Der Dritte Weg: Setzen, mangelhaft!
Tariflich motivierte Ausgründungen und einzelvertragliches Abweichen von den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) finden weiterhin statt und sind verdeckter Arbeitskampf. Sie zerstören die Dienstgemeinschaft als Fundament des Dritten Weges und führen die im Grundgesetz zugestandene kirchliche Eigenständigkeit ad absurdum. Die deutschen Bischöfe, der Deutsche Caritasverband (DCV) und die Theoretiker des Dritten Weges wie die Professoren Wilhelm Dütz und Reinhard Richardi1 müssen dem in Theorie und Praxis dringend und wirkungsvoll Einhalt gebieten. Träger, die Mitglied der Caritas und ihrer verbandlichen Gliederungen sind und bleiben wollen, müssen sich AVR-treu verhalten.
Die neue Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission (AK) eröffnet neue Handlungsmöglichkeiten. Beide Seiten nutzen diese. Der Mitarbeiterseite gelang es mit dem neuen Instrument der Zwangsschlichtung, geringfügig Beschäftigte ab November 2009 den übrigen Mitarbeiter(inne)n gleichzustellen. Damit wurde die jahrelange Blockade der Dienstgeberseite zur Abschaffung der diskriminierenden und daher rechtswidrigen Anlage 18 der AVR überwunden.
Ein einheitliches Tarifniveau konnte in fünf Regionen erhalten und der Anschluss an die allgemeine Gehaltsentwicklung gehalten werden. Die Separierung des Ostens mit seiner hochkomplexen Situation war Ziel der Dienstgeberseite bei der Reform der AK-Ordnung. Dieses Ziel haben die Dienstgeber erreicht - sehr zum Bedauern und Ärger der Mitarbeiter(innen). Bis heute warten die Mitarbeitenden in der Region Ost auf die längst fällige Tariferhöhung. Die von Caritas-Präsident Peter Neher vorgeschlagenen Vermittler Albert Hauser und Bernward Ester haben Ende Juli einen Durchbruch in den festgefahrenen Verhandlungen erzielt. Die Tariferhöhung erfolgt erst zum 1. Juli 2009 und damit ein Jahr später. Übergangsregelungen sind noch zu schaffen. Auf eine Tarifangleichung Ost an West müssen die Kolleg(inn)en in den neuen Bundesländern weiter warten.
Die Mitarbeiterseite braucht entsprechende Ressourcen
Die neue Ordnung beinhaltet Unklarheiten. Die Frage, wie viel der Dritte Weg kosten darf, ist nicht geklärt. Die Mitarbeiterseite reklamiert für paritätische Verhandlungen auf Augenhöhe eine Freistellung für die Mitarbeiter(innen) im notwendigen Umfang und entsprechende Refinanzierung für die betroffenen Einrichtungen sowie ausreichende Ausstattung mit Fachpersonal und materiellen Ressourcen. Ein erstes Urteil des Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs zur Auslegung der Freistellungsregelung sorgt auf der Mitarbeiterseite der AK für große Unruhe. Bestätigt die noch ausstehende Urteilsbegründung den Tenor der mündlichen Verhandlung, kann die Mitarbeiterseite nur noch sehr begrenzt Arbeitsrecht regeln. Möglicherweise wird sie völlig lahmgelegt sein. Im Klageverfahren der Mitarbeiterseite zu weiteren Unstimmigkeiten in der Ordnung fand Ende August die mündliche Verhandlung am Kirchlichen Arbeitsgerichtshof in Bonn statt. Das Gericht meinte, dass die Mitarbeiterseite möglicherweise mit ihren Diagnosen Recht hätte. Das Gericht könne jedoch nicht handeln, da ihm eine Normenkontrolle durch die Kirchliche Arbeitsgerichtsordnung verwehrt sei. Der Prozessvertreter der Deutschen Caritas kündigte politische Lösungen an.
Eine weitere Zersplitterung der AK und des Tarifrechts der Caritas oder die Abgabe an die KODAen2 erhöhen den Koordinationsaufwand und damit die Kosten weiter. Die immer wieder von Dienstgebern geforderte Verlagerung der Tariffindung auf die Betriebsebene widerspricht Art. 7 der Grundordnung und stellt eine Kündigung des Dritten Weges dar.
Gut begründete und mit Zukunftsperspektive versehene Absenkungsanträge nach § 11 AK-O für einzelne Träger oder Einrichtungen werden in den Regional-kommissionen zur Sicherung von Arbeitsplätzen positiv beschlossen. Missmanagement, schlampig gestellte Anträge, Tarif- und MAVO-Verstöße3 und Perspektivlosigkeit von Hilfeangeboten gefährden Einrichtungen und Arbeitsplätze. Wer Markt und Wettbewerb bejaht, muss auch das Risiko von Insolvenz mit einkalkulieren.
Die Tarifkonflikte in der AK werden zunehmen, je mehr sich die Caritas auf einen eigenständigen Tarifweg macht und sich von den Tarifkompromissen des öffentlichen Dienstes löst. Die Mitarbeiterseite muss dazu ihre Verhandlungsmächtigkeit deutlich erhöhen. Die AK sollte sich überlegen, ob sie ihren Schwerpunkt richtig setzt. Sie verwendet einen Großteil ihrer Ressourcen für die möglichst gerechte und präzise Verteilung von Geld. Es könnte lohnender sein, die Hauptenergie dazu zu verwenden, die Einnahmen zu mehren und den Druck auf die Kostenträger zu erhöhen. Wenn die Dienstgeber in Niedersachsen nachdenken, die Refinanzierungsverhandlungen im Altenhilfebereich zu intensivieren, ist das ein gutes Zeichen. Man fragt sich allerdings: Weshalb erst jetzt?
Es wird Zeit, dass die Caritas und ihre AK ihren Schwerpunkt mehr auf die Tarifpolitik setzt und sie verstärkt mit der Sozialpolitik und der Finanzpolitik koppelt. Die deutsche Caritas muss ihre Rolle als großer Preisbildner im Sozialbereich Deutschlands deutlich aktiver annehmen und ausfüllen. Dienstgeber und Dienstnehmer der Caritas müssen gemeinsam den politisch Verantwortlichen, den Kostenträgern und der Bevölkerung verdeutlichen: Soziale Arbeit ist mehr wert!
Anmerkungen
1. Prof. Dr. Wilhelm Dütz, em. Professor für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Prozessrecht, Universität Augsburg; Prof. Dr. Reinhard Richardi, em. Professor für Arbeitsrecht und Sozialrecht, Bürgerliches Recht und Handelsrecht, Universität Regensburg.
2. Kommissionen zur Ordnung des Arbeitsvertragsrechtes im kirchlichen Dienst.
3. Verstöße gegen die Mitarbeitervertretungsordnung.