Offen für alle - gut beraten bei der Caritas
Beratung, Beratungsdienste und die Konzepte und Ansätze von Beratung sind so vielgestaltig wie die Notlagen und Bedarfe, die sie aufgreifen. Gerade der Bereich der Beratung hat in den vergangenen 30 Jahren - auch in der Caritas - eine höchst dynamische Entwicklung und einen enormen Aus- und Aufbau erfahren. Innerhalb eines breiten Spektrums an kirchlich-caritativen Diensten nimmt Beratung heute vielfältige Funktionen wahr. Diese reichen von der Prävention über die Krisenbewältigung bis zur Aktivierung von Ressourcen. Alle Beratungsbereiche sind mit ähnlichen Anforderungen konfrontiert.
In einer Gesellschaft, die stärker als früher durch Pluralität und Verschiedenartigkeit von Lebensformen und Lebensstilen geprägt ist, muss sich Beratung unterschiedlichen Nutzergruppen öffnen. Viele Fachbereiche berichten, dass sich ihre bisherigen Klientengruppen verändern und vielfältiger würden.
Wenn wir von der Öffnung für Vielfalt sprechen, dann sind damit auch die Bemühungen um eine kultursensible Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund gemeint. Die Offenheit für Menschen mit Migrationshintergrund ist zu einem grundlegenden Qualitätsmerkmal der caritativen Dienste geworden.
Innerhalb des Nationalen Integrationsplans1 hat sich der Deutsche Caritasverband (DCV) zu einem Bündel von Maßnahmen verpflichtet, um Menschen mit Migrationshintergrund einen besseren Zugang zu allen gesellschaftlichen Ressourcen zu ermöglichen. Mit der Handreichung "Vielfalt bewegt Menschen"2 hat der DCV wichtige Impulse für die interkulturelle Öffnung und Befähigung der Dienste und Einrichtungen gesetzt. Sie wurden vielerorts aufgegriffen - weitreichende Aufgaben aber liegen noch vor uns. Dazu gehört auch, dass sich die Mitarbeitenden der Caritas ihrer eigenen kulturellen Bezüge bewusst werden und diese reflektieren.
Die Öffnung für Vielfalt und kultursensible Beratung zielt jedoch nicht nur auf Menschen mit Migrationshintergrund. Sie schließt die Frage mit ein, ob die Caritas Menschen aus unterschiedlichen sozialen und kulturellen Milieus sowie mit unterschiedlichen Bildungs- und Beschäftigungskarrieren mit ihren verlässlichen Angeboten erreicht. Oder ob - wenn auch ungewollt - bestimmten Zielgruppen der Zugang erschwert wird. Die Jahreskampagne 2009 "Soziale Manieren", hat deutlich gemacht, dass gerade "Menschen am Rande" als Bürger(innen) unserer Gesellschaft Anspruch auf Bildung, Arbeit, gesundheitliche Versorgung, kulturelle Betätigung und Teilnahme an politischen Prozessen haben. Die verbandliche Caritas steht hier mit ihren Diensten und Einrichtungen in einer besonderen Verantwortung für Menschen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen oder bedroht sind.
Die Methoden von Beratung werden vielfältiger
Wenn die Zielgruppen und Hilfebedarfe vielfältiger werden, müssen auch die Methoden und Konzepte von Beratung variabler werden. In vielen Beratungsfeldern ist inzwischen an die Stelle einer strengen Ausrichtung an einseitiger Methodik ein Mix von methodischen Ansätzen getreten: Aufsuchende Formen von Beratung nehmen zu, lebenspraktische Unterstützung wird vermehrt in die Beratung integriert, Online-Beratung in verschiedenen Feldern sowie trainingsbezogene Arbeitsansätze wurden aufgebaut.
Die Problemlagen der meisten Ratsuchenden haben unterschiedliche Dimensionen. Zudem entstehen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen neue Bedarfe, welche die Leistungsfähigkeit einzelner, spezialisierter Beratungsdienste überfordern. Diesen neuen Bedürfnissen wird man in Zukunft nicht mehr einfach mit neuen Spezialangeboten begegnen können. Qualitative Verbesserungen werden künftig in hohem Maße damit verbunden sein, Ressourcen zu bündeln. Die Zukunft gehört daher einem flexiblen, multiprofessionell arbeitenden Hilfesystem, in dem die Beratungsstellen eine zentrale Rolle spielen.
Das Projekt des Deutschen Caritasverbandes "Vernetzung und Integration von Beratungsdiensten und -leistungen der Caritas" hat gezeigt, dass alle Beratungsbereiche der Caritas in vielfältigen Kooperationen stehen. Allerdings ist diese Zusammenarbeit häufig personenbezogen und konzeptionell kaum verankert. Daher werden Kooperationen und die Arbeit in Netzwerken künftig durch Vereinbarungen und Konzepte besser abgesichert werden müssen.
Dies lässt sich am Beispiel der "Frühen Hilfen" verdeutlichen. Sie sollen Familien nach der Geburt eines Kindes unterstützen. Dazu werden örtliche Netzwerke mit einer Vielzahl von Akteuren geknüpft: Schwangerschaftsberatungsstellen, Entbindungsstationen, Hebammen und Kinderärzt(inn)e(n), familienunterstützende Dienste sowie Einrichtungen der Tagesbetreuung. Aber auch die Allgemeine Sozialberatung, Sucht- oder Schuldnerberatungsstellen können beteiligt sein.
Aus dieser ziel- und lösungsorientierten Perspektive steht die Frage im Mittelpunkt, welchen Beitrag eine Einrichtung oder ein kirchlicher Beratungsdienst leisten kann. Ein solcher Zugang kann helfen, die fachlichen Systemgrenzen leichter zu überwinden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Dienste und Einrichtungen eine klare Vorstellung von ihren Kernkompetenzen haben und sie auch vermitteln können. Diese Arbeit in Netzwerken muss von den Trägern gewollt und mit Ressourcen unterstützt werden, um zu einer verstärkten Kooperation aller Beratungsdienste der Kirche und ihrer Caritas zu kommen.
Sozialraum: Ratsuchende haben immer ein Umfeld
Der Deutsche Caritasverband hat sich zum Ziel gesetzt, die sozialräumliche Ausrichtung seiner Arbeit zu stärken und auszubauen. Sozialraum meint hier sowohl den lebensweltlichen Bezug der Menschen als auch den geografischen Ort, an dem sie wohnen. Sozialraumorientierung umfasst eine weitreichende Veränderung der fachlichen Ausrichtung, die mit den Begriffen des Raumprinzips, der Regionalisierung, der "Geh-Struktur" (also der aufsuchenden Beratung), der Ressourcenorientierung und der Kooperation zwischen beruflichen und zivilgesellschaftlichen Kräften nur angedeutet werden kann. Sozialraumorientierung fordert auf, Ratsuchende nicht als isolierten Fall, sondern immer in ihren sozialen Bezügen zu sehen und Ressourcen für Veränderung zu aktivieren.
In den Diözesan- und Orts-Caritasverbänden sind in den letzten Jahren zahlreiche Ansätze der Sozialraumorientierung entwickelt und erprobt worden. Wir stehen jetzt vor der Aufgabe, sie zu einem strukturgebenden Merkmal unserer Arbeit zusammenzuführen.
Im Rahmen der Sozialraumorientierung stellt die Ausgestaltung der pastoralen Räume eine besondere Herausforderung, aber auch Chance dar. In den aktuellen Umbruchprozessen werden sich Gemeinden wieder stärker mit ihrem diakonischen Grundauftrag auseinandersetzen. Und die verbandliche Caritas hat die Möglichkeit, sich in der pastoralen Arbeit als kompetenter Partner zu profilieren.
In diesen Prozess bringen sich die Caritasverbände und ihre Dienste und Einrichtungen ein. Auf der Basis von Sozialraumanalysen können sie gemeinsam mit den dort lebenden Menschen die notwendigen Hilfen gemeinsam entwickeln. So können Netzwerke entstehen, wo Caritasdienste und Gemeinden mit ihren sozial-diakonischen Aufgaben und Zielen ineinandergreifen.
Alle ziehen an einem Strang
Sozialraumorientierung kommt ohne die Zusammenarbeit von beruflichen und ehrenamtlich Engagierten nicht aus. Die Anforderung nach einer engen Kooperation und einer konzeptionellen Verankerung der Arbeit mit Ehrenamtlichen - und dazu zählt auch die Selbsthilfe - löst häufig noch immer Ängste aus.
Die Erfahrung zeigt aber, dass die Verbindung und Integration von beruflicher und ehrenamtlicher Arbeit eine neue Qualität schafft. Denn Teilhabe realisiert sich erst in den alltäglichen Lebensbezügen der Menschen. Daher sind Ehrenamtliche keine Konkurrenz für das berufliche Hilfesystem. Vielmehr trägt die Einbindung in soziale Netzwerke durch Ehrenamtliche dazu bei, die in der beruflichen Beratung und Behandlung erreichten Veränderungen nachhaltig zu sichern.
Christliches Profil zeigt sich im Umgang mit Menschen
In der Debatte um Kooperation und Vernetzung werden in verschiedenen Arbeitsfeldern Fragen nach der Identität kirchlich-caritativer Dienste virulent: Wie bleiben wir als kirchlich-caritativer Dienst erkennbar? Was unterscheidet uns von Einrichtungen anderer Träger?
Zunächst ist entscheidend, dass Menschen gut beraten und betreut werden. Eine Zuwendung aus christlichem Geist findet nicht nur in kirchlichen Einrichtungen statt. Für die Caritas kommt es darauf an, dass sie offenlegt, warum sie ihre Arbeit und ihre politischen Positionen so gestaltet, wie sie es tut. Der Deutsche Caritasverband hat im Herbst 2009 einen Leitfaden für soziale Einrichtungen unter dem Titel "Ethisch entscheiden im Team"3 veröffentlicht. Er bietet Hilfen an, wie auch in Beratungsstellen und Netzwerken ethische Fragen konkret reflektiert werden können und bietet eine praxisnahe Einführung in die Kriterien der christlichen Sozialethik an.
Das christliche Profil und Selbstverständnis wird gerade in der Haltung deutlich, wie wir mit Klient(inn)en und mit unseren Mitarbeiter(inne)n umgehen. Dies ist ein hoher Anspruch, der sicherlich nicht immer gelingt. Entscheidend wird es sein, dass wir die religiösen Bedürfnisse und Sinnfragen der Menschen, für die wir da sind, aufgreifen und Möglichkeiten der Gestaltung anbieten.
Wenn es uns gemeinsam gelingt, der Vielfalt der Nöte durch entsprechende Kooperationen Rechnung zu tragen und tragfähige Netzwerke zu initiieren, dann wird dies ein wichtiger Beitrag dazu sein, die Beratung durch die Kirche und ihre Caritas auch in der Zukunft zu sichern.
Anmerkung
1. Der Nationale Integrationsplan wurde von der Bundesregierung, Ländern und Kommunen sowie Migrantenverbänden und anderen Akteuren 2007 verabschiedet. Er hat die verbesserte Integration von Migrant(inn)en zum Ziel.
2. Deutscher Caritasverband (Hrsg.): Vielfalt bewegt Menschen : Interkulturelle Öffnung der Dienste und Einrichtungen der verbandlichen Caritas. Freiburg, Juni 2006.
3. Kostka, Ulrike; Riedl, Anna-Maria: Ethisch entscheiden im Team : Ein Leitfaden für soziale Einrichtungen. Freiburg : Lambertus, 2009.