Der Zivi geht, seine Nachfolger kommen
Kurz nach seinem fünfzigjährigen Jubiläum wird das Ende des Zivildienstes eingeläutet: mit dem Aussetzen der Wehrpflicht zum 30. Juni 2011. Mehrere Hunderttausend junge Männer haben die Einrichtungen und Dienste der Caritas in diesen fünf Jahrzehnten als Zivildienstleistende, kurz Zivis, unterstützt. Sie erhielten dabei wichtige Einblicke in soziale Lebenslagen und lernten soziale Arbeitsfelder und Berufe kennen. Bei manchem leisteten diese Impulse einen wertvollen Beitrag zur Berufsorientierung - aus Zivis wurden Mitarbeiter der Caritas.
Mit dem neuen Bundesfreiwilligendienst (BFD) als staatlich organisiertem und gesteuertem Freiwilligendienst werden einerseits die Strukturen des Zivildienstes erhalten (Bundesamt, Zivildienst-Schulen, Regionalbetreuer). Andererseits sind mit dem BFD neue Rahmenbedingungen und Zielvorgaben verbunden.
Der neue Freiwilligendienst orientiert sich inhaltlich und in seiner Zielsetzung in wesentlichen Punkten am bestehenden Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ). Dies betrifft vor allem die Einsatzdauer, die Einsatzbereiche sowie die Anzahl der Bildungstage.
Neu ist im BFD die Möglichkeit für Personen über 27 Jahre, sich in einem Freiwilligendienst zu engagieren. Voraussetzung ist die Bereitschaft, sich für mindestens 20 Wochenstunden und wenigstens sechs Monate Einsatzdauer zu verpflichten.
Im Erzbistum Freiburg tritt der DiCV als BFD-Träger auf
Wie in vielen anderen Diözesen verlangten die Veränderungen von den Verantwortlichen in den Bistümern Freiburg und Rottenburg-Stuttgart Entscheidungen über die künftige Trägerschaft und inhaltliche Ausgestaltung von Freiwilligendiensten. Insbesondere ging es um das Vernetzen von bestehenden und neuen Engagementformen.
Der Diözesan-Caritasverband (DiCV) Freiburg wurde - nach einem längeren Entscheidungsprozess zwischen Caritas und Seelsorgeamt - von der Bistumsleitung mit der Erarbeitung und Umsetzung eines Konzeptes beauftragt. Vier Parameter waren handlungsleitend:
1. die Engagement-Interessen von Freiwilligen;
2. die Möglichkeiten und der Bedarf der Einsatzstellen;
3. die Qualitätsstandards der katholischen Träger;
4. die gesetzlichen Vorgaben.
Die Ziele des DiCV Freiburg waren es dabei,
- ein flexibles, markt- und kundenorientiertes Angebot für Freiwillige und Einsatzstellen zu entwickeln;
- den Service für Einsatzstellen und Freiwillige aus einer Hand anzubieten (Information, Beratung, Vermittlung, Begleitung, Bildungsangebote);
- Verwaltungsabläufe effizient zu gestalten (zum Beispiel zentrale Auszahlung von Taschengeld und Organisation der Sozialversicherung);
- durch eine inhaltliche Ausdifferenzierung der Angebotsformen eine höhere Passgenauigkeit für alle Beteiligten zu ermöglichen;
- FSJ und BFD in einem einheitlichen Konzept "Freiwilligendienste der Caritas" zu verbinden;
- durch regionale Koordinierungsstellen kurze Wege und schnelle Erreichbarkeit zu sichern;
- alle Einsatzstellen, die bislang mit anderen Trägern kooperierten, als künftige Kooperationspartner zu gewinnen.
Seit Mai 2011 sind vier regionale Koordinierungsstellen in Heidelberg, Karlsruhe, Freiburg und Singen im Aufbau.
Sie übernehmen die Akquise, Beratung und Begleitung von Einsatzstellen, die Beratung und Vermittlung von Freiwilligen, die Bildungs- und Begleitarbeit sowie Einsatzstellenbesuche und die regionale Werbung. Ziel ist es, im ersten Jahr auf alle 700 von den Einsatzstellen in der Erzdiözese Freiburg zur Verfügung gestellten Plätze Freiwillige zu vermitteln.
Die Förderlogiken von FSJ und BFD werden für Freiwillige und Einsatzstellen zu einem einheitlichen Konzept eines "Freiwilligendienstes der Caritas" verbunden, mit identischen Rahmenbedingungen bezüglich der Einsätze, der Höhe des Taschengeldes, der Seminargestaltung und der Anleitung und Begleitung in der Einsatzstelle.
Um ein möglichst großes Spektrum an Engagierten zu erreichen, wird dieser "Freiwilligendienst der Caritas" in vier Angebotsformen ausdifferenziert:
- "Engagiert plus", der gesetzlich nicht geregelte Kurzzeit-Freiwilligendienst mit einer Dauer von drei bis fünf Monaten;
- ein flexibler Freiwilligendienst mit einer Dauer ab sechs Monaten, der jederzeit begonnen werden kann, mit der Option auf Verlängerung (mit flexiblen Bildungsmodulen);
- ein zwölfmonatiger Freiwilligendienst, der im September beginnt und auf bis zu 18 Monate verlängert werden kann (mit 25 Bildungstagen in fünf Seminarblöcken in der gleichen Gruppe);
- ein Freiwilligendienst für über 27-Jährige mit einer Dauer von sechs bis 18 Monaten und mindestens 20 Wochenstunden, der jederzeit begonnen werden kann.
Einbindung in systematische Personalgewinnung
In Kooperation mit seinen Mitgliedern und regionalen Gliederungen entwickelt der DiCV Rottenburg-Stuttgart seit 2009 eine Kampagne zur strategischen Personalgewinnung. Als ein in sich geschlossener Prozess löst dies, gewollt und geplant, auch Wechselwirkungen in anderen Handlungsfeldern des Verbandes und der Diözese aus. Die historische Umbruchsituation rund um den Zivildienst, die bewährten Freiwilligendienste (FWD) und der neue BFD werden in der Netzwerkstruktur des Caritasverbandes gezielt unter personalpolitischen Aspekten wahrgenommen. Dabei gewinnt die Dimension des sozialen Lernens mehr und mehr an Bedeutung: Freiwilligendienste sind ein idealer Zugang, um mit sozialer Verantwortung und gesellschaftlichem Engagement in Berührung zu kommen, aber auch ein Interesse an sozialen Berufen zu fördern und die Caritas als attraktiven Arbeitgeber kennenzulernen.
Ansprache verschiedener Zielgruppen und Milieus
Ein positiv aufgeladener Kommunikationsraum ist ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Gewinnung freiwillig Engagierter in unserer Gesellschaft, aber auch potenzieller Fach- und Führungskräfte der Caritas durch Freiwilligendienste. Dabei ist die Frage, auf welche Zielgruppen und welche Milieus hin geplant wird, von großer Bedeutung. Für eine gezielte Ansprache kommen insbesondere in Betracht:
- das Gemeinwesen (beispielsweise Schulen, Arbeitsagenturen);
- Adressat(inn)en, die selbst Hilfesuchende sind (zum Beispiel Jugendliche, Behinderte);
- die institutionellen Akteur(inn)e(n) in den FWD (pädagogisches Personal und Management);
- bereits Engagierte (Freiwillige von 16 bis 27 Jahren und über 27 Jahre).
Sollen von den Freiwilligendiensten steigende Attraktivität, Identifikation und Bindung für soziales Engagement (insbesondere auch für Männer) ausgehen, muss für die Zielgruppen/Milieus ein Gewinn erlebbar sein. Die Caritas verfügt über großes Milieuwissen in der Arbeit mit dem Gemeinwesen, den Adressat(inn)en und den institutionellen Akteur(inn)en. Die Milieusensibilität hinsichtlich der Engagierten zwischen 16 und 27 Jahren wächst, es gilt, sie weiter auszubauen.
Freiwilligen-gGmbH im Bistum Rottenburg-Stuttgart
Die Caritas als Dienstgeber: gut, vielfältig, interessant, zukunftssicher, sozial - solche Profilbotschaften der caritativen Dienstgeber zur eigenen Attraktivität legen auch für die Freiwilligendienste die Messlatte auf. Um diesen Anspruch einlösen zu können, sucht der DiCV Rottenburg-Stuttgart verstärkt die Kooperation mit dem BDKJ/BJA (Bund der Deutschen Katholischen Jugend - Bischöfliches Jugendamt) in der Diözese. Als bisheriger Träger der katholischen Freiwilligendienste in Württemberg bringt der BDKJ/BJA die Milieukompetenz hinsichtlich der bis zu 27-Jährigen ebenso mit wie 50 Jahre Erfahrung im Aufbau von Freiwilligendiensten. Eine neu zu gründende, gemeinsam von DiCV und BDKJ/BJA getragene gemeinnützige Gesellschaft (gGmbH) soll ein wesentlicher Beitrag sein, ab Mitte 2011 den Platz als Akteur auf dem sozialen Markt zu sichern und angesichts der demografischen Herausforderung schneller und flexibler Handlungsräume schaffen zu können.
Gleichzeitig wird ein Innovationsprozess aufgesetzt: Neue attraktive Dienste sind zu entwickeln und aufzubauen. Ist diese erste Hürde genommen, muss neben der Regelarbeit ein kontinuierlicher Innovationsprozess etabliert werden. So werden die Freiwilligendienste zukunftsfähig und für alle ein Gewinn.
Attraktivität ist der Schlüssel
Viele Einsätze, die von Zivildienstleistenden erledigt wurden, werden durch die neuen Freiwilligendienst-Konzepte nicht zu ersetzen sein. Die Freiwilligen werden künftig noch mehr selbstbestimmt entscheiden, welche Tätigkeiten attraktiv sind und welche nicht. Nur wenn die Einrichtungen und Dienste das eigene Profil mit großer Überzeugung und Begeisterung vermitteln, wird es gelingen, die positiven Effekte des Zivildienstes in Freiwilligendiensten aufzugreifen und fortzuführen. Darin besteht für alle caritativen Felder eine große Chance.