Alt werden auf neuen Wegen
Die Zahl der Menschen mit geistiger und/oder mehrfacher Behinderung, die das Rentenalter erreichen oder einen altersbedingten zusätzlichen Hilfebedarf haben, wächst (vgl. den Beitrag von Sören Roters-Möller in Heft 02/2009, Seite 14-16).
Träger und Einrichtungen müssen Perspektiven entwickeln, wie diesen Menschen im Alter eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gesichert werden kann. Politik und Verwaltung sind gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Um Träger und Einrichtungen sowie Gesellschaft und Politik für dieses Zukunftsthema "Menschen mit Behinderung im Alter" zu sensibilisieren, führten der Caritasverband für das Erzbistum Paderborn und die Diözesan-Arbeitsgemeinschaft Behindertenhilfe das dreijährige Projekt "Gemeindeintegriertes Wohnen von Menschen mit Behinderung im Alter" durch. Die wissenschaftliche Begleitung wurde dem Institut für Gerontologie der Universität Dortmund übertragen. Das durch die Aktion Mensch und die Stiftung Wohlfahrtspflege unterstützte Projekt leistete eine umfangreiche Bestands- und Bedarfserhebung im Hochsauerlandkreis. Handlungsempfehlungen wurden erarbeitet und mit Praktiker(inne)n aus Behindertenhilfe, Altenhilfe und Pflege erörtert. Eckpunkte für die Weiterentwicklung und die Ausrichtung der Angebote für Menschen mit Behinderung im Alter wurden formuliert, berufsbegleitende Fortbildungen für Mitarbeitende in der Behinderten-, der Altenhilfe und der Pflege konzipiert und durchgeführt. Fachveranstaltungen dienten dem Erörtern spezieller Themen, und Modellprojekte vor Ort rundeten die Aktivitäten des Dreijahresprojektes ab.
In Laufe des Projekts wurden Grundlagen geschaffen für die konzeptionelle Ausgestaltung der Hilfen für Menschen mit Behinderung im Alter, insbesondere in den Bereichen Wohnen, Tagesstrukturierung und Alltagsgestaltung, Gesundheit und Pflege, Berufstätigkeit und Übergang in die nachberufliche Lebensphase.
Geragogisches Konzept zur Kompetenzerhaltung im Alter
Die Einrichtungen und Dienste der Behindertenhilfe im Erzbistum Paderborn haben in Folge des Projektes vereinbart, ihre Arbeit an einheitlichen Leitlinien und Standards auszurichten und sich dafür einzusetzen, dass die strukturellen Rahmenbedingungen für die Betreuung von Menschen mit Behinderung im Alter nachhaltig verbessert werden.
Ziel ist es, Menschen mit Behinderung zu ermöglichen, in ihrem gewohnten Lebensumfeld wohnen zu bleiben und ihren Ruhestand möglichst selbstbestimmt zu gestalten. Einrichtungen und Dienste der Behinderten- und der Altenhilfe sowie der Pflege sind deshalb gefordert, ihre Unterstützungs- und Assistenzleistungen auf der Grundlage eines abgestimmten geragogischen1 Handlungskonzepts zu erbringen, das auf Kompetenzförderung und -erhaltung abzielt. Im Rahmen des Projektes wurde hierzu eine modulare Fortbildung entwickelt: Die Teilnehmenden des ersten Fortbildungskurses erlebten die Zusammenstellung ihrer Gruppe aus den Bereichen Behindertenhilfe, Altenhilfe und Pflege als besonders fruchtbar.
Wohnortnähe für unterschiedliche Nutzergruppen
Information und Beratung, Alltagsbegleitung, Pflege, Fahrdienste sind Beispiele für Dienstleistungen, die alte Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen benötigen. Die Caritasträger sind seit langem bemüht, Wohnen für Menschen mit Behinderung gemeindeintegriert anzubieten. Die demografische Entwicklung stellt an diese kleinen, überschaubaren Wohneinrichtungen besondere Anforderungen: Um den Bedürfnissen von jüngeren und älteren Bewohner(inne)n gleichermaßen gerecht zu werden, braucht es konzeptionelle, personelle und räumliche Voraussetzungen. Dem zunehmend pflegerischen Bedarf ist dabei entsprechend den pflegewissenschaftlichen Standards Rechnung zu tragen. Einrichtungen müssen deshalb zum Teil Pflegefachpersonal aufstocken, das aber auch für den Umgang mit geistig behinderten Menschen geschult sein muss. Für an Demenz erkrankte Menschen sind ebenfalls passgenaue Betreuungsangebote in diesen Einrichtungen sicherzustellen.
Lösungsansätze für diesen komplexen Anspruch, selbstbestimmte Teilhabe bei unterschiedlichen Bewohnerbedarfen zu ermöglichen, wurden im Rahmen des Dreijahresprojektes zwar zusammengetragen. Deutlich wurde aber, dass noch weitere konzeptionelle Überlegungen angestellt werden müssen und ein hoher Qualifizierungsbedarf der Mitarbeitenden besteht. Wichtig wird sein, eine Zusammenarbeit der unterschiedlichen Professionen einzuleiten und zu fördern.
Ähnliches gilt für die Betreuung von geistig beziehungsweise mehrfach behinderten Menschen im Alter, die sich für das Wohnen in einer Einrichtung der Altenhilfe entscheiden. Neben einer Qualifizierung der Mitarbeiter(innen) wird es darauf ankommen, mit Sozialhilfeträgern und Pflegekassen Standards für eine bedarfsdeckende Förderung zu vereinbaren und deren Finanzierung verlässlich zu regeln.
Einen Versuch in diese Richtung unternimmt derzeit die Caritas-Altenhilfe Dortmund GmbH mit dem Modellprojekt "Wohnen und Pflege im Alter für Menschen mit Behinderung" (s. Kasten in Heft 2/2009, Seite 19).
Ruhestand wird für Werkstätten zum Thema
Auch Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) müssen sich auf die altersbedingten Veränderungen ihrer Beschäftigten einstellen und sie auf den Ruhestand vorbereiten. Die WfbM nimmt auch insofern eine besondere Stellung im Hilfesystem ein, da sie auch die Menschen erreicht, die nicht in stationären Wohneinrichtungen bei der gesundheitlichen Prävention unterstützt werden. Auf die Werkstätten kommt die Anforderung zu, ihre Arbeitsprozesse und begleitenden Maßnahmen an die besonderen Bedarfe älterer Menschen mit Behinderung anzupassen und sie auf ihren Ruhestand vorzubereiten. Beispielsweise durch Ruhezeiträume und Teilzeitarbeit ist die Beschäftigungszeit auf die individuellen Bedarfe hin abzustimmen. Es sollten ein über den engeren Auftrag der WfbM hinausgehender Beitrag zur gesundheitlichen Prävention geleistet und im Einzelfall auch tagesstrukturierende Aktivitäten für schwer mehrfachbehinderte Ruheständler(innen) angeboten werden (vgl. den Kasten in Heft 2/2009, Seite 18).
Vielfalt der Ansätze
In weiteren Modellprojekten griffen Einrichtungen vor Ort spezifische Themenstellungen auf. So hat zum Beispiel das Marcel-Callo-Haus des Orts-Caritasverbandes Meschede ein "Gedächtnistraining für Menschen mit geistiger Behinderung" konzipiert und erprobt.
Im Projekt "BETagt" des Wohnheims St. Marien der Caritas-Wohn- und Werkstätten Paderborn wurden Rahmenbedingungen entwickelt, die eine Integration der Rentner(innen) in die Kirchengemeinde und ihre individuelle Begleitung unter Einbeziehung von Ehrenamtlichen ermöglichen. Das Josefsheim Bigge startete ein Projekt, in dem Menschen mit körperlichen Behinderungen befähigt werden, ihr eigenes Netzwerk in der Gemeinde aufzubauen.
Noch ist die Anzahl älterer Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung relativ gering. Umso wichtiger ist es, sich jetzt auf den Weg zu machen und die Rahmenbedingungen zu schaffen, um ein Altwerden in Würde und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Die Vielzahl der Handlungsansätze zeigt die Spannbreite der Herausforderung, aber auch die Innovationsfähigkeit der Einrichtungen. Die dargestellten Aktivitäten sind in einer Broschüre und einem umfangreichen Abschlussbericht dokumentiert (Download unter www.caritas-paderborn.de).
Anmerkung
1. Das pädagogische Fachgebiet Geragogik befasst sich mit Bildungsangeboten für ältere Menschen.