Zusammen kochen und essen schmeckt am besten
Was ist Selbstbestimmung im Alter und bei Pflegebedürftigkeit? Ein Grundrecht jedes Menschen? Ein absolutes Gut, das es unter allen Umständen zu respektieren gilt? Ein Schlagwort? Eine Utopie?
Im Katharinenstift, einem Wohnhaus der CBT - Caritas-Betriebsführungs- und Trägergesellschaft in Remscheid, leben 66 pflegebedürftige, zum Teil demenzkranke Menschen in sechs autarken Hausgemeinschaften ohne jede Zentralversorgung, also ohne Zentralküche, ohne Wäscherei, ohne Rezeption. Jede einzelne Hausgemeinschaft versorgt sich selbst. Die Bewohner(innen) können sich aktiv oder passiv an den hauswirtschaftlichen Aktivitäten beteiligen, jede(r) nach individuellen Wünschen und Möglichkeiten. Erfolge haben sich schon nach kurzer Zeit eingestellt: Die Psychopharmaka konnten deutlich reduziert werden, Ernährungsprobleme werden geringer, weil die Lust am Essen durch das Mitkochen, Zuschauen und durch die Gerüche in der Wohnküche geweckt wird. Bewohner(innen) nehmen an Gewicht zu. Verhaltensauffälligkeiten gehen zurück und Maßnahmen für Lebenseinschränkungen werden so gut wie überflüssig. Die Bewohner(innen) nehmen an der Gemeinschaft und der Gesellschaft teil, und Mitarbeiter(innen), die täglich die Erfolge ihrer Arbeit sehen, sind hoch motiviert.
Die meisten Bewohner(innen) verbringen einen großen Teil des Tages in der großzügigen, hell und freundlich gestalteten Wohnküche; wer mag, zieht sich in sein unmittelbar angrenzendes Einzelapartment zurück. Angehörige und Ehrenamtliche sind jederzeit willkommen, beteiligen sich am Geschehen in der Hausgemeinschaft und ermöglichen den alten Menschen einen abwechslungsreichen und anregenden Alltag. Teilhabe ergibt sich nahezu selbstverständlich.
In der kleinen Gemeinschaft können Beziehungen wachsen, die ein individuelles Eingehen auf die Wünsche und Bedürfnisse der Einzelnen erleichtern. Die großzügige Architektur erlaubt es, auch ein Bett in den Wohnbereich zu schieben, so dass auch immobile Menschen stundenweise ihren Tag in der Gemeinschaft leben können.
Die Würde gilt es zu schützen
Als Christen sind wir von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen überzeugt, aus der sich die personale Würde des Menschen ableitet. Diese Würde gilt es in einem Caritas-Altenheim zu wahren und zu schützen. In der "Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen", einer Zusammenfassung von im Grundgesetz und den Sozialgesetzbüchern existierenden Rechten für die besondere Situation hilfe- und pflegebedürftiger Menschen heißt es in Artikel 1: "Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf Hilfe zur Selbsthilfe und auf Unterstützung, um ein möglichst selbstbestimmtes und selbstständiges Leben führen zu können."1
So verpflichtet sich die CBT in ihrem Leitbild "einem solidarischen Miteinander mit Menschen, die aufgrund ihrer besonderen Lebenssituation unsere Begleitung und Unterstützung suchen. Wir respektieren jeden Menschen mit seinen biografischen, sozialen, kulturellen und religiösen Hintergründen. Dies gilt für Bewohner ebenso wie für Mitarbeiter und Gäste. Unsere Begleitung und Pflege richten wir an den individuellen Wünschen und Bedürfnissen des einzelnen Menschen aus."
Für den Alltag bedeutet dies, dass die Selbstbestimmung mit dem Einzug beginnt, zum Beispiel mit einer sorgfältigen und umfassenden Wohn- und Pflegeberatung, einer Stelle, die bei der CBT bereits vor vielen Jahren eingerichtet wurde.
Die strukturierte Beratung dient auch dazu, Erwartungen und Leistungsversprechen zu klären, und erleichtert damit maßgeblich den Einzugsprozess und ein gelingendes Einleben im Wohnhaus. Individuelle Lebensgewohnheiten und Wünsche werden in den ersten Gesprächen erfasst. Dazu gehören auch die im Heimvertrag mögliche Abwahl von Regelleistungen und die ihr gegenüberstehenden vertraglich festgeschriebenen Erstattungsbeträge.
Wer einzieht, darf selbstverständlich das Apartment mit eigenen Möbeln einrichten. In der Einzugsphase gilt es viele weitere persönliche Entscheidungen des Bewohners einzuholen, zum Beispiel die Wahl des Hausarztes, der Apotheke sowie weiterer Dienstleister wie Friseur, Fußpflege, Besuche und Informationen an Pfarrgemeinde und ehrenamtliche Dienste. Eine aktuelle CBT-Untersuchung hat gezeigt, dass mit bis zu 40 Hausärzt(inn)en je Wohnhaus eine sehr individuelle medizinische Versorgung der Bewohner(innen) gewährleistet wird. Der Anspruch auf Wahlfreiheit und Selbstbestimmung ist hier also erfüllt.
Auch dass der/die Bewohner(in) einen persönlichen Briefkasten erhält und sein/ihr eigenes Konto behält, ist selbstverständlich. Der Umzug eines Menschen, wohin auch immer, darf nicht einhergehen mit dem Verlust von Würde und Bürgerrechten, auch nicht der Umzug in ein Pflegeheim. Der eigene Briefkasten, die Türklingel, das eigene Konto sind daher auch wichtige Signale für die Mitarbeitenden und für die Öffentlichkeit. Aufgabe des Hauses ist es, die nötigen Absprachen und Abläufe sicherzustellen. Dazu bedarf es der regelmäßigen Kommunikation mit Bewohner(inne)n, rechtlichen Betreuer(inne)n, Angehörigen und den verschiedensten Dienstleistern. Einzelne Banken etwa bieten Banksprechstunden in den Wohnhäusern an.
Jede(r) Bewohner(in) erhält eine monatliche Rechnung über das Heimentgelt, auch wenn Sozialhilfeträger oder andere Träger Kosten übernehmen. Der Barbetrag wird auf das Konto des Bewohners angewiesen. Seit nunmehr 15 Jahren erfolgt in den CBT-Häusern keine Barbetragsverwaltung mehr. Die Barbetragsverwendung und -verwaltung ist Recht und Aufgabe des Bewohners beziehungsweise seiner Bevollmächtigten oder gesetzlichen Betreuer(innen) und wird konsequent auf diese übertragen. Natürlich darf nicht verhehlt werden, dass diese Auffassung nicht immer auf Gegenliebe stößt. Gesetzliche Betreuer(innen) erwarten von der Einrichtung oft eine Rundumversorgung inklusive aller persönlichen Angelegenheiten wie Einkauf, Abrechnung mit Apotheken, Ärzt(inn)en, Friseur(innen) und anderen. Dabei geht es jedoch um viel mehr als um eine Abrechnung - nämlich um die Wahlfreiheit und Entscheidung über die Verwendung des Barbetrags. Diese Entscheidungen stehen dem/der Bewohner(in) zu, und wenn sie dabei Unterstützung benötigen, ist dies die Aufgabe des gesetzlichen Betreuers. Nicht das CBT-Wohnhaus entscheidet für eine Vielzahl von Bewohner(inne)n, sondern wir fordern die individuelle Begleitung jedes Einzelnen durch seine(n) persönliche(n) Betreuer(in). Überzeugungsarbeit tut Not, damit die Bewohner(innen) ihre Selbstbestimmung in den scheinbar kleinen, aber so wichtigen Dingen des täglichen Lebens behalten.
Die Mitarbeitenden haben hier eine Schlüsselfunktion in Bezug auf die Selbstbestimmung. Flexible Essenszeiten für die Bewohner(innen) bedeuten beispielsweise für diese Selbstbestimmung und Wahlfreiheit. Für die Mitarbeiter(innen) heißt das Flexibilität in der Grundpflege: Wenn nicht alle zur gleichen Zeit beim Frühstück sein müssen, entzerren sich auch Abläufe in der Pflege.
Mitarbeiter begegnen den Bewohnern auf Augenhöhe
Entscheidend ist, dass die Mitarbeitenden gegenüber den Bewohner(inne)n eine Haltung auf Augenhöhe einnehmen, dass sie das Recht der Bewohner(innen) auf ihre eigenen Entscheidungen verinnerlichen. Dann werden sie anklopfen, wenn sie das Zimmer der demenzkranken Dame betreten, sie bei der Auswahl der Kleidung für den Tag ebenso einbeziehen wie bei der Wahl des Fernsehprogramms, ihr beim Abendessen eine Auswahl an Brotbelag vorlegen und nicht das fertig belegte Brot. Mitarbeitende, die erfahren, dass ihre Würde als Person bei der Arbeit gewahrt wird, dass sie als Mensch erkannt und wertgeschätzt sind und nicht nur als Arbeitskraft, begegnen auch den Bewohner(inne)n mit Wertschätzung. Das ist die Führungsaufgabe im Altenheim: Mitarbeitende zu befähigen, dass im multiprofessionellen Team jeder an seinem Platz seine Fähigkeiten und Ressourcen zum Wohl der Bewohner(innen) einbringen kann. In der CBT gelingt dies durch das Begleitungskonzept und insbesondere in den Hausgemeinschaften.
Gerade bei schwer kranken und weitgehend bettlägerigen Menschen gewinnt die Frage nach Selbstbestimmung und Teilhabe eine besondere Bedeutung. Hier ist umso mehr die Achtsamkeit der Mitarbeitenden gefragt, damit nicht leichtfertig die "Diagnose" gestellt wird: "Das kann Frau M. ohnehin nicht mehr." Vielmehr ist an jedem Tag neu zu schauen, was der Bewohner braucht und möchte.
Was ist Selbstbestimmung bei pflegebedürftigen Menschen? Ein Grundrecht - das sehr wohl an Grenzen stößt. In der Abgrenzung zur Fremdbestimmung ist der Anspruch auf Selbstbestimmung ohne Ausnahme zu respektieren. Dennoch ist Selbstbestimmung, zumal in einem christlichen Haus, kein Selbstzweck. Vielmehr gilt es immer wieder aufs Neue, zwischen verschiedenen hier berührten Werten und Signalen abzuwägen und diese auszubalancieren: Freiheit und Fürsorge, Ermutigung zur Teilhabe und Akzeptanz des Rückzugs. Denn auch dies kann Selbstbestimmung sein: Rückzug und Loslassen.
Anmerkungen
1. Siehe www.pflege-charta.de
2. Siehe zum Leitbild und zu den Standorten: www.cbt-gmbh.de