Rechtsextremismus geht Caritas etwas an
Wer sich in Deutschland gegen Rechtsextremismus ausspricht, befindet sich in bester Gesellschaft: Politiker(innen), Medien und Prominente rufen vor allem nach Wahlerfolgen einschlägiger Parteien oder anlässlich rechtsextremer Gewalttaten regelmäßig zum Widerstand auf. Welche Wirkung kann also ein Projekt der Caritas gegen Rechtsextremismus erzielen?
Ein Blick in die Praxis offenbart Handlungsbedarf1: Tritt Rechtsextremismus offen zutage, zeigt sich vor Ort zumeist eine große Machtlosigkeit. Ebenso hilflos lässt Menschen latenter Rechtsextremismus, etwa in Form - leider - alltäglicher fremdenfeindlicher Äußerungen und Vorurteile, zurück.
Auf dieser Grundlage startete der Deutsche Caritasverband (DCV) im Mai 2010 ein Vorprojekt, um die Bereitschaft des Verbandes zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus zu prüfen. Parallel dazu sollte erhoben werden, welche Ansätze in den (Fach-)Verbänden, Diensten und Einrichtungen der Caritas bereits erprobt wurden. Im Folgenden wird der Erkenntnisgewinn dieses einjährigen Vorprojekts skizziert. Dazu werden unter anderem Daten einer bundesweiten Erhebung innerhalb der verbandlichen Caritas (200 Rückmeldungen vorwiegend aus der Kinder- und Jugendhilfe) genutzt.
Rechtsextremismus - ein wichtiges Thema
Die Reaktionen des Verbandes auf das Projekt fallen bislang sehr positiv aus. Dies schlägt sich auch in der Erhebung nieder, in der knapp 90 Prozent der teilnehmenden (Fach-)Verbände, Dienste und Einrichtungen angaben, eine verbandliche Auseinandersetzung der Caritas mit dem Thema Rechtsextremismus sei "sehr wichtig" beziehungsweise "wichtig". Ferner äußerten etwa 50 Prozent Interesse an eigenen Projekten. Auch abgeschlossene und laufende Aktivitäten im Verband zeugen davon, dass teilweise Handlungsbereitschaft besteht. Diese Projekte sind oftmals dem lokalen Problemdruck geschuldet und lassen sich auf persönliches Engagement von Mitarbeitenden zurückführen.
Die geäußerte Zustimmung und die Initiativen vor Ort sind erfreuliche Ergebnisse. Gleichwohl muss konstatiert werden, dass eine flächendeckende Sensibilität für das Thema Rechtsextremismus und damit verbundene Gefahren (noch) nicht besteht. Als ein Indikator hierfür kann die insgesamt relativ geringe Beteiligung der Caritasverbände an den Bundesprogrammen gegen Rechtsextremismus gewertet werden. Daher ist es erforderlich, auch diejenigen anzusprechen, die aus dem Problem des Rechtsextremismus zunächst keine unmittelbare Relevanz für ihre Arbeit ableiten können. Wenn es gelingt, Bezüge zur Arbeit der Caritas herzustellen und mittels weiterer Informationen die Herausforderung der Wohlfahrtsverbände durch rechtsextreme Organisationen aufzuzeigen, scheint es möglich, (noch) größere Teile des Verbandes für eine Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema zu gewinnen.
Mehrheitlich verbindet man Rechtsextremismus in Deutschland nach wie vor mit Gewalt und Springerstiefeln - seit einigen Jahren spiegelt dies jedoch nur noch einen Ausschnitt der Wirklichkeit wieder.
Nach einem umfassenden Strategiewechsel treten Rechtsextremisten in strukturschwachen Regionen vermehrt als scheinbar soziale "Kümmerer" in Erscheinung. Bereits im Jahr 1991 verfasste der Nationaldemokratische Hochschulbund entsprechende Überlegungen:
"Alten Leuten kann man beim Ausfüllen von Formularen helfen, sie beim Einkauf unterstützen, man kann Babysitter bei […] allein stehenden Müttern spielen, man kann […] die Straßen sauber und durch regelmäßige Nachtpatrouillen sicher halten. Man kann gegen den Zuzug eines Supermarkts, die Vertreibung alteingesessener Mieter durch Miethaie, […] den Aufmarsch von Scheinasylanten […] oder den Bau einer Autobahn durch das Wohnviertel protestieren und agitieren. Man muss so handeln, dass man in einem Meer von Sympathie schwimmt, dass die ,normalen‘ Bewohner für uns die Hand ins Feuer legen. Dann wird dem Staat jede Form der Unterdrückung nichts mehr nutzen, sondern das genaue Gegenteil bewirken: Die Menschen werden noch stärker in unsere Arme getrieben."2
Diese Bemühungen sind in einigen Regionen erfolgreich - für einen Wohlfahrtsverband ist insbesondere erschreckend, dass Bedürftigen über Hilfsangebote rechtsextreme Parolen vermittelt werden. Um die Gefahr von rechts beurteilen zu können, ist Wissen um diese Strategie unerlässlich.
Wer mit jungen Menschen arbeitet, benötigt zudem Kenntnisse über die rechtsextreme Jugendkultur, die (wie auch in anderen Bereichen) permanenten Veränderungen unterliegt: Glatze und Bomberjacke sind in der Szene kaum noch anzutreffen, dagegen stößt man auf Codes wie die Zahl 883 oder den Slogan "14 words"4.
Fortbildungen beziehungsweise Materialien können diesbezüglich Abhilfe schaffen - ein entsprechender Bedarf manifestiert sich auch in der schriftlichen Erhebung.
Fremdenfeindlichkeit auch in der Mitte der Gesellschaft
Rechtsextreme Aufmärsche, jugendliche Neonazis und "rechtsextreme Kümmerer" sind in Teilen Deutschlands - auch für die Caritas - traurige Realität. Die Caritas in Anklam etwa arbeitet in einem Umfeld, das von der NPD als "nationaler Leuchtturm" gefeiert und in der Presse als "Hauptstadt Dunkeldeutschlands"5 beschrieben wird.
Doch auch in Regionen, die nicht mit offenem Rechtsextremismus konfrontiert sind, besteht Handlungsbedarf: Rechtsextremismus stellt lediglich die Spitze des Eisbergs dar, wohingegen fremdenfeindliche Haltungen - wie in der Sarrazin-Debatte deutlich wurde - bis in die Mitte der Gesellschaft verbreitet sind. Der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer fasst unterschiedliche Aspekte (wie Antisemitismus, Rassismus) im Konzept der "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" zusammen, deren Verbreitung in zahlreichen Studien nachgewiesen ist: Im Jahr 2010 befürworteten 24 Prozent die Forderung, "Ausländer in ihre Heimat zurückzuschicken, wenn die Arbeitsplätze knapp werden", 39 Prozent fühlten sich "durch die Muslime manchmal wie ein Fremder im eigenen Land"6. Menschen werden ausgegrenzt und diskriminiert, weil sie als Mitglieder einer bestimmten Gruppe wahrgenommen werden. Es liegt auf der Hand, dass die Caritas, die für ein solidarisches Miteinander eintritt, diese Tatsache im Zuge einer Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus problematisieren muss. Es ist mühsam, aber unverzichtbar, immer wieder auf die Anknüpf- ungspunkte des Rechtsextremismus an den gesellschaftlichen Mainstream und die tiefe Verankerung einer Ideologie der Ungleichheit in der Gesellschaft hinzuweisen.
Diese Erkenntnis geht nicht zuletzt auf Anregungen aus dem Verband zurück. Exemplarisch sei hier die Einschätzung eines Caritas-Jugendclubs zitiert: "Wir sehen uns weniger verfestigtem Rechtsextremismus gegenüber, sondern mehr seinen Vorformen, wie Mobbing, Abwertung von Gruppen, Homophobie, Nationalismus ..." Andere Dienste und Einrichtungen berichten von Konflikten zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft und unreflektiert geäußerten Vorurteilen. Ein Projekt des DCV, das für die Gefahren des Rechtsextremismus sensibilisiert und dabei diese Aspekte berücksichtigt, trifft zweifellos auf Bedarf. Zugleich ist das Thema auch mittel- und langfristig bedeutsam: Deutschland wird bunter und vielfältiger - Fragen eines respektvollen Zusammenlebens sind demnach wichtige Zukunftsherausforderungen.
Gegen Rechtsextremismus? Für Respekt und Demokratie!
Die aktuellen Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus ("Toleranz fördern - Kompetenz stärken", "Zusammenhalt durch Teilhabe") sowie Rückmeldungen aus dem Verband zeigen, dass eine Ablehnung von Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nicht ausreicht. Auch an dieser Stelle sei die Äußerung eines Verbandes wiedergegeben: "Ich halte es für besser, nicht gegen etwas zu sein, sondern […] für mehr Toleranz, mehr Mitgefühl, mehr Multikulti ... Die Kampagnen des DCV sind hierfür schon gute Beispiele. Wenn man immer nur ,gegen‘ ist, schenkt man dem Rechtsextremismus eine Bühne." Tatsächlich bilden ausgrenzende und menschenverachtende Haltungen den Anlass zu handeln, in der Praxis sollte jedoch bereits im Sinne einer primären Prävention angesetzt werden - daher: "Für Respekt und Demokratie - gegen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit!"
Respekt bedeutet gleichberechtigte Wertschätzung, Demokratie beinhaltet Teilhabe und Freiheit - diese (und andere) positiven Begriffe kontrastieren die Ideologie der Ungleichheit und setzen ein positives und optimistisches Signal.
Unterstützung durch den DCV
Es bleibt zu hoffen, dass viele (Fach-) Verbände, Dienste und Einrichtungen der Caritas die entsprechenden Themen aufgreifen und dadurch zahlreiche Projekte vor Ort entstehen. Ziel sollte sein, über einzelne Standorte hinaus im gesamten Verband ein Problembewusstsein zu entwickeln.
Vor diesem Hintergrund hat der DCV nun das Anschlussprojekt "Caritas aktiv für Respekt und Demokratie - gegen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" gestartet. Es ist wiederum in der Kinder- und Jugendhilfe angesiedelt, wo umfangreiche Konzepte und Handlungsmöglichkeiten existieren. Mit diesem Projekt bietet sich der Deutsche Caritasverband als Impulsgeber für die verbandliche Auseinandersetzung, als Ansprechpartner und vor allem auch als Unterstützer für lokales Engagement an. Aufbauend auf den vorgestellten Erkenntnissen sind bis Mitte des Jahres 2013 umfangreiche Aufgaben (Einzelheiten siehe untenstehender Kasten) zu bewältigen - um am Ende mehr zu erreichen als einen weiteren gut gemeinten Appell gegen Rechtsextremismus.
Anmerkungen
1. Vgl. Molthagen, Dietmar; Korgel, Lorenz (Hrsg.): Handbuch für die kommunale Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. Berlin : Friedrich Ebert Stiftung, 2009, S. 13f.
2. Zitiert nach Staud, Toralf: Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD. Köln: Verlag Kiepenheuer und Witsch, 2005, S. 133.
3. Die Zahl 8 steht hier für den achten Buchstaben des Alphabets, 88 wird unter Rechtsextremisten als Synonym für "Heil Hitler" genutzt.
4. Die "14 words" gehen auf den amerikanischen Rechtsextremisten David Eden Lane zurück: "We must secure the existence of our people and a future for White children."
5. Zitiert nach Geisler, Astrid: Die Stadt ohne Zeugen. In: "die tageszeitung" vom 4. Oktober 2010, S. 4f. Vgl. dazu auch: Höckner, Ulrich: Caritas in Ostvorpommern stemmt sich gegen Rechtsaußen. In: neue caritas Heft 5/2009, S.13-17.
6. Universität Bielefeld, Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG); www.uni-bielefeld.de/ikg/projekte/GMF/Elemente.html