Aufsicht auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung
Spätestens seit der Veröffentlichung des ersten Deutschen Corporate-Governance-Kodex (DCGK) im Februar 2002 sehen sich deutsche Unternehmen mit einem höheren Rechtfertigungs- und Transparenzdruck konfrontiert. Dabei beschränkt sich die Wirkung des Kodex inzwischen nicht mehr alleine auf die eigentliche Zielgruppe, die börsennotierten Unternehmen. Dahinter verbirgt sich die Einsicht, dass alle Unternehmen in der Öffentlichkeit stehen - auch die gemeinnützigen Sozialunternehmen - und sich einem Transparenzinteresse von externen Adressaten wie Klienten/Patienten/Angehörigen, Spendern, Kapitalgebern, Kostenträgern und Aufsichtsbehörden gegenüber sehen. Deshalb sollten sie die Grundsätze der guten und verantwortungsvollen Unternehmensführung ebenso anwenden wie die gewerblichen Unternehmen.
Transparenz im DCV
Es gibt gute Gründe dafür, warum sich die verbandliche Caritas dieser gesellschaftlichen Anforderung stellen und Maßnahmen im eigenen Bereich ergreifen sollte. Mit ihren gut 24.000 Einrichtungen und Diensten stellt die verbandliche Caritas ein wesentliches Rückgrat für die soziale Infrastruktur in Deutschland dar. Sie ist ein bedeutender Arbeitgeber: Die circa 10.000 selbstständigen Rechtsträger unter dem Dach der Caritas beschäftigen rund 507.000 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Quelle: Zentralstatistik des Deutschen Caritasverbandes vom 31. Dezember 2008). Diese Zahlen verdeutlichen, dass die verbandliche Caritas auch ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor ist. Einige größere und sehr medienwirksame wirtschaftliche Zusammenbrüche von katholischen Trägern aus der Sozialwirtschaft, die vor Jahren aufgetreten sind, haben gezeigt, dass die Caritas ihrer Verantwortung besser gerecht werden muss. Der Umgang mit dem Wettbewerb und den sich verschärfenden Refinanzierungsbedingungen ist zum Alltag geworden. Inzwischen haben wir es im Bereich der Caritas mit Fakten und Bedingungen zu tun, die mit denen der gewerblichen Wirtschaft vergleichbar sind. Zum finanziellen Schaden bei Unternehmenskrisen kommt ein nicht unerheblicher Imageschaden, den Kirche und Caritas durch diese Bankrotte erleiden. In dieser Situation stehen die Kirche und ihre Caritas vor der grundsätzlichen Frage, wie man zumindest die Wahrscheinlichkeit, dass weitere wirtschaftliche Pleiten kirchlicher und caritativer Träger eintreten, minimieren kann. Die Etablierung einer qualifizierten Aufsicht und Kontrolle tritt dabei in den Vordergrund. Dabei gilt es, die bewährte dezentrale gemeinde- und wohnortnahe Struktur kirchlich-caritativer Einrichtungen und Dienste nach dem Subsidiaritätsprinzip zu bewahren. Falsch wäre es, nach mehr Zentralität und nach (noch) mehr staatlicher und kirchlicher Aufsicht zu rufen. Vielmehr ist es notwendig, die Verantwortung der Rechtsträger in den Mittelpunkt zu stellen, und den Trägern verbandliche Unterstützung bei der Implementierung von effektiven Aufsichtsstrukturen anzubieten.
Handlungsgrundlage für die Caritas
Die katholische Kirche und ihre Caritas konnten sich bei ihren Bemühungen um die Einführung einer effektiven Aufsicht und Kontrolle an Bewährtem orientieren. Wenn die Verantwortlichen der Rechtsträger der Caritas im wirtschaftlichen Bereich wie ordentliche Kaufleute handeln sollen, liegt die Übernahme und Adaption von bewährten Regeln aus dem gewerblichen Bereich nahe. Dieser Ansatz liegt der Arbeitshilfe 182 des Verbandes der Diözesen Deutschlands und der Kommission für caritative Fragen der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Titel "Soziale Einrichtungen in katholischer Trägerschaft und wirtschaftliche Aufsicht" zugrunde. Sie ist erstmals 2004 und in zweiter Auflage Anfang 2007 erschienen. Gemäß der Arbeitshilfe 182 sollen die Rechtsträger der Caritas die Grundsätze des Deutschen Corporate-Governance-Kodex, die teilweise auch schon ins Aktien- und GmbH-Gesetz eingeflossen sind, im Sinne einer Selbstverpflichtung übernehmen.1 Diese Selbstverpflichtung gilt insbesondere für Träger mit mehr als 50 Mitarbeiter(inne)n, aber auch kleinere Träger sollten die Umsetzung ernsthaft prüfen. Dies bedeutet im Klartext, dass sich die Träger der Caritas die international anerkannten Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung im Rahmen einer Selbstverpflichtung zu eigen machen sollen. Damit soll das Vertrauen der Eigentümer (Gesellschafter, Mitglieder, Stifter), der Klient(inn)en/Patient(inn)en/ Angehörigen, der Mitarbeiter(innen) und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung von Caritas-Trägern gestärkt werden. Hauptzielsetzung ist dabei, durch ein höheres Maß an Transparenz die Kontroll- und Überwachungsfunktion im Unternehmen zu stärken.
Wie Aufsicht und Kontrolle konkret werden können
Die Arbeitshilfe 182 fordert zum einen Professionalität in der Geschäftsführung. Die Beachtung betriebswirtschaftlicher Grundsätze ist dabei kein Selbstzweck, sondern sie ist erforderlich, um den kirchlichen Sendungsauftrag der Einrichtungen und Dienste der Caritas langfristig zu sichern. Die ethische Grundorientierung des kirchlichen Handelns impliziert auch einen verantwortungsvollen Umgang mit den eigenen Ressourcen. Angesprochen wird hier eine Vielzahl von Instrumenten: von der Einrichtung eines funktionsfähigen Rechnungswesens bis hin zur Marktanalyse. Besonders hervorzuheben ist dabei die Implementierung eines Risikomanagementsystems bei den Trägern. Es ist Pflicht jeder Geschäftsführung, Risiken zu erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen rechtzeitig zu ergreifen.2 Zum anderen sollte jeder katholische Rechtsträger verpflichtet sein, in seiner Satzung/seinem Gesellschaftsvertrag neben dem Vorstand und/oder der Geschäftsführung ein Aufsichtsgremium zu installieren. Die Einrichtung eines eigenständigen Aufsichtsgremiums, das in der Lage ist, eine effektive wirtschaftliche Aufsicht und Kontrolle auszuüben, stellt eine ganz wesentliche strategische Weichenstellung für einen Rechtsträger dar. Die Mitgliederversammlung eines Vereins erfüllt in der Regel nicht die Voraussetzung für eine qualifizierte Aufsichtstätigkeit, es sei denn, der Verein besteht nur aus wenigen Mitgliedern, die sich in ihrer Gesamtheit regelmäßig, mehr als einmal jährlich treffen und aufgrund ihrer Zusammensetzung qualifizierte Aufsichtstätigkeiten wahrnehmen können. Gleiches gilt für einen ehrenamtlich geprägten Vorstand. Hier liegt in vielen Vereinen eine Gemengelage vor, die einer effektiven wirtschaftlichen Aufsicht entgegensteht. Die ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder machen oftmals beides - Geschäftsführung und Aufsicht - in unterschiedlichen Anteilen und fühlen sich aufgrund der hohen auch zeitlichen Anforderungen im Bereich "Geschäftsführung" nicht unbedingt wohl. Mittels einer klaren Trennung zwischen Geschäftsführung und Aufsicht werden beide Aufgaben wirkungsvoller wahrgenommen und es herrscht Klarheit bezüglich der Haftung. Das Aufsichtsgremium hat bestimmte Qualitätsanforderungen zu erfüllen. Das Aufsichtsgremium soll aus mindestens zwei ("Vieraugenprinzip"), besser drei oder noch mehr Personen bestehen. Die maximale Größe dieses Gremiums soll der fachlichen und wirtschaftlichen Bedeutung des Trägers entsprechen. Ein wesentliches Merkmal ist die Unabhängigkeit des Aufsichtsgremiums. Bei der Zusammensetzung ist deshalb darauf zu achten, dass Interessenkonflikte möglichst ausgeschlossen sind. Ausschlusskriterien für die Mitarbeit in einem Aufsichtsgremium sind zum Beispiel verwandtschaftliche Beziehungen zu Mitgliedern des Vorstandes/der Geschäftsführung. Die Mitglieder des Aufsichtsgremiums sollen die notwendigen Fach- und Sachkenntnisse mitbringen, die aufgrund der Aufgabenstellung des Trägers erforderlich sind. Bei der Zusammensetzung sollte deshalb auf unterschiedliche Kompetenzen Wert gelegt werden. Die ökonomische Kompetenz sollte ebenso berücksichtigt werden wie Kenntnisse über das operative Geschäft des Trägers. Die Anforderungsprofile können in der Satzung beziehungsweise im Gesellschaftsvertrag festgelegt werden. Vermieden werden sollten auf jeden Fall die Wahl oder die Berufung "verdienter" Persönlichkeiten oder sogenannte Gefälligkeitsberufungen.
Gezielte Informationen und Qualifizierungen
Die Rechtsträger und deren Organvertreter benötigen für die Weiterentwicklung der Organstrukturen und deren Umsetzung in die Praxis verbandliche Unterstützung. Dieses Feld ist bisher noch nicht ausreichend als verbandliches Aktionsfeld entdeckt worden. Der DCV verfolgt derzeit drei Umsetzungsschwerpunkte und realisiert diese in Zusammenarbeit mit den Diözesan-Caritasverbänden:
1. Information
Die Wirksamkeit der Aufsichtstätigkeit hängt entscheidend von der Menge und Qualität der Informationen ab, die Mitgliedern von Aufsichtsgremien an die Hand gegeben werden. Für die Beurteilung von strategischen Konzepten der Geschäftsführung und fachlichen Fragen benötigen die Mitglieder des Aufsichtsgremiums neben Informationen aus dem internen Berichtswesens des Unternehmens auch ein ausreichendes Maß an Informationen aus der verbandlichen und sozialwirtschaftlichen Praxis. Die Mitglieder von Aufsichtsgremien der Caritas müssen deshalb noch weit stärker als Zielgruppe der verbandlichen Arbeit entdeckt werden. Dazu soll die Zeitschrift neue caritas in Zukunft stärker genutzt werden. Die Doppelseite "Unternehmen Caritas" der neuen caritas wird künftig monatlich einen Artikel enthalten, der speziell auf die Bedürfnisse von Aufsichtsgremien abgestimmt ist und am Layout leicht erkennbar sein wird.
2. Qualifizierung
Die ausreichende Qualifikation der Mitglieder von Aufsichtsgremien ist essenziell für die Implementierung wirksamer Aufsichtsstrukturen. Seit dem Jahr 2004 werden regelmäßig Fortbildungen zu den Rechten und Pflichten von Aufsichtsgremien über die Fortbildungs-Akademie des DCV angeboten. Dieses Angebot wird modular erweitert und gemeinsam mit den Diözesan-Caritasverbänden umgesetzt. Die Informations- und Qualifizierungskampagne für die Mitglieder von Aufsichtsgremien der Caritas macht jedoch nur dann Sinn, wenn sie Teil einer verbandspolitischen Strategie sind, welche die Implementierung effektiver Aufsichts- und Kontrollstrukturen als ein wesentliches Qualitätsmerkmal der Caritas ansieht und aus dieser Einsicht heraus auf eine bessere Einbindung und Befähigung der Mitglieder von Aufsichtsgremien setzt.
3. Umsetzung in verbandliches und Satzungsrecht
Umsetzungsgrad und Nachhaltigkeit können deutlich erhöht werden, wenn zentrale Aussagen der Arbeitshilfe 182 in verbandliches und Satzungsrecht umgesetzt werden. Dafür bestehen mehrere Möglichkeiten. Sie reichen von der Verabschiedung eines spezifischen Corporate-Governance-Kodex für die eigene Diözese (siehe hierzu Beitrag in Heft 17/2010 auf S. 18 ff.) bis zur Vorgabe einer Mustersatzung für Caritas-Träger in einer Diözese, die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes seitens der Träger umgesetzt werden muss. Bei der Umsetzung in verbandliches Recht sind die Kompetenz der Diözesan-Caritasverbände und ein intensiver Erfahrungsaustausch unter ihnen gefragt.
Guter Umsetzungsstand
Seit 2006 zeigt sich ein merklicher Fortschritt: Der Anteil der Rechtsträger, die nach eigener Auskunft über ein eigenständiges in Satzung/Gesellschaftsvertrag verankertes Aufsichtsgremium verfügen, ist von 63 Prozent auf 69 Prozent (Anfang 2009) angestiegen.3 Gleichzeitig ist der Anteil der Rechtsträger, bei denen Ehrenamtliche in der operativen Geschäftsführung vertreten sind, merklich zurückgegangen.
Die Anforderungen ziehen an
Trotz der positiven Tendenzen beim Umsetzungsgrad bleibt für die Caritas noch genug zu tun: Zur Etablierung effektiver Aufsichtsstrukturen gehört nicht allein die Einrichtung eines Aufsichtsorgans, sondern Aufsicht muss auch gelebt werden. Damit rücken die Themen Information und Qualifizierung von Aufsichtsgremien in den Mittelpunkt der verbandlichen Arbeit. Aufsichtsorgane sollen zu strategischen Mitdenkern werden, die auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung argumentieren und gleichzeitig ihrer Überwachungsfunktion gerecht werden. Auch bei börsennotierten Unternehmen ist dies eine Baustelle. Die gesellschaftliche Entwicklung macht derweil nicht halt. An die Caritas werden zunehmend Transparenzanforderungen herangetragen. Zu nennen sind hier der Entwurf der neuen Leitlinien des DZI (Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen), demgemäß für den Erwerb des Spendensiegels ein weit höheres Maß an interner Aufsicht und auch an Transparenz nach außen vorgehalten werden muss. Die gemeinnützigen Sozialunternehmen müssen sich darauf einstellen, dass sie in Zukunft mehr Rechenschaft in wirtschaftlichen und Leistungsbelangen gegenüber der Öffentlichkeit ablegen müssen. Die Transparenzinitiative von Transparency Deutschland ist dafür ein aktuelles Beispiel.
Anmerkungen
1.Vgl. Verband der Diözesen Deutschlands; Kommission für caritative Fragen der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Soziale Einrichtungen in katholischer Trägerschaft und wirtschaftliche Aufsicht. Arbeitshilfe 182, März 2007, S. 16f. (zu finden im Internet unter www.dbk.de/Arbeitshilfen).
2. Vgl. Leitlinien für Unternehmerisches Handeln der Caritas. In: neue caritas Heft 20/2008, S. 31 ff.
3. Ein ausführlicher Beitrag mit dem Titel "Trägerstrukturen im Wandel" findet sich im neue caritas-Jahrbuch 2010, S. 159 ff.