Caritas kann tariflich nach Leistung vergüten
Die Arbeitsrechtliche Kommission (AK) der Caritas hat im Oktober 2010 mit der sogenannten Paketlösung die AVR weiterentwickelt, sich an verschiedenen Tarifwerken orientiert und unter anderem das Leistungsentgelt des TVöD für die Pflege und den Sozial- und Erziehungsdienst übernommen.
Die Regelungen zum Leistungsentgelt sehen vor, dass auf betrieblicher Ebene von der Mitarbeitervertretung (MAV) und Vertreter(inne)n des Dienstgebers ein Leistungsentgelt erarbeitet wird. Die AK ging dabei davon aus, dass es kein tarifliches Leistungsentgeltverfahren gibt, das alle Einrichtungen gleichermaßen anwenden. Sonst würden alle Einrichtungen über einen Leisten geschlagen. Vielmehr nahm die AK an, dass jeweils Leistungsentgeltsysteme auf die betriebliche Situation (die insbesondere von der Branche, dem Leitbild und der Unternehmenskultur sowie den handelnden Personen abhängig ist) zugeschnitten werden. Die Erarbeitung einer Dienstvereinbarung von der AVR-Ebene auf die Einrichtungsebene zu verlagern, ist eine Chance für die Einrichtungen und stellt sie zugleich vor eine große Herausforderung. Dienstgeber- und Mitarbeitervertreter(innen) müssen sich damit auseinandersetzen, was Leistung in ihrer Einrichtung ist, wie sie die Leistung von Mitarbeitenden oder Teams feststellen und in welcher Höhe sie diese - mit dem laut AVR zur Verfügung stehenden Leistungsentgelt - belohnen.
Da der TVöD, an den sich die AVR in diesem Punkt anlehnt, bereits seit dem Jahr 2007 ein Leistungsentgelt hat, kann man von den Erfahrungen der TVöD-Anwender profitieren. Die Übertragbarkeit der Erfahrungen ist insbesondere dort hoch, wo Unternehmen der Sozialwirtschaft den TVöD anwenden. Genannt seien hier beispielhaft Einrichtungen der Lebenshilfe, die Werkstätten für behinderte Menschen betreiben, und Einrichtungen der stationären Altenarbeit in kommunaler Trägerschaft.
Die AVR sieht zwei grundsätzliche Methoden vor, mit denen die Leistung ermittelt werden kann. Es sind
- die systematische Leistungsbewertung,
- die Zielvereinbarung sowie
- die Kombination von beiden Methoden.
Die Leistungsermittlung kann anknüpfen
- an der individuellen Leistung,
- der Teamleistung oder
- der individuellen und der Teamleistung.
Abbildung 1 zeigt die sich daraus ergebenden grundsätzlichen Gestaltungsoptionen.
In der Dienstvereinbarung kann auch festgelegt werden, dass für unterschiedliche Mitarbeitergruppen unterschiedliche Methoden angewandt werden, zum Beispiel individuelle Zielvereinbarungen für Führungskräfte und eine individuelle Leistungsbewertung für alle anderen Mitarbeiter(innen) oder individuelle Zielvereinbarungen für Führungskräfte und Zielvereinbarungen mit Teams.
Die AVR sieht vor, dass Dienstgeber und Mitarbeitervertretung eine Dienstvereinbarung abschließen, in der insbesondere geregelt ist (siehe auch AVR Anlage 33 §14, Ziffer 5), welche Leistungsermittlungsmethoden für welche Mitarbeitergruppen angewandt werden, wie man von der Leistungserfassung zum individuellen Leistungsentgelt kommt und wie man mit Besonderheiten umgeht, wie beispielsweise Krankheit, Elternzeit oder freigestellten Mitarbeitervertreter(inne)n.
Wie Leistung ablesbar wird: Fragen und Antworten
In der betrieblichen Praxis der TVöD- Anwender hat es sich bewährt, bei der Gestaltung des Leistungsentgeltes folgende Leitfragen abzuarbeiten und die möglichen Antworten systematisch zu geben. Hier einige Beispiele:
- Was ist Leistung der Mitarbeiter in unserer Einrichtung?
- Korrekte Umsetzung des Leitbildes,
- Einhaltung der Qualitätsstandards,
- Umsetzung des pädagogischen Konzeptes der Einrichtung,
- Wertschätzender Umgang mit den Kunden, - Wie können wir die Leistung erfassen?
- Bewerten, Messen, Audits - Welche Leistungskriterien oder Ziele sind sinnvoll/relevant, um die Leistung der Mitarbeiter zu ermitteln?
- Arbeitsqualität,
- Arbeitsquantität,
- Kundenorientierung,
- Teamverhalten,
- Flexibilität. - Wie differenziert will ich die Leistung je Leistungsmerkmal oder Ziel ermitteln?
- Zwei Stufen: erreicht/nicht erreicht;
- drei Stufen,
- vier Stufen. - Wer ermittelt die Leistung?
- Führungskraft,
- Führungskraft und Mitarbeiter (Fremd- und Selbstbewertung),
- Team bestehend aus direkter Führungskraft und Mitarbeitervertretern, die ein Audit erstellen. - Wie kommt man von der Leistungsbewertung/dem Zielerreichungsgrad und dem Punktwert zum individuellen Leistungsentgelt?
- Aufgrund der Punktzahl eine Gesamtpunktzahl erreichen,
- Gesamtpunktzahl über oder unter Schwellenwert (Mindestleistung),
- Leistungsentgelt ist neben der Leistung abhängig vom Verhältnis individueller Arbeitszeit zur Arbeitszeit einer Vollzeitkraft und vom Verhältnis der individuellen Eingruppierung und Stufe zum Referenzwert. - Häufigkeit der Leistungsermittlung
- vierteljährlich, halbjährlich, jährlich.
Beispiel: Werkstätte für behinderte Menschen
Im vorliegenden Beispiel handelt es sich um eine Werkstätte für behinderte Menschen (WfbM) am Niederrhein, deren Träger ein Verein der Lebenshilfe ist, den TVöD anwendet und das tariflich vorgesehene Leistungsentgelt in Höhe von einem Prozent des Jahreseinkommens im Jahr 2007 (1,5 Prozent in 2011) der in den Geltungsbereich des TVöD fallenden Mitarbeiter(inne)n nach Leistung auszahlt. Geschäftsleitung und Betriebsrat bildeten eine paritätisch besetzte Projektgruppe. Diese organisierte im Jahr 2006 einen gemeinsamen zweitägigen Workshop zum Thema "Leistungsentgelt in einer WfbM" und erarbeitete unter fachlicher Leitung und Moderation eines Vergütungsberaters die Eckpunkte ihres Leistungsentgeltsystems. Im ersten Schritt wurden die Gestaltungsoptionen und das Vorgehen beschrieben. Danach orientierte sich die Projektgruppe an den Leitfragen, zu denen sie betrieblich Antworten erarbeitete. Sie entschied sich für die Leistungserfassung mit der Methode der Leistungsbewertung und bildete vier Merkmalsgruppen mit jeweils mehreren Leistungsmerkmalen. Die Leistungsausprägung konnte mit drei verschiedenen Stufen erfasst werden:
- Stufe 1: erfüllt die Leistungserwartung häufig nicht
- Stufe 2: erfüllt die Leistungserwartung
- Stufe 3: übertrifft die Leistungserwartung in besonderem Maße. - Durch die Zuordnung von unterschiedlich hohen Punktwerten zu den jeweiligen Stufen der Leistungsmerkmale wurden diese Leistungsmerkmale unterschiedlich gewichtet. So können in der Stufe 3 des Leistungsmerkmals "Einhaltung von Qualitätsstandards" 14 Punkte erreicht werden, während in der Stufe 3 des Leistungsmerkmals "Umgang mit Betriebsmitteln" nur 8 Punkte zu erreichen sind. Abbildung 2 zeigt beispielhaft einen ausgefüllten Leistungsbewertungsbogen.
Um die Akzeptanz der Leistungsbewertung zu sichern, wählte die Einrichtung einen besonderen Weg der Mitarbeiterbeteiligung. In dem gemeinsamen Workshop erarbeitete die Projektgruppe aufgrund des Leitbildes und der Unternehmenskultur die Merkmalsgruppen und eine Gewichtung der einzelnen Merkmalsgruppen. Den 170 Mitarbeiter(inne)n wurde das Konzept vorgestellt. Sie wurden gebeten, in ihren Teams (wie Verwaltung, Betreuung mehrfach behinderter Menschen, Mechanische Fertigung, Schreinerei, Begleitender Dienst oder Sport) zu beschreiben, was für sie Leistung ist und wie diese in bereichsspezifischen Leistungsmerkmalen mit Gewichtung zu operationalisieren ist. Dieser - selten gegangene - Weg führte zu einer angemessenen bereichsspezifischen Ausdifferenzierung der Leistungsmerkmale und einer sehr hohen Akzeptanz des Leistungsbewertungssystems bei allen Mitarbeitern. Die Leistung wird einmal jährlich im Januar für das Vorjahr bewertet. Die jeweilige Führungskraft und der/die zuständige Mitarbeiter(in) des begleitenden Dienstes bewerten die Leistung der Mitarbeiter(innen), für die sie zuständig sind. Das Mitarbeitergespräch ist ein Vieraugengespräch, das die direkte Führungskraft mit dem/der Mitarbeiter(in) führt. Zur Vorbereitung des Mitarbeitergesprächs bekommt jede(r) Mitarbeiter(in) acht bis 14 Tage vor dem Gespräch einen Bewertungsbogen mit der Bitte, sich auf das dann bereits terminierte Gespräch vorzubereiten und die eigene Leistung im vergangenen Jahr zu bewerten.
Chef und Mitarbeiter sollten sich in Beurteilung einigen
Im Mitarbeitergespräch werden die Bewertungen ausgetauscht. Gemeinsam einigen sie sich auf eine Beurteilung. Im Fall von unüberbrückbaren Unterschieden legt die Führungskraft die Bewertung fest. Der/die Mitarbeiter(in) kann die Schlichtungsstelle, genannt Betriebliche Kommission, anrufen. In dem Mitarbeitergespräch wird nach der Leistungsbewertung auch darüber gesprochen, welche Ursachen eventuelle Minderleistungen haben und wie ihnen durch organisatorische, technische oder qualifikatorische Maßnahmen abgeholfen werden kann. Ebenso können Interessen der Mitarbeitenden, sich beruflich weiterzuentwickeln, und entsprechende Karrieremöglichkeiten besprochen und vereinbart werden.
Nach Abschluss eventueller Reklamationen kann das Leistungsentgelt mit dem Märzentgelt ausgezahlt werden. Die beschriebene Einrichtung hat sich - wie viele Sozialunternehmen, die den TVöD anwenden - von der Auszahlung im Monat Dezember gelöst. Hintergrund der abweichenden Regelung ist, dass in der WfbM geplant war, ab 2009 - wenn die belastbare Datenbasis geschaffen wurde - mit den Führungskräften Zielvereinbarungen für das jeweilige Geschäftsjahr, das heißt Kalenderjahr, einzuführen. Die Zielerreichung kann im Januar festgestellt und nach eventuellen Reklamationen im März ausgezahlt werden. Um die Auszahlung des Leistungsentgelts nach Leistungsbewertung und nach Zielvereinbarung zeitlich zu harmonisieren, wurde sie generell in den März des Folgejahres gelegt.
Leistung wird zum Rechenexempel
Für jede(n) Mitarbeiter(in) wird die Punktsumme über alle Leistungsmerkmale ermittelt und zur Gesamtpunktsumme addiert. Jeder Mitarbeiter, der von maximal 100 Punkten mehr als 40 Punkte erhält, bekommt ein Leistungsentgelt. Dieses wird dann in Abhängigkeit von
- ihrer Leistung,
- ihrer individuellen Arbeitszeit im Verhältnis zur tariflichen Vollarbeitszeit und
- ihrem Tabellenentgelt im Verhältnis zu einem Referenzwert und
- dem zur Verfügung stehenden tariflichen Leistungsentgelt in der Einrichtung ermittelt.
Der WfbM am Niederrhein ist es gelungen, die Potenziale, die das tarifliche Leistungsentgelt bietet, zu nutzen und ein Feedbacksystem aufzubauen, das die jährliche Leistung der Mitarbeiter(innen) erfasst, wertschätzt und finanziell honoriert. Die Mitarbeitenden nehmen die unter ihrer aktiven Beteiligung entstandene systematische Leistungsbewertung und die wertschätzenden Mitarbeitergespräche positiv wahr. Die daraus resultierenden Schritte, beispielsweise Anpassungs- oder Entwicklungsqualifizierungsmaßnahmen, werden ebenso geschätzt wie die Selbstbewertung, die dazu führt, dass die Mitarbeiter(innen) sich aktiv in das Gespräch einbringen können. Die Zahl der Reklamationen tendiert gegen null. Ein systematisches Vorgehen im Projekt und eine angemessene Kommunikation des Verfahrens der Leistungserfassung sowie der Information der Mitarbeitenden sind notwendig. Die befürchteten Konflikte wegen Subjektivität der Bewerter(innen) und der "Nasenfaktor" sind praktisch nicht von Bedeutung. Wenn in Einzelfällen Konflikte auftreten, dann sind sie meist latent vorhanden und werden manifest. Das tarifliche Leistungsentgelt, das betrieblich ausgestaltet werden muss, ist eine Chance für die Unternehmen der Sozialwirtschaft und der Caritas.