Gemeinde bleibt lebendig
Priestermangel, Gläubigenmangel und Geldmangel haben die Kirchenleitung im Bistum Essen im Jahr 2003 zu einer radikalen Veränderung der Bistumsstruktur veranlasst. Damit war Essen eines der ersten Bistümer, das diesen gewaltigen Schritt der Umstrukturierung gegangen ist. Inzwischen werden in allen Bistümern in Deutschland Wege gesucht, wie die durch die oben beschriebenen Mängel auftretenden Probleme in der Seelsorge gelöst werden können. Seit September 2008 bestehen von zuletzt rund 259 Pfarreien des Bistums Essen nur noch 43 Großpfarreien (als kirchliche Körperschaften), die je zwischen 16.000 bis 40.000 Gemeindemitglieder umfassen.
In Duisburg wurden aus den bisherigen Gemeinden sechs Pfarreien gebildet. Der Caritasverband Duisburg nahm diese Bistumsumstrukturierung zum Anlass, seine eigene Organisation zu überprüfen und auf die aktuellen Erfordernisse hin anzupassen. So wurde 2005 die Abteilungsstruktur aufgegeben und die Zentrale zugunsten von sogenannten Caritascentren in den Stadtteilen bis Ende 2008 umstrukturiert, in denen alle stationären und ambulanten Dienste, Einrichtungen und Angebote zusammengeführt wurden.
Jeder Großpfarrei wurde somit ein Caritascentrum zugeordnet, und der Zufall will es, dass die Caritascentren in den sechs Stadtbezirken Duisburgs liegen, so dass sich der Caritasverband sowohl an den Verwaltungsstrukturen der Stadt als auch den neu gegründeten Großpfarreien als Partner direkt vor Ort orientieren konnte. Die Caritascentren wollen bürgernah, pfarreinah und ortsnah sein. Caritascentrum meint in diesem Zusammenhang eine organisatorische Einheit in jedem Stadtbezirk, die
- einerseits die Bedarfe im Sozial-/Pastoralraum zielgerichtet berücksichtigen kann und
- andererseits das volle Leistungsspektrum des Verbandes für jeden Bezirk zur Verfügung stellt.
Eine Kirche mit anderem Gesicht - Caritascentrum Süd
Im Jahr 2007 wurde das ehemalige Pfarrzentrum der Gemeinde St. Nikolaus dem Caritasverband Duisburg als Caritascentrum übergeben. Die Kirche St. Nikolaus sollte dafür in ein Begegnungszentrum für Senior(innen) (BBZ) umgebaut werden. Außerdem stehen in der umgebauten Kirche multifunktionale Räume für ein Eltern-Kind-Café, Konferenzen, Kurse für Kinder mit einer Lese- und Rechtschreibstörung, für das Trauercafé oder die Schulmaterialkammer zur Verfügung. Für den Architekten Jochem Schröder war es sein bisher schönster und spannendster Auftrag. Schon während der Umbauarbeiten kamen immer wieder interessierte ehemalige "Nikoläuse" oder auch Außenstehende, die einen neugierigen Blick in die große Baustelle wagten und ihr Erstaunen zum Ausdruck brachten. Im April 2009 segnete Weihbischof Ludger Schepers die Räumlichkeiten des neuen Begegnungs- und Beratungszentrums für Senior(inn)en in der umgewidmeten Kirche St. Nikolaus.
Im Caritascentrum Süd werden die Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen und in ihren jeweiligen Sozialräumen wahrgenommen. Der/die Klient(in) wird nicht als Einzelperson betrachtet, sondern steht immer im Blickfeld seiner nahen und weiteren Umwelt (sozialraumorientierte Betrachtung). Ist zum Beispiel ein Erziehungsproblem der Auslöser für eine Beratung, so werden in den Gesprächen nicht selten weitere Problemlagen aufgedeckt wie Überschuldung, drohender Verlust der Wohnung oder Arbeitslosigkeit des Haupternährers.
Neben den Eigenpotenzialen der Ratsuchenden werden vor allen Dingen auch die Ressourcen im Sozialraum betrachtet. Diese Auseinandersetzungen und Strategieentwicklungen vollziehen sich überwiegend in Kommunikationsstrukturen wie Hausteam, Fallbesprechungen mit der Basisberatung oder in Einzelkontakten zu den Kolleg(inn)en der Fachdisziplinen. Hier ist der Fachbereich Gemeindecaritas selbstverständlich involviert.
Die Angebote wurden erweitert
Für Trauernde gibt es inzwischen die Trauerberatung/-begleitung, das Trauercafé und -frühstück im Caritascentrum. Ehrenamtliche Trauerbegleiter(innen) werden in zwei Kursen pro Jahr geschult, um die Ressourcen der Menschen zu stärken und die pastorale Arbeit in den Gemeinden zu unterstützen.
Eine Schulmaterialkammer wurde für schulpflichtige Kinder von Familien mit geringem Einkommen (nach ALG II, Wohngeldbezug oder Kindergeldzuschlag) eingerichtet - mit Unterstützung von einzelnen Gemeinden in der Pfarrei, von Geschäftsleuten, Firmen und Stiftungen. Im Zusammenhang mit der Schulmaterialkammer hat sich eine große Solidarität im Stadtteil entwickelt, die sich folgendermaßen ausdrückt:
- hohes Spendenaufkommen,
- solidarisches Handeln vieler Menschen und Gremien/Kirchengemeinden,
- katholische Kirche und Caritas sind präsent und hautnah begreifbar,
- hohes öffentliches Interesse bei den Medien (durch starke Pressearbeit),
- Gewinnung neuer ehrenamtlicher Helfer(innen).
Das Projekt wirkt sich im Stadtteil identitätsstiftend aus. Weitere "Nebenwirkungen" sind beispielsweise, dass Ratsuchende an ambulante Beratungsdienste weitervermittelt werden. Durch viele Gespräche mit den Eltern bei deren Besuchen in der Schulmaterialkammer ist inzwischen der Aufbau einer Gruppe arbeitsloser junger Väter geplant. Muslime und evangelische Gemeinden werden zukünftig das Projekt mittragen.
Auf Anregung der Schwangerschaftsberatung wurde eine Babyboutique eingerichtet. Kursangebote "Starke Eltern - starke Kinder", Förderkurse für Kinder mit Lese- und Rechtschreibstörungen und ein Eltern-Kind-Café gehören zu den weiteren Angeboten.
Ein Netzwerk in Gemeinden und im Stadtteil entsteht
Die Gemeindecaritas ist als Schnittstelle zwischen dem Caritasverband - also dem Caritascentrum - und der Pfarrei Mitglied im Pastoralteam, dem der Pfarrer, die Pastoren und die Gemeindereferent(inn)en angehören. Außerdem arbeiten auf Pfarreiebene Gemeindecaritas und Caritas-Konferenzen, Katholische Frauengemeinschaft und weitere Verbände und Gremien zusammen, mit dem Ziel, Lebenssituationen benachteiligter Menschen zu verbessern. Kirche insgesamt soll als solidaritätsstiftend und hilfreich erlebt werden.
Jugendamt, Schulen, Kindergärten, Firmen, Vereine oder Selbsthilfegruppen sind wichtige Kooperationspartner. In der engen Zusammenarbeit mit den Fachdisziplinen, der Basisberatung, der Sozialstation, der Reha-Einrichtung für psychisch Erkrankte und dem BBZ initiiert die Gemeindecaritas primär die Weiterentwicklung des Sozialraumes. Das heißt konkret: weg vom Defizitdenken hin zum Ressourcenverständnis. Gemeindecaritas heißt überwiegend projektorientiertes Handeln. Ziele sind für die Gemeindecaritas erreicht, wenn
- die Pfarrei im Schulterschluss mit den Caritascentren in ihrem diakonischen Auftrag gestärkt wird,
- Hauptamtliche und Ehrenamtliche ergänzend zusammenarbeiten und
- sich Lebenssituationen benachteiligter Menschen in der Pfarrei und im Stadtteil verbessern.
Die Kirche ist geschlossen, doch die Gemeinde lebt
Im Januar 2008 wurde ein weiteres Gotteshaus, die Kirche Maria Himmelfahrt im Duisburger Stadtteil Hüttenheim, durch das Bistum geschlossen. Im März 2009 eröffnete der Caritasverband für die Stadt Duisburg ein Begegnungs- und Beratungszentrum für Senioren in den ehemaligen Pfarrräumen dieser Gemeinde. Das interessante Kirchengebäude wurde unter Denkmalschutz gestellt. Also blieb von außen betrachtet alles beim Alten. So war es nicht verwunderlich, dass sich mit Unterstützung der Gemeindecaritas engagierte Gemeindemitglieder zu einem Initiativkreis Maria Himmelfahrt zusammenschlossen. Sie organisierten bis vor kurzem jeden Monat Gottesdienste und feierten danach im BBZ mit den Gemeindemitgliedern. Außerdem finden auch zu passenden Gelegenheiten ausgesuchte Konzerte in der bis zu 500 Menschen fassenden Kirche statt. Eine Gruppe von ehrenamtlichen Parkpfleger(inne)n sorgt dafür, dass das großflächige Gelände rund um die Kirche und das ehemalige Pfarrzentrum weiterhin den einladenden Charakter behalten und sich die Besucher(innen) des BBZ wohl- und willkommen fühlen.
Christen und Muslime begegnen sich
Muslim(inn)e(n) und Katholik(inn)en praktizieren zusammen mit dem BBZ Maria Himmelfahrt die interkulturelle Öffnung in Hüttenheim. Der Initiativkreis hat den Blick für das interkulturelle Zusammenleben geschärft und wegweisende Schritte des Miteinanders der verschiedenen Religionen eingeleitet. Als im Juli 2008 der Bauantrag für einen Moschee-Neubau von den beiden muslimischen Gemeinden gestellt wurde, gab es eine spürbare Verunsicherung bei Teilen der Hüttenheimer Bürger(innen). Diese rührte unter anderem daher, dass sie zuvor - nach eigenem Bekunden - keine Auskunft über die Pläne für den Neubau der Moschee erhalten hatten.
Für den Initiativkreis war das ein Anlass, den Moscheeverein aufzusuchen, um sich vor Ort über die Baupläne zu informieren und darüber hinaus die interkulturelle Zusammenarbeit auszuloten. Diese Begegnung schaffte auf beiden Seiten Vertrauen. Seitdem werden immer wieder gegenseitige Einladungen ausgesprochen und auch wahrgenommen.
Als die Gemeinde Maria Himmelfahrt zusammen mit dem BBZ ihr Sommerfest feierte, wurden auch die muslimischen Nachbarn dazu eingeladen. Mit ihrem Dönerstand bereicherten sie die Angebotspalette beim Sommerfest. Außerdem nutzen viele Besucher(innen) die Gelegenheit, mit den Vertreter(inne)n der muslimischen Gemeinden einen teils lebhaften, aber fairen Dialog über die ausgelegten Moscheebaupläne zu führen.
Gemeinsam bricht man am Abend das Fasten
Im vergangenen Jahr fiel der Fastenmonat Ramadan in den September. In dieser Zeit sollen die Muslime erfahren, wie arme Menschen leben, um so den eigenen Wohlstand besser schätzen zu können. Konkret heißt das, dass alle Muslime aufgefordert sind, von Sonnenaufgang bis nach Sonnenuntergang zu fasten. Dann findet das abendliche Ritual des Fastenbrechens statt, bei dem die Muslime im Ramadan wieder essen dürfen. Mitte September trafen sich die Vertreter(innen) der beiden muslimischen Gemeinden aus Hüttenheim und der Maria Himmelfahrt Gemeinde in den Räumen des Caritas Begegnungs- und Beratungszentrums zum gemeinsamen Fastenbrechen. Zu diesem Treffen kamen auch einige Stadtpolitiker(inne)n und der Ausländerbeauftragter der Stadt Duisburg.
Nach dem Gebet des Pastors ertönte der Ruf des Muezzins. Für manches katholische Gemeindemitglied überraschend und ungewohnt, aber im Sinne der interkulturellen Öffnung sehr passend. Inhaltlich ähnelten sich die Gebete der Geistlichen, die auf Deutsch, Türkisch und Arabisch vorgetragen wurden. Erst danach war es den Muslim(inn)en erlaubt, mit dem reichhaltigen Essen aus der orientalischen Küche zu beginnen.
Der Abend ermöglichte es, religiöse Feste auch außerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaften kennenzulernen und dem Fremden offener gegenüberzutreten. Für die muslimischen Gemeinden und die Gemeinde Maria Himmelfahrt steht seitdem fest, dass sie auch weiterhin den Dialog suchen und das gemeinsame Feiern fördern werden.
Beratung für Migranten im Seniorenalter
Das Begegnungs- und Beratungszentrum für Senioren, die Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) - Gemeinde Hüttenheim, sowie die allevitische Gemeinde nehmen zurzeit am "Projekt KommIn" der Stadt Duisburg teil. Gemeinsame Planungen, Schulungen und Aktivitäten sollen das BBZ der Caritas darin stärken, sich für Migrant(inn)en, die das Seniorenalter erreicht haben, zu öffnen. Darüber hinaus werden Angebote geschaffen, um Migrant(inn)en im Seniorenalter und deren Angehörige angemessen zu beraten und ihnen sinnvolle Hilfsangebote für das Leben in ihrem häuslichen Umfeld anzubieten.
Seit Juli 2009 finden auf Beschluss des Pfarrers wegen Priestermangels keine monatlichen Gottesdienste in der geschlossenen Kirche Maria Himmelfahrt mehr statt. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit sich im Stadtteil Hüttenheim die neu gefundene katholische Glaubensgemeinschaft trotz geschlossener Kirche weiter beleben lässt. Vor dem Hintergrund der oben geschilderten Bemühungen zum interkulturellen und interreligiösen Dialog bedeutet diese Entscheidung sicherlich einen enormen Rückschlag. Aber wie heißt es so schön: Not macht erfinderisch - und da stehen alle Katholik(inn)en bundesweit in dieser schwierigen Zeit vor vielfältigen Bewährungsproben.