Liturgie in der Einrichtung
Es ist eine Besonderheit christlich geprägter sozialer Unternehmen, dass es in ihnen auch liturgische Angebote gibt. In bestimmten Bereichen Sozialer Arbeit wird im Vorkommen solcher Angebote geradezu das spezifisch Christliche der Einrichtungen gesehen. Im Pflege- oder Krankenhausbereich etwa wird Wert darauf gelegt, dass Hausgottesdienste stattfinden, dass es eine liturgische Begleitung am Kranken- oder Sterbebett gibt durch Segnungen, Salbungen oder Sakramente. Auch im Hinblick auf die Mitarbeitenden werden liturgische Elemente gestaltet und als bedeutsam eingeschätzt. So gibt es in verschiedenen Einrichtungen Mitarbeitergottesdienste, es gibt Segensfeiern für neue Mitarbeiter(innen) oder ein besonderes Ritual bei der Verabschiedung in den Ruhestand.
Zuweilen wird dabei die Komplexität liturgischer Gestaltung etwas unterschätzt. Liturgie stellt eine stark verdichtete Form symbolischer Kommunikation dar - umso wichtiger ist es, hier sehr gezielt auszuwählen und bewusst zu gestalten.
Zwei Beispiele misslungener liturgischer Gestaltung sollen verdeutlichen, warum es einer besonderen Sorgfalt bedarf. Sie sind beide fiktiv, aber doch so typisch, dass sie sich in nahezu jeder sozialen Organisation christlicher Prägung ereignet haben könnten.
Beispiel 1:
Beim Hausgottesdienst, der einmal im Monat unter der Leitung des Caritasdirektors stattfindet, reicht ein Bereichsleiter seiner Mitarbeiterin die Hand zum Friedensgruß. Ein Mitarbeiter weiter hinten flüstert seinem Kollegen zu: "Das ist für mich die typisch kirchliche Scheinheiligkeit. Erst haut er uns in die Pfanne und dann sollen wir freundlich grinsen…" Was war geschehen? Der Bereich befand sich mitten in einem heiklen Umbauprozess, der mit empfindlichen Einschnitten in die Kompetenzen der Mitarbeiter(innen) verbunden war. Der Bereichsleiter war verantwortlich, die Umstrukturierung umzusetzen, und hatte damit begonnen, entsprechende Mitarbeitergespräche zu führen. Dabei kam es - wie zu erwarten war - zu persönlichen Verletzungen, auch bei jener Mitarbeiterin. Sach- und Beziehungsebene waren bei vielen Beteiligten noch stark vermischt, Klärungen standen aus. Ein - ritualisierter - Friedensgruß musste zu diesem Zeitpunkt Irritationen auslösen. Die liturgische Form und die persönliche (alltägliche) Erfahrung passten nicht zusammen.
Beispiel 2:
Zum 20-jährigen Jubiläum einer Caritas-Suchtberatungsstelle soll auch ein Gottesdienst stattfinden. Dazu wird der katholische Pfarrer, in dessen Gemeindegebiet die Beratungsstelle liegt, angefragt. Er zelebriert eine festliche Eucharistiefeier. Bei der Kommunionausteilung bleibt ein Kollege, der die Beratungsstelle mit aufgebaut hat, hinten stehen. Nach dem Gottesdienst sagt er: "Das hättet ihr mich nicht so spüren lassen müssen, dass ich hier nicht richtig dazugehöre." Der Mitarbeiter war evangelisch. Die "exklusive" Gottesdienstform "Eucharistie" war der Gemeinschaft der Mitfeiernden nicht angemessen.
Vorschläge zur liturgischen Gestaltung in Einrichtungen
Von der Caritas, auf dem Boden der liturgisch hochkompetenten katholischen Kirche gewachsen, darf man in liturgischen Dingen eine besondere Stilsicherheit erwarten. Dazu wird es sicherlich sinnvoll sein, für eine angemessene liturgische Bildung von Führungskräften und Mitarbeiter(inne)n Sorge zu tragen. Ihr Ziel ist ein wacher Blick für verschiedene Formen symbolischer Kommunikation und für gelebte Rituale. Und es geht um die Fähigkeit zur - bewussten und heilsamen - Gestaltung liturgischer Formen und Feiern in der eigenen Einrichtung. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hierzu im Folgenden einige Kriterien benannt.1
Gemeinschaftscharakter
Dass sich liturgisches Beten vom Privatgebet unterscheidet, zeigt sich bereits durch das Verwenden der "Wir"-Form. Nur ganz selten wird in den großen Gottesdienstformen dieser gemeinschaftliche Charakter durchbrochen und ein persönliches "Ich-Element" eingesetzt; in einer Eucharistiefeier etwa nur bei Schuldbekenntnis, Glaubensbekenntnis und Ruf vor dem Kommunionempfang.
Eine gemeinschaftliche Gebetsform setzt voraus, dass die Mitfeiernden tatsächlich eine Gottesdienstgemeinschaft sind. Sie müssen sich dem liturgischen "Wir" zugehörig fühlen und zu dem, was gesagt und getan wird, ihr "Amen" sprechen können. Es lohnt sehr, sich bei der Vorbereitung von Gottesdiensten die möglichen Mitfeiernden vor Augen zu führen und zu fragen, welche Gottesdienstform und welche liturgischen Elemente für die - beziehungsweise für möglichst viele der - Mitfeiernden geeignet sind. Mitarbeitende der Caritas sind selten uniform katholisch, nicht wenige gehören anderen Konfessionen an oder sind möglicherweise gar nicht christlich. Die Eucharistiefeier als Hochform katholischer Liturgie wird hier nicht die Gottesdienstform erster Wahl sein können. Sinnvoller wird es sein, auf andere, niederschwelligere Feierformen zurückzugreifen oder selbst eine angemessene liturgische Form zu gestalten, die der pluralen Wirklichkeit der Feiernden entspricht. Die Forderung nach einer differenzierten Liturgie findet sich auch in der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, in der es heißt: "Die Seelsorger sollen eifrig und geduldig bemüht sein um (…) die tätige Teilnahme der Gläubigen, die innere und die äußere, je nach deren Alter, Verhältnissen, Art des Lebens und Grad der religiösen Entwicklung." (Sacrosanctum concilium, 19)
Liturgie und Leben
Liturgie ist eine Möglichkeit - aufsteigend -, die eigene Situation im Zeichen zu verdichten und vor Gott zu bringen, oder - absteigend - Gottes Beistand im Zeichen zu verdichten und ins Leben zu tragen. Wenn die Vorbereitung mit einer gewissen Feinfühligkeit für existenziell bedeutsame Themen oder sensible Zeiten ("heilige Zeiten") in Organisationen oder Einrichtungen geschieht, können liturgische Feiern für das Leben und Arbeiten in der Caritas eine wirkliche Bereicherung sein, die neue Dimensionen eröffnet. Manche liturgischen Feiern verspielen hier ihre Chance, indem sie etwas ganz anderes als das, was die Mitfeiernden gerade berührt, zum Thema machen. Eine "Mittagsbesinnung" etwa, die zu den am Vormittag gemachten Erfahrungen nicht anschlussfähig ist, bleibt ein Fremdkörper im Tagesablauf der Caritasmitarbeiter(innen). Vollends korrumpiert wird Liturgie, wenn sie in Widerspruch steht zum Lebens- und Arbeitsalltag.
Heilsame Unterbrechung
Der Theologe Johann Baptist Metz nannte einmal als kürzeste Definition von Religion den Begriff "Unterbrechung". Es gibt keine spirituelle Kultur ohne bewusste Momente der Unterbrechung: Unterbrechungen des laufenden Geschäftsbetriebs, des eingefahrenen Funktionierens, der gewohnten Denkmuster. Unterbrechung auch oder gerade dann, wenn das äußere und innere Hamsterrad auf vollen Touren läuft.
Gottesdienste sind heilsame Unterbrechungen. Den Feiernden wird das eigene Sprechen und Handeln für ein paar Minuten aus der Hand genommen: Sie hören zu, sprechen vorgegebene Worte, singen mit, betrachten. Es geht in den Minuten einmal nicht um die Überlegung: Was kommt als Nächstes? Wie ist das zu erledigen? Wer wartet auf meinen Rückruf?
Vor allem im Hinblick auf Mitarbeitergottesdienste ist darauf zu achten, dass der Unterbrechungscharakter gewahrt und geschützt wird. Dies setzt zuallererst voraus, dass die Mitfeiernden für die Dauer des Gottesdienstes von beruflichen Pflichten entbunden sind. Wenn beispielsweise Mitarbeitende der Altenpflege die Aufgabe haben, Bewohner(innen) in Gottesdienste zu begleiten, oder wenn sie für Angehörige eine Abschiedsfeier gestalten, sind dies für sie selbst keine heilsamen Unterbrechungen. Hier sollte man fair sein und die Dinge beim Namen nennen. Der Hinweis "Bei uns gibt es doch viele Gottesdienste, an denen die Mitarbeiter teilnehmen können" allein ist noch kein Beleg für eine spirituelle Kultur, wenn der Unterbrechungscharakter für die Mitfeiernden nicht gewährleistet ist.
Perspektivwechsel
Geistlich gesehen wenden sich die Feiernden im Gottesdienst nicht einander zu (auch nicht, wenn sie im Kreis sitzen), sie betrachten auch nicht einfach sich selbst (wie beim persönlichen Nachdenken über das eigene Leben). Im Gottesdienst kann ich mich mit dem, was mich beschäftigt, Gott zuwenden. Ich kehre mein Inneres gewissermaßen gen Himmel, um von dort her geschenkt zu bekommen, was ich selbst nicht machen kann.
Dass Gott der Adressat ist, unterscheidet ein Gebet von einem zwischenmenschlichen Gespräch. Es lohnt sich sehr, im Gottesdienst diesen spezifischen Perspektivwechsel konsequent beizubehalten. Vor allem Fürbitten bergen hier ein gewisses Risiko. In manchen Caritas-Gottesdiensten werden sie unversehens zu moralischen Appellen umfunktioniert, formuliert nach Art von: "Lieber Gott, mach, dass wir endlich alle einsehen, dass wir mit den Armen teilen müssen…" Nicht, dass ethische Forderungen oder anwaltschaftliches Eintreten gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit kein Auftrag der Caritas wären. Aber ein Fürbittgebet ist hierfür nicht der richtige Ort. Die Chance des Fürbittgebets ist es, Menschen in Not zu benennen und sie Gott gewissermaßen entgegenzuhalten. Es ist eine Form, das "himmelschreiende" Leid buchstäblich zum Himmel zu schreien.
Angemessene Form
Liturgische Feiern unterscheiden sich von spontanen Zusammenkünften durch eine gewisse Form. Dieses Kriterium könnte insbesondere in Feldern Sozialer Arbeit, in denen ein eher lockerer Umgang gepflegt wird, nicht ganz unbedeutend sein: Ein Gottesdienst - und sei er noch so kurz - ist in irgendeiner Weise gestaltet. Er hat einen Anfang, einen bestimmten Verlauf und ein Ende. Er ist, wenn man so will, eine Inszenierung mit einer inneren Dramaturgie. Ihre Elemente sind so gewählt, dass sie zum Anlass und zu den Mitfeiernden "passen". Möglicherweise gibt es verschiedene Rollen im Gottesdienst. Diese sind vor der Feier verteilt. Auf jeden Fall aber gibt es jemanden, die/der die Feier leitet.
Das ästhetische Leitbild, dem die liturgische Form verpflichtet ist, kann man "schlichte Schönheit" nennen. Das Zweite Vatikanum formuliert: "Die Riten mögen den Glanz edler Einfachheit an sich tragen und knapp, durchschaubar und frei von unnötigen Wiederholungen sein. Sie seien der Fassungskraft der Gläubigen angepasst und sollen im allgemeinen nicht vieler Erklärungen bedürfen." (SC 34) Ich meine, dass dieses ästhetische Ideal der Liturgie in besonderer Weise zum Wesen der Caritas passt.
Feiercharakter baut auf Freiwilligkeit
Ein Gottesdienst ist kein Ort der Diskussion, kein Ort der Glaubens- oder Lebensunterweisung, keine Bildungs- oder Informationsveranstaltung. Ein Gottesdienst ist zuallererst eine Form der Feier. Es geht darum, wie es im Hochgebet der Eucharistie heißt, "die Herzen zu erheben". Der Feiercharakter setzt vor allem voraus, dass jede(r) Mitfeiernde im Gottesdienst so sein darf, wie er/sie ist. Wenn ich das Gefühl habe, im Gottesdienst ein bestimmtes "Gesicht" aufsetzen zu müssen - etwa, um mich meinem Vorgesetzten oder dem Aufsichtsrat oder dem Bischof als "kirchentreu" zu präsentieren -, ist es für mich keine Feier mehr. Das bedeutet auch: Die Teilnahme an einer liturgischen Feier muss grundsätzlich freiwillig sein. Niemand muss begründen, warum er/sie kommt oder wegbleibt. Eingeladen sind alle, denen eine solche Feier etwas bedeutet. Jede(r) darf, niemand muss kommen.
Die Feier ist grundsätzlich ein Schutzraum: Gefühle, die eine liturgische Feier möglicherweise in einer Person auslöst, sind unbedingt zu achten. Dies gilt schon bei der Vorbereitung, es gilt während der Feier und ebenso bei Gesprächen nach dem Gottesdienst. Auch gibt es Rückzugsmöglichkeiten: Es ist in Ordnung, wenn jemand nur am Rande dabei sein will oder während der Feier geht.
Liturgische Elemente mit geistlichem Leben füllen
Die "technischen Elemente", deren Liturgie sich bedient - Symbole, Rituale, Handlungsmuster -, haben für sich genommen noch keine religiöse Bedeutung. Sie entfalten zunächst eine eigene psychohygienische, gemeinschaftsbildende oder zeitstrukturierende Wirkung. Einen theologischen Zugang zur Liturgie gewinnt erst, wer nicht nach dem "Wie", sondern nach dem "Warum" fragt. Im religiösen Kontext wird Liturgie verstanden als besonderer Ausdruck einer Beziehung zu Gott. Die "säkularen" Wirkungen liturgischer Elemente und Handlungen treten dabei in den Hintergrund. Es geht um die innere Hinwendung zu einer Realität, die das Weltliche grundsätzlich sprengt.
Das heißt aber: Dass es Symbole oder Rituale gibt, ist noch kein hinreichendes Kennzeichen eines christlichen Unternehmens. Es gibt viele gute Gründe, Derartiges einzuführen und zu pflegen. Einrichtungen der Caritas werden auch gut daran tun, sich hier besondere Mühe zu geben. Aber christlich wird ein Unternehmen nicht durch das Liturgische an sich, sondern dadurch, dass in der Feier und im Alltag etwas vom Geist Gottes spürbar wird.
Anmerkung
1. Ausführlicher in: Reber, Joachim: Spiritualität in sozialen Unternehmen : Mitarbeiterseelsorge, spirituelle Bildung, spirituelle Kultur. Stuttgart : Kohlhammer, 2009.
Literatur
Guardini, Romano: Vom Geist der Liturgie. Mainz/Paderborn, 2007 (11918).
Ratzinger, Josef Kardinal: Der Geist der Liturgie. Freiburg, 2000.
Maurer, Alfons; Reber, Joachim (Hrsg.): Bleibe bei uns, Herr : Gottesdienste und Rituale in Einrichtungen der Altenpflege. Ostfildern, 2008.