Wahlen und Weichenstellungen für die nächsten Jahre
Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate wurden auf der neunten Delegiertenversammlung (DV) des Deutschen Caritasverbandes in der Europahalle in Trier thematisiert. Caritas-Präsident Peter Neher stellte sich in der aktuellen Stunde dazu den Fragen der Versammelten. Zum geplanten freiwilligen Zivildienst machte Neher klar, dass er es nicht für adäquat halte, dass der Staat sich einen eigenen Freiwilligendienst schafft. Es gelte jetzt aufzupassen, dass der neue Dienst nicht besseren Bedingungen unterliege als die bereits bestehenden Dienste.
Um die Rollenverteilung zwischen den Ortsverbänden, den Fachverbänden und den verschiedenen verbandlichen Ebenen klarer und für alle Beteiligten zufriedenstellend auszuloten, werde man in absehbarer Zeit einen Workshop veranstalten. Damit soll im Umsetzungsprozess des Projektes "Föderalismus und Kommunalisierung: Konsequenzen für die verbandliche Caritas" der nächste Schritt in der Verbandsentwicklung gegangen werden (s. dazu auch neue caritas Heft 11/2010, S. 28f.).
Wahlen für die DV und zum Caritasrat
Da es sich bei der neunten Delegiertenversammlung in Trier um die konstituierende Sitzung handelte, der die Wahlen/Benennungen der entsandten Delegierten in den Gliederungen vorausgegangen waren, standen auch Wahlen an. So wurden sieben Persönlichkeiten gewählt, die die DV in den nächsten sechs Jahren mit Sitz und Stimme beraten sollen:
Dr. Martin Bröckelmann-Simon, Geschäftsführer von Misereor; Günter Däggelmann, Vorsitzender der BAG Mitarbeitervertretungen; Dr. Rüdiger Fuchs, Geschäftsführer der Solidaris Revisions-GmbH; Professor Dr. Gerhard Kruip, Universität Mainz; Professor Dr. Bruno Nikles, Universität Duisburg-Essen; Martin Patzelt, Oberbürgermeister a.D. in Frankfurt/Oder und Professor Dr. Eva-Maria Schuster, Hochschule Mainz.
Auch der Caritasrat, das Gremium, das laut Satzung die Arbeit des Vorstandes beaufsichtigen soll, wurde neu gewählt. Viel zu entscheiden gab es allerdings nicht bei dieser Wahl, denn sowohl die DiCVs als auch die OCVs und die Orden hatten exakt nur so viele Kandidaten aufgestellt, wie ihnen Sitze im Caritasrat zustehen. Lediglich bei den Fachverbänden und den Vereinigungen war ein Kandidat mehr auf der Liste, als es Sitze gab. Prompt kam es bei dieser Gruppierung in einem zweiten Wahlgang zur Stichwahl, wobei Thomas Vortkamp für den Katholischen Krankenhausverband Deutschlands das Rennen vor dem Kandidaten des Altenhilfefachverbandes VKAD machte.
Die Mitglieder der Kommissionen der Delegiertenversammlung sollen erst auf der nächsten ordentlichen DV im Herbst 2011 gewählt werden. Dies sei, so Präsident Neher, pragmatischer, um nach der konstituierenden Sitzung der DV und der Wahl zum Caritasrat genügend Zeit zu haben, geeignete Kandidaten zu finden. Allerdings mussten die Delegierten für dieses Prozedere eigens die Ordnung für die Kommissionen ändern. Eine beauftragte Arbeitgruppe hatte auch geprüft, ob der Zuschnitt der Kommissionen verändert werden solle. Da dies aber nicht der Fall ist, konnten die Delegierten beschließen, dass es weiterhin vier Kommissionen geben wird:
- Sozialpolitik und Gesellschaft
- Caritasprofil
- Ökonomie in der Caritas
- Mitarbeit in der Caritas
Eckpunkte zur wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit
Die Kommission "Ökonomie in der Caritas" hatte den Auftrag "Eckpunkte für die Gewährleistung der wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit von Unternehmen der Caritas" zu erstellen. Präsident Neher umriss diesen Sachverhalt salopp mit den Worten: "Es geht darum, ob es anständig oder unanständig ist, Gewinn zu erzielen."
Die Diskussion des vorliegenden Entwurfs der Eckpunkte ergab, dass diese noch geschärft werden müssen und klarere Benennungen erwünscht sind. Dompropst Feldhoff vermisste, dass die Transparenz gegenüber den Mitarbeitern klar geregelt ist. Insgesamt herrschte der Tenor, dass es keine Schande sei für ein Unternehmen der Caritas, Gewinne zu erzielen. Der Knackpunkt seien die Verhältnismaßigkeit, die Transparenz und die angemessene Verwendung. Das Papier soll nochmals daraufhin bearbeitet und dann dem Caritasrat zur endgültigen Verabschiedung vorgelegt werden.
Initiative für die Jahre 2012 bis 2014 verabschiedet
"Solidarität und gesellschaftlicher Zusammenhalt" heißt im vorläufigen Arbeitstitel die Initiative, die die Delegierten für die Jahre 2012 bis 2014 verabschiedet haben. Sie ist eine konsequente Fortführung der bisherigen Initiative zur Teilhabe und zur Befähigung. Die Diskussion erbrachte verschiedene Blickwinkel, die dabei berücksichtigt werden müssen: dass Armut nicht nur materiell zu verstehen sei; dass es für viele Betroffene ganz unterschiedliche Zugangsbarrieren gebe und dass die Betroffenen miteinzubeziehen seien. Die neue caritas wird dazu in einer späteren Ausgabe ausführlicher berichten.
Zustimmung fand auch der Antrag einiger Delegierter, zu diesem Themenkomplex einen neuen Konsultationsprozess anzustoßen, wie ihn die beiden großen Kirchen im Jahre 1994 bereits einmal gestartet hatten. Die Kirche sei derzeit zu sehr mit sich selbst beschäftigt und das gesellschaftliche Handeln komme zu kurz, begründeten die Antragsteller ihre Absicht. Weihbischof Manfred Grothe konnte diesem Anliegen eine Berechtigung zugestehen. Es passe auch sehr gut zu der Absicht der Bischofskonferenz, einen Dialogprozess zu eröffnen. Und der Geschäftsführer der Caritas-Kommission der Bischofskonferenz, Johannes Stücker-Brüning, versicherte, dass Erzbischof Robert Zollitsch bewusst ein offenes Angebot zum Dialog gemacht habe, in dem die Caritas ihre Themen einbringen könne.
Änderung der AK-Ordnung
Breiten Diskussionsbedarf gab es am dritten und letzten Tag der Delegiertenversammlung, als die Änderung der AK-Ordnung auf der Tagesordnung stand. Bereits vor einem Jahr hatten die Caritas-Delegierten in Eichstätt eine Arbeitsgruppe beauftragt, Änderungsvorschläge zur Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission zu machen. Und auf einer Sonderdelegiertenversammlung im März 2010 in Fulda wurden dazu erste Beschlüsse gefasst (siehe dazu auch neue caritas Heft 19/2009, S. 24f.; Heft 8/2010, S. 5 und Heft 9/2010, S. 31f.). Diese sollten mit § 11 der AK-Ordnung mit einrichtungsspezifischen Regelungen hauptsächlich für diejenigen Erleichterung bringen, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind.
Vertagt worden auf diesen Herbst war hingegen eine Entscheidung zu der Frage, wo denn überhaupt Tarifpolitik gemacht werden soll: auf der Bundesebene oder in den Regionalkommissionen. Doch auch in Trier sollte dazu keine Entscheidung fallen. Die beauftragte Arbeitsgruppe hatte zwar intensiv getagt und auch ein Eckpunktepapier mitgebracht. Doch darin waren noch unterschiedliche Zukunftsmodelle aufgelistet, und die Arbeitsgruppe wollte von den Delegierten wissen, in welche Richtung sie weiterarbeiten soll, um dann den Delegierten einen eindeutigeren Änderungsvorschlag in einem Abfrageprozess im Dezember zukommen zu lassen. Da die Zeit drängt, soll die endgültige Änderung der AK-Ordnung dann in einer erneuten Sonderdelegiertenversammlung am 22. Februar 2011 in Frankfurt beschlossen werden.
Eine erst kürzlich erfolgte Anhörung zur Grundordnung hatte erbracht, dass alle Parteien für den Erhalt des Dritten Weges sind. Caritas-Finanz- und Personalvorstand Niko Roth beklagte, dass einige Einrichtungen sich im Ersten Weg befinden und dies erhebliche Konsequenzen für die KZVK-versicherten Mitarbeiter habe: "Es ist Zeit, endlich zu handeln. Die AK hat Verantwortung für den Gesamtverband", so Roth.
Die beauftragte Arbeitsgruppe sprach sich innerhalb von fünf Alternativen für ein Modell aus, in dem die Bundeskommission weiterhin die Bandbreiten in der Tarifpolitik festlegt und die Regionalkommissionen im festgelegten Rahmen Abweichungen nach oben oder unten beschließen können. Sollte die Bundesebene nicht zu Beschlüssen kommen, kann die Regionalkommission selbstständig handeln. Dieses Modell entspricht in etwa der bisherigen AK-Ordnung und wird sowohl von den Einrichtungsfachverbänden als auch von den Orden und großen Trägern favorisiert. Sie sind an einem Flächentarifvertrag interessiert oder haben Einrichtungen in mehreren Tarifregionen und brauchen daher eine gemeinsame Klammer für einen einheitlichen Tarif. Allerdings geht ihnen die Freiheit im regionalen Handeln nicht weit genug.
Für die Abschaffung der Bundesregion und eine alleinige Regelungskompetenz in den Regionen sprachen sich hingegen die Delegierten aus den östlichen Bundesländern aus, wobei auch Hans-Jürgen Marcus aus Hildesheim betonte, dass es sich hier weniger um ein Ost-West- als mehr um ein Wettbewerbsproblem handle. In Hildesheim, aber auch in Bayern zahlt die Caritas Löhne bis zu 30 Prozent über den Tarifen der freien Träger und 18 Prozent über dem der Diakonie.
Solche Probleme sieht Thomas Schwendele von der Mitarbeiterseite mit der bestehenden AK-Ordnung behebbar. So habe das Beispiel der Region Baden-Württemberg gezeigt, dass bei einer vertrauensvollen Zusammenarbeit Dienstnehmer und Dienstgeber durchaus konsensfähig seien. Dienstgebervertreter Rainer Brockhoff mahnte, dass die Caritas nur mit einem Flächentarifvertrag für die Zukunft und die Personalgewinnung im Pflegebereich gerüstet sei. Jedoch müsse man überlegen, ob dies für den Osten praktikabel sei. Dompropst Feldhoff brachte eine neue Idee ins Spiel: man solle sich fürs Bundesmodell entscheiden und der Osten solle auf der Sonder-DV im kommenden Februar eine Sonderregelung für sich beantragen: "Ich empfehle das nicht, aber der Weg wäre gangbar." Mehrfach klang in der Debatte durch, dass der Dissens der Regionalkommission Ost auch gruppendynamische Gründe haben könnte.
Die Delegierten gaben der Arbeitsgruppe den Auftrag, am Modell Bund/Region weiterzuarbeiten. Ebenso erteilten sie den Auftrag, einen Weg zu verfolgen, der die personelle Verkleinerung der Regionalkommissionen vorsieht. Rolf Lodde meinte dazu, dass nicht die Anzahl der Mitglieder wichtig sei, sondern dass es darauf ankomme, dass die richtigen Leute in den Kommissionen sitzen, die von allen akzeptiert werden.
Tarifinstitut vor dem Aus
Bewilligt wurde der Vorschlag, nicht abgerufene Finanzmittel für das Tarifinstitut auf die Arbeitsrechtliche Kommission zu übertragen. Niko Roth führte für den Vorstand aus, dass man es als sinnvoll erachte, das Tarifinstitut zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufzulösen. Die mit seiner Gründung verbundenen Erwartungen seien nicht erfüllt worden. Dagegen sei das Budget der AK seit 2008 erheblich überschritten worden. Wenn sich das Sitzungsverhalten der Kommissionsmitglieder nicht ändere, sei bis Ende des Jahres 2011 das Budget der AK um voraussichtlich 1,4 Millionen Euro überzogen. Deshalb stimmten die Delegierten auch dem Vorschlag zu, den Freistellungsaufwand für die AK analysieren zu lassen.