Pastorale Räume als Orte caritativer Unternehmen
Viele Unternehmen der Caritas haben sich in den letzten Jahren strategisch neu aufgestellt. Grund dafür ist, dass sich ihre Rahmenbedingungen signifikant geändert haben. Der Wettbewerb, gravierende Änderungen bei der Refinanzierung der Einrichtungen und Dienste und neue soziale Bedarfe machen ein vorausschauendes Handeln der Caritas-Unternehmen erforderlich. Dies gilt insbesondere angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise.
Wir müssen davon ausgehen, dass im Laufe des Jahres Einsparungen durch die Kostenträger in größerem Maße auf die Sozialwirtschaft zukommen werden. Die Kommunen befinden sich in einer sehr schwierige Haushaltslage. Dies wirkt sich unmittelbar auf den sozialen Bereich aus. Mit einem Rückgang der Kirchensteuermittel muss ebenfalls gerechnet werden.
In jedem Fall werden diese Entwicklungen eine deutliche Wirkung auf die Unternehmen der Caritas haben. Dazu zählt natürlich auch der steigende Bedarf an sozialen Leistungen aufgrund der Arbeitslosigkeit. Anlass zur Sorge bereiten darüber hinaus die langfristigen Konsequenzen aus der Wirtschafts- und Finanzkrise - die Überschuldung der öffentlichen Haushalte.
Vielfältige Herausforderungen ergeben sich für die Caritas-Unternehmen auch angesichts der kirchlichen Veränderungen. Dazu zählt auch die Schaffung von größeren pastoralen Räumen. Es ist wichtig, über strategische Potenziale für die Unternehmen der Caritas nachzudenken, die aus der Rolle der verbandlichen Caritas in den neuen pastoralen Räumen resultieren.
In den meisten Diözesen Deutschlands wurden in den letzten Jahren neue pastorale Räume geschaffen. Die Gestaltung dieser Strukturen ist in vielen Diözesen noch nicht abgeschlossen. Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich in ihrer Frühjahrsvollversammlung im April 2007 im Rahmen eines Studientages damit beschäftigt.
Ein Ergebnis des Studientages war es, dass sich aus diesen Strukturen zahlreiche Herausforderungen und Chancen für die Verkündigung, die Liturgie und die Diakonie sowie für alle beteiligten kirchlichen Einrichtungen und Verbände ergeben. Dies gilt auch für die verbandliche Caritas in ihrer ganzen Vielfalt. Vor Ort engagieren sich viele Caritasorganisationen mit ihren ehrenamtlich und beruflich tätigen Mitarbeitenden in den pastoralen Räumen, oder sie entwickeln mit den Pfarreien neue Konzepte der Zusammenarbeit.
In einem Impulspapier1 hat der Deutsche Caritasverband die Rolle und den Beitrag der verbandlichen Caritas in den pastoralen Räumen beschrieben. Hintergrund war eine Analyse der Kommission Caritasprofil mit der Frage, welche Herausforderungen sich für die verbandliche Caritas ergeben und was daraus für das Profil und die Rolle der Caritas abgeleitet werden kann. Es zeigte sich, dass sich in der Thematik "Schaffung und Gestaltung der pastoralen Räume" viele Themen für die kirchliche Caritas bündeln und viele Caritasorganisationen davon betroffen sind.
Der Entwurf des Papiers wurde in der Delegiertenversammlung des DCV im Oktober 2008 in Essen diskutiert und stieß dort auf eine hohe Resonanz. Der Vorstand hat danach das überarbeitete Impulspapier verabschiedet und veröffentlicht. Bei einem Fachtag im April 2009 in Frankfurt, zu dem der DCV Vertreterinnen und Vertreter aus allen Bereichen der Kirche eingeladen hat, diskutierten über 200 Teilnehmende die Impulse sowie Chancen und Herausforderungen einer verstärkten Zusammenarbeit von Caritas und Seelsorge.
Das Impulspapier hat das Ziel, die Rolle und den Beitrag der verbandlichen Caritas in den neuen pastoralen Räumen zu beschreiben, zu begründen und Herausforderungen und Chancen für das Engagement der verbandlichen Caritas zu benennen. Es liefert Impulse für die Praxis und stellt Wege vor, wie eine diakonische Orientierung der ganzen Kirche durch die Kooperation der verschiedenen Akteure weiterentwickelt werden kann. Das Impulspapier lädt dazu ein, in den Diözesen und vor Ort einen Dialog über die Möglichkeiten einer diakonischen (Neu-)Orientierung unserer Kirche zu führen und die entsprechenden Schritte zu vereinbaren.
Die Gründe für die pastorale Neuordnung und die Schaffung von pastoralen Räumen in den Diözesen sind vielfältig. Sie reichen vom wachsenden Priestermangel, dem Rückgang von Kirchenmitgliedern bis hin zu finanziellen Ursachen. Allgemein können pastorale Räume als eine territorial abgegrenzte pastorale Struktur bezeichnet werden, in die mehrere Pfarreien eingebunden sind und miteinander kooperieren und eine gemeinsame Organisations- und Verwaltungseinheit bilden. Manche pastoralen Räume stellen einen gewachsenen Sozialraum (zum Beispiel Wohnviertel, politische Gemeinde) dar. Andere pastorale Räume umfassen Gebiete, die wenige Bezüge zueinander haben und in denen ganz unterschiedliche Lebenswelten und Milieus nebeneinander bestehen.
Persönliche Bedeutung veränderter Gemeindestrukturen
Die Veränderung der Gemeindestrukturen hat für viele auch eine persönliche Bedeutung. Viele von uns sind in einer Gemeinde groß geworden und haben dort wichtige Erfahrungen gemacht. Natürlich haben sich seit unserer Kindheit die Gemeinden schon längst verändert. Aber die Schaffung von pastoralen Räumen bedeutet einen noch größeren Einschnitt. Pfarreien werden zusammengelegt und so ganz neue Strukturen geschaffen. Sogar Kirchen werden teilweise aufgegeben und fremdvermietet. Spätestens, wenn es die eigene ist, wo man groß geworden ist oder heute lebt, ist das eine radikale Veränderung. Deshalb ist es auch wichtig, danach zu fragen, was dieses Thema für jeden persönlich bedeutet.
In verschiedenen Bistümern beteiligt sich die verbandliche Caritas aktiv an der Gestaltung der pastoralen Räume. Manchmal werden niederschwellige Beratungsdienste der Caritas in Kindertagesstätten, Alten- oder Pfarrheime verlegt oder Kontaktstellen und Caritaszentren gegründet. Teilweise sind in den pastoralen Teams Vertreter(innen) der verbandlichen Caritas eingebunden. In einigen pastoralen Räumen wurden jetzt erst Caritasausschüsse gegründet oder Verantwortliche für die Caritas der Pfarreien benannt. In manchen pastoralen Räumen ist eine deutliche diakonische Perspektive zu beobachten. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass die diakonische Dimension in zahlreichen pastoralen Räumen im Selbstverständnis, in den Strukturen und Aktivitäten wenig ausgeprägt ist. Genauso ist auch in der verbandlichen Caritas mancherorts ein bisher nicht besonders stark ausgeprägtes Bewusstsein für die Herausforderungen und Chancen, die sich durch die neuen pastoralen Räume ergeben, festzustellen.
Folgen für die Unternehmen der Caritas
Die pastoralen Räume bedeuten für die Unternehmen der Caritas zunächst, dass sich die pastoralen Strukturen verändern, in denen sie lokal verortet sind. Vielleicht gibt es neue pastorale Teams mit neuen Zuständigkeiten. Wenn Unternehmen vorher mit Pfarreien kooperiert haben, kann es sein, dass sich jetzt die Pfarreistrukturen und auch die Ansprechpartner verändert haben. Viele Caritasunternehmen sind überpfarrlich tätig und können deshalb gar nicht allein mit einer Pfarrei vor Ort kooperieren.
Wenn Menschen aber nicht genau wissen, an wen sie sich mit ihren Anliegen im neuen Seelsorgegebiet wenden können, weil vielleicht das Pfarrbüro in der Gemeinde vor Ort geschlossen wurde, kann es sein, dass sie sich an eine Caritaseinrichtung wenden. So kam es vor, dass Angehörige eine Beerdigung bei einem katholischen Kindergarten anmelden wollten. Bei allem Befremdlichen dieser Geschichte haben sie doch erkannt, dass Caritas etwas mit Kirche zu tun hat, und erhofften sich dort Hilfe für ihr seelsorgliches Anliegen.
Ausgangspunkt der Gestaltung der neuen pastoralen Räume ist die Frage, wie die Kirche und ihre Caritas den Menschen auch in Zukunft nahe sein und Zeugnis von der Liebe Gottes geben kann. Denn das Zeugnis von der Gottes- und Nächstenliebe in der Welt ist pastorales Handeln im Verständnis des II. Vatikanischen Konzils. Pastorales Handeln ist demnach Seelsorge, Leib- und Gesellschaftssorge. Es vollzieht sich in den Pfarreien, kirchlichen Gruppen, Ordensgemeinschaften, Verbänden und Bewegungen sowie in den sozialen Einrichtungen und Diensten und im anwaltschaftlichen und solidaritätsstiftenden Handeln der Kirche und ihrer organisierten Caritas.
Kirche mitten unter den Menschen
Die Kirche realisiert sich in Form von Gemeinschaften (Communio) und in unterschiedlichen Dienstleistungen (Ministratio). Die Pfarrei bildet eine solche Gemeinschaft. Gleichzeitig bestehen in der Kirche viele solche Orte. Sie können in kirchlichen Gruppen und Verbänden entstehen, sie können in einem Krankenhaus oder im Umfeld einer Kindertagesstätte wachsen. Damit sind Einrichtungen und Dienste der verbandlichen Caritas oftmals "Kirche mitten unter den Menschen". Die Herausforderung und Chance liegt deshalb darin, dass alle kirchlichen Akteure die Gestaltung der pastoralen Räume und der kirchlichen Sendung als gemeinsamen Auftrag erkennen.
Eine zentrale Herausforderung für die verbandliche Caritas mit ihren Einrichtungen und Diensten ist die konstruktiv-selbstkritische Reflexion ihrer eigenen Rolle in den pastoralen Räumen. Auch für Krankenhäuser, Jugendhilfeeinrichtungen und andere Caritasorganisationen stellt sich die Frage, wie sie sich in den pastoralen Räumen vernetzen und mit den Pfarreien kooperieren können. Sicherlich hat eine Caritaseinrichtung im Gesundheits- oder Sozialwesen ihre spezifische Aufgabe.
Gleichzeitig ist es jedoch aus Sicht ihres Profils wichtig zu klären, wie sie sich im pastoralen Raum verortet und kooperiert. Die Kooperation ist nicht nur Aufgabe eines Orts-Caritasverbandes, sondern jedes Caritasunternehmens. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass jedes Unternehmen Teil der Kirche ist und letztlich als Kirche handelt. Zum anderen brauchen die Unternehmen aber auch ihre Verankerung und Unterstützung durch die Gemeinden und die Seelsorge vor Ort. Sie sind darauf angewiesen, dass sie mitgetragen werden und auf sie verwiesen wird. Eine gute Einbindung in die Kirche vor Ort ist ein klarer Standortvorteil. Jedes Caritas-Unternehmen sollte deshalb gerade auch aus strategischer Sicht prüfen, wie es sich als Teil der Kirche versteht und sich am jeweiligen Ort einbringen kann.
Ein erster guter Schritt könnte die Erstellung einer Landkarte sein, auf der festgehalten wird, wo welche Pfarrei oder Einrichtung ist und was sie macht. Häufig wird berichtet, dass erst dieser Prozess dazu führte, dass beispielsweise die Sozialstation die Chancen der Zusammenarbeit mit einer Pfarrei erkannt hat und umgekehrt. Ziel ist neben dem Kennenlernen, dass die verschiedenen Akteure aufeinander verweisen und sich miteinander vernetzen. So muss die Erzieherin nicht wissen, wie eine Beerdigung angemeldet wird, aber sie kann die Hinterbliebenen zum Pfarrbüro weiterleiten. Und die Pfarrsekretärin oder Ehrenamtliche können Menschen in sozialen Nöten an die Beratungsstelle der Caritas oder an das kirchliche Krankenhaus verweisen.
Auch ganz praktisch können Kooperationen aussehen. So bietet die Sozialstation beim Pfarrfest Blutdruckmessen an, oder Werktagsgottesdienste werden in der Kapelle eines Altenheimes der Caritas gefeiert, um Heizkosten in der Kirche der Gemeinde zu sparen. Es kommt darauf an, dass Einrichtungen und Dienste der Caritas als Orte der Gegenwart Gottes wahrgenommen werden können und sich auch selbst so verstehen. Nicht selten sind Einrichtungen der Caritas Orte, an denen sich Gemeinde bildet.
Die Kooperation mit den verschiedenen kirchlichen Akteuren im pastoralen Raum ist eine Aufgabe aller Fachbereiche der Caritas. In der Praxis bewähren sich häufig gemeinsame Projekte. So können sich beispielsweise Caritasunternehmen, Pfarreien und andere Akteure mit Betroffenen zusammen dafür engagieren, dass pflegebedürftige Menschen im Stadtteil besser versorgt werden.
Den diakonischen Auftrag wiederentdecken
In der Praxis wird deutlich, dass das Gelingen der Zusammenarbeit oft sehr von den handelnden Personen abhängt. Sowohl in der verbandlichen Caritas als auch in der Seelsorge sollten wir gegenseitige Vorurteile überwinden. Durch das Papier und den Fachtag wurde ein Dialog angestoßen. Dieser kann und sollte vor Ort weitergehen. So könnte das Impulspapier im Rahmen einer gemeinsamen Sitzung des Pfarrgemeinderates mit Vertretern der Caritas diskutiert werden.
In den Leitlinien für unternehmerisches Handeln in der Caritas heißt es in Leitlinie 3: "Unternehmen der Caritas sind nah am Menschen und bringen sich aktiv in der Kirche ein." Genau darum geht es! Die Bildung der pastoralen Räume bedeutet auch Abschied von Gewohntem, Verlust und Trauer. Gleichzeitig bieten sie Chancen einer diakonischen (Neu-)Orientierung unserer ganzen Kirche. Pfarreien können sich für Benachteiligte öffnen und ihren diakonischen Auftrag wiederentdecken. Gottesdienst und Gebet werden dadurch lebendiger. Und andererseits könnten Einrichtungen und Dienste der Caritas als geistliche Zentren in den Blick kommen.
Anmerkung
1. Deutscher Caritasverband (Hrsg.): Rolle und Beitrag der verbandlichen Caritas in den pastoralen Räumen. Impulspapier des DCV. In: neue caritas Heft 3/2009, S. 32-39 und www.caritas.de/55411.html