Verhandlungsfähigkeit braucht Zeit, doch die wird knapp
Seit Januar 2008 arbeitet die Arbeitsrechtliche Kommission (AK) nach der von der Delegiertenversammlung beschlossenen neuen Ordnung. Ihre Tätigkeit vollzieht sich in der Bundeskommission – mit Verhandlungs- und Beschluss- kommission – sowie in sechs Regionalkommissionen.
Inzwischen haben die Bundeskommission und in der Folge auch alle Regionalkommissionen – nach vielen Mühen auch die Regionalkommission Ost – eine Entscheidung zur Tarifrunde 2008/2009 gefällt.
Grundsätzlich hat sich die neue Kommission damit handlungsfähig gezeigt und die Teilhabe an der allgemeinen Lohnentwicklung sowie erste strukturelle Anpassungen sichergestellt. Grundlegende Probleme konnten dabei allerdings nicht gelöst werden.
Zwickmühle auf mehreren Ebenen
Zu nennen sind hier die strukturellen Probleme in der Eingruppierungssystematik in Verbindung mit einem weiteren Auseinanderdriften der Vergütungsentwicklung auf dem freien Arbeitsmarkt und der Tarifstruktur der Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes (AVR). Das führt einerseits zu großen Problemen bei der Personalgewinnung – ein Beispiel: Die Ärztevergütung in den AVR liegt deutlich unter Arbeitsmarktniveau. Andererseits ergeben sich massive Nachteile im Wettbewerb: Beispielsweise liegt die Vergütung in den unteren AVR-Lohngruppen zwischen 30 und 40 Prozent höher als das Arbeitsmarktniveau.
Ein weiteres Problem trat in der letzten Tarifrunde deutlich zutage: Zwar war einerseits häufig der Beschluss der Tariferhöhung notwendig, um mit den Kostenträgern Erhöhungen verhandeln zu können. Andererseits fielen aber für viele Caritas-Unternehmen der Zeitpunkt der Lohnerhöhung und der Zeitpunkt der zumindest teilweisen Refinanzierungsmöglichkeit über den Preis ihrer Dienstleistungen unzumutbar auseinander. Das geschah trotz der Bemühungen der Regionalkommissionen um Entlastung, weil die Verhandlungen und gegebenenfalls damit verbundene Rechtsstreitigkeiten der Träger und Verbände mit den Kostenträgern zeitlich nachgelagert waren.
Darüber hinaus war es nur sehr unzureichend möglich, regionale und branchenspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen. Insgesamt konnte daher keine ausreichend parallele Entwicklung der Tarife und der entsprechenden Finanzierungsmöglichkeiten erreicht werden: Finanz- und Tarifpolitik waren weitgehend unkoordiniert.
In der Zeit nach der Tarifrunde 2008/2009 war die Arbeit der Arbeitsrechtlichen Kommission vor allem dadurch gekennzeichnet, dass es große Probleme bei der Entscheidungsfindung außerhalb von Lohnrunden gibt, auch wenn die Probleme um die Ärztevergütung, die Vergütung der unteren Lohngruppen und vor allem einer vernünftigen Regelung für die geringfügig beschäftigten Mitarbeiter(innen) immer drängender werden. Zudem ist die Kommission noch stark damit beschäftigt, sich in den Möglichkeiten der neuen Ordnung zurechtzufinden.
Wiederkehr der Grundsatzdiskussionen
All das hat dazu beigetragen, dass die großen Ziele der neuen Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission, die Entschärfung der Grundsatzdiskussionen um den sogenannten Dritten Weg im Caritasverband und die Umkehrung der Tendenz, Wege außerhalb zu suchen, noch nicht erreicht worden sind. Eher ist wieder eine Verschärfung der ordnungspolitischen Diskussion auf der Mitarbeiter- und der Dienstgeberseite festzustellen. Dabei geht es nicht um kleinere Nachbesserungen der neuen AK-Ordnung, über die man durchaus nachdenken kann. Vielmehr sind wieder grundlegende Änderungen im Gespräch, wie etwa die Einführung von KODA-Ordnungen1 im Servicebereich, die Verlagerung der Entscheidung auf die betriebliche Ebene oder die völlige Abschaffung der Bundesebene der AK, weil der Problemdruck so hoch ist.
Alle weiteren grundlegenden ordnungspolitischen Ansätze werden jedoch den Charakter von Notlösungen mit hohen langfristigen Risiken für alle Beteiligten haben. Denn sie lösen die oben genannten Probleme nicht im Kern, sondern schaffen höchstens kurzfristig Erleichterung. Das Gleiche gilt für alle Einzelaktivitäten außerhalb des Dritten Weges.
Kommission braucht bessere Verhandlungsfähigkeit
Aufhalten können wir diese Entwicklungen dennoch nur, wenn in die AK mehr Bewegung kommt. Die Kommission ist wegen der vielen in der Sache zu lösenden Probleme gefordert, nicht die Ordnungspolitik in den Mittelpunkt zu stellen, sondern sich in vernünftigen kurz- und mittelfristigen Schritten auf den Weg zu machen.
Sehr belastend bleibt, dass es bisher nicht gelingt, die kurzfristig drängenden Probleme zu lösen. Damit verbauen wir uns unter Umständen die Möglichkeit, die wirklich wichtigen mittel- und langfristigen Anforderungen anzugehen. Positiv ist andererseits festzustellen, dass die AK weiter für eine Verbesserung des Informationsstandes beider Seiten, der Dienstnehmer- und der Dienstgeberseite, sorgt: Das im Frühjahr gestartete Tarifinstitut bildet die Grundlage für eine bessere Verhandlungsfähigkeit.
Darüber hinaus muss zur Verbesserung der Verhandlungsfähigkeit vor allem an der Strategiefähigkeit der Kommission selbst gearbeitet werden: An alten vereinfachenden Positionen festzuhalten, blockiert die Verhandlungsfähigkeit und wird den komplexen Anforderungen der Zukunft nicht gerecht. Zu solchen nicht miteinander verhandlungsfähigen Positionen zählen die Forderung nach Übernahme der Tarife des öffentlichen Dienstes, ohne die Folgen für die Existenz der Einrichtungen zu bedenken, einerseits oder der schlichte Verweis auf eine schlechte Kassenlage der Kostenträger zur Abwehr von Lohnerhöhungen andererseits.
Dienstgebermeinungen aus dem ganzen Verband gefragt
Echte Verhandlungsfähigkeit auf der Grundlage einer ausgeprägten strategischen Positionierung beider Seiten im Hinblick auf die zukünftigen Tarifrunden hin ist schwierig, aber unbedingt nötig. Erste Schritte wie die Positionierung in der Kommission zur Festlegung von Mindestlöhnen für die Pflege nach dem Entsendegesetz beim Bundesarbeitsministerium oder die Gründung des Ausschusses Koalition und Teilhabe wurden bereits unternommen.
Für die weitere Arbeit an der inhaltlichen Positionierung der Dienstgeberseite stellen sich in diesem Zusammenhang und darüber hinaus wichtige Fragen.
- Verbesserung des Informationsstandes: Welche Informationen über die Entwicklung der Tariflandschaft und der allgemeinen Entwicklung am Arbeitsmarkt benötigen wir, um die AVR von der inhaltlichen Struktur her richtig auf die künftigen Erfordernisse der Personalgewinnung und Personalerhaltung auszurichten?
- Verbindung von Marktordnungs- und Tarifpolitik: Welche Koalitionen müssen wir eingehen und an welchen Stellen müssen wir uns in welcher Höhe für die Einführung von Mindestlöhnen einsetzen, um zu erreichen, dass Flächentarifverträge in der Sozialwirtschaft wieder die Teilhabe der Mitarbeiter(innen) an der allgemeinen Lohnentwicklung und die Vermeidung von Lohndumping ermöglichen?
- Verbindung von Tarif- und Finanzpolitik: Wie kann es am besten gelingen, Tariferhöhungen mit Erhöhungen unserer Preise beziehungsweise Kostensätze vom Zeitpunkt her abzustimmen?
- Welche verhandelbaren Dienstgeberpositionen ergeben sich in den Themen Tarifhöhe und -struktur für die nächsten Tarifrunden?
Um derartige Fragestellungen zu lösen, ist auf der Dienstgeberseite neben der Debatte in den Kommissionen auch die Diskussion auf breiterer Basis notwendig. Die Dienstgeberseite der AK will im Hinblick auf die nächsten Tarifrunden stärker auf alle Organisationen und Verbände im Deutschen Caritasverband zugehen, die ihrerseits Dienstgebermeinungen und Positionen auf regionaler und überregionaler Ebene bündeln und versuchen, diese in tarifpolitische Strategien umzusetzen.
Auf der Bundesebene hat sich die Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen (AcU) klar in diese Richtung positioniert: Sie bietet größeren überregional ausgerichteten Trägern die Möglichkeit der Bündelung auf dem Feld der Tarifpolitik.
Für die regionale Ebene ist insbesondere die Ausrichtung der Diözesan-Caritasverbände inhaltlich und organisatorisch noch sehr unterschiedlich, aber von grundlegender Bedeutung. Denn für die Verbindung zwischen Tarif- und Finanzpolitik für die Felder Altenhilfe, Behindertenhilfe und Jugendhilfe wird die regionale Perspektive benötigt. Zudem kann so eine Flächendeckung auf alle Mitgliedseinrichtungen hin gewährleistet werden. Auch die Verbindung zu den Arbeitsgemeinschaften und Fachverbänden im Hinblick auf die Tarifpolitik ist in diesem Prozess weiter zu klären.
Anmerkung
1. KODA – Kommission zur Ordnung des Diözesanen Arbeitsvertragsrechts.