Personalentwicklung: Fachkräfte mit Kreativität gesucht
Wirtschaftliche und regulatorische Zwänge in der sozialen Dienstleistungserbringung nehmen zu. Die Gesellschaft sowie fachliche Rahmenbedingungen verändern sich. Dies erfordert eine permanente, kreative Anpassung und Weiterentwicklung personalwirtschaftlicher Strategien und Instrumente.
Die wirtschaftliche Situation ist eine Herausforderung
Die wirtschaftliche Lage vieler Dienste und Einrichtungen ist angespannt, der Kostendruck auf den meisten sozialen (Teil-)Märkten hoch. Nicht nur in Baden-Württemberg rutschen Krankenhäuser, Reha-Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen immer tiefer in bisweilen existenzbedrohende Finanzierungskrisen.1 Die Luft für viele ambulante Dienste auch der Caritas wird zunehmend dünner, denn alles steht und fällt mit dem Verhältnis von Entgelten und Tarifen. Gerade für kirchliche Träger stellt eine begrenzte lohnpolitische Flexibilität innerhalb des bestehenden AVR-Tarifgefüges sowie der hieran gekoppelten Altersvorsorgesystematik eine zentrale Herausforderung dar. Nicht vergütete Kostensteigerungen sind für Sozialunternehmen ein steigendes Risiko – die Übernahme von Tarifsteigerungen ohne eine entsprechende Berücksichtigung bei den Pflegesätzen lässt die Branche zunehmend in eine „strategische Falle“ laufen.
Die Anpassung der Leistungsvergütungen muss eine zentrale politische Aufgabe in der neuen Legislaturperiode sein, denn der rasant wachsende Pflegebedarf kostet Geld. Diese sozialpolitische Notwendigkeit steht in engem Bezug zur Steigerung der Attraktivität sozialer Berufe im Lichte des Fachkräftemangels. Die große körperliche und psychische Arbeitsbelastung, Belastungen durch Wochenenddienste und zeitlich eng gestrickte Dienstpläne stellen hohe Anforderungen an das Personal dar, die sich auch in einer adäquaten Entlohnung widerspiegeln sollten.
Um die Attraktivität sozialer Berufe zu steigern, spielen Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Förderung von lebenslangem Lernen, eine flexiblere Organisations- und Arbeitsgestaltung und Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung neben der Entlohnungsfrage eine wichtige Rolle. Im Prinzip bietet der AVR-Tarif ein vergleichsweise gutes Entlohnungsniveau.2 In diesem Zuge stellt die Stiftung Liebenau immer wieder ein großes Unwissen bei jungen Menschen über die Motivation für das Ergreifen von Pflegeberufen, die Ausbildungsinhalte sowie Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten fest. Die vergleichsweise hohe Ausbildungsvergütung und die zu realisierenden tariflichen Vergütungen im AVR-Bereich überraschen junge Menschen in der Phase der Berufsorientierung immer wieder.
AVR-Gefüge braucht mehr Spielräume
Dennoch bewegen sich kirchliche Sozialunternehmen vor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage zunehmend auf einem schmalen Grat. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, bedarf es neben auskömmlichen Entgelten für die soziale Dienstleistungserbringung größerer Bewegungsspielräume innerhalb des bestehenden AVR-Tarifgefüges. Gemeinsam mit anderen Trägerorganisationen hat die Stiftung Liebenau hierzu bereits mehrfach konstruktive Vorschläge eingebracht wie zum Beispiel im AVR-Eckpunktepapier. Sie wird dies auch weiterhin gegenüber den arbeitsrechtlich verantwortlichen Gremien und Institutionen fortführen. Zudem ist in einem größeren Kontext die aktuelle Debatte über die Weiterentwicklung des „Dritten Wegs“ bei Caritas und Diakonie im Lichte des BAG-Urteils3 weiter aufmerksam zu verfolgen.
Auf Grundlage dieser herausfordernden wirtschaftlichen und tariflichen Zusammenhänge ist ein personalwirtschaftlich vorausschauend-kreatives Handeln ein permanenter unternehmenspolitischer Balanceakt zwischen dem Erhalt sozialwirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und der personellen Nachwuchs- und Führungskräftesicherung.
Steigende Nachfrage führt zu größerem Personalbedarf
Branchenbefragungen zeigen regelmäßig auf, dass mit einer weiter steigenden Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen zu rechnen ist.4 Für die Angebots- und Dienstleistungsentwicklung bedeutet dies nicht zwangsläufig den Ausbau stationärer Einrichtungen: die Weiterentwicklung und der Ausbau ambulanter und kleinteilig (teil-) stationärer Wohn-, Betreuungs- und Arbeitssettings rücken seit Jahren in den Fokus von Unternehmensstrategien. Hierdurch wird auch der Bedarf an qualifizierten Mitarbeitenden schon kurzfristig zunehmen und den bereits heute wirksamen Fachkräftemangel verschärfen. Hinzu kommt, dass das vorhandene Personal – wie die Bevölkerung insgesamt – altert und zu einem großen Teil mit den Babyboomer-Jahrgängen zu einem Zeitpunkt in den Ruhestand treten wird, ab welchem in immer höherem Umfang mit Gesundheits- und Pflegeleistungen zu rechnen sein wird.5
Vergleicht man die zahlreichen Studien zu zukünftigen Personalbedarfen, wird die drohende Fachkräftelücke offenkundig. So prognostiziert beispielsweise der Pflegereport der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2012 bis 2030 einen zusätzlichen Bedarf von bis zu 500.000 Vollzeitkräften in der Pflege.6 Bei aller Dramatik, die aus diesen Zahlen ablesbar ist, ist jedoch auch positiv festzuhalten, dass für die bereits in der letzten Dekade gestiegenen Pflegenachfrage bis dato immer Personal gewonnen werden konnte: Setzt man die Zunahme der vollstationären Pflegeversorgung in den letzten Jahren in Bezug zu den konstant gewachsenen Beschäftigungszahlen im gleichen Zeitraum, zeigt sich ein positiver Zusammenhang: Stieg Erstere um circa 19 Prozent, wuchs die Zahl der Beschäftigten im stationären Sektor um 31 Prozent. Diese positive Entwicklung ist eingebettet in eine insgesamt positive Gesamtentwicklung der Zunahme der Beschäftigungsverhältnisse in Pflege-, Sozial- und Gesundheitsberufen – deren Zahl stieg zwischen 2000 und 2010 um 21 Prozent.7 Dies zeigt, dass Sozialunternehmen angesichts der demografischen Entwicklung in Bezug auf den Personalbedarf nicht ganz ohne Handlungsmöglichkeiten sind. Jedoch bleibt der Fachkräftemangel auf allen Ebenen heute und mittel- bis langfristig ein großes Problem: Manch Sozialunternehmen rechnet damit, dass bestehende und neue Dienstleistungen nicht aufrechterhalten beziehungsweise überhaupt gar nicht erst angeboten werden können.
Wie können Unternehmen Fachkräfte erreichen?
Welche Instrumente können Sozialunternehmen nutzen, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken? Sozialunternehmen müssen durch ihr Personalmarketing alle jungen Talente auf allen Bildungsstufen ansprechen und erreichen. Um junge Menschen schon frühzeitig für das Ergreifen von sozialen Berufen zu begeistern, sind Unternehmensauftritte auf regionalen Bildungsmessen ein klassischer Weg. Doch nicht nur in prosperierenden wirtschaftlichen Regionen ist die Konkurrenz um diese Zielgruppe besonders hoch. Daher sind weitere, gezielte Angebote für die Berufsorientierungsphase junger Menschen zu entwickeln: Die Verankerung von Sozialpraktika als festem Bestandteil schulischer Curricula ist hierbei ein wirksamer Weg.8 Jugendliche sollen dabei soziale Fähigkeiten erwerben, soziale Lebenswelten kennenlernen und hierdurch eventuell Berufsperspektiven im sozialen Bereich für sich entdecken. Im Rahmen fester Bildungspartnerschaften mit Schulen ist dies ein vielversprechender Baustein von Strategien zur Nachwuchssicherung. Gerade kirchliche Träger sollten zudem den Bereich der kirchlichen Jugendarbeit verstärkt für vergleichbare Partnerschaften und Aktivitäten in den Blick nehmen.
Eine große Chance im Wettstreit um junge Menschen besteht zudem in der Entwicklung neuer, attraktiver Berufsbilder für soziale Berufe. Hier müssen Entwicklungspfade im Sinne einer lebenszyklusorientierten Personalentwicklung aufgezeigt werden. Dies geht einher mit der Frage, welche Versorgungsstrukturen wir in Zukunft brauchen, nicht zuletzt im Kontext der Auflösung der sogenannten „Versäulung“. Welche Mitarbeitenden mit welchen Kompetenzen/Qualifikationen braucht es in Zukunft? Das zentrale Stichwort lautet hier Multidisziplinarität. Zukünftig bedarf es zum Arbeiten in säulen- und hilfesystemübergreifenden Strukturen der Fähigkeit zu interprofessioneller Kooperation in Netzwerken, die Bereitschaft zu Verantwortungsübernahme und Aufgabendelegation sowie Managementkompetenzen (vor allem auf Leitungsebene). An der Schnittstelle zwischen Praxis, grundständiger beziehungsweise akademischer Berufsausbildung sowie angewandter Versorgungsforschung wird es darauf ankommen, entsprechend praxistaugliche „Skill-and-Grade-Mix“-Modelle für die (zukünftige) soziale Dienstleistungserbringung weiterzuentwickeln und umzusetzen.9
Mitarbeitersuche im Netz
Seit geraumer Zeit hat der Begriff der „Generation Y“ in der Sozialbranche Einzug in die Debatte um die Gewinnung von Nachwuchsführungskräften gefunden. Wer ist die „Generation Y“? Es handelt sich um die heutige Generation junger Berufseinsteiger und -tätiger im Alter zwischen 18 und 33 Jahren, die ein hohes Bildungsniveau haben, technologieaffin sind, das Arbeiten in virtuellen Teams mit flachen Hierarchien bevorzugen und hohen Wert auf eine Work-Life-Balance legen.
Wie findet man diese Mitarbeitenden? Hierzu eignen sich Instrumente wie beispielsweise digitales Kandidaten-Sourcing. Grundlage hierfür ist die Annahme, dass Mitglieder der „Generation Y“ Spuren im digitalen Raum hinterlassen (Social-Media-Netzwerke, Karriereportale). Personaler müssen auch diese digitalen Fährten aufnehmen, um geeignete Kandidat(inn)en zu finden. Unbenommen aller Aktivitäten der externen Gewinnung von Nachwuchskräften ist dabei immer das innerbetriebliche Potenzial „unauffälliger“ Mitarbeiter(innen), die sich für Führungsaufgaben eignen, zu prüfen und zu heben.
Ein zunehmend verbreitetes Instrument der Personalbeschaffung ist die Anwerbung von ausländischen Kranken- und Pflegefachkräften. Mit dem Fachkräftemangel bereits akut konfrontierte Dienste und Einrichtungen greifen gegenwärtig, nicht zuletzt im Lichte der derzeitigen Krise in den südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, auf Möglichkeiten der Anwerbung hochqualifizierter, aber in ihren Heimatländern arbeitsloser Kranken- und Pflegefachkräfte zurück, um ihren Versorgungsauftrag sicherzustellen. Eigene Erfahrungen in einem Anwerbeprojekt für Fachkräfte aus Spanien und Portugal zeigen, dass neben einer qualifizierten Sprachschulung der Hilfe beim Zurechtfinden in einer neuen soziokulturellen Umgebung im Berufsumfeld und im gesellschaftlichen Leben eine große Bedeutung zukommt. Man darf diese jungen Menschen hier nicht alleinelassen und muss sie begleiten.
Zunehmend wird die ethische Dimension von Anwerbemaßnahmen beleuchtet, da wiederum in den Herkunftsländern personelle Engpässe entstehen können. Um die Notwendigkeit von Anwerbemaßnahmen zumindest zu dämpfen, rückt die Frage nach der Erhöhung der beruflichen Verweildauer von älteren und berufserfahrenen Mitarbeitenden in den Fokus.
Angebote und Strategien der Personalentwicklung
Lebenslanges Lernen von Mitarbeitenden zu ermöglichen spielt hinsichtlich der Erhöhung der Verweildauer in erlernten Berufen durch die Vermittlung aktueller fachspezifischer Berufskenntnisse eine zentrale Rolle. Berufsfachliche und kompetenzorientierte Weiterbildungsangebote, die lebenslanges Lernen ermöglichen, sind jedoch nicht nur zentrale Bausteine der Personal-, sondern auch der Organisationsentwicklung.
Das ESF-finanzierte Personalqualifizierungsprojekt „LoVe – Lokale Verantwortungsgemeinschaften in kleinen Lebenskreisen“ wurde im Rahmen des von der Stiftung Liebenau mitinitiierten Netzwerks „Soziales neu gestalten (SONG)“ umgesetzt. Das hier entwickelte Handlungsprofil „Dienstleistungs- und Netzwerkmanagement“ zielt auf eine horizontale Aufgabenerweiterung von Einrichtungs-/
Pflegedienstleitungen der Alten- und Behindertenhilfe ab, die zu säulenübergreifendem Handeln im inklusiven Sozialraum befähigt. Diese und weitere im LoVe-Projekt entwickelte Fortbildungen können unter dem Motto „Qualifiziert fürs Quartier“ nun auch von Mitarbeitenden weiterer Dienste und Einrichtungen der Sozialwirtschaft sowie von Kommunen aus dem ganzen Bundesgebiet absolviert werden.10
Viele Sozialunternehmen sehen sich verstärkt mit Fragen der Nachfolgeplanung auf Führungsebene konfrontiert.11 Hierbei ist die Nutzung des innerbetrieblichen Potenzials von jungen Nachwuchskräften im Sinne eines langfristig angelegten Talentmanagements ein zentrales Handlungsfeld des strategischen Personalmanagements. Die Stiftung Liebenau nutzt hier das Instrument der Führungswerkstatt. Im Zentrum steht die methodische Vermittlung von Führungs- und Persönlichkeitskompetenzen an leitende Mitarbeitende, die absehbar Verantwortung übernehmen, seit kurzem in Führungspositionen sind oder bereits Führungsverantwortung haben. Für Führungspositionen im kaufmännischen Bereich bildet die Stiftung Liebenau im Rahmen der dualen Hochschulausbildung Nachwuchskräfte passgenau aus.
Gemeinsam mit der federführend verantwortlichen Paul-Wilhelm-von-Keppler-Stiftung riefen die Stiftung Liebenau und vier weitere Sozialunternehmen das wiederum ESF-geförderte Führungskräfteprojekt „TrendFuture“ ins Leben. Basierend auf einem individuell bedarfsspezifischen Entwicklungsprogramm werden trägerübergreifend aktuelle Führungs- und Managementfähigkeiten vermittelt und durch ein Coaching-Programm begleitet. Hierdurch wird zudem ein trägerübergreifender Führungsnachwuchskräftepool aufgebaut.
Personalwirtschaftlich kreatives Handeln heißt also, neue Denkansätze zur Nachwuchs-, Fachkraft- und Führungskräftesicherung zu verfolgen.
Anmerkungen
1. Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft: Pressemitteilung BWKG-Indikator, Stuttgart, 2012.
2. Siehe Krimmer, Pascal: Die Caritas zahlt vergleichsweise gut. In: neue caritas Heft 2/2013, S. 14–17.
3. BAG-Urteil vom 20. November 2012, 1 AZR 179/11.
4. Deloitte & Touche: Sozialwirtschaft – neue Herausforderungen: Auswertung der Deloitte-Umfrage Dezember 2011 bis Januar 2012. München, 2012.
5. Robert-Bosch-Stiftung: Qualität und Sicherstellung der zukünftigen Gesundheitsversorgung – Memorandum der Kooperation für Gesundheitsberufe. Stuttgart, 2011.
6. Bertelsmann-Stiftung: Themenreport „Pflege 2030“. Was ist zu erwarten – was ist zu tun? Gütersloh, 2012.
7. Bundesagentur für Arbeit: Arbeitsberichterstattung – Gesundheits- und Pflegeberufe. Nürnberg, 2011.
8. Angele, Claudia et al.: Lernchance Sozialpraktikum – Wirkungen sozialen Engagements Jugendlicher in sozialen Einrichtungen. Freiburg, 2012.
9. Rappold, Elisabeth: Berufliche Kompetenzprofile im Wandel – Neuverteilung von Tätigkeiten in Pflege/Gesundheitsberufen. (Unveröffentlichtes Vortragsmanuskript.) Meckenbeuren-Liebenau, 2013.
10. Nähere Informationen unter www.netzwerk-song.de
11. ConQuaesso; Bank für Sozialwirtschaft: IEGUS: Nachfolgeplanung auf Leitungsebene in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Berlin, 2013.