„Sich nicht scheuen, andere um etwas zu bitten“
Vielen Sozialunternehmen mangelt es nicht an innovativen Ideen, wenn es um Inklusion, Teilhabe und Lebensqualität von Menschen mit Behinderung geht. Doch über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen bedeutet oft auch: Ressourcen investieren, die im Budget der Kostenträger (noch) nicht vorgesehen sind. Hier kommen die Fördervereine ins Spiel, deren Mitglieder sich ehrenamtlich auf die Suche nach Sponsoren und anderen Unterstützern machen - eine Aufgabe, die viel Herzblut erfordert und zugleich für alle Beteiligten eine Bereicherung darstellt.
Medikamente finanzieren, die von keinem Kostenträger übernommen werden; innovative Wohnangebote schaffen, die zwar sinnvoll, aber noch nicht etabliert sind; Freizeiten für Menschen ermöglichen, die von Urlaub bisher nur träumen konnten. Die Liste der Ideen, für die sich Fördervereine in der Behindertenhilfe engagieren, ist lang und die Umsetzung nicht immer einfach. "Aber der Einsatz lohnt sich immer, für alle Beteiligten", sagt Johan van’t Hoofd, Vorstandsvorsitzender des Wohnhilfswerks für behinderte Menschen in Oberursel. Wenn man in der Stadt, in der man lebe, engagiert und präsent sei, komme man sehr weit.
Wie recht er damit hat, zeigt die Erfolgsgeschichte des 1979 durch den Arzt Norbert Dickopf gegründeten Vereins. Selbst Vater eines schwerbehinderten Sohnes, machte er es sich zum Ziel, in Oberursel ein Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung in familiärer Atmosphäre und in der Nähe ihrer Eltern zu schaffen. Dabei setzte er von Anfang an auf gemeinschaftliches Engagement: Er fragte Freunde, Bekannte und Patient(inn)en, ob sie ihm bei diesem Projekt behilflich sein könnten, und motivierte sie, dem Verein beizutreten. Hinzu kam wenig später die von ihm initiierte Geschwister-Jeckel-Stiftung, benannt nach Therese Jeckel, die der Stiftung einen Teil ihres Vermögens vererbte. Es gelang Norbert Dickopf, den Caritasverband für die Diözese Limburg als Träger zu gewinnen. Heute gehört das Wohnheim für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, das Alfred-Delp-Haus in Oberursel, zur St. Vincenzstift gGmbH und damit zur Josefs-Gesellschaft (JG-Gruppe). Es besteht aus fünf Häusern, in denen 61 Erwachsene mit Behinderung selbstbestimmt leben.
"Das Besondere an diesem Haus ist unter anderem, dass es aus dem Förderverein heraus erwachsen ist und nicht umgekehrt", meint Stefan Solf, Einrichtungsleiter des Alfred-Delp-Hauses. Deshalb seien die 100 Mitglieder des Wohnhilfswerks und die 400 Förderer emotional so stark mit dem Alfred-Delp-Haus verbunden, das wiederum ohne sie gar nicht denkbar wäre. Das bringe allerdings auch Herausforderungen mit sich: "Ein Förderverein, der sich so stark mit der Einrichtung identifiziert, möchte und soll natürlich auch mitreden", erklärt der Einrichtungsleiter. Eine vertrauensvolle und partnerschaftliche Zusammenarbeit aller Beteiligten sei daher besonders wichtig. Johan van’t Hoofd vom Wohnhilfswerk weiß um diese Problematik: "Wir wollen das Schiff nicht lenken, sondern sehen uns in beratender und unterstützender Funktion. Und was das Finanzielle angeht, gilt in jedem Fall das Nachrangigkeitsprinzip: Wir setzen nur da an, wo das Budget des Trägers aufhört."
Örtliche Vereine werden Partner
Das gilt auch für den Freundes- und Förderverein für das Josefshaus Lipperode, das Wohnmöglichkeiten für 52 Erwachsene mit Behinderung bietet. Der erste Vorsitzende Meinolf Kleine findet sogar: "Aus den Strategien und Konzepten der Einrichtung hält sich ein Förderverein besser heraus, denn das ist einfach nicht unsere Aufgabe. Da ist viel Sensibilität gefragt." Meinolf Kleine kennt auch die andere Seite: Er hat das Josefshaus lange geleitet und war anschließend Geschäftsführer des Josefsheims in Bigge. Das Josefshaus Lipperode besteht seit 1921, zunächst als eigenständige Einrichtung der JG-Gruppe, heute als Zweigstelle des Josefsheims in Bigge. Der Förderverein wurde 1994 unter großer Beteiligung der Bevölkerung gegründet. Das Motto lautete: "Behinderte Menschen, eine Randgruppe unserer Stadt? - Nein danke!" Die katholische Kirche hatte damals ihren Sonntagsgottesdienst unter das Thema "Behinderte Menschen" und "Miteinander leben" gestellt.
Schon im ersten Jahr nach der Gründung des Fördervereins knüpften die Mitglieder intensive Beziehungen zu den örtlichen Vereinen. Schnell sprang der Funke über und unterschiedliche Menschen und Gruppen im Ort begannen, sich mit ihren individuellen Mitteln für das Josefshaus einzusetzen. So gestalteten zum Beispiel Mitglieder des Schützenvereins einen Aktionsplatz hinter der Einrichtung: Über 14 Tage lang fuhren die Schützen in freiwilliger Eigenleistung Sand, verlegten Pflastersteine und pflanzten Bäume, so dass Veranstaltungen im Freien möglich wurden - etwa der "Musikgarten" am Sonntagnachmittag, aus dem später das jährliche Sommerfest erwuchs. Mittlerweile ist es fester Bestandteil des Lipperoder Veranstaltungskalenders geworden.
Kontakte knüpfen und vor Ort präsent sein
Wie gelingt es, das Anliegen eines Fördervereins zum Anliegen vieler zu machen? Meinolf Kleine vom Verein der Freunde und Förderer in Lipperode weiß: "Damit Menschen sich für ein Projekt engagieren können, müssen sie es zunächst einmal kennen." Deshalb sei es wichtig, sich häufig zu zeigen und die Öffentlichkeit zu informieren - ganz nach dem Motto: "Tue Gutes und rede darüber!" Von Anfang an habe er auch die Medien dazu genutzt und intensiv Pressearbeit betrieben. "Wir wollen damit auch Transparenz herstellen - denn nur so können wir Vertrauen und damit auch Mitglieder, Helfer und Spender gewinnen", sagt Meinolf Kleine.
Johan van’t Hoofd ist sich sicher: "Wenn man von einer Sache selbst überzeugt ist und sich damit identifiziert, kann man andere auch dafür begeistern." Man dürfe sich nicht scheuen, andere um etwas zu bitten. Das funktioniere besonders gut mit vielen Kontakten, die man am besten knüpfen könne, wenn man oft und an vielen Orten präsent sei.
Was "Networking" bewirken kann, zeigt zum Beispiel die Entwicklung eines neuen, ambulanten Wohnangebots für Menschen mit Behinderung in Oberursel, mit dem das Wohnhilfswerk auf den großen Bedarf vor Ort reagierte. Innerhalb kürzester Zeit gelang es Johan van’t Hoofd und den anderen Mitgliedern des Wohnhilfswerks, ein geeignetes Haus zu finden, den Mietpreis zu halbieren, den Eigentümer für die ehrenamtliche Bauaufsicht über die notwendigen Umbauten zu gewinnen und eine Bauzeichnerin zu bewegen, unentgeltlich für das Projekt zu arbeiten. "Jetzt haben wir ein wunderschönes Haus, in dem sieben junge Erwachsene mit besonderem Hilfebedarf leben und das super funktioniert", freut sich der Einrichtungsleiter des Alfred-Delp-Hauses, Stefan Solf. Die Kosten wurden zu jeweils einem Drittel vom Alfred-Delp-Haus, vom Wohnhilfswerk und von der Geschwister-Jeckel-Stiftung getragen. "Diese Drittelung der Kosten funktioniert sehr gut, denn so bleiben alle Beteiligten in der Verantwortung", erklärt der Vorstandsvorsitzende des Wohnhilfswerks Johan van’t Hoofd.
Der Trend geht zum projektbezogenen Engagement
Beide Fördervereine schauen positiv in die Zukunft, auch was die Anzahl der Mitglieder betrifft. "Einen großen Anteil machen die Angehörigen der Menschen aus, die bei uns wohnen", sagt Johan van’t Hoofd, "und da ist das Alter völlig gemischt." Auch Meinolf Kleine vom Verein der Freunde und Förderer hat keine Sorge, dass es künftig zu einem Mitgliederschwund kommen könnte. Einrichtungsleiter Stefan Solf stellt jedoch fest: "Das gesamte Ehrenamt und Spendenwesen hat sich verändert, mehr und mehr vom langfristigen hin zum projektbezogenen Engagement." Es sei nicht mehr selbstverständlich, dass einmal geworbene Mitglieder auf ewig bleiben. "Dafür kommen immer wieder neue hinzu und die Leute stehen mit Herzblut hinter dem Projekt, das sie unterstützen. Und das ist wichtig."