Ein Handlungsfeld, das es dringend zu bearbeiten gilt
Glaubt man den Beteuerungen in Politik und (Sozial-)Wirtschaft, dann stellen die ehren- und hauptamtlich Mitarbeitenden die wichtigste Ressource von gewinnorientierten wie von Non-Profit-Unternehmen dar. Für eine Branche wie die Sozialwirtschaft muss diese Aussage von besonderer Bedeutung sein: Beim Erbringen personenbezogener Dienstleistungen hängt die Qualität der Arbeitsprozesse und -ergebnisse nahezu vollständig von der Qualifikation und Motivation ihrer ehren- und hauptamtlich Mitarbeitenden ab. Hinzu kommt, dass der Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten, je nach Dienstleistung, regelmäßig rund 70 Prozent und mehr beträgt. Ein wirtschaftliches Argument, das die Relevanz des Faktors Personal zusätzlich unterstreicht. Was sollte daher also näher liegen, als den Mitarbeiter(inne)n in den Einrichtungen sozialer Organisationen besondere und nachhaltige Zuwendung zukommen zu lassen und dafür zu sorgen, dass diese wichtigste "Ressource" nicht verloren geht?
Wichtig und doch kaum gepflegt: Mitarbeiterbindung
Inwiefern diese Einsicht über das bloße gedankliche Nachvollziehen hinaus schon in der personalpolitischen Wirklichkeit der Caritas angekommen ist, erscheint fraglich. Die "Empfehlungen zur Personalpolitik im Deutschen Caritasverband" weisen als Handlungsfelder der Personalpolitik das klassische Repertoire der Grundfunktionen auf: Personalplanung, -gewinnung, -entwicklung und -führung, Vergütung und Ausbildung, ergänzt um wichtige Themen wie Chancengleichheit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf.1
So wichtig und richtig diese Handlungsfelder auch sind, so sind sie gleichermaßen auch unvollständig, jedenfalls was die explizite Nennung anbelangt. Wenn die "Empfehlungen" als Anforderungsprofil der Professionalität sozialer Berufe ausdrücklich auch die "Loyalität der Beschäftigten" zum kirchlichen Selbstverständnis und zu den Zielen des Dienstgebers bezeichnen, dann wird dies durch keines der oben genannten Handlungsfelder abgedeckt. Dabei entspricht dieser Gedanke einem Handlungsfeld, das angesichts gesellschaftlicher, rechtlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen für die Caritas bedeutsamer kaum sein könnte. Die Rede ist von Themenbereichen, die häufig mit (modischen) Begriffen wie Commitment oder Retention bezeichnet werden: Es geht um die Bindung von Mitarbeitenden an die Einrichtungen und Dienste der Caritas. Das Erfordernis für professionell geführte Sozialunternehmen, dieses Thema nicht nur nebenbei, sondern ganz ausdrücklich im Blick zu haben, lässt sich exemplarisch an drei Entwicklungen verdeutlichen:
- In der Arbeitshilfe Nr. 182 für soziale Einrichtungen in katholischer Trägerschaft und wirtschaftlicher Aufsicht lehnt sich die Deutsche Bischofskonferenz an Elemente des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz (KonTraG), des Transparenz- und Publizitätsgesetzes (TransPuG) und des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) an.2 Mit dieser Bezugnahme wird auch das dort beschriebene Risikomanagement importiert, das sich überwiegend, aber letztlich keineswegs gänzlich, auf Fragen der Rechnungslegung bezieht. Personalbezogene Risiken sind ebenfalls angesprochen. Loyalitätsprobleme und die damit verbundene Gefahr der Fluktuation von Schlüsselpersonen stellen beispielhaft entsprechende Risikokomponenten dar, die es zu "managen" gilt.
- Im Rahmen des zweiten Basler Eigenkapitalakkords (Basel II) stellen Personalrisiken eine eigene Kategorie im Bereich der operationalen Risiken dar. Organisationen mit einem expliziten Personalrisikobezug könnten hier punkten und ihre Kreditwürdigkeit verbessern.
- Außerdem relevant ist der bereits vorhandene oder sich klar abzeichnende Fachkräftemangel im sozialen Sektor. Neben dem obligatorischen Hinweis auf die demografische Entwicklung ist insbesondere für die katholische Caritas auf gesellschaftliche und quasi hausgemachte Probleme hinzuweisen. Verengungen auf den relevanten Arbeitsmärkten werden vermutlich - allen Beteuerungen zum Trotz - unweigerlich zu Konkurrenzsituationen und offenen oder verdeckten Abwerbeaktivitäten innerhalb der Sozialwirtschaft führen. Angesichts der Säkularisierung der deutschen Gesellschaft besteht diese Konkurrenz in zweierlei Erscheinungsformen. Zum einen werden potenzielle Bewerber(innen) vor dem Hintergrund der jüngst wieder öffentlich mit Nachdruck diskutierten Fälle der Auswirkungen katholischer Morallehre beziehungsweise der Grundordnung auf das Arbeitsverhältnis gut abwägen, ob sie sich arbeitsvertraglich an die Caritas binden.
Zum anderen machen säkulare Tendenzen auch vor bereits eingestellten Mitarbeiter(inne)n nicht Halt. Auch hier ist von - künftig eher zunehmenden - Fluktuationsproblemen aufgrund von Loyalitätskonflikten auszugehen. Vor dem skizzierten Hintergrund erscheint der Themenkomplex Mitarbeiterbindung, Commitment, Retention als ein fehlendes, aber unverzichtbares Handlungsfeld systematischer Caritas-Personalpolitik.
Mitarbeiterbindung, Commitment und Retention
Unter dem Terminus Mitarbeiterbindung wird häufig eine Reihe verwandter Begriffe diskutiert. Mitarbeiterbindung gilt es aber zunächst von der vertragsrechtlichen Bindung abzugrenzen, wie sie etwa Rückzahlungsklauseln im Sinne von § 10a AVR mit sich bringen. Eine rein vertragliche "Festsetzung" des Mitarbeiters stellt im hier verstandenen Sinne keine verlässliche und wirksame Bindung dar. Dies gilt insbesondere, wenn man bedenkt, dass an dem Mitarbeiter interessierte andere Arbeitgeber Rückzahlungsbeträge im Zweifel zu übernehmen bereit sind. In solchen Fällen kann für die Caritas allenfalls ein finanzieller Verlust verhindert werden, nicht aber der Verlust von Qualifikationen.
Commitment (engl. etwa "Bindung", "Festlegung") beschreibt eine Form der Identifikation von Mitarbeitenden mit ihren Dienstgebern. Dabei lassen sich verschiedene Formen von Commitment unterscheiden:
- Mitarbeitende teilen die Werte und Ziele der Caritas beziehungsweise der katholischen Kirche. Die Caritas bedeutet ihnen viel, sie arbeiten (deshalb) gerne dort; sie fühlen sich emotional gebunden. Man spricht hier von affektivem Commitment.
- Mitarbeitende sind weniger mit dem Herzen als vielmehr mit dem Verstand der Caritas verbunden. Bindung liegt aufgrund von kalkulierten Überlegungen vor, wie zum Beispiel dem möglichen Verlust von Zusatzrenten, fehlenden beruflichen Alternativen oder auch familiären Gründen. Dieses bezeichnet das kalkulative Commitment.
- Mitarbeitende fühlen sich moralisch an die Caritas oder Teilbereiche (beispielsweise Abteilungen, Einrichtungen) gebunden beziehungsweise an bestimmte (soziale) Tätigkeiten. Der Mitarbeiter sieht sich daher in einer moralischen Verantwortung zu bleiben. Diese Form steht für das normative Commitment.
Retention (von lat. retinere, "zurückhalten") beschreibt demgegenüber als wissenschaftlicher Modebegriff im Grunde das Ergebnis von Commitment, nämlich die Mitarbeitergebundenheit. Vereinfacht lässt sich Commitment daher als Voraussetzung für Retention verstehen.
Es liegt auf der Hand, dass ein auf möglichst mehreren der oben genannten Formen basierendes Commitment Organisationen unempfindlicher gegenüber personalbezogenen Arbeitsmarkt-Engpässen macht.
Schließlich sei noch auf die Bedeutung der sozialen Identität im vorliegenden Zusammenhang hingewiesen. Damit ist hier das Selbstverständnis eines Mitarbeiters als Teil einer Gruppe gemeint: Wie sehr begreift sich der/die Einzelne (tatsächlich) als Teil der Caritas beziehungsweise der Dienstgemeinschaft?
Angesichts der beschriebenen Herausforderungen fragt es sich nun, auf welche Weise sich diese Überlegungen mit dem personalpolitischen Handlungsfeld der Mitarbeiterbindung verknüpfen lassen.
Strategische Ansätze der Mitarbeiterbindung
In welcher Form Organisationen, also auch die Caritas, Mitarbeiterbindung systematisch in ihre Personalpolitik einbinden wollen, hängt nicht zuletzt von der Perspektive ab, welche die Organisation bezogen auf ihre Mitarbeitenden einnimmt.
Die Caritas als werteorientierter Tendenzbetrieb steht dabei vor einem Dilemma, das rein funktional ausgerichtete Organisationen - wie gewinnorientierte Unternehmen - üblicherweise nicht haben: Sie tritt synchron als Anbieter einer sozialen Dienstleistung und zugleich als im weitesten Sinne "Anbieter" einer wertebezogenen Dienstgemeinschaft auf. Beide Angebote können jeweils entweder zusammen und/oder separat angenommen oder abgelehnt werden. Ereignisse (Erfolge, Misserfolge, Skandale usw.) eines Bereiches beeinflussen den jeweils anderen. Die Caritas muss letztlich zwar sowohl den wertbezogenen als auch den funktionalen Bereich abdecken können, die Ansatzpunkte der Mitarbeiterbindung sollten jedoch eindeutig den einen oder den anderen Bereich ansprechen. Eine Mischstrategie würde unterstellen, dass alle Mitarbeiter(innen) der Caritas sich mehr oder weniger vollends mit dem vorgegebenen Orientierungsrahmen, insbesondere der Grundordnung, identifizieren. Dies entspricht jedoch kaum der gelebten und erlebten Wirklichkeit und ignoriert schlichtweg gesichertes Wissen über gesellschaftliche Entwicklungen.
Vom Produktmarketing lernen
Ein funktional ausgerichteter Handlungsstrang der Mitarbeiterbindung spricht das kalkulative Commitment an. Er kann darin bestehen, Mitarbeitende als Kunden zu interpretieren und die aus dem Marketing bekannte Logik der Kundenbindung auf das Personalmanagement zu übertragen. Unzufriedene Kunden (hier: Mitarbeitende) können ihre Unzufriedenheit äußern, und sie können das "Produkt" (hier: den Arbeitsplatz) meiden, verlassen und/oder nicht an andere weiterempfehlen. Entsprechend muss Mitarbeiterbindung darauf abzielen, ein besseres Produkt (Arbeitsplatz) anzubieten als die Konkurrenz. Attraktive Arbeitszeitmodelle, vertikale wie horizontale Karrierepfade, ein konkurrenzfähiges Entgelt etc. stellen dann - und nur dann - Wechselbarrieren dar, wenn der Kunde (in diesem Fall: Mitarbeiter) weiß, dass alternative Produkte/ Arbeitsplätze schlechter oder zumindest nicht besser abschneiden. Professionelle Personalpolitik in caritativen Einrichtungen hat entsprechend dafür Sorge zu tragen, dass Mitarbeiter davon erfahren und sich der Qualität des von ihnen genutzten "Produktes" bewusst sind. "Sei gut und rede darüber!" ließe sich hier pointiert festhalten.
Aus dem Marketing weiß man jedoch, dass zuweilen auch zufriedene Kunden den Anbieter wechseln. Man spricht von "variety-seeking": Der Grund ist schlicht der Wunsch, etwas Neues kennenzulernen. Auch hier kann die Caritas als größter Anbieter der Sozialwirtschaft gegensteuern. Beispielsweise kann sie trägerübergreifend, aber doch caritasintern, von sich aus Wechseloptionen anbieten. Überspitzt ließe sich analog sagen: Man mag Audi, VW Golf oder Skoda kaufen - dem VW-Konzern ist es gleich, solange man sich für eine seiner Marken entscheidet! Systematisch-strategisch angegangen, gilt es, diese Optionen offen und ungefragt bei den Mitarbeitenden zu kommunizieren und somit deren Blick nach "draußen" quasi von vornherein zu verbauen.
Beim Kündigen oder Bleiben geht es um Beziehungen
Aus der Forschung ist schließlich bekannt, dass kündigende Mitarbeiter überwiegend nicht Organisationen, sondern Menschen verlassen. Die besondere Rolle des oder der Vorgesetzten liegt damit auf der Hand. Auch hier stellt sich wieder die Frage: Wird die Wahrnehmung dieser Rolle systematisch angegangen (zum Beispiel als Bestandteil der Stellenbeschreibung, mit Weiterbildung zu bindungsförderlichem Führungsverhalten etc.) oder aber dem Zufall überlassen?
Ein werteorientiertes Handlungsfeld der Mitarbeiterbindung hingegen zielt auf die oben schon angesprochene soziale Identität sowie das normative und affektive Commitment. Begreifen sich Mitarbeiter(innen) tatsächlich - und nicht nur, weil es im Arbeitsvertrag steht - als Teil der Dienstgemeinschaft, der Caritas und gemäß dem Selbstverständnis der Caritas damit auch als Teil der katholischen Kirche? Dass Skandale und negative Presse der jüngsten Vergangenheit in dieser Hinsicht nicht hilfreich waren, versteht sich von selbst.
Zunächst ist festzustellen, dass Mitarbeitende, die die (katholische) Kirche im Grunde ablehnen und nur mangels adäquater Alternativen bei der Caritas verbleiben, realistisch kaum erreicht werden können. Im Arbeitsalltag missionarisch tätig werden zu wollen, erscheint angesichts betrieblicher Realitäten zwar nicht völlig utopisch, aber doch einigermaßen wirklichkeitsfremd.
Mitarbeiter(innen) verlassen nicht nur in erster Linie Menschen und nicht Organisationen, sondern sie fühlen sich umgekehrt auch überwiegend an konkrete Menschen und nicht an Organisationen gebunden. Diese Menschen sind vor allem die unmittelbaren Kolleginnen des eigenen Dienstes oder des eigenen Ortsverbandes. Menschen identifizieren sich in der Regel mit der eigenen Gruppe, favorisieren sie gegenüber anderen Gruppen, und die Bedeutung von Ritualen steigt, wenn die eigene Gruppe bedroht wird.
Bindungspolitik kann hier ansetzen. Im (kirchenrechtlich) zulässigen Rahmen kann etwa auf Ortsverbandsebene auf weichere, dem Einzelfall gerecht werdende Interpretationen beispielsweise der Grundordnung abgestellt werden. Damit kann die eigene Gruppe/der eigene Ortsverband im obigen Sinne als positiv anders herausgestellt werden, so dass die soziale Identität mit der Caritas auf Ortsebene steigt, obwohl womöglich das öffentliche Meinungsbild gerade negativ ist.
Fazit
Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und vor allem arbeitsmarktlichen Entwicklungen stellt Mitarbeiterbindung ein fehlendes, aber notwendiges Handlungsfeld caritativer Personalpolitik dar. Einrichtungen sollten beachten, dass Bindung längerfristig aufgebaut werden muss, so dass eine ernsthafte Berücksichtigung dieses Themas erst bei einem etwaigen Anstieg der Fluktuationsquote, mitunter zu spät erfolgt.
Die skizzierten Ansatzpunkte einer caritasspezifischen Personalpolitik, die ausdrücklich auch die Bindung von Mitarbeitern im Blick hat, sind als exemplarische Hinweise zu verstehen. Auf der Ebene des Ortsverbandes gilt es hier individuell zugeschnittene Aktivitäten zu etablieren. Lösungen "von der Stange" sind nicht zu empfehlen. Insbesondere empfiehlt es sich auch, möglichst den aktuellen Stand der Commitment-Forschung mit einzubeziehen, um nicht Geld, Zeit und Mühe für Aktivitäten zu investieren, deren Bindungswirkung nachweislich gering ist. Häufig fallen die intuitiv vermutete und die nachweisbare Wirkung auseinander.
Insgesamt erscheinen die Möglichkeiten der Caritas, erfolgreich Mitarbeiter zu finden und zu binden, trotz Säkularisierung und interner konfessioneller Besonderheiten als nicht zu unterschätzen (und schon gar nicht als kleinzureden). Notwendig ist aber ein systematischer Zugang.
Anmerkungen
1. Leitlinien der Personalpolitik. Empfehlungen zur Personalpolitik im Deutschen Caritasverband. Download: www.kkvd.de/70361.html
2. Arbeitshilfe 182 - Eine Handreichung des Verbandes der Diözesen Deutschlands und der Kommission für caritative Fragen der Deutschen Bischofskonferenz. Download: www.dbk.de, Rubrik Veröffentlichungen, Suchwort "182".