Beratungsresistent?!
Gibt es eigentlich beratungsresistente Klienten1? Diesbezüglich gibt es eine schlechte und eine gute Nachricht. Die schlechte Nachricht: Ja, es gibt sie! Die gute Nachricht: Es ist unwahrscheinlich, dass sie sich alle unter Ihren Klienten befinden!
Die Einschätzung, welche Klienten beratungsresistent sind und welche nicht, gleicht einem Dilemma, das Henry Ford in Bezug auf seine Ausgaben für Werbung beschrieb, indem er sagte: „Ich weiß, dass 50 Prozent meiner Werbeausgaben rausgeworfenes Geld sind. Leider weiß ich nicht, um welche 50 Prozent es sich handelt.“ Ähnlich unentscheidbare Fragen stellen sich, wenn ein Berater versucht zu entscheiden, welchen Klienten er helfen kann und welchen nicht.
Berater müssen sich von der Vorstellung verabschieden, Menschen verändern zu können. Die Klienten können lediglich unterstützt werden bei ihren Bemühungen, sich selbst zu verändern. Die praktische Erfahrung zeigt: Nicht die Interventionen bestimmen, was mit den Klienten passiert, sondern die Klienten bestimmen, was mit den Interventionen passiert. Wenn die Helfer diese Perspektive akzeptieren, liegt der Schluss nahe, dass sie ihr Verhalten immer wieder danach ausrichten müssen, wie dieses von den Klienten angenommen wird und welche Wirkung die Helfer damit erzielen. Folglich befinden sich auch bei den Beratern die „Stellschrauben“ der Veränderung, wenn sie ihr professionelles Handeln effizienter gestalten wollen. Mit der Absicht, das Helferverhalten zu optimieren, haben amerikanische Therapieforscher eine große Anzahl Kollegen, (ehemaliger) Klienten und Patienten gefragt, welche Aspekte der Helfertätigkeit sie als hilfreich und welche sie als störend oder gar blockierend erlebt haben. Auf diese Weise konnten die Therapieforscher Scott D. Miller, Barry L. Duncan und Mark A. Hubble einerseits aussichtslose Interventionen identifizieren und andererseits veränderungsrelevante Wirkfaktoren ermitteln.2
Vier Wege, die keinen Erfolg haben
Unter der Fragestellung, wie Helfer unter Umständen dazu beitragen, dass Beratungsprozesse scheitern, fanden die Therapieforscher folgende Fallstricke beraterischen Handelns:
Erwartung eines aussichtslosen Falles durch Zuschreibung von Diagnosen
Die Erwartungen einer aussichtslosen Behandlung führen exakt zu einem solchen Ergebnis. Der Klient wird mit seinem Behandlungsetikett gleichgesetzt. Das führt dazu, dass die Sicht auf Ressourcen verdeckt bleibt und die Wahrnehmung so organisiert wird, dass die Defizite und Schwächen des Klienten im Vordergrund stehen. Der Beratungsprozess führt in diesen Fällen fast immer in die Aussichtslosigkeit.
Theoriegeleitete Gegenübertragung
Mit diesem Begriff ist die Neigung von Helfern gemeint, ihre Theoriemodelle als Wahrheit zu betrachten. Diese Konzepte werden dann nicht mehr als mentale Modelle gehandelt, mittels derer versucht wird, sich in der Welt zurechtzufinden. Verhalten von Klienten, das nicht in dieses Theoriemodell passt, wird dann in der Regel pathologisiert. Dies führt zu Störungen der Kooperation zwischen Helfer und Klient, da Letzterer sich abgewertet beziehungsweise nicht verstanden fühlt. Wo aber Kooperation fehlt, ist ein Scheitern des Beratungsprozesses fast unausweichlich.
Mehr desselben
Bei dem Versuch, Probleme zu lösen, greifen Menschen oft auf Methoden zurück, die bei früheren Gelegenheiten geholfen haben. In den Fällen, in denen diese Methoden allerdings nicht greifen, wird oftmals lediglich die Dosis (von dem, was nicht funktioniert) erhöht, anstatt sich einer anderen Strategie zu bedienen.
Das gleiche Prinzip gilt auch für Helfer: Erfolglosigkeit und Aussichtslosigkeit entwickeln sich, wo Praktiker wiederholt dieselben oder ähnlichen Behandlungsmethoden anwenden, obwohl sie sich als nicht wirksam erweisen. Wesentlich erfolgsversprechender ist es, wenn beraterische beziehungsweise therapeutische Verfahren sich am Weltbild des Klienten orientieren und die Helfer einschlägige Rückmeldungen ihrer Klienten ernst nehmen.
Missachtung der Motivation
Ein weiterer sicherer Weg in die Erfolglosigkeit besteht in der Missachtung der Motivation der Klienten. Die Klienten mögen zwar die Absichten der Profis nicht teilen, aber es ist davon auszugehen, dass sie ihre eigenen haben. Wenn die Berater die Motivation der Klienten nicht erkennen beziehungsweise beachten, was der Klient erreichen will, kann dies zu einem erfolglosen Beratungsprozess führen.
Kooperation ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Beratungserfolg. Weil die positive Anteilnahme der Klienten für den Erfolg so wichtig ist, müssen ihre Absichten verstanden, respektiert und in die Behandlung integriert werden.
Vier Faktoren, die Veränderung bewirken
Natürlich lassen sich ebenso Faktoren benennen, die sich positiv auf den Beratungsverlauf und das Ergebnis auswirken:
Die Beiträge der Klienten und außertherapeutische Faktoren
Der stärkste Einfluss auf das Ergebnis einer Beratung geht vom Klienten aus. Sein Zugang zu seinen Stärken und Fähigkeiten, seine bisherigen Lösungsstrategien, die Unterstützung, die er durch andere erfährt, unter welchen Bedingungen sein Leben verläuft und welche zufälligen Ereignisse darin Bedeutung gewinnen, ist wichtiger als alles, was ein Helfer je unternehmen könnte.
Das bedeutet für die Helfer, dass sie sich für derartige Signale sensibilisieren müssen, um sie für den Veränderungsprozess zu nutzen. Der Helfer sollte auf folgende Aspekte achten:
- Veränderungen: Welche Veränderungen jenseits des Beratungskontextes kann der Klient benennen? Wie erklärt er sich diese Entwicklungen und was hat er möglicherweise dazu beigetragen?
- Bewältigungsstrategien: Wie hat der Klient es geschafft, dass seine Lage nicht noch schlimmer geworden ist?
- Ausnahmen und positive „zufällige Ereignisse“: Wann war sein Problem bereits schon einmal weniger schlimm und was hat er dazu beigetragen? Ließe sich das vielleicht wiederholen? Gibt es positive „zufällige Ereignisse“ im Leben des Klienten?
- Soziales Netzwerk: Welche Menschen erwähnt der Klient, die ihn unterstützen? Wie oder womit bewegt er sie dazu, ihm zu helfen?
Um diese Möglichkeiten nutzen zu können, ist es allerdings wichtig, dass dem Klienten ein Spezialistenstatus eingeräumt wird und die Helfer die Dinge durch seine Brille betrachten.
Die Beratungsbeziehung: Das Zusammenwirken von Praktiker und Klient
In Supervisionen wird häufig nach Techniken gefragt, die geeignet sind, Klienten zu „knacken“. Bereits die Frage macht deutlich, dass es sich bei der Interaktion zwischen Berater und Klient nicht um ein „Kooperationsspiel“ handelt, sondern um ein „Kriegsspiel“. Dabei wird die Beziehung zwischen Klient und Helfer als einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren beschrieben.3
Vor diesem Hintergrund sind Helfer also gut beraten, wenn sie sich um ein möglichst tragfähiges Arbeitsbündnis mit den Klienten bemühen. Dieses Arbeitsbündnis enthält vier Komponenten4:
- die effektive Beziehung des Klienten zum Berater/Therapeuten;
- die Fähigkeit des Klienten, in der Beratung/Therapie zielstrebig zu arbeiten;
- empathisches Verstehen und Beteiligtsein des Beraters;
- Einverständnis zwischen Berater und Klient über Ziele und Zweck der Beratung.
Das Veränderungspotenzial von Placebo (Glaube, Erwartung, Hoffnung)
Es gilt als erwiesen, dass eine positive Erwartung hinsichtlich der Wirksamkeit einer Beratung einen deutlichen Erfolgsindikator darstellt. Allerdings können Erwartungen nicht nur helfen, sie können – falls sie nachteilig ausgerichtet sind – auch dem Behandlungserfolg entgegenwirken.
Ob der Klient Hoffnung schöpft, hängt zu einem Großteil von der Haltung ihm gegenüber ab: Sofern der Helfer pessimistisch ist und auf Defizite fokussiert, wird dies beim Klienten keine positive Energie mobilisieren. Konzentriert sich der Berater dagegen auf die Möglichkeiten, Potenziale und erreichbare Ziele, so wird wahrscheinlich Zuversicht und Hoffnung auf eine Besserung geweckt. Allerdings dürfen die Berater sich nicht einseitig auf Positives und Lösungen konzentrieren, weil die Klienten dann unter Umständen nicht den nötigen Raum bekommen, um ihr Problem darzustellen und sich in ihrem Leid nicht ernst genommen oder verstanden fühlen.
Hoffnung wird sich wahrscheinlich dann einstellen, wenn der Berater sowohl den gegenwärtigen Schwierigkeiten des Klienten als auch seinen Chancen zur Besserung Aufmerksamkeit schenkt.
Zwei wesentliche Aspekte bei der Förderung positiver Erwartung und Hoffnung bestehen einerseits im Aufbau eines tragfähigen therapeutischen Bündnisses und andererseits im Einbinden der Stärken des Klienten in die Behandlung.
Therapeutische Techniken und Methoden
Methoden sind rein technisch gesehen wirkungslos. Sie erzeugen allerdings einen Kontext, in dem die Fähigkeiten des Klienten zur Geltung kommen, wenn
- der Berater selbst Vertrauen in die angewandte Methode hat;
- die Vorgehensweise dem Klienten glaubwürdig und überzeugend erscheint;
- sie die klienteneigenen Ressourcen beziehungsweise das Potenzial ihrer sozialen Netzwerke aktivieren;
- sie die Wirkfaktoren früherer Erfolgserlebnisse des Klienten nutzen;
- sie im Klienten Hoffnungen und positive Änderungserwartungen wecken;
- sie innerhalb einer vom Klienten als Unterstützung empfundenen Beratungsbeziehung stattfinden.
Alle aufgeführten Wirkfaktoren können völlig unabhängig von bestimmten Theorien oder Schule realisiert werden, sofern die Helfer es sich erlauben, das zu sehen, was die Klienten tatsächlich an Verhalten präsentieren und sie dieses Verhalten zur Grundlage ihres professionellen Handelns machen.
Anmerkungen
1. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird hier nur die maskuline Sprachform verwendet. Frauen sind natürlich auch gemeint.
2. Duncan, Barry L.; Hubble, Mark A.; Miller, Scott D.: Aussichtslose Fälle – die wirksame Behandlung von Therapieveteranen. Stuttgart: Klett-Cotta,1998.
3. Duncan, Barry L.; Hubble, Mark A.; Miller, Scott D.: Jenseits von Babel. Wege zu einer gemeinsamen Sprache in der Psychotherapie. Stuttgart: Klett-Cotta, 2000.
4. Gaston, Louise: The concept of the alliance and its role in psychotherapy : Theoretical and empirical considerations. Psychotherapy, 27, S. 143–152, zitiert nach Duncan, B. L., Hubble, M. A. und Miller, S. D., 1998.