Mitarbeitern Mehrwert bieten
Die demografische Uhr tickt. In den meisten Regionen - von wenigen Ausnahmen abgesehen - werden die Kindergärten und Schulen leerer. Vom Fachkräftemangel, der zu erwarten ist, ist die Rede und davon, dass wir alle länger arbeiten müssen. Daraus ergibt sich die drängende Frage: Wie kann es gerade christlichen Einrichtungen mit anspruchsvollen Zielen, aber engem finanziellen Spielraum gelingen, Mitarbeiter(innen) für ihre Aufgaben zu begeistern und auch zu halten?
Die prognostizierten Zahlen zumindest sind nüchtern, und viele im sozialen Bereich Tätige erfahren bereits oder fühlen zumindest, dass sich da etwas zusammenbraut. Es lohnt zum Beispiel das Gespräch mit Krankenhausgeschäftsführer(inne)n. Assistenzärzt(inn)e(n) mit ausreichenden Deutsch- und Fachkenntnissen sind für viele Bereiche derzeit nur schwer zu bekommen. Da müssen dann, um die Versorgung aufrechterhalten zu können, Kompromisse gemacht werden. Ähnliches gilt für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen (und natürlich auch an anderen Schultypen). Wer keine Verbeamtung anbieten kann, hat häufig das Nachsehen bei Bewerber(inne)n. Schwierig wird die Situation auch in dem für viele Anbieter in der Caritas existenziellen Pflegebereich. Erst haben zahlreiche Anbieter ihre Ausbildungskapazitäten heruntergefahren - es gab ja genug Mitarbeitende in der Pflege. Jetzt fehlen in manchen Regionen die Bewerber(innen). Im Jahr 1999 waren 12,2 Prozent der Pflegekräfte über 50 Jahre alt, 2009 betrug ihr Anteil bereits 23,9 Prozent1 - Tendenz weiter steigend.
Regional gehen die Trends weit auseinander, doch zeigen die genannten Zahlen eine für viele soziale Berufe in Caritas und Kirche feststellbare Tendenz: Es wird immer schwieriger, fachlich und menschlich geeignete Mitarbeiter(innen) zu finden, die auch eine kirchliche Bindung haben. Dennoch wäre es falsch, in eine sich im kirchlichen Bereich ausbreitende Jammerkultur einzustimmen. Soziale Einrichtungen in der Caritas oder anderer kirchlicher Träger sind häufig der einzige Ort, in dem unterstützung- oder hilfesuchende Menschen in unserer Gesellschaft noch mit Kirche in Verbindung kommen - gerade auch vor dem Hintergrund sich auflösender Gemeindestrukturen. Deshalb sind diese Einrichtungen so wichtig für Kirche und Gesellschaft.
Ein Kreuz im Raum allein genügt nicht
Eine Einrichtung ist nicht dann christlich oder katholisch, wenn der Träger es ist oder in jedem Raum ein Kreuz hängt; ein Krankenhaus, eine Pflegeeinrichtung oder eine Beratungsstelle ist dann christlich oder katholisch, wenn die hilfesuchenden Menschen in der Begegnung mit den Mitarbeitenden spüren, dass diese zumindest versuchen, den anderen aus einer christlichen Grundhaltung heraus als Menschen mit all seinen Möglichkeiten und Grenzen anzunehmen und die Botschaften des Evangeliums dabei eine Richtschnur sind. Wo das gelingt, wird etwas von der Liebe und Zuwendung Gottes in der Begegnung zwischen Menschen spürbar, wird Kirche erfahrbar.
Die Kernfrage für die Zukunft wird sein: Wie bleiben oder wie werden wir ein attraktiver Arbeitgeber, bei dem sich Menschen, die immer häufiger in ihrem Leben keine oder wenige Berührungspunkte mit Kirche hatten, gemeinsam auf den Weg machen, um "zu den Menschen zu gehen"? Denn Mitarbeitende - insbesondere potenzielle - wollen gerne bei attraktiven Arbeitgebern tätig sein.
Eingehen auf die persönliche Motivation
Aber was macht eine Einrichtung zu einem attraktiven Arbeitsplatz? Dafür ist es wichtig, die Motivation der Menschen zu kennen, die schon in der Einrichtung tätig sind (zumindest die Motivation, mit der sie einmal begonnen haben), und die Motivation der Menschen, die auf der Suche nach einem Arbeitsplatz im sozialen Bereich sind. Bei fast allen Bewerber(inne)n und bereits in der Branche Tätigen wird sich als Hauptantrieb "anderen Menschen helfen wollen", "etwas Sinnvolles machen" und "für andere Menschen da sein" finden. Wer zukünftig ein attraktiver Arbeitgeber bleiben möchte, wird weiterhin darüber nachdenken müssen, wie er diese Motivation von Bewerber(inne)n anspricht, wie er sich nach außen hin darstellt und was er davon auch innen erlebbar umsetzt. Die Kernfrage ist nicht, ob es ein Leitbild gibt, sondern ob die in den Leitsätzen zusammengefassten Ziele auch in der Praxis eingelöst werden können. Sonst dreht sich das Personalkarussell - mit allen negativen Folgen für die Unternehmenskultur und die zu erbringende Dienstleistung.
Nachhaltige Personalentwicklung ist das Zauberwort der Branche. Aber woran ist das zu erkennen und festzumachen? Zunächst gilt: Wer morgen gut ausgebildete Mitarbeiter(innen) haben möchte, muss heute in Ausbildung investieren. Gerade im kirchlichen Bereich haben Träger und Einrichtungen durch ein verstärktes Ausbildungsangebot die Möglichkeit, junge Menschen nicht nur fachlich fundiert auszubilden, sondern insbesondere auch im menschlichen Bereich zu prägen und christliche Grundhaltungen zu vermitteln.
Zusätzlich und unerlässlich sind systematische Fort- und Weiterbildungsangebote, um gute Mitarbeiter(innen) dauerhaft an den Arbeitgeber zu binden. Dabei gilt es zunächst - und immer wieder neu - zu prüfen, was in dem jeweiligen Bereich zukünftig an Fachlichkeit und an Persönlichkeit benötigt wird. Bewährt hat sich, mit jeder/m Mitarbeiter(in) in einem standardisierten Mitarbeiterjahresgespräch Stärken und Schwächen zu analysieren. Die Erfahrung zeigt, dass gerade die Mitarbeiter(innen) selbst ein sehr genaues Bild davon haben, welche Fachlichkeit zukünftig in ihrem Arbeitsbereich wichtig wird und welche Fähigkeiten sie entwickeln müssen, um diesem zukünftigen Anspruch entsprechen zu können. Voraussetzung ist, dass es für die jeweiligen Bereiche eine kommunizierte und immer wieder aktualisierte strategische Grundausrichtung gibt, an der sich auch die Fort- und Weiterbildungsbedürfnisse der jeweiligen Bereiche orientieren.
Führungskräfte sind Vorbilder
Eine gesteuerte Personalentwicklung - im Gegensatz zu Weiterbildungsangeboten nach "Gießkannenprinzip" - wird nur dann erfolgreich sein, wenn Mitarbeitende ihre jeweiligen Führungskräfte auch in diesem Bereich als Vorbilder erleben. Eine Lernkultur kann sich nur dann entwickeln, wenn lebendiges Lernen vorgelebt wird. Dazu gehört auch die Installierung eines linearen und vertikalen "Aufstiegsmanagements", um Mitarbeitenden neue Möglichkeiten in ihren beruflichen Handlungsfeldern zu eröffnen. Ob dies immer gleich mit dem schönen Wort "Karriereplanung" umschrieben werden muss, mag jeder für sich selbst entscheiden. Wichtig ist jedoch, dass Mitarbeitende für sich einen Sinn und eine Perspektive in ihrer beruflichen Tätigkeit sehen. Hilfreich ist, wenn für einzelne Bereiche so etwas wie Karrierepfade bestehen (wie Pflegefachkraft, Wohnbereichs-, Stations- oder Pflegedienstleitung; Verwaltungsfachkraft, Bereichs-, Abteilungs- oder Verwaltungsleitung). Bewährt hat sich auch, Mitarbeiter(inne)n projektbezogene Rollen zu übertragen (Qualitäts-, Kontinenz- oder Marketingbeauftragter), diese explizit zu benennen und entsprechend wertzuschätzen.
Kompetenzen sichern, ausbauen, weiterentwickeln
Ein schwieriges Thema sind in diesem Zusammenhang auch die derzeit im kirchlichen Bereich herrschenden Vergütungsstrukturen. Mitarbeitende, die sich regelmäßig im betrieblichen Interesse fort- und weiterbilden, möchten, dass dies vom Arbeitgeber auch anerkannt wird. Nicht immer stehen dann tariflich höher vergütete Stellen zur Verfügung. Eine Vergütungsstruktur mit flexiblen Anteilen kann hilfreich sein, besonderes Engagement im Sinne des Betriebes auch monetär anzuerkennen. Ziele sind:
- Leistung messen und belohnen;
- Kompetenzen fördern, messen und belohnen;
- Übernahme von Verantwortung belohnen.
Starre Vergütungsstrukturen be- und verhindern häufig eine gezielte Personalentwicklung, weil die Mitarbeitenden ihr persönliches Engagement auch für sich bewertet haben möchten. Zumindest die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) oder anderer Tarifsysteme sollten hier genutzt werden.
Im Bereich der Personalentwicklung müssen die spezifischen Anforderungen caritativer Träger im Hinblick auf Christlichkeit, Kirchlichkeit und Grundordnung Berücksichtigung finden. Immer weniger - insbesondere junge - Menschen sind kirchlich geprägt. Hilfesuchende Menschen dürfen jedoch von caritativen Einrichtungen erwarten, dass die dort Tätigen christlich geprägt sind und dies auch in ihrem Handeln erfahrbar wird. Vor dem Hintergrund der zunehmenden "Verkirchlichung des Christentums", wie es der Soziologe Franz-Xaver Kaufmann 1979 nannte, und zunehmender Säkularisierung der Gesellschaft müssen caritative Betriebe selbst Orte sein, in denen Mitarbeitende Glauben erleben und auch Glauben lernen können. Die Personalentwicklung muss gerade in diesem für jede caritative Einrichtung existenziellen Bereich gute und die Mitarbeitenden ansprechende Angebote machen.
Anmerkung
1. Vgl. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (www.iab.de)