Vernetzung stärkt die Abwehrkräfte
Als die Mitarbeitenden des Jugendclubs "Neue Welle" in der nordsächsischen Kleinstadt Schkeuditz am 28. März 2010 morgens ihre Kinder- und Jugendeinrichtung öffnen wollten, erwartete sie eine böse Überraschung: Über Nacht hatten Unbekannte 13 der 18 Scheiben an der Vorderseite des Gebäudes eingeworfen. Im Inneren der Einrichtung des Caritasverbandes Halle (Saale) e.V. bot sich ein Bild der Verwüstung. Böden und Möbel in Küche, Büro und dem Computercafé waren mit Scherben übersät, und es fanden sich Steine und Reste von Flaschen, die als Wurfgeschosse gedient hatten. Auch wenn der oder die Täter bis heute nicht ermittelt sind, lag es doch nahe, einige Vorfälle mit in Betracht zu ziehen, um auf die Verantwortlichen dieses Angriffs zu schließen. So fanden sich in jüngster Vergangenheit immer wieder neonazistische Schmierereien auf den Außenwänden des Jugendclubs. Unverhohlen wurde da der "Nationale Sozialismus" gefordert oder dumpf vor einem drohenden "Volkstod" durch die Demokratie gewarnt. Dass die Sprühereien stets am gleichen Tag wieder entfernt wurden, könnte Grund für die eingeworfenen Fensterscheiben sein.
Unter die Besucher(innen) der "Neuen Welle" mischten sich regelmäßig zwei bis drei Angehörige der Neonazi-Szene, die in Schkeuditz zu dieser Zeit insgesamt etwa 30 Personen umfasste. Vor den Augen der Sozialarbeiter(innen) versuchten sie, den Offenen Treff der Kinder- und Jugendeinrichtung für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Zwar wurde keine offene Propaganda betrieben, doch setzten sie gezielt rassistische und sexistische Aussagen ein, um auf diesem subtilen Weg ihr rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten und als alltäglich zu etablieren. Zudem ist davon auszugehen, dass es ihnen darum ging, Jugendliche in den Räumen der "Neuen Welle" für ihre Sache zu rekrutieren.
Zur Strategie der Neonazis gehört es, andere in Diskussionen zu verwickeln, um ihre Ideologie zu verbreiten. Auch wenn die Pädagog(inn)en der "Neuen Welle" immer wieder rechtslastige Äußerungen als solche entlarven konnten, kann und soll es nicht ihre Aufgabe sein, jedes Gespräch zu belauschen.
Verleumdungen per Flugblatt
Unangenehm auf sich aufmerksam machten jugendliche Neonazis in Schkeuditz auch bei einer unangemeldeten Demonstration: Mitglieder der sogenannten "Freien Kräfte" und der NPD-Jugendorganisation JN zogen mit Fahnen und Bannern durch die Stadt. Im Nachgang wurde ein illegales Flugblatt an Schkeuditzer Haushalte verteilt und im Stadtgebiet plakatiert. Darin wurden nicht nur in kruder Weise aktuelle politische Themen mit brauner Ideologie vermengt, sondern auch der Jugendklub selbst als ein Ort diffamiert, "der von Drogensüchtigen und alkoholisierten Jugendlichen besucht wird".
Unbeschadet dessen, dass es selbstverständlich zu den Angeboten der "Neuen Welle" gehört, jungen Menschen mit Drogenproblemen Hilfestellung zu geben, hat die Einrichtung bei der Polizei Anzeige gegen Unbekannt wegen Verleumdung erstattet. Die zerstörten Fenster waren bereits zur Anzeige gebracht worden.
Im Kreistag sitzt die NPD
Die spontane Demonstration, an der immerhin 30 bis 50 Personen aus der rechtsextremen Szene teilnahmen, deutet auf die gut vernetzten Strukturen, auf welche Neonazis im Bereich Nordsachsen/ Leipzig zurückgreifen können. Anfang 2010 hatte die JN angekündigt, im Landkreis Nordsachsen drei Schulungszentren einzurichten, um politischen Nachwuchs heranzuziehen. Die NPD ist mit vier Abgeordneten im nordsächsischen Kreistag und in mehreren Stadträten vertreten. Zwischen parteigebundenen Neonazis und "Freien Nationalisten" besteht ein reger Austausch, der sich besonders auf der durch ein NPD-Mitglied betriebenen Internetseite "Aktionsbüro Nordsachsen" widerspiegelt. Hier stehen Pressemitteilungen der rechtsextremen Partei neben Beiträgen, die den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß verherrlichen oder antisemitischen Inhalts sind.
Vor diesem Hintergrund war den Mitarbeiter(inne)n der Schkeuditzer Kinder- und Jugendeinrichtung klar, dass ihnen eine intensive Auseinandersetzung abverlangt würde. Auf verschiedenen Ebenen beschäftigten sie sich eingehend mit dem Thema Rechtsextremismus. In Weiterbildungen befassten sie sich mit den Argumentationsweisen der Rassisten, um für Diskussionen mit den ungern gesehenen Besuchern besser gewappnet zu sein.
Die Einrichtung nutzt externe Beratung
Vor allem aber haben die Pädagog(inn)en das Mobile Beratungsteam (MBT) des Kulturbüros Sachsen e.V. hinzugezogen. Das MBT hat es sich zur Aufgabe gemacht, zivilgesellschaftliche Akteure, Vereine, Kommunalpolitik und -verwaltung, Kirchengemeinden und Firmen in den Kommunen und Landkreisen mit dem Ziel zu beraten, die demokratische Kultur zu stärken und damit Rechtsextremismus, Alltagsrassismus und Antisemitismus zu bekämpfen.
So konnte in Besprechungen und Diskussionen, die sowohl mit Unterstützung des MBT als auch im engeren Kreis des Teams stattfanden, eine Handlungsstrategie entwickelt werden. Daraus ergaben sich verschiedene Ansätze. Zunächst entschieden sich die Sozialarbeiter(innen) bewusst gegen die sogenannte akzeptierende Jugendarbeit als Basis für das pädagogische Konzept der "Neuen Welle".
Grenzen des akzeptierenden Ansatzes in der Sozialarbeit
Der akzeptierende Ansatz geht - vereinfacht dargestellt - davon aus, dass Sozialarbeiter(innen) auch mit jugendlichen Neonazis arbeiten, sie dabei mit ihrer menschenverachtenden Ideologie akzeptieren und dennoch über pädagogische Einmischung Änderungen erreichen können. Über Sinn und Zweckmäßigkeit dieses Konzeptes, das vom Bremer Sozialpädagogik-Professor Franz Josef Krafeld Ende der 1980er Jahre ins Leben gerufen und ständig weiterentwickelt worden war, streiten Verantwortliche bis heute. In einem Beitrag für die Fachzeitschrift "Deutsche Jugend" schreibt Krafeld inzwischen selbst: "In Orten, in denen rechtsextremistische Orientierungsmuster längst dominierender Bestandteil des als unpolitisch empfundenen Alltagsdenkens in der Mitte der (Erwachsenen-)Gesellschaft geworden sind, ist mit pädagogischen Einmischungen kaum noch etwas zu bewegen."
Die Konsequenz dieser Entscheidung war die Überarbeitung der Hausordnung des Jugendclubs. Dabei wurde die in den Regeln bereits enthaltene Forderung nach gegenseitigem Respekt dahingehend deutlicher ausgearbeitet, dass ein respektvoller Umgang rassistische, diskriminierende, sexistische, homophobe und antisemitische Aussagen und Verhaltensweisen ausschließt.
Vernetzung schützt die einzelne Einrichtung
Darauf basierend wurde einem der neonazistisch eingestellten Jugendlichen in Abstimmung mit der Stadtverwaltung und dem Caritasverband Halle (Saale) e.V. ein sechsmonatiges Hausverbot ausgesprochen. Dies erfolgte nicht direkt durch das Sozialarbeiter-Team, sondern mittels eines offiziellen Schreibens der Stadt als Eigentümerin des Jugendclubs. Dieses Vorgehen ergab sich durch die Beratung mit dem MBT, da die Sozialarbeiter(innen) so keine Angriffsfläche für die Neonazis boten.
Hier zeigt sich, dass Konsequenz, aber vor allem Vernetzung im Vorgehen gegen das Neonazitum vonnöten sind: Mitarbeiter(innen), Caritasverband, Stadtverwaltung, Lokalpolitik und das Kulturbüro Sachsen haben an einem Strang gezogen und sich gemeinsam dem Problem gestellt. Das Team ist sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Die rassistischen Jugendlichen sind nach dem Hausverbot gegen einen von ihnen ausgeblieben, und nun kann mit den andern Kindern und Jugendlichen und auch neuen Besuchern, die der Einrichtung bislang fern geblieben waren, ein angstfreier und wertschätzender Cluballtag gestaltet werden.
Inzwischen findet die Vernetzung auch auf Landkreisebene statt. In Nordsachsen ist ein "Lokaler Aktionsplan" (LAP) eingerichtet worden. Dabei handelt es sich um ein Programm, bei dem aus Bundesmitteln Projekte gefördert werden können, die sich gegen Rechtsextremismus beziehungsweise für ein demokratisches Miteinander einsetzen. Die "Neue Welle" war bereits bei der Aufstellung des LAP involviert und wird sich für das kommende Jahr mit einem eigenen Projekt bewerben.