Ob Feuerwehr oder Fahrradkurs - Aktivsein und Vielfalt zählen
Mittlerweile sind die Integrationsagenturen in Nordrhein-Westfalen seit fast vier Jahren tätig. Die örtlichen Gegebenheiten, die Akteure und der jeweilige Stellenumfang, die örtlichen Bedarfe, Entwicklungen und Schwerpunkte sind sehr unterschiedlich. Dies spiegelt sich in der unterschiedlichen Arbeit der Integrationsagenturen wider. Allen gemeinsam ist, dass sie an den gleichen Zielen arbeiten, in den gleichen Handlungsfeldern tätig sind und die gleiche Vorgehensweise wählen: von der Sozialraumanalyse über die Aufgabenplanung bis zur Auswertung.
Rund 200 Mitarbeitende von Integrationsagenturen setzen sich an 125 Standorten für ein gemeinsames Leben in Vielfalt ein. Sie aktivieren Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, versuchen den Zielgruppen Zugänge zu sozialen Diensten und Einrichtungen zu erleichtern und Diskriminierungen vorzubeugen.
Die Politik in NRW hat die Weichen gestellt
In Nordrhein-Westfalen (NRW) besteht ein langjähriger parteiübergreifender Konsens über die Notwendigkeit von Integrationsarbeit. Das zeigte sich bereits in der vom Landtag verabschiedeten "Integrationsoffensive" im Jahr 2001. Mit dem 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetz wurde die Migrations- und Integrationsarbeit von Bund und Ländern neu gestaltet. Der Bund konzentrierte sich auf die Förderung der Migrationsberatung von erwachsenen Zuwanderern (MBE). Das Land NRW nahm dies zum Anlass, Migrationsfachdienste zu etablieren, deren Arbeitsschwerpunkt die "weiterführende und nachholende Integration" von schon länger im Land lebenden Menschen mit Migrationshintergrund sein sollte. Ziel war eine Neuausrichtung der Arbeit, die den Bedarfen der Mehrheitsgesellschaft und der Menschen mit Migrationshintergrund entsprach. Sie sollte in die Sozialräume hineinwirken und eher an strukturellen Veränderungen statt an Einzelfallberatung ausgerichtet sein.
Das Fachreferat des heutigen Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales berief eine Arbeitsgruppe aus Vertreter(inne)n der freien Wohlfahrtspflege und dem Fachreferat selbst ein, um eine Rahmenkonzeption zu erstellen. Die Arbeitsgruppe erzielte Konsens darüber, dass der Schwerpunkt dieser nachholenden und weiterführenden Integrationsarbeit nicht mehr in der Einzelberatung liegen sollte. Vielmehr sollte eine aktivierende, nachhaltige Arbeit im Sinne von erhöhter Partizipation und mehr Eigenverantwortung der Menschen mit Migrationshintergrund unter Einbezug der Gesamtgesellschaft angestrebt werden. Dienste und Einrichtungen der Caritas und Institutionen sollten sich interkulturell öffnen und sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzung wenden.
Parallel zu der Arbeitsgruppe fand in den Diensten der freien Wohlfahrtspflege 2005 und 2006 eine Erprobungsphase statt, in der die Mitarbeitenden im vom Land geförderten Programm Erfahrungen mit den neuen Inhalten, Aufgaben, Vorgaben und Vorgehensweisen ihrer Arbeit sammeln konnten.
Die nachfolgenden Eckpunkte legen den Rahmen für die Arbeit der Integrationsagenturen fest:
Bürgerschaftliches Engagement von/für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte - Potenzialerschließung für die Integrationsarbeit
Das bürgerschaftliche Engagement soll ausgebaut und Qualifizierungen angeboten werden, für Ehrenamtliche mit und ohne Migrationshintergrund. Der Einzelne ist genauso gefragt wie Migrantenorganisationen. Nicht das Defizitdenken, sondern die Potenzialerkennung steht im Vordergrund.
Einige Beispiele:
- Junge Menschen mit Migrationshintergrund werden aktiviert, der Freiwilligen Feuerwehr beizutreten.
- Frauen mit Migrationshintergrund berichten Polizisten über die Sozialisationsbedingungen in ihrem Herkunftsland.
- Eine aramäische Frauengruppe bildet einen regelmäßigen Besuchsdienst in einem Altenheim mit überwiegend deutschen Senior(inn)en.
- Menschen mit und ohne Migrationshintergrund werden zu Lotsen ausgebildet, für Jugendliche im Übergang zum Beruf, bei Behördengängen, bei Übersetzungen oder im Gesundheitssystem.
- Mit Migrantenorganisationen werden gemeinsam Projekte durchgeführt.
Interkulturelle Öffnung - Förderung der Öffnungsprozesse und der Inanspruchnahme von Diensten und Einrichtungen der sozialen Infrastruktur
Ziel der Arbeit ist es, den Zugang zu sozialen Diensten und Einrichtungen zu erleichtern, um eine bessere Versorgung, Beratung und Information von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu erreichen.
Einige Beispiele:
- Beratung und Begleitung im Prozess der interkulturellen Öffnung (vorrangig im eigenen Caritasverband) durch themenbezogene Sensibilisierungs- und Informationsveranstaltungen, Trainings und Fortbildungen;
- Schaffung eines Beratungsangebotes zur Umsetzung der interkulturellen Öffnung;
- interreligiöse Begegnung zur Wissensvermittlung, zum Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten und Unterschieden und zum Abbau von Hemmschwellen;
- gemeinsame Veranstaltungen.
Sozialraumorientierte Arbeit - Systematische und bedarfsorientierte Arbeit im Lebensumfeld von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte
Aufgabe der Integrationsagenturen ist es, Angebote im Sozialraum zu erkunden, Kooperationen mit dort tätigen Einrichtungen zu suchen und den Einbezug von Menschen mit Migrationshintergrund zu forcieren. Die Agenturen übernehmen eine Brückenfunktion, damit die Angebote auch die Menschen mit Migrationshintergrund erreichen, aber auch, dass sie aktiviert werden, mitzuarbeiten oder an den Angeboten teilzunehmen.
Einige Beispiele:
- Aufbau und Begleitung eines internationalen Mehrgenerationengartens in einem sozialen Brennpunkt;
- Veranstaltungen über das Gesundheitssystem oder Erziehungsfragen für muslimische Frauen vor Ort in der Moschee oder in der Kindertagesstätte;
- spezielle Angebote für Menschen mit Migrationshintergrund, beispielsweise ein Fahrradkurs für Frauen;
- gemeinsame Aktivitäten von Bewohner(inne)n des Sozialraums wie gemeinsames Singen;
- Förderung und Begleitung von Multiplikator(inn)en.
Antidiskriminierungsarbeit als Aufgabe
Der Eckpunkt Antidiskriminierungsarbeit wurde 2009 in die Aufgaben der Integrationsagenturen aufgenommen. Beispiele dazu sind Sensibilisierungs- und Informationsveranstaltungen, Trainings zur Zivilcourage, Einbezug des Themas in die Bildungsarbeit oder sozialraumorientierte Arbeit, Kooperation mit thematisch relevanten Netzwerken.
An vier Standorten gibt es darüber hinaus Integrationsagenturen, die sich speziell der Antidiskriminierungsarbeit widmen. Dazu zählen Antidiskriminierungsberatungen, Fortbildungen und Tagungen, Unterstützungen bei verbandlichen Arbeitstagungen und durch Informationsmaterial.
Die Arbeit hat einen aktivierenden Charakter
Ein großer Handlungsspielraum für neue Arbeitsansätze verstärkt die Motivation von Mitarbeitenden, neue Wege zu gehen und die Arbeit weiterzuentwickeln. Viele Klient(inn)en mussten sich erst daran gewöhnen, dass die Einzelfallhilfe nicht mehr durch Mitarbeitende der Integrationsagenturen geleistet wurde, sondern auf die Mobilisierung der Eigenkräfte und der eigenen Netzwerke gesetzt wird. Die Arbeit hat einen aktivierenden Charakter, sowohl für Ehrenamtliche als auch für Menschen mit Migrationshintergrund und beteiligte Netzwerkpartner.
Es ist eine Vielzahl neuer Kooperationen entstanden, die im Miteinander zu fruchtbaren Ergebnissen führen. Die strukturiertere Arbeit in Form einer Sozialraum-/Bedarfsanalyse, Aufgabenplanung und eines Sachberichts war anfangs für viele gewöhnungsbedürftig, hat sich aber bewährt. Die Arbeit der Integrationsagenturen hat sich etabliert und bezieht neue Entwicklungen mit ein. Auch wenn es nicht immer leicht zu vermitteln ist, was die Arbeit der Integrationsagenturen in allen Facetten ausmacht, so zeigen die Ergebnisse, dass sie ein Erfolgsmodell sind.
Anmerkung
Die fünf Diözesan-Caritasverbände in NRW haben einen Film über die Arbeit der Caritas-Integrationsagenturen veröffentlicht, der unter www.caritas-paderborn.de/41891.html zu finden ist.