Preisfindung für eine gerecht entlohnende Pflege
Das Bundessozialgericht (BSG) hat maßgebliche Vorgaben für die Preisfindung in den Pflegesatzverhandlungen nach dem SGB XI gemacht. Sein Urteil zum "externen Vergleich" vom Dezember 2000, das den Durchschnitt bestehender Vergütungen zur Richtschnur erhob, hat viele tarifgebundene Einrichtungen - auch der Caritas - vor zum Teil unlösbare Probleme gestellt. Die Folge war ein deutlicher Rückgang von Anbietern aus der freien Wohlfahrtspflege. Diesen "Systemfehler", die Marktfähigkeit von Preisen an nicht auf einem freien Markt entstandenen Vergütungen festzumachen, hat das BSG-Urteil vom Januar 2009 ("Wirtschaftlichkeit von Tariflöhnen") beseitigt. Zwar müssen auch weiterhin ein externer Vergleich und weitere Plausibilitätsprüfungen erfolgen. Kostensteigerungen, die auf der Einhaltung von Tariflöhnen beruhen, sind jedoch stets als wirtschaftlich anzusehen (s. neue caritas Heft 18/2009, S. 27 ff.).
Um zu bewerten, wie das Urteil derzeit in der Praxis in Nordrhein-Westfalen (NRW) umgesetzt wird, bedarf es eines Hinweises auf die Besonderheiten nordrhein-westfälischer Pflegesatzverhandlungen: Mit Einführung der Pflegeversicherung haben sich Leistungserbringer und Kostenträger darauf verständigt, mit den prospektiven Kalkulationsunterlagen zugleich einen Nachweis der Personal- und Sachkosten der jeweils abgeschlossenen und der laufenden Wirtschaftsperiode einzureichen. Somit liegen den Pflegekassen und Sozialhilfeträgern detaillierte Zahlen über die Kostenstrukturen einzelner Häuser und ganzer Verbandsgruppen über einen langen Zeitraum vor. Das Wissen um die tatsächlichen Personalkosten hat jedoch keineswegs dazu geführt, dass diese in den Verhandlungen auch anerkannt wurden. Auch wenn das Urteil zum externen Vergleich in NRW nicht in Gänze angewandt wurde und Pflegesatzsteigerungen auch für tarifgebundene Häuser möglich waren, gingen Kostenträger in den letzten Jahren zunehmend dazu über, nur noch Kostensteigerungen auf der Basis der zuletzt verhandelten Ergebnisse anzuerkennen. Die tatsächlichen Kosten gerieten zunehmend aus dem Blick. Dies scheint sich nun - zumindest in Ansätzen - zu verändern.
Reale Kosten wieder im Blick
Die Schiedsstelle SGB XI NRW hat sich seit dem BSG-Urteil von 2009 zweimal (für insgesamt sieben Häuser) mit der Festsetzung neuer Vergütungen beschäftigen müssen. Die Verfahren wurden durch einen Vergleich beigelegt. Kernpunkte waren die Angemessenheit der geforderten Personalkosten und die entsprechende Nachweispflicht der Einrichtungen. Ein bloßer Verweis auf die Anwendung der AVR reicht nicht aus, insbesondere, wenn es um die Anerkennung früher nicht akzeptierter Personalkosten geht. In den Verfahren wurden zum Teil detaillierte Nachweise zu den Personalkosten gefordert und von den Einrichtungen auch eingereicht.
Erkennbar ist der Versuch von Kostenträgerseite, die tarifgerechte Höhe der Personalkosten auch bei einer Vorlage von Nachweisen grundsätzlich anzuzweifeln. Es stellt auch die Schiedsstelle vor immense Schwierigkeiten, die tarifgerechte Eingruppierung in jedem Einzelfall zu überprüfen. Künftig wird es daher hoffentlich stärker zu einer vorgelagerten Plausibilitätsprüfung der geforderten Kostenansätze kommen. Dabei sind die Kostenstrukturen anderer Anbieter des gleichen Tarifwerks zu berücksichtigen (diese Vergleichszahlen liegen den Kostenträgern in NRW vor) sowie die zeitliche Entwicklung der Kostenstrukturen der jeweils verhandelnden Einrichtung (auch diese Zahlen liegen vor). Erweist sich die Entwicklung der Personalkosten als plausibel, sollte der Nachweisaufwand handhabbar bleiben.
Es ist bezeichnend, dass es seit dem 29. Januar 2009 erst sieben Schiedsverfahren zu dieser Thematik gegeben hat. Das lässt vermuten, dass in den Pflegesatzverhandlungen wieder stärker als zuvor die tatsächliche Kostenstruktur einer Einrichtung in den Blick genommen wird. Dies ist zu begrüßen, da es nur so tarifgebundenen Einrichtungen der Caritas auf Dauer möglich ist, am Markt zu bestehen. Auch der Wettbewerbsdruck angesichts der bestehenden Überkapazitäten spielt eine Rolle: Die Frage der Positionierung am Markt führt dazu, dass Einrichtungen alle noch so kleinen Möglichkeiten nutzen, steigende Personalkosten nicht in steigende Preise umsetzen zu müssen. Das BSG müsste sich darüber freuen. Es ist mit seinem neuen Urteil der Frage "gerechter Marktpreise" näher gekommen als jemals seit 2000.