Wer Flagge zeigt, kann Schiffbruch vermeiden
Einrichtungen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Notsituationen suchen immer wieder nach legalen Möglichkeiten, befristet von den tariflichen Regelungen der Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) abweichen zu können. Sie wollen so das Überleben der Einrichtung sichern. Die Antwort der Arbeitsrechtlichen Kommission (AK) darauf waren tarifliche Öffnungsklauseln, bundesweit tätige Unterkommissionen (mit bis zu 24 Mitgliedern) und derzeit Unterkommissionen der sechs Regionalkommissionen, die in der Regel mit drei Dienstgeber- und drei Dienstnehmervertreter(inne)n besetzt sind. Grundlage für die Arbeit der Unterkommissionen ist der § 11 der AK-Ordnung unter der Überschrift "Einrichtungsspezifische Regelungen".
Diese tarifliche Öffnungsklausel in der AK-Ordnung ist immer wieder von den Mitgliedern der Arbeitsrechtlichen Kommission und den Rechtsträgern und Mitarbeitervertreter(inne)n diskutiert worden. Ein Dienstgeber hat damit die Möglichkeit, vom Tarif abzuweichen und die Löhne der Beschäftigten zu senken, falls er in eine wirtschaftlich existenzbedrohende Situation gerät. Die Anträge auf Absenkung der Vergütung haben die Leitungskräfte teilweise zusammen mit der Mitarbeitervertretung (MAV) gestellt, um die Arbeitsplätze und die Einrichtung insgesamt zu erhalten. Die ersten Anträge waren von sehr unterschiedlicher Qualität und unterschiedlichem Umfang; teilweise enthielten sie noch nicht einmal die Kontaktdaten von Geschäftsführung und MAV. Dies führte schnell dazu, dass alle Regionalkommissionen Checklisten zur Antragserstellung erarbeiteten, um eine vergleichbare Grundlage für alle Anträge zu gewährleisten und das Verfahren zu vereinheitlichen. Inzwischen sind die Checklisten die Grundlage für die Vollständigkeitserklärung der Unterlagen. Seit der letzten Novellierung der AK-Ordnung können Einrichtungen Anträge direkt an die Geschäftsstellen der Regionalkommissionen richten. Es empfiehlt sich jedoch dringend, den Antrag vorher mit einem Mitglied der örtlich zuständigen Regionalkommission durchzugehen, um frühzeitig Schwachstellen zu beheben.
Die entscheidenden Diskussionen gingen bei allen Anträgen darum, ob eine wirtschaftliche Notlage in der Einrichtung vorlag. Sahen Vertreter(innen) der Dienstgeberseite bereits bei sich abzeichnenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten einen Grund zum Handeln, war für die Mitarbeiterseite erst ein akuter und andauernder schwerer Liquiditätsverlust ein Grund für Gehaltskürzungen. Aus der Erfahrung mit Anträgen nach § 11 AK-Ordnung lässt sich festhalten, dass alle Anträge erfolgreich waren, die von der jeweiligen MAV eindeutig unterstützt wurden, und dass kein Antrag erfolgreich war, der von der MAV klar abgelehnt wurde.
Erfolgreich waren Anträge, die durch den Dienstgeber in enger Abstimmung mit der MAV erarbeitet wurden. Parallel dazu wurde die MAV regelmäßig über die wirtschaftliche Situation der Einrichtung informiert (vgl. § 27a MAVO). In Einzelfällen holte sich die MAV Unterstützung von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer oder Juristen. Anträge auf Gehaltsabsenkung, die Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz erzielen sollten, waren aussichtslos. Nur selten wurde eine Laufzeit für Gehaltsabsenkungen von mehr als einem Jahr genehmigt. Oft wurden Anträge erst in der zweiten Jahreshälfte gestellt; dies führte in einigen Fällen zu Terminschwierigkeiten. Um diese zu vermeiden, empfiehlt sich eine Antragstellung bereits im zweiten Quartal eines Jahres.
Betriebsbedingt kündigen ist verboten
Bei genehmigten Anträgen werden zusätzlich Nebenbestimmungen beschlossen. Dazu gehören unter anderem das Verbot betriebsbedingter Kündigungen während der Laufzeit der Gehaltsabsenkung, Ausnahmeregelungen für Auszubildende und Härtefälle, Einbeziehung von leitenden und außertariflichen Mitarbeiter(inne)n, Einrichtung eines Wirtschaftsausschusses sowie die Empfehlung eines Gaststatus für die MAV im Aufsichtsgremium des Rechtsträgers.
Insgesamt ist ein Antragsverfahren aufwendig in der Vorbereitung, zeitraubend und nervenstrapazierend. Erfreulich ist, dass bisher von keiner antragstellenden Einrichtung eine Insolvenz bekannt geworden ist. Trotz aller Kritik von außen gilt das Antragsverfahren nach § 11 der AK-Ordnung als Erfolgsmodell, weil dadurch innerhalb des Dritten Weges Einrichtungen in wirtschaftlichen Notlagen Lösungen finden. Es werden notwendige Entwicklungen angestoßen, teilweise Organisationsprobleme benannt und der wesentliche Aspekt, die Dienstgemeinschaft und die Wertigkeit der MAV, in der Einrichtung gestärkt.