Tadischikistan: ein kleines Land mit großen Problemen
Beeindruckend sind sie schon, die Koordinaten des kleinsten und ärmsten der zentralasiatischen GUS-Staaten: Mehr als 70 Prozent der Fläche Tadschikistans sind Hochgebirge, der Pik Ismail Somoni ist 7495 Meter hoch. Die Republik Tadschikistan, die an China, Afghanistan, Usbekistan und Kirgisistan grenzt, ist ein Vielvölkerstaat, in dem Tadschiken, Usbeken, Kirgisen, Ismaeliten und eine russische Minderheit leben.
Beeindruckend sind auch die Probleme: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion versank das Land 1991 sechs lange Jahre lang in einem Bürgerkrieg. Bis heute sind die Folgen des Konflikts offensichtlich. Das postsowjetische Land mit archaischer Clanstruktur hat in den 1990er Jahren den größten Teil seiner Wirtschaftskraft verloren. Der Übergang von der sozialistischen zu einer marktwirtschaftlichen Gesellschaftsstruktur wurde und wird durch Korruption und Clanwirtschaft massiv behindert. "Kaum jemand baut Unternehmen auf", sagt Andreas Riesterer, Direktor des tadschikischen Länderbüros von Caritas international, "da die gesetzlichen Rahmenbedingungen fehlen und die Angst besteht, das Eigentum wieder zu verlieren."
Viele arbeiten im Ausland
Wegen der schlechten Bedingungen arbeiten viele Tadschiken im Ausland. Schon jetzt stammen 40 Prozent des Bruttosozialproduktes (BIP) aus Rücküberweisungen von im Ausland arbeitenden Wanderarbeitern. Daher ist zu befürchten, dass die Weltwirtschaftskrise gravierende Folgen für Tadschikistan haben wird, wenn Hunderttausende ihre Arbeit verloren haben und nach Tadschikistan zurückkehren müssen. Hier werden sie selbst auf Hilfe angewiesen sein, statt ihre Familien zu unterstützen.
Von internationaler Seite werden Tadschikistan schwerwiegende Vorwürfe gemacht, da keine Industrie aufgebaut wird und die Energieversorgung trotz enormer Wasservorräte des Landes vor dem Zusammenbruch steht. Außerdem waren von den etwa 7,5 Millionen Einwohnern zwischen August 2008 und Januar 2009 laut Welternährungsprogramm 650.000 stark und weitere 1,5 Millionen leicht unterversorgt.
Kinder arbeiten, statt zur Schule zu gehen
Von allen diesen Entwicklungen sind Kinder stark betroffen. So ist eine unmittelbare Folge der Wirtschaftskrise, dass immer mehr Kinder nicht mehr zur Schule gehen können, da sie arbeiten müssen, um zur Versorgung der Familien beizutragen. Dabei ist es ohnehin um die schulische Ausbildung in Tadschikistan schlecht bestellt. Seit der Auflösung der Sowjetunion ist das Bildungsniveau ständig abgesunken. Dies hat auch damit zu tun, dass die Ausbildungssprache offiziell auf Tadschikisch umgestellt wurde, aber kaum Lehrbücher in dieser Sprache vorliegen. Zudem fehlen dem Land etwa 7000 Lehrer. Die Bezahlung ist so schlecht, dass viele in andere Berufe abwandern.
Caritas international engagiert sich seit 2006 in Tadschikistan, seit 2007 mit einem eigenen Länderbüro, das Projekte in den Arbeitsbereichen Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderung sowie alte und kranke Menschen betreut. Zentrales Element der Arbeit von Caritas international ist es, die vorhandenen Kräfte zu stärken. Dabei werden nicht einfach nur Projekte finanziert, sondern die Partner bei ihrer Projektentwicklung begleitet und gefördert. Die Befähigung der Partner ist zentraler Bestandteil der Arbeit von Caritas international.
So führte die Beraterin Irene Berger, die seit vielen Jahren Kinder- und Jugendprojekte von Caritas international in aller Welt begleitet, im Mai 2009 Workshops mit verschiedenen Kinder- und Jugendprojekten durch. Dabei arbeitete sie mit den Projektmitarbeiter(inne)n an Zielgruppendefinitionen, Zielen und konkreten Projektkonzeptionen. Ella Ryazanova, Projektleiterin bei der Partnerorganisation Zumrad, die Projekte für marginalisierte Kinder und Jugendliche durchführt, berichtet vom Workshop in ihrer Organisation: "Ich dachte immer, wir haben 70 Prozent Kinder und Jugendliche aus normalen Familien, was bei uns schon bedeutet, dass es Familien mit niedrigem Einkommen oder Alleinerziehende sind. Bei der Auseinandersetzung mit unseren Zielgruppen haben wir festgestellt, dass der Anteil der ganz besonders vulnerablen Kinder und Jugendlichen bei 60 und nicht bei 30 Prozent liegt. Viele sind Sozialwaisen, jugendliche Straftäter oder Straßenkinder. Außerdem wurde uns bewusst, dass gerade die Sozialwaisen, deren Eltern als Arbeitsmigranten im Ausland leben, besonders gefährdet sind." Als Ergebnis des Workshops setzt sich Zumrad künftig stärker mit dem Thema Armut und Ausgrenzung auseinander und wird die Angebote entsprechend anpassen.
Jugendliche lernen ihre Fähigkeiten kennen
Zumrad ist ein besonders aktiver und erfahrener Partner von Caritas international, der seit 1996 marginalisierten Kindern und Jugendlichen Halt und Perspektiven bietet. Die Sommercamps und die 14 Clubs bieten Kindern Hilfe bei den Hausaufgaben, aber auch Freizeitaktivitäten sowie erlebnispädagogische Erfahrungen. Zumrad hilft den Jugendlichen, ihre eigenen Fähigkeiten zu entdecken und eine entsprechende Ausbildung machen zu können. Mit Kursen und Hausbesuchen werden die Eltern einbezogen.
In den Camps und Clubs sind die Jugendlichen selbst Akteure, zum Beispiel wenn sie Jüngeren Englisch beibringen oder eigene Clubs leiten. Außer den Camps organisieren die Jugendlichen auch sogenannte Friedensmärsche - mehrtägige Wanderungen, bei denen sie das Gespräch mit Dorfbewohnern suchen und Veranstaltungen organisieren. Sie wollen die Bevölkerung zum Nachdenken über Demokratie, das Land Tadschikistan und seine Werte bewegen. So leisten die Jugendlichen einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Folgen des Bürgerkriegs.
"Die Projekte von Zumrad zeichnet aus, dass sie die Jugendlichen zu Protagonisten und zu Vorreitern machen", erklärt Andreas Riesterer. "Sie bilden Naturführer aus, die den Tourismus in Tadschikistan mit aufbauen wollen. Pioniere sind sie auch in ihrer Geisteshaltung: Die Jugendlichen entwickeln durch Wiederaufforstungsaktionen und Umweltschutzkurse ein Bewusstsein für die Natur - in einem Land, in dem Umweltschutz bisher ein Fremdwort ist und in dem früher große Waldflächen für Feuerholz gerodet wurden, so dass heute Erosion und Schlammlawinen gravierende Gefahren sind."
"Der Club ist mein Zuhause"
Den Erfolg von Zumrad erlebt man, wenn beispielsweise die 21-jährige Nejdana Mironova Fußball spielt oder ausgelassen in der Disco tanzt. Nejdana lebte als Waisenkind in einem Internat und gehörte vor neun Jahren zu den Gründungsmitgliedern des Jugend-Clubs "Cristall". Zuvor hatte sie keine Möglichkeit, das Gelände des Internats zu verlassen oder andere Menschen zu treffen. "Jetzt", erzählt die junge Frau begeistert, "ist der Club mein zweites Zuhause, ich fühle mich hier wie in einer Familie. Erst hier habe ich wichtige Dinge fürs Leben gelernt." Heute gehört Nejdana der tadschikischen Frauennationalmannschaft im Fußball an und studiert Sport. Sie gibt Computerkurse und ist Gruppenleiterin bei den Camps.
Andere Projektpartner wie Yoron stehen noch am Anfang ihrer Entwicklung. Die 2006 gegründete Organisation führte ihr erstes Projekt mit Caritas international durch. Dabei veranstaltete Yoron Workshops an zwölf Schulen und entwickelte daraus Konzepte, die mit Eltern und Lehrern diskutiert und bei einem Wettbewerb eingereicht wurden. Zwei Siegerprojekte wurden anschließend gemeinsam mit den jeweiligen Kindern realisiert. So entstand an der Schule von Shulduq ein Schulhof, im Nachbarort Oftobak ein Schulgarten.