caritas-Sozialstation Wolfsburg-Süd. Zusammen beschäftigte sie rund 250 Mitarbeitende, betreute insgesamt 258 Bewohner(innen) in beiden Heimen und 156 Patient(inn)en über die Sozialstation. Der Umsatz betrug pro Jahr etwa zehn Millionen Euro. Die Stiftung Altenhilfe war Mehrheitsgesellschafter mit 60 Prozent der Anteile, die Pfarrgemeinde St. Christophorus und der Caritasverband Wolfsburg waren mit jeweils 20 Prozent beteiligt. Die von der gGmbH genutzten Gebäude befinden sich im Eigentum von Kirchengemeinde und Orts-Caritasverband und wurden von der Gesellschaft gepachtet.
Seit 2007 unterstützten das Bistum Hildesheim und die Stiftung Altenhilfe die Gesellschaft mit rund 500.000 Euro, und die Mitarbeiterschaft verzichtete auf Teile des Weihnachtsgeldes. Doch nach wie vor bestand finanzieller Sanierungsbedarf.
Das Sanierungskonzept
Im Januar 2011 verständigten sich die drei Mitarbeitervertretungen der Einrichtungen, deren Wirtschaftsberater sowie die Gesellschafter und Geschäftsführung auf einen moderierten Mediationsprozess. Das Ziel war, ein mehrjähriges Sanierungskonzept zu erarbeiten. Gleich zu Beginn der Beratungen signalisierten die Vertreter der Kirchengemeinde und des Orts-Caritasverbandes, dass sie zum Jahresende als Gesellschafter ausscheiden wollten. Beide Partner erklärten ebenfalls, das wirtschaftliche Eigentum an den Gebäuden an die gGmbH übertragen zu wollen. Zwischen allen Teilnehmer(inne)n bestand von Beginn an Einigkeit darüber, dass Sanierungsmaßnahmen, die allein von der Mitarbeiterseite zu tragen sind, kaum noch durchsetzbar wären. Das gemeinsame Interesse aller Beteiligten war der Erhalt der Gesellschaft. Über Monate wurde ein hochrangig beratenes und von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft verifiziertes Sanierungskonzept erarbeitet. Dieser sogenannte Mediationsspruch wurde im Juli 2011 von allen Beteiligten unterschrieben und enthielt folgende wesentliche Bestandteile:
- Für die Jahre 2011 bis 2014 verzichten die Mitarbeiter(innen) auf Weihnachtsgeld/Jahressonderzahlungen in Höhe von jährlich 152.000 Euro.
- Im Gegenzug verpflichtet sich die Gesellschaft, in dem Zeitraum vom 30. Juni 2011 bis Ende 2014 auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten.
- Zur Liquiditätsstütze erfolgt für das Jahr 2011 ein einmaliger Betrag der drei Gesellschafter von insgesamt 210.000 Euro (jeweils 70.000 Euro).
- Das Bistum Hildesheim, nicht Partei des Mediationsverfahrens, verpflichtet sich für die Jahre 2011 bis 2014, den Bestand der Gesellschaft zu garantieren und Defizitausgleiche zu zahlen.
- Kirchengemeinde und Orts-Caritasverband scheiden auf eigenen Wunsch Ende 2011 als Gesellschafter aus.
- Die Gebäude der beiden Altenheime werden im Rahmen eines langfristigen Erbbaurechtsvertrages oder angepassten Pachtvertrages auf die Gesellschaft übertragen. Alle Darlehensverbindlichkeiten und Belastungen werden dabei auf die gGmbH übergehen.
Im August 2011 stellte die Geschäftsführung den Antrag auf Gehaltsabsenkungen an die Regionalkommission (RK) Nord, der im November befürwortet wurde.
Das Scheitern
Am 8. Dezember 2011 teilte Prälat Heinrich Günther, in persona Vorsitzender der Gesellschafterversammlung, Vorsitzender des Caritasverbandes Wolfsburg und Vorsitzender des Kirchenvorstandes St. Christophorus, der Geschäftsführung der gGmbH mit, dass er den auch von ihm bereits unterzeichneten Mediationsspruch für gescheitert erkläre. In der am 19. Dezember 2011 einberufenen außerordentlichen Gesellschafterversammlung und Aufsichtsratssitzung erklärten Kirchengemeinde und Orts-Caritasverband, dass sie die von ihnen mitvereinbarten Konditionen des Sanierungskonzeptes nicht für akzeptabel halten. Der Kirchenvorstand war nicht bereit, trotz gleichzeitiger Übernahme der Darlehen durch die gGmbH, die Immobilie zu übertragen. Die Begrenzung der Pachten auf die Annuitäten durch langfristige Pachtverträge benachteilige die Eigentümer. Die Bistumsleitung bat Kirchengemeinde und Caritasverband dringend, ihre Haltung zu revidieren. Würden beide Gesellschafter bei ihrer Aufkündigung bleiben, würde die Gesellschaft massiv gefährdet oder zerstört werden. Leider fanden diese eindringlichen Bitten kein Gehör. Kirchengemeinde und Caritasverband erklärten weiterhin das Scheitern des Sanierungskonzeptes und des Mediationsspruchs. Daraufhin trat die Stiftung Altenhilfe als Gesellschafter aus der gGmbH aus, ohne ihren bereits geleisteten Beitrag aus dem Mediationsspruch, den Bistumszuschuss und ihr Stammkapital zurückzufordern. In gleicher Versammlung traten der Aufsichtsrat und die beiden Geschäftsführer zurück.
Die diözesane Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen im Bistum Hildesheim und die Mitglieder der RK Nord versuchten intensiv, die handelnden Parteien zu bewegen, den Beschluss der RK Nord anzunehmen und damit den Erhalt der katholischen Einrichtungen zu ermöglichen. Auch diese Bemühungen waren erfolglos. Bereits am 29. Dezember 2011 meldeten die verbliebenen Gesellschafter Insolvenz an.
Die schwierige Konstellation der gGmbH
Die Gesellschafterversammlung konnte wegen der Interessenkollisionen der Mindergesellschafter Kirchengemeinde und Caritasverband Wolfsburg nie eine bedeutsame Funktion einnehmen und die ausschließlichen Interessen der Gesellschaft fokussiert vertreten. Was gut erdacht und wirtschaftlich zielführend hätte sein können, hat sich als unüberwindliche Schwierigkeit entwickelt, bis hin zur Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft.
Das Engagement der Stiftung Altenhilfe war eindeutig und zielte auf die Konsolidierung und den Fortbestand der Pflegeeinrichtungen. Die Mitglieder der Minderheitsgesellschafter bewegten sich dagegen auf zwei Spielfeldern: Sie wollten zuallererst immer die eigenen Interessen gewahrt wissen, sprich eine möglichst hohe Pacht erzielen. Der Vorsitzende der Gesellschafterversammlung, Prälat Heinrich Günther, unterlag als Geistlicher besonderen Interessenkollisionen in seiner Person. Wenig bis gar nicht hob er den Erhalt der Gesellschaft als Werk der Kirche und Caritas in den Vordergrund, sondern betonte das Trennende, die Begehrlichkeiten von Kirchengemeinde und Caritasverband.
Begehrlichkeiten von Kirche und Caritas
Kein Drängen von Generalvikar Werner Schreer und von Bischof Norbert Trelle vermochte die Entscheidung der Kirchengemeinde und des Caritasverbandes zu revidieren. Dass die Mitarbeiterschaft in den Jahren 2008 bis 2011 bereits auf 700.000 Euro Gehalt verzichtet hatte, galt nicht. Dass das Pflegeheim Johannes Paul II. sich aus verheerenden Qualitätsstandards zum besten Haus der Stadt entwickelt hatte, galt nicht. Auch nicht, dass langwierige, schwierige und wertschätzende Mediationssitzungen stattgefunden hatten. Dass gerade die Alten- und Krankenpflege als Wesenselement der Caritas in der Diaspora besonders wichtig ist, galt nicht. Ohne Not wurde ein originärer Dienst am Menschen aufgegeben.
Das Ende: Nach mehr als einem Jahr Insolvenzverfahren wurden die beiden stationären Einrichtungen im März 2013 an die Diakonie Wolfsburg verkauft, die Sozialstation ging an den Caritasverband Wolfsburg. Heute dürfte an jedes Haus ein Schild genagelt werden: Dieser Verkauf wurde von den Mitarbeitenden bezahlt.