Aids geht immer noch jeden an
Die Diagnose HIV wird von Betroffenen im Allgemeinen als Schock erlebt. Wie geht mein Leben mit der HIV-Infektion weiter? Werde ich bald schwer erkranken? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Kann ich meinen Beruf weiter ausüben? Wem soll oder kann ich davon erzählen? Dies sind nur einige der drängenden Fragen, die Betroffenen durch den Kopf gehen.
Leben mit HIV und Aids heute
Die Lage um HIV und Aids hat sich seit dem ersten Auftreten der Immunschwäche Anfang der 80er Jahre stark gewandelt. Früher wurde eine HIV-Infektion als Todesurteil verstanden, heute gilt sie als behandelbare, chronische Erkrankung. Dank neuer wirksamer antiretroviraler Medikamente können HIV-infizierte Menschen in Ländern mit einer guten medizinischen Versorgung und bei rechtzeitigem Therapiebeginn mit einer annähernd normalen Lebenserwartung rechnen.
Doch wie das Leben mit HIV tatsächlich langfristig verläuft, wird sich erst in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zeigen. Auch dürfen die Menschen mit HIV nicht vergessen werden, die unter Nebenwirkungen der Medikamente leiden, mit Begleiterkrankungen zu kämpfen haben oder von Resistenzbildungen betroffen sind, die zu einer nachlassenden Wirksamkeit der Medikamente führen.
Hinzu kommen häufig psychische und soziale Belastungen. Auch wenn in der Öffentlichkeit Toleranz und Solidarität mit Menschen mit HIV propagiert wird, bestehen in vielen Teilen der Bevölkerung noch immer Vorurteile und Unwissenheit, oft einhergehend mit irrationalen Ängsten vor einer Ansteckung.
Laut der 2012 veröffentlichten Studie "Positive Stimmen" der Deutschen Aids-Hilfe1 haben knapp 77 Prozent der HIV-infizierten Befragten im Zeitraum 2010/2011 Diskriminierung erlebt - von "Tratsch" über Beleidigungen bis hin zu tätlichen Angriffen.
Aus Angst vor Ausgrenzung und Stigmatisierung verschweigen die meisten Menschen mit HIV ihre Infektion und weihen - wenn überhaupt - nur sehr wenige ihnen nahestehende Menschen ein. Viele Angehörige fühlen sich von der Nachricht überfordert, sie müssen teilweise selbst beruhigt und "getröstet" werden. So sind sie nicht immer eine Unterstützung für die direkt Betroffenen, die sich mit ihren eigenen Fragen und Ängsten häufig alleingelassen fühlen.
Die HIV-Infektion ist oft nur ein Problem von vielen, das die Betroffenen belastet. Sie stecken häufig noch in anderen sozialen und materiellen Problemlagen.
Schätzungen zufolge nehmen in Deutschland zwei Drittel aller HIV-Infizierten am Arbeitsleben teil. Dennoch geraten viele Menschen mit HIV in finanzielle Notlagen, sei es, weil sie kein existenzsicherndes Einkommen haben, sei es, weil sie erwerbsunfähig oder arbeitslos werden.
Aids kann jeden treffen
Dank der Behandlungserfolge (über)leben immer mehr Menschen mit HIV in Deutschland. Ende 2012 wurde ihre Zahl auf 78.000 geschätzt. Den größten Anteil (65 Prozent) der Menschen mit HIV in Deutschland stellen Männer, die Sex mit Männern haben.2 Trotzdem kann HIV jeden und jede treffen, nicht nur die sogenannten Risikogruppen. Menschen, die mit HIV in Deutschland leben, sind sehr unterschiedlich, was Alter, Herkunft, Bildungsniveau und Lebenssituation angeht. Homo-, bi-, trans- und heterosexuelle Menschen, Migrant(inn)en aus Ländern mit hohen Infektionsraten oder Drogengebraucher(innen) haben jeweils sehr individuelle Fragestellungen, Ressourcen und Bedürfnisse. Was sie verbindet, ist die HIV-Diagnose, der tägliche Umgang mit einer unheilbaren Erkrankung, das Tabuthema Aids und die Angst vor Stigmatisierung und Ausgrenzung.
Auf die speziellen Bedürfnisse von Frauen ausgerichtet
Betroffene finden seit über zwanzig Jahren Hilfe und Unterstützung bei Caritas-Aids-Beratungsstellen. Deren Angebot umfasst die allgemeine Information und Beratung zu HIV und Aids, die spezielle Beratung, Begleitung und Betreuung3 von Menschen mit HIV und deren Angehörigen sowie Gruppenangebote und Prävention.
In Freiburg wurde 1989 der SkF-Treff als Aids-Beratung für Frauen und Familien gegründet. Zunächst unter Trägerschaft des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) Diözesanverein Freiburg gehört die Beratungsstelle seit 2002 zum SkF Ortsverein Freiburg. Im Gegensatz zu den anderen Caritas-Aids-Beratungsstellen, die Männern und Frauen gleichermaßen offenstehen, ist der SkF-Treff auf die spezifischen Bedürfnisse von Frauen mit HIV und Aids ausgerichtet.
Die Frauen, die die Beratungsangebote des SkF-Treffs nutzen, sind sehr verschieden. Das Bildungsniveau reicht von der Analphabetin bis zur Akademikerin, das Alter von der Zwanzigjährigen bis zur Rentnerin mit 70. Knapp die Hälfte der Frauen kommt aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara. Viele dieser Frauen haben mit Sprachproblemen zu kämpfen, haben Schwierigkeiten, sich in einer völlig anderen Kultur zurechtzufinden, leben am Existenzminimum oder leiden an posttraumatischen Belastungsstörungen. Doch auch Frauen ohne Migrationshintergrund, die den Treff aufsuchen, leben oft sehr zurückgezogen oder haben ein schwieriges soziales Umfeld. Viele leiden zusätzlich unter psychischen Begleiterkrankungen, vor allem Depressionen, Psychosen oder Suchterkrankungen.
Die SkF-Aids-Beratungsstelle in Freiburg bietet psychosoziale Beratung für HIV-infizierte Frauen und ihre Familien sowie begleitende Unterstützung im Leben mit der HIV-Infektion. Dazu zählen die medizinische Basisinformation zu Infektionsrisiken, zu Diagnose und Verlauf der HIV-Infektion sowie die therapieergänzende Beratung, zum Beispiel zum Umgang mit Nebenwirkungen. Häufig besteht auch ein großer Beratungsbedarf zu sozialrechtlichen Fragestellungen und viele benötigen Unterstützung in Behördenangelegenheiten. Immer öfter suchen Frauen Hilfe in akuten Krisensituationen. Um finanzielle Notlagen abzufangen, spielt die Erschließung finanzieller Einzelfallhilfen, beispielsweise über Stiftungen, eine große Rolle.
Kinderwunsch ist keine Utopie mehr
Die aktuelle medizinische Entwicklung hat auch zu einer Normalisierung beim Thema Kinderwunsch und Schwangerschaft geführt. HIV-infiziert zu sein bedeutet nicht, auf ein Kind verzichten zu müssen. Durch optimale medizinische Versorgung gelingt es heute, das Infektionsrisiko für das Kind auf unter zwei Prozent zu senken. Kinderwunsch ist daher inzwischen ein häufig nachgefragtes Thema.
Eine immer größere Rolle spielt der Aspekt "Älter werden mit HIV". Hierbei geht es beispielsweise um den Umgang mit alterstypischen Erkrankungen im Unterschied zu denen, die mit der HIV-Infektion in Verbindung stehen. Bei Bedarf wird nach geeigneten Unterstützungsangeboten wie Pflegediensten oder betreutes Wohnen gesucht. Dabei ist es vor allem wichtig, bei den jeweiligen Einrichtungen und Fachkräften auf einen offenen und akzeptierenden Umgang mit den HIV-infizierten Menschen zu treffen. Zur Caritas-Aidsarbeit gehören auch Einrichtungen wie Hospize und betreutes Wohnen, die sich auf die Arbeit mit HIV-infizierten Menschen spezialisiert haben.
Insgesamt bemüht sich der SkF-Treff um ein möglichst niedrigschwelliges Angebot für HIV-infizierte Frauen und ihre Familien. Für viele ist das Aufsuchen einer Aids-Beratungsstelle ein großer Schritt, der viel Überwindung kostet. Entgegen kommt vielen Klientinnen daher die Tatsache, dass sich die Beratungsstelle die Räumlichkeiten mit anderen Einrichtungen des SkF Freiburg teilt. Die für HIV-infizierte Frauen so wichtige Anonymität bleibt somit weitgehend gewährleistet. Möglich ist auch aufsuchende Beratung, zum Beispiel über Haus- und Klinikbesuche. Beratungsgespräche mit Frauen mit Migrationshintergrund können auch in englischer und französischer Sprache geführt werden. Gerade bei komplizierten Sachverhalten oder bei emotional sehr bewegenden Themen bedeutet dies für die Frauen eine enorme Erleichterung.
Haben HIV-infizierte Frauen sich gegenüber den Beraterinnen geöffnet und Vertrauen gefasst, ist der SkF-Treff oft die erste Anlaufstelle für unterschiedlichste Anliegen. In einer Art "Lotsenfunktion" bieten die Beraterinnen Orientierung und vermitteln gegebenenfalls an andere Stellen weiter. Die enge Zusammenarbeit mit Behandlern (Ärzten, Kliniken, Therapieeinrichtungen) sowie mit weitergehenden Unterstützungsangeboten (ambulante Hilfen, psychosoziale Einrichtungen, Rechtsanwälte) ist hierbei von großer Bedeutung. Da eine HIV-Infektion mitunter auch für indirekt Betroffene ein schwieriges Thema sein kann, steht der Treff auch Angehörigen offen.
Neben der Einzelberatung gibt es Gruppenaktivitäten, wie Frühstückstreffen, Filmabende und eine Migrantinnengruppe. Dort können sich HIV-infizierte Frauen in einem geschützten Rahmen mit anderen Betroffenen über ihre Erfahrungen austauschen.
Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld der Caritas-Aids-Beratung ist die Prävention. Darunter fallen sowohl zielgruppenspezifische Angebote wie Workshops mit Jugendlichen, als auch Aktivitäten, die sich an die Allgemeinbevölkerung richten, etwa die alljährlichen Informationsstände zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember. Ziel der Präventionsarbeit ist es, neue Infektionen mit HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten zu verhindern, die Solidarität mit Betroffenen zu stärken und der Stigmatisierung entgegenzuwirken. Da die Beratungsarbeit mit Betroffenen zu deren Schutz eher im Verborgenen und Stillen stattfindet, ist Öffentlichkeitsarbeit unbedingt erforderlich. Die Thematik HIV/Aids muss weiterhin im Bewusstsein der Bevölkerung verankert und ein realistisches Bild abseits von Panikmache auf der einen und Verharmlosung auf der anderen Seite vermittelt werden.
Anmerkungen
1. Vgl.: Die Deutsche Aids-Hilfe veröffentlichte am 22. August 2012 erstmals Daten zur Diskriminierung von Menschen mit HIV (www.aidshilfe.de/de/aktuelles/meldungen/deutsche-aids-hilfe-veroeffentlicht-erstmals-daten-zu-diskriminierung-von-mensch, Stand: 3. September 2013).
2. Robert Koch Institut (Hrsg.): Epidemiologisches Bulletin Nr. 47 vom 26. November 2012, HIV/Aids in Deutschland - Eckdaten der Schätzung, S. 467.
3. Einzelne Caritas Aids-Beratungsstellen bieten auch betreutes Wohnen an.